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Full text of "Alemannia: Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsasses und Oberrheins"

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Treltiura im Breisgau 

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C. A. Wägers Univernitäts-Bnchdnickerei, Freiburg i. Bi. 



Inhalt. 



Seito 

Archivar Dr. Richard Krebs, Amorbach: Die WeistOmer des 
Gottesliauses und der Gottesliausleute von Amorbacli. 

Schlussbemerkungen , . . . . 1 — 24 

Professor Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Gesundheitspflege im 

mittelalterlichen Freiburg im Breisgau. 1 25— 48 

Professor Dr. B. Kahle, Heidelberg: Ober einige Volkslied- 
varianten. 1. Das Volkslied vom Eisenbahnunglück. 
2. Die Mordtat des Soldaten. 3. Der heimkehrende Sol- 
dat. 4. Vor der Einstellung 49— 56 

Dr. Oskar HafTner, Freiburg i. Br. : Die Pflege der Volkskunde 

in Baden. 1 57— 62 

Amtsrichter a.D. Pavl Beck, Ravensburg: Briefwechsel zwischen 

Schubart und Lavater über den Wundertäter Gassner . 68— 69 
Professor Dr. F. G. G. Schmidt, Eugene, Oregon: Christian Gott- 
fried Böckhs Altdeutsches Glossarium 70— 76 

Geh. Kegierungsrat Dr. Wilhelm Groos, Konstanz: Auswanderer 
aus den Ämtern Emmendingen und Karlsruhe in der 

sQdungarischen Gemeinde Franzfeld 81—103 

Professor Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Gesundheitspflege im 

mittelalterlichen Freiburg im Breisgau. II. (Schluss) . 104—152 
Professor Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. Br. : DorfsprOche oder 

Ortslitaneien aus dem badischen Oberland 158—160 

Lehramtspraktikant Dr. Karl Bertsche, Karlsruhe: Die volks- 
tümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt. I. 

Vorwort 161—163 

Einleitung 163—167 

Zur Geschichte von Möhringen 167—169 

Allgemeines über Entstehung der Ruf- und Schimpf- 
namen 169—174 

Allgemeine phonetische und grammatische Vor- 
bemerkungen 174 — 176 

Rufnamen 176 — 217 

Schimpfnamen 217-224 



VI Inhalt 

Seite 

Prof. Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. Br.: Freiburger Bruchstück 

einer mitteldeutschen Stephanuslegende 225—227 

Oberlehrer Dr. Julius Miedel, Memmingen: Noch einmal der 

Name Achalm 228—232 

Prof. Dr. Hermann Mayer, Freiburg i. Br. : Sprachliches aus den 

Senatsprotokollen der Universität Freiburg (Filz, Beifils) 238—234 

Prof. Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Notiz Ober Heinrich Louffen- 

bergs Gesundheitsregiment (1429) 285—237 

Dr. 0. HafTner: Die Pflege der Volkskunde in Baden. II. . . 238—240 

Lehramtspraktikant Dr. Karl Bertsche, Karlsruhe: Die volks- 
tOmlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt. 
11. (Schluss) 

Schimpfnamen 241 — 271 

Kinderspitznamen 271 — 277 

Anhang. Fastnachtsverse 277 — 280 

Professor Dr. Hermann Mayer, Freiburg i. Br.: Zur Geschichte 
und Statistik der Universität Freiburg i. Br. im XVII. Jahr- 
hundert 2i<l— 298 

Professor Dr. Ludwig SUtterlin, Heidelberg: Abergläubisches 

aus Heidelberg 299—304 

Fragebogen des Badischen Vereins für Volkskunde .... 805—306 

Cieh. Regiorungsrat Dr. Wilhelm Groos, Konstanz: Eine Appen- 
zeller Landsgemeinde 807—810 

Anzeigen und Nachrichten. 

Professor Dr. Fridrich PfafT, Freiburg i. Br.: Badischer Verein 

fflr Volkskunde 77 

Professor Dr. B. Kahle, Heidelberg: Umfragen zur Volkskunde. 

— t <^ 

Professor Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br.: Umfrage, Dorfspruch 

von Schweigmatt 79 

Moscheroschdenkmal in Willstätt 80 

Paul Diergart, Berlin: Sprachgeschichtliche Anfrage (Terra 

sigillata) 80 

0. Meisinger: Die Appellativnamen in den hochdeutschen Mund- 
arten. 1. Besprochen von Prof. Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br. 80 

Dr. J. Kälin: Franz Guiilimann, ein Freiburger Historiker von 
der Wende des 16. Jahrhunderts. Besprochen von Archiv- 
rat Dr. P. P. Albert, Freiburg i. Br 811-318 

Dr. Eugen Balzer: Überblick Ober die Geschichte der Stadt 
Bräunungen. Besprochen von Archivrat Dr. G. TumbQlt, 
Donaueschingeu 818 — 814 



Inhalt VII 

Seite 

Dr. Eugen Baixer: Die Freiherren von ScIielJenberg in der Baar. 

Besprochen von Archivrat Dr. G. TumbOlt, Donaueschingen 314 — 315 
Dr. Max Fischer: Unser Schwarzwaid-Bauernhaue. Besprochen 

von Professor Dr. F. Pfaff, Freihurg i. Br 315—316 

Huldreich Zwingii, Sämtliche Werke herausgegeben von Egli und 

Finsler. Besprochen von Kustos Dr. A.Götze, Freiburg i.Br. 31 ß— 319 
Professor Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br.: Vom Vollcstrachtenfest 

in Oberprechtai 320 

Gehelmrat Friedrich von Weechf 320 



Weistümer des Gotteshauses und der 
Gotteshausleute von Amorbacli. 

Schlussbemerkungen. 
Von Richard Krebs. 

In den Bänden drei und vner der neuen Folge der Alemannia 
habe ich, ausgehend von den Weistümern, aber mich nicht 
auf sie beschränkend, das urkundliche Quellenmaterial zu einer 
Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Klosters Amorbach ver- 
öffentlicht. Gewissennaßen als Nachtrag hierzu sollen jetzt 
diejenigen Urkunden, die Weistum-Charakter haben, nach be- 
stimmten Gesichtspunkten besprochen werden. 

Besonders alte Weistümer sind uns nicht erhalten. Sehen 
wir von den beiden 1366 zu Keinhardsachsen und 1372 zu 
Neudorf a. d. St. gegebenen ab, so finden wir die frühesten in 
dem Urbare von 1395. Außer bei Hombach, wo genau Jahr 
und Tag der Weisung beigefügt ist (16. August 1397), be- 
zeichnet sich allerdings nur noch der Eintrag bei Gottersdoif 
ausdrücklich als Weistum. Neben diesen geben aber zweifel- 
los noch zahlreiche andere Einträge des Urbars den Inhalt 
von Weistümern wieder, wenn sie äußerlich auch nicht als 
solche eingeführt sind. Hierher gehören z. B. die einschlägigen 
Stellen bei Beuchen, Boxbrunn, Dornberg, Erfeld, Gerolzahn, 
Kirchzell, Neubrunn, Ober- und Unterneudorf, Otterbach. 
Ripperg, Rütschdorf, Unterschefflenz und Waldhausen. Im 
ehizelnen lässt sich jedoch nicht näher feststellen, ob die be- 
treffenden Weistümer erst damals auf Veranlassung des Abts 
Boppo ausgesprochen worden sind, oder ob sie jährlich an 
bestimmten Tagen wiederholte Weisungen dai'stellen, die nur 

Alemannia N. F. 6, i. i 



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Weistüm 



itnßerlich als aolch^s gekonnzeiclinpteK Weistum aiifüliifii. iliis 
Yiin Kütschdorf '. 

Fragen wir nach dem Anlasse der Weisungen, so liofit 
in wpitans den meisten Fällen ein Ananehen des Klosters vor. 
Snr die nicht aiisdrilcklich nach Jalir mul Tag festgelegten 
Einträge der beiden Urbare gehen möglicherweise auf die von 
den Schöffen jährlich zu bwstinimten Fristen wiederholten Fest- 
-•lelliingeii des herki'immlichen Itechts zurück, die übrigen 
W'eistüniei' sind fast ansnahtnstos von eigens gehegtem Ge- 
liohte auf besonderes Verlangen des Klosters ausgesprochen 
wonlen. Sei es, dass dasselbe infolge irgendwelcher Streitig- 
keiten einer Weisimg seiner 'jerechtsame gegenöber seinen 
«irnnrtholden odei' gegenüber andern Berechtigten be<lurfte, sei 
<.-s. das« dfr neu gewählte Abt bei seinem Amtsantntte aller 
i h-ten das alte Herkommen neu bestätigt zu sehen wünschte. 
iJia'ch boMoniU-re Zwistigkeiten veranlasst sind z. B. die Weis- 
tilmer von Hesselbaeh (2n. November Hlö und 14. November 
14(}5). Hombach (20. Mai 1423t, Laudenberg (27. Januar U62), 
Miiteaherg, Untemeudoi-f (Ift, August I4ft4) und Waldhausen 
(erwähnt unt*i" dem 21. Oktober 14f)ri). Zahlreicher sind die 
Weisungen, welche durch das Bestreben der verschiedenen 
Äbte, die Klostei-gorechtsame sorgfältig zu wahren, hervor- 
gerufen sind. Jedem neu gewählten Abte musste daran ge- 
legen sein, sich zu flberzeugon, dass die hergebrachten Rechte 
soines Klosters noch iil)erall anerkannt und ausgeübt wurden. 
Besonders dringend wurde diese Pflicht für den , dessen Vor- 
gänger eine lange Amtstätigkeit beachieden gewesen war, in 
deren Verlauf sieh nicht nur die Personen, sondern auch die 
geändert hatten. Das Krgebnis der Bemühungen 



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I de ren ' 



Den KintrA^ äva L*r1iHrt< vuti l'MTt niiT lil. ili) bringt dun Ziuabut^ti 
U,SS. Teil II. Ül. 29» -~ aSenhar aurUnind einer andern, nicht mehr 
«rbollenen (Juello — mit folgender Einteitiing: Diese hemirh gcscliriebeii 
i-p«Ut vnil artickel hnben die urmeii leiiiit tn RutEelsdorff jn dem Obern 
ttril KU reell) gewysen Tnd genpruchen. Mit dem Ztusbucb von 153V 
■^iinnieii dann (Iberein Jas Giilne Buch (Bl. äC2), das Zinsbnch U (Bl. lim 
der 2. AbleJlnngl. dnu Erbnchiache Lager Bncb von Ui^S (Bl. 451; Rowie 




m VV. 



iTnil 11. Bl. STÜ.) 



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4 Kn4rs 

<ier Ahus Bijppo. Dietrich und Heinrich, die Kechtsansprueh«.- 
d*Ä Kkr^ter» ;?icherzu»t eilen, liegt uns in den beiden großen 
Urbaren und in den vielfach in doppelter Ausfertiguog über- 
lieferten Weistümem Dietrichs vor: spater sehen wir die Äbte 
meist die Huldigung benutzen, sich feierlich das alte Her- 
kommen bestätigen zu lassen. So wurden bei der Abt Johann IL 
{[geleisteten Huldigung nahezu an allen Orten gleichzeitig die 
Klostergerechtsame gen^iesen. wiederholt unter Zurückgreifen 
auf einen schon früher gegebenen Schöffenspruch. Auch die 
spatem Äbte hielten hieran fest, wie sich aus den Proto- 
kollen der beiden .Bucher der Huldungen* ergibt. 

Doch nicht nur auf Seiten des berechtigten Klosters be- 
stand der Wunsch, die überkommenen Rechte stets von neuem 
anerkannt zu sehen, das gleiche begehrten auch die Pflichtigen 
Grundholden und Untertanen. Auch sie dringen auf Verlesung 
der alten Weistümer. damit sie wissen, .was das Closter 
Amorbach oder ain jeder Abtte desselbigcn bey Ihne für Recht 
hette* \ und häufig machen sie ihre Huldigung davon abhängig, 
dass der Abt vorher sorgfaltige Innehaltung dessen, was von 
alters Herkonunen sei. zusichere*. Man hat das Weistuni inso- 
fern ganz zutreffend die Verfassungsurkunde der deutschen 
BaueiTiseliaft genannt, die die gegenseitigen Rechte wie Ob- 
liegenheiten enthielt, und auf die sich vor der Huldigung Hen- 
schaft und Untertanen gleichmäßig vei-pflichten mussten. Wie 
zähe hierbei auch die Bauern an dem Inhalte des Weistunis fest- 
hielten, wie hartnäckig sie darauf bestanden, dass ihnen ihre 
Rechte in vollem Umfange gewährleistet wurden, zeigen nament- 
lich die bei Albert besprochenen Huldigungen aus dem Anfange 
des If). Jahrhundei'ts. Und dass sie mit ihren Forderungen 
fast ülK^rall durclidraimen ^ beweist, wie verkehrt es ist, vom 



' So in der Huldigung der Tntcr- und Obi'meudorfer von l*>8."i. 

^ Vgl. hierzu die Vorj^äu/|i:e }>ei der Huldigung zu Amorbach und zu 
Mudau 1408. die von Albert in seinen ^Neuen Weistüniem* angeführten 
Tatsachen sowie die Huldigungsprotokolle von 15^5. 1465 wollen die 
Schöffen zu Hesselbach erst Aveisen, wenn ihnen die Dorfherrschaft zu- 
sichert, ,8ie by recht bliben zu laßen". 

' Es ergibt sich dies, abgesehen von den Huldigungen, aus d^n 



vni^fassten Farteistaiidpiinktc ans die .aniieii Leute" iti der 
i^eit vor dem Baiiernkriego als rcrlitlos ihifn Herren pm«- 
iaejEelien hinzustellen. 

Nach allgeineinev Anschauung winde das Weiatum zu- 
iiäcliNt nur mündlich von einer Geiieratioii auf die andere ver- 
vrlit. Und auch später noch setzten, wie man annimmt, die 
Schfiffen einer schi-iftlielien Festlegung offenen oder geheimen 
U'idci-stand entgegen. Es mag dahingestellt hieiben, oh das 
Fehion alter Weistüraei' beim Kloster auf diesen mehr oder 
weniger stark aitsgepi-ilgten Widerwillen zuriickziifüliren ist. 
«^nler ob solche ehemals vorhanden gewesen, später aber ver- 
loron gegangen sind, JeJenfallf können wir als sicher an- 
nehmen, dass die ei-ste Aufzeichnung von Schöffensprüchen 
nicht von den Schöffen, sondern von denen ausgegangen ist, 
<lie aus irgendwelchem Grunde ein Interesse an ihrem Inhalt* 
hatten. Um sich desselben stets bedienen zu können, brachte 
man einen StOn-eiber (Not«r) mit und liel) diesen das tiehörte 
uiedorschreiben. Einem Zufalle venlanken wir es. dass wir 
auch über die Aufzeichnung der Weistßmei' im Urbar von 
l:ä95 etwas wissen. In der Hombacher Kundschaft vom 8. ,hili 
1422 erwähnt Berriuger Fertig, dass er „vor eziten als Schul- 
meister des klosters czu Amorbach'' das Weistum von 1397 
,niit seiner eigen hant yn des abtz von Amorbaeh czinlJbuch 
iieschribwn* habe. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wii' 
auller diesem noch zahlreiche andere Einträge des Urlmi« auf 
Fertig znrückftihien. 

Abt Dietrich lieü bei der Aufzeichnung die meiste Sorg- 
falt walten. Entweder zog er einen Notar, einen „geswomen 
otfen Schryber" Ik'I, dei- .dye wysunge vnd vllspruche der 
recht in eynen offen brieff vnd jnstmment zu seczen" hatte', 
odyr er veranlasste benachbarte Adlige oder Mainzisi^he Beamte, 
«k'r Weisung beizuwohnen, ül>er die Vorgänge bei derselben 

EoUIrcicIien in jener Zeil iirrolt;;cndpii Kcgeliingen hciagUch iler Ki'oii- iitxi 
AlKschiildigkeil; s. Duxl>ruim 1523. Brcitenbucli 1517, Neubninn l.'iUl 
un>l 1^23. Ober- niid ITiiterDeadurF 1Ö17, ßcinhArilaachacii 1Ö28. 

' fit in dem Ni)tnriiitBitiHtruinen( de« Notar« Rychaniiia Urinnsti 



. Oktol 



1411 <ll)er das Wvl 



ichtsictien. 



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oiiH» rikundo uiiszustelleu und diene zu beglaubigen. Ja öfters 
lii^lS er ein und denselben Schöffenspruch nicht nur durch einen 
iWVi'ntlichcn Schreiber, sondern außerdem noch durch andere 
llrkundspersonen aufzeichnen, so dass uns beispielsweise die 
Weistilnier von «erichtstetten (1411), Hombach (1423) und 
Uunipfen (Ul;^) jetzt noch sowol in Beurkundungen seitens 
eines Notars wie seitens anderer anwesender Zeugen vorliegen. 
Spiiter finden wir bald diese, bald jene Form gewählt; manch- 
null sind beide in der Weise vereniigt, dass die Notariats- 
urkunde auf Ansuchen der Zeugen noch durch Adligi- 
U^glaubigt wurde. So sind beispielsweise die Huldigungs- 
protokolle des Notiirs Joli. Urynie von 1484: regelmäßig noch 
von vei'schiedenen adligen Herren durch Besiegelung bestätigt. 
Allnuihlich, namentlich seitdem wir die Weisung meist mit 
der Huldigung zusanmienfallen sehen, überwiegt das Notariats- 
iustrument. 

Dass ein Weistum von den Schöffen selbst beurkundet 
wird, kommt demgegenüber ganz selten vor: von sämtlichen 
t^'haltenen Klosterweistümern ist nur der Mudauer Centgerichts- 
spruch von 14(J2 über den Bezug des Besthaupts zu Lauden- 
1hm>j von den SchötVon siebst ausgestellt. Es liegt nahe, dies 
auf die oben angezogene Tatsache zurückzuführen, dass die 
Silu'^tYtMi jeder srhriftliihen Festlegung ihrer Sprüche wider- 
et rt^ueu und nicht geneitit waren, irgendwelchen schriftlichen 
Quollen deui von Mund zu Munde fort geerbten , in jedes ein- 
zelnen SehölVen Brust leluiulen llerkonunen iresrenül>er (.Teltunj: 
und Kiurtuss ein/uniumeu. Diese Abneiilunü: kommt in höchst 
iHveiihneuder Weise in vier ebi-n erwähnten Laudenberger Ur- 
kunde .um Ausdruek » obwol hier die Sehöffeu selbst die Auf- 
. eiehnunu \eraula.s>t und über ein^r möglichst sorgtiütigen 
KrtuUuu^ aller KrMndiehkeiten » BeMi-^rluni;» gewacht hal>en. 
\ \\\ \\w StreiitViUe ent>elieiden /u kvMuun. verhören die ^^ehöffen 
lebeiuhiie KuihUi hati . l^iirtV. Uüelii r u:id Uoiiislor. Dar utt 
Nie ..etmuutluh n rrv ht i;e^pvev*un, e.a> >ol:rh lebt-ndiii kunt- 
*^» h,nU iueJ\ii:'. v\ \«u\ M\Ih»i -^v\!t^, d. I:. dii' Aussage leWn- 
diM .'eiu:rn \\\u\ \\'k\\ Cw^ m l^vt^liv :u TikMü-io hal^ den Aus- 



WeisKln»'! 



Trotzdem gewinnt die sclirif tl iclie Festlegung lies Scliöflen- 
sprucliis, iiaclidem sie iibt'iliaupt einmal zur Anwendung ge- 
kiinimen, immer mdir an Buden. 14fi9 fragen die um Wei- 
sung angegangenen Schöti'en zu (äötziiigen, oh das Kloster 
,eyncherley schriefft do von habe, sie lassen zu hi>ren". lu 
ähnlicher Weise läast Abt .Tost 14B0 den Scliiiffen zn Kirch- 
zeil wie zu Obenieudorf vor ihrem Spruch seine Bücher vor- 
lesen, Abt Johann bezieht sich HHÜ den Bewohnern der Cent 
Miiilau gegenüber anf des „elosters sallbuch vnd andere 
schriffte". und seit der Huldigung von löOll wii-d bei derWei- 
üimg der Klostergerechtsame in der Mehrzahl der Fälle auf 
frühere St^hüflFensprüche zurückgegiiften. Diese wei-den ver- 
lesen, anerkannt und wörtlich iii itas neue Protokoll iiber- 
iinmnien. 

Haben wir uns bisher mit der Überlieferung unserer 
Klosterweiatüiner beschäftigt, so sei jetzt hervorgolioben, was 
hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalt» von allgemeinerem 
Inteivsse ist. 

Die wesentlichen Erfordernisse jeder richtigen Weisung: 
i-echte Hegung durch den tlerichtshemi . i-eife Überlegmig 
seitens der Schöffen, VerkUndung des einliellig oder von der 
Mehrzahl gefundenen Urteils durch ein Mitglied des SchKIfeu- 
gericbts. Zustimmung und Anerkenntnis seitens des Utnstands, 
dev Gesamtheit der zum Schöffenstuhl GehBrigen, dies alles 
linden wir bei dem einen Weistum in grüLlerer, bei dem andern 
in geringerer Vollständigkeit und Schäi'fe vor. Ks mag hier 
genügen, auf die Weistilmer von Gerichtstetten (Uli), Hessel- 
bach tl4I5 und 14fi.j), Hettigeiibeuera (1412), Kirchzeil (!4B0). 
< )beniendorf (146U und 1484), Unterneudorf (1457), Volmers- 
dorf (1456) und Weilbach (UK.j) als besondei-s charakteiisti- 
»che Beispiele zu verweisen. 

Ein Hofweistum im engem Sinne, d. h. ein Weistuin, 
<las ausgesprochen von grundhörigen Bauern, nur die Bezie- 
hungen des Grundherrn zu seinen (Jnuidholden zum Gegenstand 
hat, liegt, wenn wir von den undatierten Einträgen der beiden 
Urbare absehen, nur in den Weisungen von übei'sclietftenz 
ll44.->) und Itunii'feii (141:!| vor. In den beidi-M Urbaren finden 




8 Kn-J- 

>iili allenliim^ noch zahlivii-lu- Anualim iviii liiifi(-c-litlk*ln 
Xatur ~ so unter DornlHTir. KrfVM. Xtckar>nlm. Kinsclilieiii 
UipjHM'g, rntoi-schoftlonz. \'olini'i-s'lnit um! \>'etterMlnif - 
nur steht hei diesen, wie hiivit> «iheii au>i:etuhit wunK\ vie 
tiuli nicht fest, inwieweit diis^-lhiu uisprünirliihe Schuftei 
>pnK*he oder einseitig!' Aufzeii-luinnut-n dr> Klo>tei*s da 
<TelIen. Was insonderheit die Vtrhältni»e dt-r rrt«nh"»ft\ ihi 
Lri>tuni:en und ilire lkn"i»elitii:imi:tn LH-ui-nfiU-r dt-ni Kh»st< 
anlanut. s^i nvhou uns hieriUnr aului* lUn UrUiriak'inti'ägc 
iViil. Kinswangen. Hettingen. KUin H..»ni!iarh. Mudau. Xeii 
hi^l", Koigheiin. Sindolsheinii hau|>t>;u-h]irh dii* Paehtverträ! 
AnfM-hhi». \'oni ITi. .lahrliundert an s^hen wir die l^*zi 
liunuen zwisihen den InhalH^rn tli-r Uviinvrhticten Hofe d 
Klosti-i-s und dii-M'Ui als lirundlurrn nur C\m\\\ *\k' Leiliebrie 
i;rreuflT. Krtft'hi'U sieh Zwi>tii:kiittn. >•• tindi-n wir die 
nii-ht dureh Weisungen >i'iti*n> dt-r gruntlluingen Zeit- od 
Krhln^Ntänder, sondern dnnh WrgKiihr inlt-r sihieilMiehtt 
lirhe Kntsrheide U^iurK^ut. V»:!. hvi>i»it !*»wii-Hf Hi-ttingen n4' 
und 14S1M und Mudau il4ir>). 

Die übrigen Weistümer >iud v.'U P.^itgtiiihti-n gi-geht 
d. h. von SrliötVongeriehton, wililu- *Vw gi-r^iuitr l>orfniar 
i;euosM»nsi'han vtTtivten, lileiihuüitii:. o\* iinu-rhall» dri"selh 
rill oder mehrere («rundiierri'U vurhandt-ii >ind. oh *\\r>v gh*ie 
zoitig die N'o^tt'ilirhkeit ausiilKU, »^It-r i»h dir In-reehtsai 
ile> iirund-, (loriehts- und l.audt'>ht n!\ in diii liäniK*n v 
ViM*M*hiodi»nen Urrei'htiuten lieüiu. 

\\v'\ dem llofwoistuni hegt da>(üriv!-t lit-r «iiundlierr 
in eigriuM* INmsou oder dunli >einrn WrüxttV — . hiini Do 
woistum ent»H|Mrrhend «Kr «ierii lM>].t ! : . tu niht>hrrr m 
da»H Klo^^tor in den iKutern. in liriun « -* t :itwtihr alU^in oi 
diu-li in an-*»Hi"hlam:ehi'ihh'r N\ i*i«*i i\v.\\\ •:;• V..i:ti-ilirhkrit a 
.•niihi'u hallt'': hirr konntr i'> daiiv >'it!V»it v«ui Meh j 
dii' \N oi^uni; M-inrr tuMTi Itt^nne \ i v.K.'.,i»-. '. Andi'r> da. 
dii* \i»i;hMhi hkril niihl ilun. Nx^n,i^ :v. Ma : /. Kurpfalz o« 

l"'* ».iiui tili N. ,» l».;, -»,!•., 1« \ .'• V- ^ ■ - '.■. «r.r.i? Wrill»; 

liii li-muni Ol |x, lutirti \ ,«m tii :■, v .' •■■ \ >». ■ ■. '.7. riiii 1**. ■'; 

IlllIhliMl liiM h :-.riMltili:-.l miMi'.« 



liiieni der zalili-eiclien in der tiej^eiid ansä^igcn Adels- 
gi'sclileclitei- zustand. Hier iiiuaste sich das Kloster, wenn e« 
buiiio Keclite erneuert haben wollte, an diese als die Vögte 
iiihI Oerielitsheiren wenden und von ihnen Uegung des tiericlits 
begeliren. Dementsprechend sehen wir auf Bitten des Abts 
in Dornberg Peter Ötettenberger, in Hettigenbeuom die Adels- 
hfim, in Kiri:hzell. Mudau und Weilbaeh die Mainzischen Amt- 
lente, in Voliiiersdorf ('uncz Üüde und Diether von Neyppurg 
<lie ächölTen zur Öffnung der Klostergercchtsanie anhalten. 

Außsclilielilieh dem bestimmten Zwecke, über das Best- 
haupt zu entscheiden, diente das Schöffengericht bei dem so- 
;renannten Siebenden, der am siebenten Tage nach dem Tode 
stattfindenden Erbschaft sregelung. In der Mehrzahl der li'älle 
Initte der Siebende nichts zu tun. als die jeweils zu ent- 
richtenile Erhschai'tsabgalie festzustellen , das , beste Haupt 
zu zielien". Doch waren manchmal auch Fragen von gnmd- 
sätzlicber Bedeutung zu entscheiden, ob überhaupt und an wen 
tliLs Besthaupt zu geben sei. Vgl. I^andenberg (144>^), Rümpfen 
(UDM. Intemeudorf (U(i4). Volmersdorf (1430, 10. März) 
und Woldhausen (14(i."i. -21. Oktober). 

Auch da , wo das Kldster nicht Gerichtsherr. woi aber 
•ler alleinige Grundherr war. hatte es den Siebenden zu hegen. 
Wenigstens in der Zeit des eigetithchen Mittelalters, solange 
noch das Bestliaupt ansschlieLllich oder doch zum ganz Über- 
wiegt^ndeij Teile aU öliterfall dem (irundherm zustand. Vgl. 
hierzu die eini^cblügigen Bestimmungen unter Hettigenbeuern 
(U12), Kirdizell (139r,). Hipperg(139J) und Bclmeoberg (1440). 

Noch ein Wort über die Bestätigung durch den Vmstand. 
Laiiiprecht in seinen bereits früher erwähnten Ausführungen ' 
ItUst diese vom 14. Jahrhundert an immer melir an Bedeu- 
tung vertieren. Fiü' unsere Wei-ttümer ist dies jedoch kaum 
zutreffend. Gei-ade als die Fortbildung der Weistümer nach- 
lü-wt. als die einmal gefundene Form einfach wiederholt wii-d, 
und den Schf^ffen keine schöpferi.'^che Tätigkeit mehr innc- 



Di-ii 



Wir 



ii'UarUilclH'ti im MittHalter 



] Krelis 

wohnt, gewinnt die Anerkennung des Herkömmlichen durcli 
die Gesamtheit an Bedeutung. Mehren sich daher vom Ende 
des 15. Jahrhunderts an die FäUe, dass frohere Weisungen 
ohne weitem Zusatz übernommen werden, ja kommt es l>ei 
manchen Huldigimgen vor. dass man sich statt auf ein )>e- 
stimmtes Weistum ganz allgemein auf das alte Herkommen 
vei-pflichtet, so sehen w^ir demgegenüber Grund- und Vogtei- 
heiTen um so mehr Wert darauf legen, dass nicht nur die 
Schöffen . sondern auch ,die andern gemeins menner dessen 
gestendig* sind'. 

Einige Beispiele von Weisungen durch eine höhere In- 
stanz liegen uns in den Mudauer Centgerichtsspiüchen für 
Hesselbach (1415) und Laudenberg (1462) vor. Wenn das 
Dorfgcncht einen Kechtsfall aus irgendwelchen Gründen nicht 
entscheiden konnte oder wollte, sei es, dass es ^des i-echtes 
nit wyse was*", oder dass vorauszusehen war, dass sich die 
eine Partei dem Urteile nicht unterwerfen würde, so zog e> 
die Sache an das Cent- oder Landgericht. Hier haben wir 
einen Oberhof für das einfache Dorfgericht, denn das Cent- 
gericht entscheidet hier nicht die ihm unter allen rmständen 
vorzulegenden Centfalle, sondern in den Bereich des Dorf- 
gerichts gehörige Angelegenheiten gewissernialSen als zweite 
Instanz. Und dieser Oberhof war im Wesen von dem Dorf- 
geiichte nicht verschieden. Denn w^enn das sich aus den er- 
fahrensten Schöffen mehrerer Dorfgerichte zusaninionsetzende 
('entgericht diese auch durch die Zahl wie die geistige Be- 
deutung seiner Richter übertreffen mochte, es waren doch 
immer Bauern und nicht gelehrte Juristen, die das Beeilt 
fanden und aussprachen. Die angeführten Centgericlitssprüche 

' y. Solcher reclit oröffcniing sein die andern ;jjeni<'ins menner da selbst 
i^eHteudig gewesf. ho heißt es schon 14?^4 zu Oberneudoif, (ilashofen. 
IleHselbadi und Heinhardsachsen; hei den spätem Huldigungen kelirt 
dies Anerkenntnis regelmäßig wieder. Vgl. auch Volniersdorf (14')r)J. wo 
<li«* Schöffen seihst den l'nistand zur Äußerung auffonlern. Ebenso wendet 
y^'u-h der Schultheiß ]>eini Salgericht zu Amorbach (1544 i au den Inistanu 
und fragt, <d» jemand etwas an den verlesenen Salgi'richts-lJerechtsainen 
auszusetzen, zu berichtigen oder ergänzen habe. 



sind dabei" auch iiiu deswillen von Interesse, weil sie zeigen, 
^lasä es nur bedingt richtig ist, wenn man das Fehle» einer 
gleichartigen Appellationainstanz als einen der Uründe für 
das Verschwinden ()er Weistihner bezeichnet hat. 

Wenden wir uns dem luhalt» der Weistümer zu , so 
müssen wir stets im Auge behalten, dass wir es fast aus- 
wchlieülich mit Weisungen zu tuu haben, die auf unmittel- 
bare Veinn lassung des Klosters gegeben wurden. Dessen 
Rechte kommen daher in erster Linie zur Feststellung: was 
ihm an Abgaben als Uerichts- und tinindlierrn zukommt, 
welche Dienstleistungen es anzusprechen hat, wie seine Stel- 
lung zum Vogt und Landcsherrn ist. dies und ähnliches bildet 
in den meisten Weistiimern den Hauptinhalt. Deingegenflber 
treten die herkömmlichen Gewohnheiten der Gemeinde in Be- 
wirtschaftung und Pflege der Felder. Nutzung von VVnld, 
Wasser und Weide, Feld- inid Doi-fpolizei mehr in den Hinter- 
grund. 

Näher auf den Weistum-InhaU. einzugehen, ist hier nicht 
der Ort'. Nur auf zwei hesiindei-s auffällige Erscheinungen 
sei kurz hingewiesen: wir linden in den sämtlichen Weis- 
tßmern sehr wenig von des Klosters Uechten auf Wald, Jagd 
imd Fischerei, nichts von seinem Zehntrecht. 

Das erwtere erklärt sich daraus, daas das Kloster trotz 
si-iiier Lage inmitten der ausgeilelmten Forste des 4)denwalds 
»elbst nur wenig Wald besass. Abgesehen von dem Wolkniaun- 
bei^ in unmittelbarer Nähe von Amorljucli, der dinch beson- 
dere küniglicbe Schenkung an das Kloster gekommen war, 
hatte dasselbe ei-st nach und nach durch verschiedene Käufe 
von Adligen einige gröliere Waldbezirko an sich gebracht : in 
zahlreichen Ortschaften hatte es nur die Hechte als Mark- 



hnltch verhielt es sich mit Jagd und Fischerei, 
iders dagegen steht es hinsichtlich der Zelmtgorccht- 
Diese wart'U für ilas Kloster von so hervorragender 




•iJL'li vldlrii-bl s|iätor 




12 Krebs 

Bedeutung, dass ihre Nichterwälumng in den eigentlichen 
Weistümem auf keinem Zufall beruhen kann. In der Tat 
sclieini es, als habe das Kloster mit bewusster Absicht daran 
festgehalten, seinen Zehntbezug als ein auf göttlicher Satzung 
beruhendes Recht nicht der Weisung der Bauernschaft zu unter- 
stellen. Daher besitzen wir über die Zehntverhältnisse auch 
aus der Zeit der Weistum blute nur Kundschaften über die 
von alters her ausgeübten Zehntrechte, Vergleiche zwischc*n 
verschiedenen Zehntberechtigten ül)er den Umfang ihrer Ge- 
rechtsame, schiedsrichterliche, oberhirtliche oder landesherr- 
liche Entscheidungen über die Art und Form der Zehnt- 
entrichtung. 

Die Frage nach der inneni Entwicklung unserer Weis- 
tümer, ihrer Fortbildung und ihrem allmählichen Vei^chwinden 
nötigt uns, mit ein paar Worten die allgemeine Anschauung 
von dem Wesen des Weistums zu streifen. Nach dieser wur- 
den die Weistümer an bestimmten Tagen des Jahrs zu- 
nächst nur mündlich ausgesprochen und enthielten das sich 
unveränderlich gleichbleibende Gewohnheitsrecht, wie es von 
einem Schöffen auf den andeni, von einer Generation auf dii^ 
andere vererbt wurde. Hierauf gründet sich dann die weitere 
Annahme, dass uns in den Weistümern ein getreues ^Bild 
der ältesten Gestaltung des Rechts-, Gesellschafts- und Kultur- 
lebens unserer bäuerlichen Gemeinden" entgegentrete. Es 
mag dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung, die in dem 
Weistum nahezu unveränderliche Rechts- und Wirtschafts- 
gewohnheiten niedergelegt sieht, für die frühesten Schöflfen- 
isprüche zutreffend ist. Unsere Weistümer. die allerdings nicht 
besonders alt sind, befinden sich jedenfalls in fortwährender 
Bewegung und Umgestaltung ^ Gewiss, die bäuerlichen Zu- 
stände waren stetige, im grolien und ganzen sich gleich- 
bleibende. Veränderungen, namentlich auf wirtschaftlichem Ge- 
l)i(*te, vollzogen sieh nicht sprunghaft, sondern langsam, kaum 

' Schon V. Iiiaina-StiTiiegg ( Cbor d. Quollen d. deutst-beii Wirt- 
.scliaftsj^osrli.. Wifii 1^77. S. lö.Mf. i hat davor j:owariit. die UnverändtT- 
lirlikeit des liäuoilichen Hochtshowusstsoins. der bäuerlichen wii-tscliaft- 
lirht'u Zustände zu ühertreihon. 



Wri 



Hlbllfll 



13 



merklich. Zudem mochte im Weitttum iiiaiiclifs noch längere 
Zeit hinJurch in der alten Fassung festgehalten werden, was 
sich in der Wii-klichkeit bereits verschoben hatte. Trotzdem 
sind misere Si^hötfensprilche keine schablonenhaften, ängstlich 
An die Überkommene Form sich Iclammernden Wiederholungen 
von Urväter Zeiten her. Im Gegenteil, gerade solange die 
Schöffen noch wirklich aus lebendiger Überlief er im g und 
i!iclhtiitäDdigem Ui'teile heraus wiesen, trugen sie auch den 
wechselnden äul^em Verliältnissen ateta Rechnung. Daher 
ein Erläutern und Ergänzen, ein Abändeni, A'erbessern und 
Fortbilden selbst da, wo man auf frühere Weisungen zurllck- 
griff und diese zunächst unbedenklich in ihrer ursprünglichen 
Form wiederholte. 

Vom Ende de« 1-1. bis zmu Anfang des 1(5. Jahrhunderts 
können wir dies vei-folgeu. Ho ist der Htfinhardsachsener 
Sehöffensprueh von 1484 völlig unabhängig von dem von \'MHy 
gegeben. In Kircbzell wenden die Schöffen 14(50 bei Erneue- 
rung des Weistums von 1395 sofort die der veränderten Zeit 
entsprechenden Personennamen an. In Kaltenbrunn ist die 
Wei.sung von lö07 mit; den 1498 neu geschaffenen Zuständen 
in Einklang gebracht. Das Glaahofener Weistum von 1413 
finden wir beim Sehöffensprueh von 1484 durch einige neue 
Bestimmungen vermehrt, in Götzingen erhalten 1469 die Ar- 
tikel in des Klosters Buche verschiedene Zusätze, und in 
Hornbach erweitern die Schöffen bereits 1404 ihren Spruch 
von 1397. Ähnlich ist es in Hambrunn (1420 und 1516} nnd 
Üntemeudoi-f (Hir), ]4.'i7 und 1484). Und die ,unwissen- 
haftig, vergessen leut' zu Hornbach, die sich 1513 zur Unter- 
stQtzung ihres Gedächtnisses die frühem Weisungen vorlesen 
laSBOD, stellen trotzdem noch von sich aus eine Reihe von 
Kechtssätzen auf. 

Aber neben einer solchen Betätigung der Schöffen, die 
das Weistum noch als Haiiptquelle de» Rechts oi-scheinen 
lässt, werden vom letzten Drittel des 15. Jahrhunderts an 
auch Zeichen des Rückgangs, des Welkens wahrnehmbar. Wol 
am deutlichsten tritt die Tateacht', dass den WeistOraern nach 
und nach ihre frühere Bedeutung verloren ging, darin zu Tfige. 




]4 Krebs 

(lasH wir vom 16. Jahrhundeii an Klosterweistümer nur noch 
aus klösterlichen Vogteiorten haben. In diesen werden die 
Weistünier herkömmlicherweise bei den Huldigungen wieder- 
holt, an andern Orten sehen wir das Kloster gar keinen Wert 
darauf legen, dass seine Gerechtsame durch das Schöflfengericht 
ei'neut ausgesprochen und bestätigt werden. Etwas andei-es 
muss also schon an die Stelle des Weistums getreten sein 
und es ersetzt haben. Was ist dieses andere, und welches sind 
die Ursachen, die zu dem allmähhchen Verschwinden der Weis- 
tünier geführt hal>en? Lamprecht, in seinen wiederholt er- 
wähnten Ausführungen^ von der Annahme ausgehend, dass 
^ die Weisung urspiiinglich als alleinige, jede andere Fonn der 
Überliefenmg aussehlie(iendo Quelle des Rechts angesehen 
wunle", lässt „den Verfall des Weistums entschieden sein, 
sol)ald überhaupt eine weitere Itechtsquelle in irgend einer 
Kichtung erschlossen wurde*. Als solche Kechtsquelle nennt 
er voi* allem den Vertrag, der zunächst nur zwischen ver- 
schiedenen Berechtigten, nach und nach aber auch zwischen 
Gerechtsamel)erechtigten und Leistungsverpflichteten Platz 
gegritfen habe und als gleichwertig neben das Weistum ge- 
treten sei. 

All dies erscheint mir zu sehr vei*standesmäßig konstruiert. 
Sicher gab es stets Fälle, wo sich beim feindlichen Zusammen- 
stoßen der verschiedenen Interessen die eine Partei nicht bei 
«ler Weisung, bezw. dem Gehoi'sam heischenden Befehle der 
andern beiuhigte, und nicht ei-st vom l:^. Jahrhundert an ent- 
wickelten sich Verhältnisse, die neben dem Schöflfensprucli 
den Vertrag und, wie wir gleich hinzufugen müssen, den Ent- 
.scheid notwendig machten. 

Beides, \*erträge und Si*hiedsspiüche, gehen jedenfalls, 
soweit unsere l herlief erung zurückreicht, stets neben den 
Weisungen einher-, und wir können nicht sagen, dass das 

• l>eutsrhes WirtM-lrnftsIebfu im Mittelalter II, ^SfF. 

- Ks sei \\'\vv nur auf die unter Amorbach angeführten Mainztschen 
Kntsrheitle aus dem 14. .Tahrhundert. sowie auf Erfeld (1361), Gericht- 
stetteu yVMy,\K Mudau 14i:»\ Neudorf a. d. St. (1416» und Pfllfringen 
, 1:^1 »4 1 verwiestMi. 



1.) 



Weistnm hierdureli zurückgedrängt oder sonst ungünstig be- 
einfluBst worden sei, Haben doch geiade unsere Klosterweis- 
tümer ihm reichste Äusgeatattung und Entwicklung im 15. Jahr- 
hundert gefundenl 

Mir will Mcheineu. als sei das Abhüngigwerden von der 
scUi'iftUchun Aufzeielmung für das Weiatuni \'on besnndei's 
nacliteih'gem Einflüsse gewesen. Diese Abliangigkeit aber ti-at 
fin. als man aiiiliörte, das Weistum in regelmillligen Fristen 
zu wiederholen. Solange das Weistum jährlich oder wenig- 
stens alle paar Jalue eraeuei-t wurde, blieb es frisch im (le- 
«lächttii» der Scliütfen, Vei-wochslung und Irrtum waien so 
gut wie ansgeseliloBsen. Wurden die Zwischenräume, die zwi- 
schen den einzelnen Wiedeiholungen lagen, größer, die Pausen 
länger, .so wuchs damit auch die Möglichkeit, dass die stetige 
t' bei'Iiefernng abriss, und es konnte kommen wie zu Unter- 
neudoi-f, wo die Schöffen mit der ganzen (iemeinde 1457 er- 
klärten: .wir seint der nierteil alle jung vnd haben solichs 
nye czum rechten hören wysen". Und wenn die ünter- 
iieudorfer. Bezug nehmend auf die Inierlieferung, dass „solchs 
vonnols von irn eitern gewiesen vnd . , dann besehrieben vnd 
vei'brietr sie", .solche gcschrifft czii boren begern", um „dan 
fzu wysen. was [ihnenj recht dünckt", so machen sie selbst 
sich von der schriftlichen Aufzeichnung abhängig. Und wie 
ihnen geht es allen, die ihrem Gedächtnisse durch Verlesung 
früherer, niedergeschriebener .Schöffensprüche zu Hülfe kommen 
wollen. Sie, die ungelelirten Schöffen, müssen dem Schreiber 
wie dem. dei- das tieschriebone zum Vortrag bringt. Glauben 
schenken, und während sie voi-dem die alleinigen Träger des 
Itechts waren, ordnen sie sich jetzt dem unter, was ihnen 
Grund- oder Vogteiheiren aus ihren Büchern vorlesen lassen. 
Ist aber die Niedei'schrift ei-st einmal maßgebend für die SchöiTen 
geworden, so lässt sie dieselben bald ganz Ubei'Hüäsig er- 
scheinen. Denn welchen Zweck hat es noch, ein Schöffen- 
gericht abzuhalt«n mid all die mit einem solchen verbundenen 
Weitläufigkeiten auf sicli zu nehmen, wenn die Schöffen selbst 
sich doch auf die achnfthche Überlieferung stützen müssen, 
und diese bereits in völlig rechtsgültiger Form niedergelegt ist! 



16 Krebs 

Sehen wir das Weistuin hier an Bedeutung und Wert 
verlieren infolge der Entwicklung, die die Weisungsübung im 
Laufe der Jahre genommen hat, so sind es daneben eine Reihe 
äulierer Umstände, die seinem Ansehen und seiner Greltung 
Abbruch tun. Das Eindringen des kanonischen und des römi- 
schen Rechts, die Herausbildung eines eigenen Richterstands 
von gelehrten Juristen, die durch das Aufkommen des Buch- 
drucks begünstigte Ausbreitung territorialer Oerichtsordnungen. 
die Regelung des Strafrechts für das ganze Reich durch die 
Carolina, vor allem aber der Umschwung, der sich in der 
Stellung der Herren zu ihren gi-undhörigen oder leibeigenen 
Bauern nach dem Bauernkrieg vollzogen hat, dies alles wirkte 
zusammen, um das Weistum immer mehr zurückzudrängen 
und schließlich völlig übei-flüssig zu machen. 

Ein bezeichnendes Beispiel von der veränderten Lage 
nach dem Bauernkriege tritt uns in dem Hombacher Weis- 
tum von 1530 entgegen. Kaum können wir es noch einen 
aus dem freien, selbständigen Urteil der Schöffen hervor- 
gegangenen Rechtsspruch nennen, viel eher ist es eine durch 
den Vogt und Gerichtsherni gegebene Dorfordnung, denn stets 
w^enden sich „die inwohner mit vndertheniger, vleisiger bith" 
an Leonhard von Dürn als ^ihre obrigkeit", und dieser , be- 
williget vnd beschließt" dann, was er als Vergünstigung zu- 
lassen will. So wird die lebendige Kundschaft und Über- 
lieferung abgelöst durch das Sehreibwerk und den Druck, das 
immer neue Finden und Weisen des Rechts durch die Gesetz- 
bücher und landesheiTlichen Verordnungen. Der Inhalt des 
Weistums aber wird übernommen von dem Amtsbuch '. 

^ Es ist vielleicht nicht überflüssig, nochmals ausdrücklich zu be- 
tonen, dass sich das GesajLcte zunilchst nur auf die Weistümer des Klostor> 
Aniorbach hezielit und darüber hinaus höchstens den Anspruch erhebt, 
für das ganze (lebiet, aus dem diese Weistümer stammen, also für die 
Gegend zwischen M«in, Tauber und Neckar, zutreffend zu sein. All- 
gemein gültige Sätze über Wesen, (ieltung und Verschwinden der Wei>- 
tümer sollen damit nicht aufgestellt werden. Solche lassen sich bei der 
Vielgestaltigkeit der territorialen Verhältnisse in Deutschland vielieiciit 
überhaupt nicht aufstellen. Und Schlussfolgerungen, dio für einen be- 
stimmten Kreis räumlich oder zeitlich begrenzter Erscheinungen richtig 



WciBtQmci' vim Aniorbiii-li 17 

Gk ist Iiiei- nicht dei' Üit, die Entstehung des Anit^buchs 
im einzelnen naehzuweiBen. Die sich schärfer geltend machende 
Staatsidee, die den einzelnen Keichsständeit gestellten neuen 
Aufgaben, die hierdurcli bedingte Änderung in der Beaniten- 
arganiäation , dies alles hat mitgewirkt, das Amtabnch zu 
schaffen, ohne dass wii' hier naher auf die mannigfach inein- 
andergreifenden Eintlüsse eingehen können. Wir müssen uns 
damit begnügen, die Tatsache festzustellen, dass im 16. Jahr- 
hundert in allen großem und kleinem Territorien damit be- 
jtonnen wuixle, dasselbe, was früher die Schöffen gewiesen 
hatten, schiiftlicli in besondern Büchern ' festzulegen. 

Öo nimmt, um einige Beispiele zu nennen, die pfälzische 
Regiemng in den fünfziger Jahren Michael Sulzer zu einem 
Kenuvator ,dei- Saal: Landt: vud Aiubts Bücher" des Amts 
Mosbach an, lötil vollendet derselbe ,des ampts vnd kellerei 
Lorbach weiiithurab buch vlwr ein jeden desselbigen ampts 
Dachgeschribnen vnd angeliorigen tlecken, was für ober: vnd 
herligkeit, recht vnd gercchtigkeit, gebrauch vnd altherkom- 
men die Ohurfurstiich Pfalntz in jedem besonder hat". In 
ähnlichei' Weise erfolgte die Aufzeichnung der landesherr- 
lichen Gerechtsame in den andeiTi Amtei'n*. Im Ilochstifte 

sind, werden falscb. sobald tnaQ sie vorechnell Terallgemeinert. Trotzdem 
glaube ich. daSH speziell id der zuletzt berührten Frage nach dem all- 
mftbliclien Verschwinden der WeistHiner die oben vertretene Anschauung 
eine allgemeine Auadehnnng ziitttsst. Wenigstens steht die etnscIilSgige 
Literatar naheza Übereinstimmend auf dem gleichen Standpunkte, dass 
Rftmlich das 16. JahrhuDilert das Ende der lebendigen Weisungs- 
ilbnng bedeute. Wenn Weiatftmer nouh im IT. und 18. JHhrhundert 
aufgeneicbnet wardeu sind, ho beweist dies noch nicht, dass auch ihr 
Inhalt damals noch im Bewusatsein der Dorfgenosaen lebte und für Tun 
und Lassen derselben entscheidend war. Auch die Ausffihrungen von 
Franz Arena in seinem äußerst grCIndlichen Werke .Dos Tiroler Volk 
in seinen WeistUmern' (.Gotha, 1904. Vgl. S. 5. U. 9T, 100) kennen 
midi nicht Dberzeugen. dass wirklich .noch bis ins IS). .Jahrhundert 
Weiatamer ergangen" uud nicht eiufach als historische Urkunden er- 
neut aufgeschrieben worden sind. 

' In dem hier in Frage kommenden Ciebiete iwischen Main, Neckar uud 
Tnuher iat der gebräuchlichste Name neben Amtebuch Jurisdiktionalbucii. 

' .Saiil Buch Amts Hilabach 1. Jan. ITilü. Vm ist wahrschciulicii 




! 

I 



WUrzburg kam es wählend der Hegienmgszeit des Ffirat- 
biscliots Julius zu einer in allen Ämtern diircligeführton , zu- 
sanimenfaseenden Darstellung der „Hcri-lich Kecht : vndt CJerech- 
tigkaidten, Ucwönheidten, (rebräuchen \Tidt Altherkommen* '. 

Li den ritterschaftlichen Orten wai-en es die adligen Dorf- 
herren selbst, die die rechtlicben, wirtacliaftlichen und kiiHii- 
rellen Verhältnisse ihrer Untergebenen i-egelten und die vei- 
schiedenen Verfügungen und Satzungen in besondem üerichts- 
hüchem zusammenstellen tieDen. So gab Albrecht von Kusen- 
herg l.'ifil fiir all seine Vögte. Sciniltlieiüen luid Gerichte eine 
„Oi-dnung gemeiner Polizei", indem folgenden Jahre ergänzte 
er dieselbe durch verschiedene Verordnungen speziell für Unter- 
schöpf, 1564 für AngelthÖm. 1589 erlassen die Ganerben 
fiir Hainstatt eine Dorfordnung, deren Schluss ~ bezeichnend 
fili' die veränderte Stellung der Herren zu ihren Bauern — 
lautet: ,doch vnli, vnseni nachkommen vnd erben hierinnen 
vorbehalten, solche ordtnung jederzeit zu mehren, mindern, 
oder gar abzuthun, noch vhkhh vnd vnserer nachkommen vnd 
erben wolgefallen". 

Im Erzstifte Mainz hatten zwar einzelne Amtleute bereits 
im Ifi. Jahrhundert mit der Anlage von Amtsbüchem begonnen, 
zu einer einheitlichen, in allen Landesteilen gleichmäßig durch- 
geführten Aufzeichnung „aller des hochioblichen ErtzstiSt 
Maiiitz habenden hohen und nidern Jurium, Jurisdictionaticn. 
Geist- und Weltlichen Gerechtigkeiten, auch Gefäll vndt Ren- 
then"' kam es jedoch erst nach dem DreiUigjäbrigen Kriege, 

das Jahr, in dem luit der Aalage des Bui^Uh 1i[^):(iiiii?n worden ist: 
uiaDcherlei Eintrüge rühren erat ans den aulitziger Jahren. In Maytr- 
hoIcT und Uliissi-hrSder. Die Weistnmer der Rheinpfulz, ist !^. 10 
unter ÜHlhviiH bemerkt; Gemeinde -W ei sth um, aufgenommen gelegentlich 
der kurpRlI»! sehen Verordnung betr. .die Emewemng vnnd üeachreilrang 
}des cirtä habenden ^rechtigkeitten*. 14. August 1565. 

' So in dem .Fürstlich Würtzburgiaehn Ambt oder Saalbucli Tb« 
das Ambt Hardtheimb' vom Jahre 1594. Im Amorbiichcr Archiv noek «in 
undatiertes Urbarium von Lauda aus der gleichen Zeit. Die meiBt«n Wfln- 
burKischeii AmtsbOcber befinden sich in dem Kgl. Kreiaarchive zu Wünburg. 
General- und Special Beachreibung Aller de» hochl. Ertsstifft 
Maintz im Ambt Biachoffabeim nn der Tauber habenden Jurium etc. ICOrt. 






Weistiin 



I» 



als Kurfürst .lohaTin Philipp tlii' Besclimbiin^ „nllcr Jura' iiii- 
ordnete '. 

Natiirlicli sind die Amtsbüchw niclit etwas ganz Neues, 
sdtidem in gewissem Sinne nur eine Poi-t-setzung der frilherii 
Urbare. Aber während die alten Urbare in sich die Einträge 
über die mannigfachen Zinsen und Gefälle, wie über die vor- 
sichiedenen Berechtigungen und Pflichten vereinigten, verweist 
man jetzt die Einzelabgaben in besondere Bücher (Zins- und 
Gült-, Lager-, Sa!- und Schatzungsbücher) und stellt daneben 
andere über die Gerechtsame vorwiegend öffentlichrechtlicher 
Xatur auf. Auch das Verfahren bei Anlegung der Amtsböcher 
ist von dem früher geübten verschieden. Denn gehen die 
Urbare von der mündlichen tjberlieferung aus und stützen sip 
sich namentlich in ihren Angaben über die rechtlichen und 
wirtschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen auf die vorher- 
gehende autonome Weisung seitens der Schöffen, wenn sie 
nicht überhaupt den Schöffenspruch wortgetreu übernehmen, 
so ist das Wissen der jeweils lebenden Oieueration für die 
AmtsbOcher nur von ganz untergeordneter Bedeutunft. Ihnen 
dient in erster Linie die von der Zentrale, der Landesregierung 
ausgearbeitete Instruktion , das voi-gelegte Modell ' als Richt- 
schnur, deien Fragen sind zu beantwoilen und zwar zimächst 
auf Grund der Akten und Urkunden der Amtsregiatratur bezw. 



'■ F(lr driH OborHint Aiiioilmtli lioll bei epicU weise der Amtuiami 
Hans Heinrich von HeiisenBtanim bereits ].571 ein .Ambt buch" anlegen. 
I6."iß Juri«ii«tiDnal Buch der CVndt«n Amorbncli, Mudaw. Buclien. Wnl' 
tbOrti Tod Bureken. 1ß6ü Lftgerbncli aller Recht vnd (ierechtigkeltcn. 
SU liOchntgedaclit Ihro Churfstl. (inaden vad deru horhlOblich KrtzatifR 
MainU in der Statt Miltenberg, vnd an^eliOrigen Dorfbcbaften . . . vun 
AlterH hergebracht. ItiltV Amorbacher Ambts Jiiriadielional Buch. l(i(iH 
-lurisdiotinnalbnch der EelJerey KttlÜheimb. Weitere MüinziHche Amta- 
htlflit-r befinden sich Im Kgl. Kreisitrcblve zu Wliriburg. 

* Im Amorbacher Anihts Jurisdictioniil Buch von' 1668 heißt ca; 
DeniD*i:h Ihre Churfflrstl. Gnaden zu Mayne undemi 12. Septembna 
-Inno Iflfi? mit Iteylegimg eines gewislien Modalla gnädigsten Befelch er- 
^phen lasen, dnll alle Jura im Ambt Amtirbacb gemelten Modell gemeti 
*iJafUhrlich beschrieben uiidt vor [Mingaten lauffenden 166«. Jabra 
-*!»--Bcbickt werdtcJl »ölte. 



J 



20 Krebs 

des Landesarehivs '. Nur im Notfalle, wenn einmal das schrift- 
liche Quellenmaterial versagt und keinen genügenden Aufschlus^ 
gewährt, werden die Schultheißen, Qerichtspersonen oder alte 
Leute über diesen oder jenen zweifelhaften Punkt vernommen. 
Zum Schlüsse, wenn das Amtsbuch fertig ausgearbeitet vor- 
liegt, wii-d es „vor versambletem gericht vnd gantzem vmb- 
Htandt öffentlich furgelesen", manchmal wird bei dieser Ge- 
legenheit eine förmliche Anerkennung des Inhalts gefordert. 
Und diese Anerkennung wird stets ohne Widerrede aus- 
gesprochen: „was öffentlich furgelesen worden, haben das ge- 
richt vnd gemoindt einhelliglich also angenomen, affirmirt vnd 
gestanden** ^ Denn die Mitwirkung von Schöffen und Gemeinde 
war reine Formsache; mir ist wenigstens kein Fall bekannt 
geworden, in dem diese bei Anlegung des Amtsbuchs gegen 
irgendwelche Einträge desselben Einspruch erhoben hätten. 
Daher rührt es denn auch, dass sich beispielsweise die Bücher 
des Klostera wie die des Erzstifts Mainz für ihre Angaben 
gleichmäßig auf das Anerkenntnis der betreffenden Gemeinde 
berufen können, obwol dieselben keineswegs überall überein- 
stimmen, ja manche Einträge sich geradezu widersprechen. 

In di»r Wirklichkeit behaupten sich dann freilich nur die 
Hintrüge des Amtsbuchs. So wenig das Kloster bei einem 
WiihMstriMto der Interessen seine Ansprüche gegenüber den 
frohen, sich immer mehr zu einheitlichen, geschlossenen Staat*- 
wcstMi entwifkelndon Territorialgewalten durchzusetzen ver- 
inorhte, s(» wonig fanden die Angaben seiner Bücher gegenüber 
{\ou nndors hiutvntlen des Amtsbuchs Berücksichtigung. Es 
st»i liiiM'-' nur auf das Beispiel von Wettersdorf verwiesen, wo 

' Vtun .liiriMdit'titinulUuoh der C'oiuiteii Amorbach etc. (l<>5ß) heißt 
rs: iiuli vililen Htiwt»hl hry i\v[\ Horhlöblichon Ertz 8tifft« Arcbiuo all) 
biowimT . . . Ainbts Hopositur iK'tindtlirboii Nacbriobtungen . . . verfast 
\ml /ns«unuoiim»trrt«rn ilunb IJ. Pb. (uvitfoiulaii von Vollraths. 

^ So im l.obrbarbiM' W fiUtbiiinb-lbub von 1. *>(>!. 

' \\\\ oin/.ohirn naoii/uwrison. wir v'uw i^anzo Reibe von Gerccht- 

sanuMi \Wh Kittstors im Laufe der Zoit ein^escbränkt , ibrea Wertes be- 

raulil . ja \i\\\\K \\\\{vv\\\\Wki worden sind. >ei »ler oben angedeuteten 

ViImmI Ubrr dir luu'bts- nuil \\ irtscbaftsirosrbicbte des Klosters vor- 

bi ballt'u. 



WeirttllmiT 



LM 



dem althergebmcliten , urkundlich wol beglaubigten Hec-Iite des 
Kluatere, Gericlit zu halten, einfach durch den Ausspruch dos 
Auitshiichs die Anerkennung versagt wurde. 

Eb Hegt auf der Hand, dass unter diesen Umständen den 
Büuhern des Klosters, soweit sie von den Gei-echtsaiiien im 
Allgemeinen handeln, keine besondere Bedeutung zukommt. 
Wenn wir daher im folgenden trotzdem auf dieselben ein- 
gehen, 8u geschieht es nur aus dem Grunde, bei dieser Ge- 
legenheit die verechiedenen Binflilsse, die schlielJlich das gänz- 
liche Verüchwinden der Klosterweistümer herbeigeführt liaben^ 
nochmals kurz zusammenzuatellcn. 

Wir erinnern uns dei' Tatsache (s. oben S, 14), dass wir 
aus der Zeit nacli dem Bauei-nkriege Klosterweistümer nur noch 
aus klösterlichen Vogteiorten besitzen. Im Ziiisbuch von 152S 
ist zwar bei Überschefflenz nachgeti'agen (Teil 1 Bl. 13H). 
<laös die nchopffen im Jahre 1562 von des klosters wegen an- 
gehalten worden seien, .alle herligkeit vnd freiheit, so das 
kloster daselbst hat. zu eroffnen"; trotzdem ist es zu keinem 
förmlichen Weistum melir gekommen. Denn die Schöffen haben 
fiich einfach darauf l)eschränkt, „durch ein vi-teil zu erklem, 
das niemand soy. der düni kloster l)eger etwas an seiner ge- 
richtigkeit abzubrechen oder zunenien, vnd sie auch nit'. Im 
übrigen sehen wir das Kloster da. wo es ausschlielilich gimid- 
herrliche ll«chte besas.s oder mir Gefälle zu erheben hatte, 
vor allem bestrebt, stets die Einzelabgaben und die einzelneu 
Abgabepflichtigen sorgfältigst zu verzeichnen und auf dem 
nt-uesten Htande zu erhalten. Dieses ist ihm auch gelungen. 
.Seine Zinshllcher geben tatsäcltlicb die jeweils giebigen Zinsen 
und Galten wieder, und die Anerkennung der verscliiedenen 
Kt?novationen durch die betreuenden Abgabepflichtigen ver- 
leiht denselben, da sir keine leere Foim ist ', nmllgeliende 
Gültigkeit. 

Anders steht es mit di^n Einträgen über die mannigfachen 



< Im ZiiutbiicLe l' Hl IhH unUr Uadc-nberg : .Alle Zintl vuil GQldt' 
li'lltli hob^ii vif ermaliniiDg vnd uffeulialire Torleaung wilkUrlicb alle lirr- 
iiHcligescIiriebcn nutemig veijelien vml bekent, HoßgenomnieD den 



ä 



22 Krebs 

sonstigen Gerechtsame wie Anteil am Gericht, Anspiiich auf 
Atzung und Frondienste, die Ausflösse der Gnindherrlich- 
koit usw. Diese schliellen sich immer wieder engstens an die 
hotreflfenden Stellen der fiühern Zinsbüeher an, und wenu 
Schultheißen, Gerichtspersonen und alle und jede Zinsleut und 
Untertanen dieselben auch stets frei und gutwillig gestehen 
und anerkennen*, so werden sie doch hierdurch noch nicht 
ilen vei-anderten Zeitverhältnissen entsprechend. Hier tritt 
oben zu Tage, dass den Schöflfengerichten keine selbständige 
Binloutung mehr innewolmt: der einzelne Zinsmann verwahrt 
siih gegen unrichtige, ihn l>erührende Angaben, die Gesamt- 
heit aber besitzt kein Oi-gan mehr, das befähigt und befugt 
gewesen wäre, die allgemeinen Interessen zu verti^eten. Stoßen 
dann derartige Einträge in den Klosterbüchem mit den in- 
zwischen anders gewordenen Zuständen oder auch nur mit 
den neuen Ansprüchen zusammen, wie sie infolge der sich 
stärker geltend machenden Staatsidee in den Amtsböchern zum 
Ausilrucke kommen, so werden sie kaum beachtet, den Aiis- 
M'hlag gibt das Amtsbuch. 

In einer Reihe der dem Kloster vogteilich untergeordneten 
Dörfer findet zwar bei der Huldigung im Jahre 1585 eine 
Wiederholung der alten Weistümer statt, aber nur durch Ver- 
lesen, ohne dass die Schöffen selbst dabei mitgewirkt, geschweige 
denn auf den Inhalt des Weistmns irgendwelchen Einfliiss 
jiefibt hätten. Und schon aus dem ei-sten Drittel des 17. Jahr- 
hunderts hal>en wir auch hier Dorfordnungen, die der Abt kraft 
seiner Vogteigewalt einseitig von sich aus abändert und 
,l>es8ert"*. Hiennit ist auch für diese Orte die Bedeutiu)g 
der Schöffengerichte zu Ende. Nichts gilt mehr ihr Wissen, 
nichts ihr Urteil, das früher selbständig das Recht fortbildete. 

• So in tler iIla>hi»foiU'r HonovatiiMi vmi l"»9s im sogenannten Grünen 
l»uili {\^\. 22S\ Vnn all den EruiMierungen dieses Buchs aus dem letzton 
Jahrzohnt des lf>. Jahrliuiidoriii heilit ergänz formelhaft: in Ci^genwertiu- 
kvii der In^tr. Htnoilitftfn. wolfhe solches alles, wie hernach volgt. 
also frevwilliu «t^siendi:; trewesen. 

* Im Zinshucho l" Hl. l',»7 und i!*^^ zwei verschiedene Dorfordnungeii 
für lilasliofcn und Ki'in]iard>at*list'n. 



niaUgcbeiKl sind allein die einzelnen Paragraphen der vom 
Teri'itoriallienn gegebenen Ordnung. Damit diese nicht in 
Vergessenheit geraten, ist bestimmt, dass in legelmäßig wieder- 
kelii-endeu Zeitabschnitten das Buch mit dem Doi-frecht zur 
\erlö8Ung komme'. Machen sieh im Laufe der Zeit Ergän- 
zungeu odor Abänderungen notwendig, so ist es wiederum der 
Abt, der von sich aus die entsprechenden Bestimmungen er- 
lässt. Es sei hierbei nur an die i'älle erinnert, wo derselbe 
— wie in Boxbrunn und fcihishofen — die Huldigung be- 
nutzt, derartige Verfügungen zur allgemeinen Kenntnis zu 
bringen imd seine Untei'tanen sogleich auf dieselben zn ver- 
pflichten. 

Wenn uns in dem vei-öffentlichten Matei'ialu acheiiibai' 
noch aus dem 17. und IS. Jalirliunderte Weistümer begegnen, 
indem der Abt sowol zu Breitenbuch (1678) wie zu Waldauer- 
bach (1731) vom Schöffengericht bezw. der Gesamtheit der 
Einwohner die Klostergereclitsamc erfragt, so dürfen wir uns 
durcli die Ähnlichkeit der Form doch nicht über das WcBcn 
dieser Vorgänge täuschen lassen. Dieselben stellen kein Weis- 
tum im alten .Sinne dar, keinen Rechtsspruch, kein Urteil, sie 
sind vielmehr nur Zeugenaussagen, Kundschaften. . 

Nur die Schöffen des Amorbacher Salgerichts liaben den 
Wandel der Zeiten überdauert. Ununterbrochen * haben sie 
über richtig Mall und Gewicht, über Ehrlichkeit in Handel 
und Wandel gewacht und die Übertreter vor ihr Gericht ge- 
zogen. In sorgföltiger Beobachtung aller ergangener Kechts- 
tipi-üche haben sie sich stets von der Überlieferung leiten lassen, 
besonders wichtige Entscheidungen, „Exempla deß Herbringetis" 
haben sie zu einer rasch benutzbaren Samndung veieinigt. 
Aber auf Grund des so gewonnenen Materials sind sie, seilet 
wieder neues Recht schaffend, zu ßiuem Ausbau der alten Be- 
stimmungen fortgeschritten und haben jedem Articul eine ,Er- 



' Art. 33 der Dnrforduung von Ulsshofen: Es sollen hucIi ilie 
l'uncten o<ler Dorffsnrcltimng tüwegcD liey dem nngedellteii gericht vtrr- 
IfS^n werden, «larmjt ein jeder wilk, wall er buU rQegen. 

■ Bio Pi'utokolle über die gehaltenen Sttlgerichto aiiid vom Jahre 
I-'>40 Hii vorliiindfii. 




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\<\ostev 




Qestmdheitspflege im mittelalterlichen 
Freiburg im. Breisgau. 

)f kiillnrgra,-hi<-lilliiUi' Stu,li,> v<..i Knrl BHaw. t'nü.mi; 



I. Allgemeine Anlage der Stadt in gesundheitlioher Hinsicht '. 

Auf fiiKT sunft luu'li AW.sttTi iiUfnllcrulfiL Fliklio filiol. 
-rifh mit annälicriKl tiecliseckigtjm, jtdocli unregelmäßigem 
tiinindrlBs das alte Freiburg, dessen gröllter Durchmessei- etwa 
*)i)n m lietrag«n haben mag; mit miwesentlicheii , kleineren 
Änderungen bewahrt dei' Korn der heutigen, beträchtlich um- 
fangreicheren ätadt den Plan, wie er bei der ersten Grün- 
dung festgelegt wuido. 

Zwei ungefähr senkreclit sich schneidende Hauptstralicn 
gaben die Gnindeinteilung; etwa von Süden nach Norden 
dui-chzog die Mitte der Stadt die in ihrei' anfanglichen Un- 
mgelniälligkeit der Breite noch uns sich darbietende .grofle 
Gasse", jetzt Kaiseratraße genannt. Annähernd rechtwinklig 
kreuzte sie die lieutige Salz- und Bertoldstraße . welche in 

' Um stetige Wiederholungen zu veniieiden, sei hier angeführt, dass 
benuttt «ui-den: Dia Lehr- und Handbtiuher der Geschichte der HediKin 
Ton Sprengel, Hauer, Hirsch, .1. H. Baas. Pagel, ruachroiinn, 
Vou Loknlgesd lichten usw.: .Schreibi*r, Gesvfaicbt« der ^tadt uod der 
Universitilt FruiLurg; Dcra., Urkmideiibuch der Stadt Freihurg; Bader, 
rtesehk-hte der Stadt Fieibiirg: Veröffentlichungen aus dem Archiv 
der Stadt Freiburg; n) Urkunden des Heiliggeistspitals und des 
Uutlonthauses; b} Geschichtliche Ortsbeschreibung; c) Hftuserhuch: 
Kriegk, Deutarheo BOrgertum im Mittelalter; Bnoa. (ieachlchte der 
rheinischen ,Stlidtekultur; L'hlhorn. Die chriatliche LiebesUtigkeit; 
Heyne. Fflnf Bücher deutsi-her HttusaltertOmer: Monographien nur 
deulschen Kul tiirgeBchichf e: Petera, Der Aret; Liebe, Das Juden- 
trirn n. ». rn. 



2(i Baas 

iTohogonoin Lauf vom Schwabentor ost-westlieh nach dem 
Lehonortor lunfiihrte. Kleinere, jedoch für niittelalteriiche 
Verliältnissi» zieniHch bi-eite Gassen teilten die ungleichen 
Stadtviertel in zweckmäßige Abschnitte für die einzelnen 
Häusenuilagen: die Größe der letztem war ursprünglich gleich- 
mälng In^messen, wie auch der älteste Stadtplan deutlieh zeigt 
und wie sogar in weniger von eingreifenden Umbauten l>e- 
trolfenen jetzigen Straßen noch gut erkennbar ist. 

Die Bauweise selbst würde unsem verwöhnten Augen 
wol ländlich und ärmlich, vor allem aber gesundlieitlich recht 
si»hlecht ei^schienen sein: denn mögen auch ziemlich bald neben 
den Kirchen und Klöstern einige größere städtische und 
private Gelväude entstanden sein, so müssen wir doch nach 
dem uns simst Bekannten annehmen, dass wol die grolk* 
Mehrzahl der Häuser schlecht oder gar nicht unterkellerte 
Kaohwerkl^uiten waren mit kleinen Fenstern, die in enge 
Höfe si^hauten, und mit weit überstehendem Stroh- oder 
Schindeldach, unter dem der Rauch, über welchen schon 
Tacitus klact. seinen Ausweg suchen mochte, da Schornsteine 
fehUeu. Nicht allzuviel Luft und Licht konnte da in die Woh- 
nung\ni eindringen; und die Reinlichkeit ließ auch im alten 
Kivibui-g elvns^niel zu wüus^^hen übrig, wie wir dies von 
andon*» mittelalterlichen Städten les^n, l>abei war die Häuser- 
;:ahl. wie wir aus dem Häus^rbuch wi>sen, etwa im 14, Jahr- 
hundert in der Altstadt ><hen auf 1«»7;» angewachsen: außer 
der nJ^ht unlvi rächt Hohen Anrahl von Mensehen beherbergten 
daj;« die Hefe mit ihrx^i StalJimgen oder die Straßen eine 
Men*:v n ers^^hit^lenariiiÄr Hansrieiv. die daselbst recht unge- 
liiruien ilir NVt>^^n tneK^n. wie ivvh in enirötzüeher Weise zu 
Nr:^h:or. s<;:5 wirvi. 

Vor dv:i \L^;xni r.::: ihrxn Türmen, welche die innere 
S:^dt in o:u:vr Ki'.^>chi:t .nm^ hie::en. sitxie^ien sich frühzeitk 
.^.:e Vx>rst^d:o ar*: its nvAi: v^>r^^un^ nrl: der Erwahnuns; genuii 
jiv'ar, >^:r.. *ia>s r^^V. Sf^kr. .v\ An .>ii-r Schneokenvorstadt 
:v.;: *ur inr^TÄ;:. V:>v>,trs:: ur*t: vkr*: ObenieJer Winkel. 
^VÄ^h \>e>:or. c.:v l.<>-.>,r vvkr *:>>\ii^ rvc-rstAdl nebst dem 
K^-^x-r^rs^cxk iv.ki 'i .::\; v^i.h N.r.k*:: Ax W^rsiadl Xeuburg enl- 



ludhi-itsjilli'i:!' 



nittelalti-ilithen Fi-pÜm 



stand, in welch lutztiTe lias Armeiifipital frühzeitig verlfj^t 
wurde. 

Wie bereite angedeutet, war die Hauptatialie der Stadt, 
die äogenamite „groHe Gasse", im ganzen und besonders atveckeii- 
Wfcise reclit breit, bo dass sie siclierlicli nach den Begiiffen 
jener Tage als laiiggestrecktei' Platz galt, auf welchem ja 
iuich z. B. um den „Fischbninneu" der Fischmarkt, in der Nähe 
des Martinstnrs der Fleisciiniarkt oder andere Märkte abge- 
halten wurden, nach dem, wol 1262, der vielleicht urspiting- 
lichste Marktplatz ' an der St. Marti iiskapelle aufgegeben worden 
war. An des letztern Stolle trat der Friedhof der Fi'fliizis- 
kaoer, die daselbst ihr Kloster errichtet hatten, wie überhaupt 
inmitten der Häuser auch im alten Freiburg die Begräbnis- 
stätten sich befanden. So hatto» die Doniiniknuer bei dem 
heutigen Unterlindenplatz, die Augustiner bei dem uralten 
Oberiirden, die Wilhelmiten in der Schneckeavorstadt ihre 
.Kirchhöfe", ebenso wie St. Peter in der Lehener Voi-stadt 
und St. Nikolaus in der Neiiburg; auch die verschiedenen 
Spitäler hatten je innerhalb ihres Bezirks ihren Gottesacker, 
z. B. das Heiliggeistspital an der KaiserstraDe, die Johamiiter 
lind Deutsehoi'densleuto in der Neubui'g bei ihren Häusern. 
Den gröüten „Kirchhof" hatte natürlich die Huuptkirche der 
Stadt; es ist sehr bemerkenswert, das» es fast ein Zehntel 
der gesamten alten Stadtääche woi', das um dos Münster aiis- 
geäpart wurde, allerdings aber auch, soweit es aiillerhalb der 
ehemaligen Friedhofsmauer lag, zu Verkehrszwecken, z.B. dem 
Korn- oder Brotmarkt, diente. Wenn auch an sicii die An- 
lage der Begräbnisstätten iimeriialb der Stadt gesundheitlich 
nicht zweckmäßig war, so verhaJfen sie doch in der Folge- 
zeit zu freien Plätzen , mit welchen das Mittelalter sonst 
kargte und die bei den engen Stralien i-ecbt sehi' in Betracht 
kamen. Dabei waren Freiburgs Gassen durchschnittlich lange 
nicht so eug, wie man sie in den alten Hömerstädten, etwa 
Worms, Mainz oder Köln, beute noch antrifft; freilieb inuss 



' Vgl. hiei 
iitiyi-foi-lllell); ■ 



s lieutsclii'll t-tädtewi 



s 



man bedenken, dasa wiedor viel Licht und Luft dadurch 
loren ging und abgehalten Hurd»:\ dass, wie mau es jetzt 
noch an einigen cihalteneii Hänsern aus etwa dem 15, Jahr- 
hundeH sehen kann, die obern Stockwerke überragend gebaut 
und die Dächer weit vorgekragt werden durften. Die Au;;- 
□utzung dicEor Vorteile ging aihnäldich so weit, dass schÜeli- 
lich der Stadtrat durch Erlass von Bauvorschriften gegen dii- 
eingeschlichenen Misshräuche einschreiten musste. 

Von den Häusern hatten viele keine Kamine, der Uaach 
entwich durch Türen und Fenster oder durch Lucken auf 
dem Bodenraum; von den Dächern troff das Hogenwasser auf 
die Straßen oder in die Höfe, wohin überhaupt die AbEäJJe 
des taglichen Lebens entleert wuiden. In letzterer Hinsicht 
iat besonders hervorzuheben, dass die selir einfachen Älwrt- 
aukgen in selten geleerten Versitzgniben bestanden; üiin, iiber- 
liaupt flüssige Stoffe, wurden wol zumeist in den Hof wler 
auf die StralSe laufen gelassen, bestenfalls in die ätadtbäche 
geschüttet. Was da in gewiss nicht gesundheitsfördernder 
Weise alles in den zum Glück sehr dui-chlässigen GeröUboden, 
auf welchem Freiburg erbaut ist. eindringen musste und ein- 
drang, das ci-sehen wii- heute noch, wenn bei Neubauten au 
der Stelle der vielfach noch ganz alten Häuser deren und der 
Höfe Untergrund ausgehoben wird und sich uns eine sonst 
ganz ungewohnte, schwarze, lehtnartige Erde darbietet. 

Und nicht nur innerhalb der Höfe, sondern auch auf deii 
StraLlen lagerten wochenlang alle festen Abfallstoffe : lesen wir 
doch, wie von anderwärts', so auch von Freiburg noch aus 
i späteren Zeiten polizeiliche Verordnungen, die uns einen 
von mittelalterlichem Reinlichkeitssinn 
zumal bei schlechtem Wetter, bereits sin 
Tage zuweilen beschwerlich, in den ungepffnsterten tiasscir 
weiterzukommen, so wird es bei Nacht manchen Unfall ^•■ 
geben haben trotz der Laterne, ohne welche nach Einbnitit 



^iibof, Dir öffeiitliihe Ui-sumllieil» 
FestBclirift zur Eröflimni; des ni 



iiiid Krank <Mi|>tlp^ in 
len Ki'flnkpnittiusf« »i 




Geaundheitspliego im mittPUlttrliulien KiPÜmrg 29 

der Dunkelheit laut behördlicher Vorschrift kein ehraamer 
Bürger ausgehen sollte. 

Und doch war freiburg eine mindestens ebenso, wenn 
nicht eine reinlichere Stadt als damals manche andere. A'on 
dem vielhei-Uhmten Nürnberg hat vor knrzem Mummenhof 
iSchilderungen entworfen, die uns zu jener Annahme boi-echtigen ; 
und heute uns sonderbar klingende alte Straßennamen, wie 
z. B. der wohlbekannte .Enteupfuhl' in Koblenz, erwecken 
gleichfalls merkwürdige Vorstellungen von der Stralienhygiene 
in der guten, alten Zeit. Eret Epidemien, wie etwa die 
, Blattern' am Ausgang des 15. Jahrhundeiis . gaben Ver- 
anlassung zu einer Bestimmung, die wir in den Freiburger 
Uatsprotokollen von 14fl7 lesen können, dass man „von der 
(^ntzel verkündt, dass man die tiaasen allenthalb räume und 
sauber halte" ; und so heilit es auch noch in den Ratsprotn- 
kollen aus dem .Jahre 1552, wo doch die Erfahrungen fi-flherer 
Seuchen mit ihrem großen Sterben sicherhch schon viel in 
dieser Beziehung gebessei't haben mochten ' ; 

.Welcher mist uss dem seinen uff die gassen schüttet 

und den ufs lengst in drey oder vier tagen nit hinweg 

fucret, sondei' uff der gassen ligen lasst, der soll zu straff 

fünff Schilling Happen vei-fallen sein." 

Metzger dürfen den Mist einen Monat (!) daselbst liegen 
lassen, bei Strafe von ebenfalls .'i Schilling Kappen; für 
andere Fälle gelten weitere Bestimnnmgen, deren noch einige 
folgen mögen; 

„Es sollen auch die grempler dhein wasser von 

haringen, stockvischen noch platislen auf die gassen, 

sonnder in die bäch schiltten," 

,So soll auch nymandt dheine genss not-h moi'en in der 

alten statt haben, desgleichen dheine sew, jung oder alt 

uf den gassen g6n lassen" 
welch letzt«m Gebrauch wir auch in der Hamburger Pest- 
ordnung von 1597 noch verboten linden -. 

' Kempf, Beiträge zur Kultur- luiii Sittenguscbiclite der Stadt Frei- 
burg. ScliBuinsItind Bd. 2~, l'J'.iO. 

' J. Michael, (IcsL-IiicIite des ärztl. Vervin« iihw. 7,u Hanilmrg, l^iM. 



,30 "«"'' 

,Und soll nymaiidt dliein raist, strow. 
ilie bäcli schütten. 

. . . .dass nymandt dlieinerley wuost noch luiBaubcr 
Wasser, so man fleisch, kraut, wyndeiii oder annders wesehet. 
oder die geschirr schwenket, in die bronnen sehütfat . . .* 

Und ähnliche Verordnungen wurden über die Stadtgräben 
erlassen, welche auch nicht immer im appetitlichsten Zustande 
gewesen sein müssen. 

In den eben angeführten Bestimmungen sind nun zwei 
Einriclitungen erwähnt, denen für die Gesundheit der Stadt eine 
beträchtliche Bedeutung zukam, die Stadtbaclie nnd die Brunnen. 

Heute noch be-steht die bis in die ältesten Zeiten Freiburgs 
liinaufreichende Verteilung der Stadtbächlein . welclie durch 
fast alle Sti-allen dos inneren Stadtki'eises ihr klares Wasser 
in eiligem Lauf dahinführen; aber wenn, abgesehen von den 
««genannten (.iewerbebäclien , sie jetzt uns fast als blolier, 
eigenartiger Schmuck erscheinen, so hatten sie damals die 
Aufgabe, welche in unserer Zeit, natürlich vollkommener, die 
Kanalisation erfüllt, recht und schlecht zu leisten, so wie es 
eben ging. 

Am Schwabentoi', dem höcliütgelegenen Punkte der Stadt, 
trat der weiter oben aus der Dreisam abgeleitete Hauptbach 
in die Oberstadt ein und teilte sieh sofort an der Linde, die 
schon lii^l erwähnt wird, in seine beiden Hauptarme: off<m 
in gepflasterten Rinnen floBsen die vielen Abzweigungen in 
gewundenem Lauf dm-cb die Hassen . um schlielilicb mit dem 
schon genannten Uewerbebach sich wieder zu vereinigen und 
nunmehr zur Wieseubewässeiung verwendet zu werden. Des 
Gewerbebachs werden wir nochmals gedenken müssen, wenn 
wir genauer mit den Bädern uns bescliäftigen : in seinem uns 
angehenden Teile tlosa er gleichfalls von der Gegend des 
Scliwabentora aus durch die Schneckenvoratadt und vereorgte 
daselbst aulier den Mühlen und ähnlichen Anlagen noch die 
verschiedenen, teila Privatleuten, teils dorn Spital gehörigen 
Badeanstalten. 

Welcherlei Verunreinigungen in die Stadtbäche gelangt«!), 
das lässt uns eine Bestimmung ahnen, welche vorschrieb, das* 



Gesundheit »pflege im iilitteluUcrlidicti Freibiii'ü :i| 

erst mit eingebrochener Dunkelheit Ärgemia erregende Stotfe 
in dieselbüH geschüttet werden durften; und ti-agikomisch 
mutet eß uns an, wenn wir, worauf an anderer Stelle noch- 
male zurückzukemmen sein wird, die Klagen der Apotheker 
hören, dass sie nach dem Urteil der Visitatoren ihre mit 
vielem Gelde gekauften und bereiteten, jetzt aher fttr untaug- 
lich erklärten Arzneien in die Bäche schütten milssten. 

Ungleich wichtiger als die bis jetzt betrachteten Wasser- 
läufe war natürlich die Wasservei-sorgung ' im eigentlichen 
Sinne; es ist klar, dass in einer am Fufie eines wasseiTeichen 
Uebirgs gelegenen Stadt dies Bedürfnis frühzeitig durch 
Wasserleitungen gedeckt wurde. 

In der Tat sind nur späi'licbe Nachrichten über gegrabene 
Brunnen vorhandeu; doch wissen wir, daKS Schöpf- oder Zieh- 
brunnen an verschiedenen Stellen der Stadt existierten und 
noch heute trifft man bei Kelleranlagen oder Fundamentierußgs- 
arbeiten auf solche. An Oberlinden, in der großen Gasse, 
im Hofe des Itathauses. in einigen Stadttürmen befanden sich 
derartige; noch im 1^. Jalirhundert* verfügte das St-adtregi- 
ment in Kricgstäuften, dass die ,Galgbrunnen" sollten gesäu- 
bert, das Wasser bei Oberlinden wieder hergestellt. Pumpen 
in »täud gesetzt werden usw. Im grolien und ganzen scheint 
aber diese Art der Wassergewinnung von Anfang an zurück- 
getreten zu sein, da sie den Ansprüchen wol bald nicht mehr 
genügte. Für sie trat die Quellwasserleitung ein, welche, wo 
sie mögUch war, überhaupt dem germanischen Empfinden von 
jeher mehr zusagte; wie wir von andern Orten und Gegenden 
Deutschlands wissen, dass es im 11. und 12. Jahrhundert der- 
artige Leitungen gab, so dürfen wir wol auch für Freiburg 
»solche annehmen. 

Zwar finden wir die früheste Erwähnung hierselbst erst 
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, doch muss sie um 
<Ue»e Zeit schon lange bestunden Jtaben, gut ausgeführt und 



Bescbreibang der Uruniit^nleitnng zu PreÜJUrg l>*i>*. 
•. Zur Witt« ngeacbichtp der ßtndt Freibiiift. Beilage xu:i 




32 *^**» 

bald mastergültig gewesen sein. 1318 wii-d in einer Urkunde 
vom 23. August ' der Brunnen auf dem jetzigen Franziskaner- 
platz erwähnt, welcher heute noch von der alten Leitung ge- 
speist wird*. Etwas Genaueres erfahi'en wir über die Her- 
stellung einer Leitung aus dem Bruchstück einer Freiburger 
Stadtrechnung im Karlsruher Archiv, wo es heißt: 

,Anno dom. MCCCXXVII an sante Gallus abende lühen 
die bürgere meister Selzelin dri wasser-nagebere und das 
dar zue hoeret, die waren 10 pfunde wert, und das geriiieste 
und dri bickele und zwo houwa, und befullen ime ouch do 
den brunnen und die biiiggen.* ^ 

1336 ist von der Witwe Wemhers des Brunnenmeisters 
selig die Rede, während aus dem Jahre 1333* uns die An- 
stellungsurkunde des Brunnen- und Brückenmoisters Johann. 
Bürgers zu Freiburg, erhalten ist. In dieser ist bereits von 
einer ganzen Anzahl von Brunnen die Rede, darunter einer 
in der Vorstadt, .,dem man sprichet der holtzeman, bei der 
steininen bi-ugge**, einer im Spital, bei den Klöstern usw. 
Auch dass die Brunnen aus eichenem Holz waren^^lässt auf 
ein langes Alter schon der damaligen Anlage schließen, die 
vorbildlich gewesen zu sein scheint, da Basel 1407 den Brumien- 
meister erbat und bei der Rückkehr hoch verdankte^. 

Noch heute besitzt die Altstadt eine größere Anzahl 
öffentlicher, laufender Brunnen, die aus dieser Anlage ihr 
Wasser hernehmen, welches bei manchem Alt-Freiburger auch 
in besondei-er Wertschätzung steht. Hin und wieder kommt 
es sogar vor, dass jetzt noch die uralte Leitung eintreten 
muss für die natürlich viel reichlichere moderne. Erst vor 
wenigen Jahren konnte man bei einem Hauptrohrbruch gerade- 
zu idyllische Szenen wie in der mittelalterlichen Stadt beob- 

* Poinsiguon, Geschichtliche Ortsbeschreibung der Stadt Frei- 
bm*g I. 

- Urkunden des Heiliggeist spitals I, Kege^ 241. 
•*' Mone. Zeitsclirift f. d. (lesch. d. Oberrheins XII, 20. — Nageber. 
]»esser nabegt^r =: Bohrer. P. 

* »Schreiber, Urkundenbuch I, 30. 

'• Soll reiber, Geschichte der ^tadt Freiburg II, 234. 



(.icsuiiillu'it'^plle^t- im luiltelnltoiliclioii Frcibiir^ 33 

achten, o!s ßiiiigc Tage hindureh in den Häusern das Wasser 
ausblieb und nun liei jeneu üii (ganzen spärlich verteilten alten 
Brunnen die Mädchen und Frauen mit Eiiuei'u und Zubern 
^•t»^de1l und schwatzten. 

Ihren Ursprung hatte luid hat diese Anlage im sogenannten 
Möslewald, etwa ein Kilometer oberhalb des Schwabentoi^, 
am Fülle des Brombergs, mit erst einer, später vier Brunnen- 
stuben; in Holzteuchebi floss das Wasser über die beiden 
l>reisambrücken in die Stadt, woselbst es vorwiegend öfTent- 
liche, aber auch private Brunnen speiste: 1535 waren aO Öffent- 
liche und 11 private Brunnen vorhanden. 1501 war versucht 
worden, die Holzröhien durch tönerne zu ei-setzen : doch kehrte 
man wieder za den hfilzeruen zuriick, bis mi \erliusäenen Jahr- 
hundert, wie in der neuen, so auch in dei alten Anlage eiserne 
Köhren eingeführt wui den Außer dei .Mösleleitmig' waren 
uoch einige kleinere \on untei geordnetei Bedeutung vor- . 
banden, die übergangen werden können 

Eiiie besondere, traurige Rolle spielte die erwähnt«, älteste 
Brunnenstube bei der Judenvei-folgung des Jahrs 1349, die 
auch in Freiburg mit der unsinnigen Bescliuldigung begann, 
dftss von den Juden Gift in jene geschüttet worden sei, wor- 
auf nochmals zurückzukommen sein wird. Welchem tatsäch- 
lichen Missbrauch aber die öffentlichen Leitungen ausgesetzt 
waren, das zeigt recht augenfällig die früher angezogene stadt- 
rätliche Strafbestimmung bei Brunnenverunreinigung. Und 
auch darhi lag, wie bei allen derartigen, auf lange Strecken 
außerhalb des Maiierkrcises verlaufenden Anlagen, eine mancli- 
mal eingetretene Gefahr, dass vom Feinde das Wasser für 
die ganze Stadt abgeschnitten odef unbrauchbar gemacht wer- 
den konnte. ~ 

Bei dem Überblick über das mittelalterliche Freiburg 
sollen an dieser Stelle nur in Kürze noch zwei Einrichtungen 
betrachtet werden, die späterer eingehender Würdigung vor- 
behalten sind; es sind dies die Anstalten für Kranke und Ge- 
brechliche sowie die Hadatuben. 

AuUer den mit den KlöstetTi zusammenhängenden , in 
ihrer Wirksamkeit naturgi-mäß beschränkten Spitälern ist da 



34 



llnfl» 



in erster Linie de» HeiliggeiNtäpitalu zu gedenken, 
Koziisa^eii eine äunime verschiedenartiger Stiftungen zu mild- 
tätigen Zwecken begriff. Den I^tttelpunkt derselben bildete 
stets da.H ini engern Hiinie Heiliggeiätspital geiiHnnto Haus, 
oder besser die Häuuer, die den größten Teil des BaubliH-ks 
zwisclien Münsterplatz und Kaiaersti^atie einei'seit«. Miiiistcr- 
stralle und heutigem Bezirksamt anderseits umfasBleii. Nelieu 
diesem, das auch das , reiche" oder .mehrere '-Spital genaiml 
wai^d. bestand frühzeitig das „mindere" oder Amienspital in 
der Vüi-stadt Nenburg, in welcher aulierdem noch das Blatteni- 
haus, das Findelhaus, die Elendeiüierberge und das älteste Aus- 
sützigenhauis sich befand: letzteres kam jedoch frilhzoitig in 
den Süden auf das Feld vor der Scluieckenvorstadt, dahin etwa, 
wo heute das alte Sunnenwirtshaus an der Basleratmlie stt'ht. 

Anhangsweise kann liier erwähnt werden, dass in der 
Vorstadt Neuburg nahe bei dem Henkersbäuslein das Franen- 
Iiaus gelegen war, welches in der derbtretfenden Weise des 
Mittelalters das Haus ,zur kurzen Freud" genannt wurde. 

Was nun die Bäder betrifft, so waren dieselben in ihrer 
Mehrzahl an den Lauf des (jewerbebachs gebunden, jener Ali- 
zweigmig aus der Ureisani, die gleichfalls in der Nähe de» 
Schwabentors in die Schneckenvui-stadt eintrat, dieselbe ganz 
durchlief, um dann westlich an der Lehener Vorstadt in dii' 
Wiesen überzutreten. Städtische, dem Spital gehörige und 
private Badstuben waren daselbst: zu oberst scheint das 
„Schwabsbad" gelegen zu haben, j«>wie die „rote Männer'- und 
die »rote Frauen "-Badstube, die Bäder des Spitals, und zit 
Unterst müssen wir wol bei der l'aradiesmflhle das .Faradies- 
batl' suchen, welches in privatem Besitz sich befand. AuUer 
diesen seheinen noch mehrere Budstubeii innerhalb der Stadt 
vorhanden gewesen zu sein; denn in den Steuer- oder Ziiis- 
ti.steu vom Ende des 14, .lahrhunderts sind mehrfach Namen 
von Badern oder Schereni erwähnt, welche in der lieutii;eii 
Bertold-, Kaiser- oder Eisenbalm^tralie gewohnt haben iinii 
Bailstiihen daselbst hatten. 

Übrigens lag an diesem untersten Teile des Gewei-!iehatli> 

Ldaa städtische Schlachthaus, welches nach der mittel- 



llc»LinillieJts|.flcgt^ i]>i mitU-liillinlii'liHi Frc-iUiir^ ;{,i 

altvrlicheii Sitte und nach dem Muster anderer Städte 
— 1519 hatte Freiburg einen Werkmeister nach Basel ge- 
schickt, um das dortige zu besehen' — au dos fließende 
Wasser gebaut woi'den war; erst in der neuesten Zeit hat es 
diesen seinen Platz bei der Ernehtuiig des jetzigen Baus auf- 
gegeben. 

Vielleicht ist es nicht unzweckinäliig, im Anschluss an 
den gegebenen Überblick über das medizinisch Interessiereudo 
der alten ätadtaiilage noch einige Betrachtungen Über das 
Leben in derselben anzustellen, soweit es in Fragen der tie- 
Füuidheits- oder Krankheitspflege hereinspielt. 

Uanz allgemein angesehen musstun die unsichem Verhält- 
nisse des Mittelalters aus mannigtadion Gründen zu allerlei 
Ki'arikheit Anlass geben. Üie vielen Raub- und Kiiegszüge 
kleiner und groÜer Herren macht:en ein ruhiges, geregeltes 
Leben vielfach unmöglich; Annut und Elend wai- die Fülge. 
und so kann es uns nicht wundem, wenn Krankheiten die 
Menschen in einer Weise heimsuchten, wie wir sie heute nur 
von Schilderungen kennen aus Landein, deren Kultur jetzt 
noch einen ähnlichen Tiefstand wie jene alte Zeit aufweist. 

Und im besondem, so lassen uns die sehr zahlreichen Be- 
stimmungen der Stadti-echte von Freiburg über Hanfliändel, 
Mord und Totschlag ahnen, welche Gesnndheitsschädigungen 
da vorkommen nmssten; von einzelnen derartigen Schlägereien 
nnd Verletzungen lesen wir nocli in den Protokollen und Ver- 
handlungen, die darüber stattfanden und die zugleich uns 
einen Einblick gewähren in die Art und Weise, wie und von 
wem die „gerichtsärztliche' Beurteilung solcher Fälle aus- 
geführt wurde. Auch die Klagen der Bürger über das un- 
verschämte Verhalten der Dirnen*, die „der Wirt mit ehr- 
baren Leuten an einen Tisch setze", die notwendige Aufstel- 
lung imd Einschärfung dei' Ordnung des Frauenhauses, welches 
dem Henker unterstand, die Festsetzungen der Gründungs- 
urkunde, des Stadtrodele und sonatige Verfügungen, über das 



MaldoDera Kt|<ertur 

KatsbcsflilUäM- v-(iii 




3ä 



Uuii» 



frühzeitigö Heiraten, aulierehelichen Utiscbleclitevericehr, S^Kn- 
dung, Hurerei u. t^l. gewähren uns tiefe Einblicke in dii- 
Nachteeiten des mittelalterlichen Lebens. Fast komisch be- 
rülirt es uns aber, weiin dann — darin »dieinen auch die 
alten Studenten besonderes geleistet zu haben — das .un- 
gebührliche Fressen und Saufen", das Zutripken und Schreien 
getadelt wird; auch die Kleiderordnungen mit ihren Bestim- 
mungen gegen den Überhandnehmenden Luxus oder die gei-ade- 
zu unanständigen Trachten der Herren und Knecht« sind Zeichen 
finer Lebenshaltung, die gesundheitlich eine Iteihe von Ge- 
fahren in sieh barg. Die Unmöglichkeit, diesen Übeln an der 
Wurzel beisukomnieii, bildete mit eine Ursache, die die vielen 
Anstalten zur Betätigung der Näclistenliebe ins Werk rief, 
an welchen gerade die mittelalterlichen Städte so reich sind, 
imd in welchen die christliche Kii-che in edelster Weise mittel- 
bar oder uimiittelbar auf die Versöhnung mit der Not de* 
Lebens tiinarbeitete. Freilicli aber karm aucli das nicht ver- 
schwiegen weiMien, dass gerade durch Einrichtungen der letz- 
teren, die Männer- und Fraiienklöeter, den Zölibat u. a,. Ver- 
irruDgen allerlei Ai-t henorgerufen wurden, die der Vollcswitz 
in Freiburg z, B. in Benennmigen von Häusern wie das ,zuiii 
geilen Mönch' oder „zur geilen Nonne', welche in der Salz- 
stralie unmittelbar »noijiander grenzten, entsprechend geiselt«'. 

IL knie, Wundärzte, Apotheker und sonstiges „Heil personal". 
Als im Jahre 805 Karl der Große im Kapitulai'e von 
Thionviile den von ihm gegiilndeten Klöstern . Reichenau. 
St. Gallen, Fulda u. a., auch die Aufgabe gestellt hatte, ihre 
Zöglinge, die künftigen Geistlichen, in der Ai-zneikunst zu 
unterweisen, da knüpfte er an eine alte Einrichtung der 
christlichen Kirche an, welche bereits seit Jahrhunderten 
durch ihre Gliedei', vom Erzbisehof bis zum Pfarrei- und 
Mönch, Krankenpflege und ärztliche Tätigkeit hatte ausüben 
lassen, und in deren Schoß gerade durch die Benediktiner die 



ist meist = ,fiiJliIiih". 



güil bedüiiten, äunilc 




ii.llii>it^|ifl.->: 



iiitleliiltci-liclicii Fi-ciburj: 



arflbiacli-römische bzw. griccliiscltp Mwlizin gepflegt wurde. 
Alls Italien wurden die Lehrer geholt, und Kleriker waren 
zu allermeiat in lleutschland die ersten Ärzte, wenn wir von 
jildischen n«d vereinzelten arabischen Heilkllnatlem absehen, 
äie in der Anfangszeit für das Volk nicht in Betracht kamen; 
^i-fit in der zweiten Hftlfte des Mittelalters begegnen uns, 
aber auch da noch in geringer Zahl. Laienärzte. die nicht 
-luden wai-en, in Stellungen von Leibärzten fürstlicher Per- 
sonen, oder Ärzte in Städten und eigentliche „Stadtärzte", 
An ihrem nunmehrigen Aufkommen war zu einem guten Teile 
sdinid, daas die Kirche infolge der eingerissenen Missbräuchf 
sich niehrtiich im 12, und 13. Jahrhundert genötigt gesehen 
liafte, den geistlichen Pei'sonen dos Praktizieren, insbesondoi* 
in der t'hinugie. zu verbieten '; hinderlich aber war durch das 
ganze Mittelalter hindurch und noch spätei. dass auch die 
niclitgeistlichen Ärzte nur innere Krankheiten behandeln 
«lui-ften, woduich das Volk in den meisten Krankheiten ge- 
zwungen wurde, tm den Sclierern und Badern, als den V\iind- 
ärzten. oder zu allerlei Kurpfuschern seine Zuflucht zu nehmen. 
Die Ausbildung in den Klostersehulen war unter dem 
Titel der Physik in das sogenamite Quadrivium eingereiht, 
und geschah vorwiegend theoretisch nach gatenisclier Art; 
vielleicht wurde in den Spitälern der Klöster in geringem 
"Umfang auch praktischer Unterrieht erteilt. Danach be- 
»tinimte sich dann später die ärztliche Tätigkeit so, dass sie 
in der Hauptsache im Urinschauen, Fulsfiihlen und im Ver- 
schreiben der verwickelten Rezepte liestand. Sofern es sicli 
nni Stadtäi'ztc handelte, hatten sie noch die Überwachung des 
gesamten sonstigen Heilpersonals; sie mnssten die Apotheken 
räitieren. die Apotheker pi-üfen, der Bereitung groller Kom- 
{Kislte, der Theriake, Mithridato. Antidote beiwohnen, die 
Bader und Sclierer beaufsichtigen sowie die Hebammen. Bei 
schwierigen Verletzungen, insbesondere solchen gerichtlicher 
Xatur. wui'den sie um Ijutaehten angegangen; bei Epidemien 

' VkI. Mugiiiis. Mi-dizin und Keliieio 
Att'rlJKiniRi'heü RUH der llltPHt^ii K[ri'li(>ii^*'8t'] 
iiri;;.-ii /in- lies.liU-litr «I.t «lti'lirisllirhr.|i l.i 




sollten sie mteti, obwol sie in praxi von alledem viedfurh 
herzlich wenig verstanden, auch gar nicht selbst zu unter- 
suclien brauchten. Über Land zn geben waren nie nicht 
verpflichtet, doch sollten sie sich dessen ohne Grund auch 
nicht weigern; dann aber muesten Koss. Fahrt und Zehrun^ 
hin und her gestellt werden nebst entsprechendem Arztlobn. 
,als oft er einen ganzen tag still liegt", einen rbeiniscbi'ii 
Gulden zu fiO Kreuzern'. 

Die Bezahlung ihrer ärztlichen Tätigkeit nniss auch in 
Fl-eiburg gut gewesen sein; zwar liegen aus dem Mittelaltei- 
keine Nachnchten hierüber in den städtischen oder sonstigen 
Urkunden mehr vor, doch kennen wir es daraus schliebeii, 
(lass die meisten der alsbald zu nennenden Ärzte begütert 
waren. Und auf einem Umwege wird jene Annahme weiter- 
hin dadurch tiestätigt. dass vielfach vom .Ubemehmen* dif 
Ketle ist, nicht nur in Beachwerdeschriften und Klagen der 
damaligen Apotheker, die sich zum Anwalt des Publikum» 
dadurch stempeln wollten, sondern auch in städtischen Ver- 
fügungen imd Voi-schriften. Doch dürfen wir hieraus keinen- 
falls auf ein etwa wirkliches Übervorteilen der Kranken 
schließen oder auf fehlende Menschenfreundlichkeit, besondere 
da wir gerade aus Freiburg Beweise für den mildtätigen Sinn 
der Ärzte besitzen; sicherlich traf auch für sie zu, da^ sie 
, armen dörfftigen Krannckben ono einiche belonungumb Uottes 
willen aus christenlicher brüderlichen lieb und in erwegun^ 
das ine solches von Gott in andre weg erstattet worden niaa. 
gewertig und willig seyen'*. Vielmehr ist es ein Ausfluss di-> 
Selbstbewusstseins, welches ja äuüerüch aucli in Haltung imil 
Tracht hervortrat. Und dass Freiburger Ärzte schon daniab 
sich eines guten Anaehenn sogar bis weit ausserhalb des 
Stadtbezirks ei-freuten, werden wir alsbald zu sehen haben. 
Von manchen Stadtlasten waren, wie schon bei den Kömem, 
die Ärzte, ähnlich den Apothekern, befreit; wurden die Bürger 
mit Annbrust, Schild und Speer zur Vorteidigimg anf die 



1 4. JttÜ i.-.t; 




telallyrlii'lieiL Frerhuij; 



;(9 



Mau«ni lind an die Tore gerufen, -so ging der Arzt zur Ver- 
KEimiiilung der Obristen auf den Mtin»terplatz mit Harnisch 
lind Gewehr. Die bevorzugte Stellung — der Ring, welchen 
der doktorierte Arzt hei der Fiomotion erhielt, war ilas 
Zeichen seiner ritterlichen Würde ~ bezeugt außei-dem noch 
die Kleideroi'duung'. die — in üiner spätem Abfassung — 
iiiih lehrt, dass zur vieiten (Ordnung gehörten die ,öelehrtini, 
so graduui doctoratus ve! licenttatus würdig erlangt haben", 
wahrend zur fünften Oi-dnung, die hinsichtlich der Kleider 
itnboschi'änkt war und , Adeliche, andere graduirte Satzbörger 
und vomehmste Stattbedienten ' iimfasHte, die Stadtärzfe ge- 
xäldt wurden, — 

Nur Vermutungen sind i.!s viidfuch. lÜe wii' über Fi-ei- 
hurgs älteste Ärzte aufstellen können: aber auch die Legende, 
welche von einer frühesten ärztlichen Tätigkeit daselbst er- 
zählt, enthält ein Körnchen geschichtlicher Wahrheit. Als- 
bald nach der Dründung von Reicheiiau vernehmen wir aus 
dem Jahre K2;i, dass unter den Mönchen ein Sigihertus 
inethcuH gewesen ; aus den folgenden Jahrhundert«n * wird von 
ila und dort eine Anzahl von geistlichen Ärzten überliefert, 
von denen noch , Krater Heinricns sacerdns et niedicus". 
der 12iil zu Thennenbach war, genannt werden möge, Dass 
sidcfae auch in Fi'eiburg tätig gewesen, das mag der liistorische 
Kern der Erzählung sein, welche von dem berühmten Ki'euz- 
prediger Bernhard von Clairvaux berichtet wird'. Danach 
,war ein Knappe vom Pferde gestürzt und hatte, schwer 
verletzt, das Bewusstscin verloren: trotzdem er vorher in 
Schroähi'eden gegen den frommen Abt sich ei'gangen hatte, 
erweckte ihn dieser wieder zum Leben, worauf er das Kreuz 
nahm, nm später einem Sarazenensäbel zum Opfer zu fallen. 
Tlieologischen Beigeachmack, wie diese Legende, mögen wol 
viele der geistlichen Heilungen gehabt haben. 



' Dainmei't. Kleid eronlimug der Stallt Kmburg i. Br. des Jahn 

(Eeitschrift der (.iesellschaft fUr (.leechii-htskande V. 
' Vgl. Mone, Zeit«clirift für die G«scbichte des Ob(>rrl]eiiis; Bd. XII 
n- lind Ivronkeniitiege im 13. bis 16. Jahrbunilert. 

' Vgl. Undi-r. l.!es*Llii..ln.- .It-r Sladt KrtihurB I. Ii: 



d 



Fällt diese Erzählung in die nächste Zeit nach Preilrargs 
Gründung, so ist uns aus dem ersten Drittel des IT). Jatir- 
liunderts bis heute ein dichterisches Zeugnis des (wahifiuheiu- 
lichen) ärztlichen Wirkens eine» Klerikers unserer Stadt er- 
halten'; die MOnchener Bibliothek bewahrt auf 157 Blättern 
eines vorzilglicli erhaltenen Manuskripts mehr als IJiOOO Verse 
des Regimen sanitatis, welches 142^ ein Freibnrger Priester. 
Heinrich Louffenberg, verfasst hat. 

Das Buch ist, der Zeit entsprechend, in vSUig aiabi&tischeni 
tieiste geschrieben; es hat t-ine lange aetrologisclie Einleitung 
und füllt dann auf der galenischen Lehre von den dementen 
mit ihi-en Qualitäten und Komplexionen. Dem l'nbJikam ent- 
jsprechend, an das es sieb wenden sollte, werden ausfiihrlicli 
Imuptsüchtich Diiitvorecliriften gegeben; den schwangeren 
l'ranen, der Pflege der Kinder, dem Regiment in Zeiten der 
l'estilenz sind lange Kapitel gewidmet, in deren Anlage -an 
manchen Stellen oft eine ganz auffällige Ül>ereinstimmiuig 
mit dem „äpeculum naturale" des Vincenz von Beaurai-'^ 
und mit Avicenna zu Tage tritt. Wie dem auch sei, so gehl 
aus allem hervor, dasa Heinrich Louffenberg recht gründ- 
lich auch medizinische Werke studiert haben muss: ja mau 
gewinnt den Eindruck, dass er selbst praktisch tätig gewesen 
sein könne, da wir uns das Zustandekommen eines solchen 
Lehrgedichta, aus welchem doch eigene Erfahrung zu sprechen 
scheint, nicht ohne eine gewisse Ausübung der Medizin denken 
können. Anderseits weist er an sehr vielen Stellen seines 
Buchs die Hilfsbedürftigen an den Hat der weisen Ärzte, 
vor deren Wissen und Können er eine hohe Achtung hat; in 
letzter Linie aber zeigt er auf (jott. der die Arzneien ge- 
Kchaften und die Kenntnis derselben den Ärzten übermittelt 
liat. Mit der Bitte um die ewige Seligkeit schliellt das Bucli- 

Von dem Inhalt desselben soll an dieser Stelle im ge- 
naueren der vierte Hauptteil angeführt werden, der wenige»" 
tiiedizinischc Einzelheiten enthJUt, iils eine Darlegung dcr- 

., iin Aiizci«i'v ftii Hk- Kimdp iIph tl.'iLl^dii'n Mi«*a: 




(ii'B<mrl)it.'it3pl1eut' im TnitlflulU-rlicIieti l''rMliiii^ 41 

wenn man es so nennen will, allgcmein-pathologisc-lifn Auf- 
lassung und Denkweise seines Verfassers, die, wie oben er- 
wähnt, natilrlicli ganz im Banne seiner Zeit stellt: 



H!fi hebet an wii- »ich der nu-ntMch noI fanlt<>ii in Kcsuntlieil siiw 

Ulli'.* mit ilbmife wnchpti Klolfen ewseu trinken lo^iNen bnden rroiden 

nnil lindern dln)ren und rohet iin das rlerdc teil di-< 

bnclilinn. 






- Lio 



<ii>si-hnff(Mi in 
Ze lyli« und * 
Dtia die »ei« ,\ 
«it-bildet nnch 



Valteu iiud wil sagfu wii; 
Ein yeglicli tnentacii innic biiltiin »idi 
Jn nmnöeii dingfii Hiinderlicli 
Dn« ('S duBt« Ii-ngor blybe BUBniit 
Ala nnü die tii<fistcr litind vericuiit 
VVonii sidt das gott den mentsthcn 
batt 

a<> adclliHi 
lu ist goHch 
I klärten bor 
L'nd dem lybe liütt »nns ze er 
An j^irli Kenuininen nnd becleit 
L'nd bett den mit veiscit 
Do« er b6 bat versorget wui 
Bitrutnbe niun bilUob gbmbeu Hill 
Dm er dem lybe liie bett geben 
AHxuye das i^r iiitt^ lelieii 
Destor Iwiger iu der zit 
Ob« es die ((öttliclie yi'n''' B.vt 
Und er Ktrh linite iirdeTitüi^li 
im leben ihh^ er frixteii t«icb 
Nach wyaer leiv anlange y.- 



StL-rlieii üol und uterbeii mus^ 
Kein Ai-tKnj'e du für ist buxit 
Buch mag fr aicb fristen 
Mit wyser artzot liston 
Den gott git xe kenni-nd u'iil 
Wie man den inentschen friNtea »i 
^V'oiin mauger stirbet den gott n 
DasB ur nui^li lenger fristen solt 
ppr yme selber mit nntirdeiibi-il 
Keinen mutwlllen vereeit 
Wider der natnre kntft 
Yme selber der den todc «rbnlft 
Der noch wol möi'rhte besser wen 
SöJle er leben hie nff erden 
Und inUcbte verdienen lones vll 
Hie utf erde in lebenszil 
Danimbe so bett geKcliflift.'ii ^rilt 
Die ai^tznye one spott 
Der nientsch lieben nalure 
Ze lieb in huber Icure 
Und het ze wiseend geben in 
Was gut oder flchode mag »in 
DsB nyeina yme selber gebe 
i^acbe Jas er dester kllrtzer lein: 



. dn» e 






i' hii- 



In einem zweiten Alisi'linitt folgt nnn: 
Wie dais jAre Iu vi< 



Jeglichen sin eyi^unHi-liafft 
fm nsture und siinilei i:miTt 
rnil HHn.leltj.l -.i.b div tvl.. 



irelellt ist. 

Duniinbe solt im gesebrybe 
Dum dn solt wiesen one wnn 
Yeder zitcn Conplexi uu 
D«rnarh «ji macht» iialten dieli 
Als du wirst hie vcnienjen niii:h 



42 J^aas 

Abschnitt 3 sagt uns: 

Das erste Kite des Jares helsset das glentz. 

Wann und feucht ist seine Komplexion: 

Und wechset das blut in diser zit 
In der libcn andren wit 
Darumbe soltu dem vlysseu dich 
'JVinken essen, nidsseclich 
Und ordenlich regiereu 
Mit lossen und purgieren. 

Nach einigen Vorschriften über leichte Speisen verschie- 
dener Art folgt die Mahnung: 

Und hüte dich hie alle tag 
Vor allem das entzünden mag 
Das ))lüte und es mag meron 

woran die vergleichende Schilderung gefügt ist: 

Die blümly springent uff ze haut In dem mentschen zu der zyt 

Die brunnen geratent quellen Das reget sich denn sunder me 

Die fögellin erschellen Ks sye gesuntheit oder we 

Und was das ertrich gebirt Davon so soltu sunder dich 

Von dem tode erkiket wirt Halten gar wol behütlich. 
Darumbe ouch was verborgen lyt 

Abschnitt 4 sagt in Betreff des Sommers, der von warmer 
und trockener Komplexion sei: 

So hüte dich vor allen sachen 

Die dir hitze kunneut machen 

Oder trückenent ze vil 

Als übunge gross und der mynue spil. 

Vielmehr soll wenig Speise genossen werden: Sirup mit 
Kosenwasser mag man trinken, aber ohne Not nicht zur Ader 
lassen. — 

Vom Herbst heißt es: 

Dis Zite ist fuchte und ouch kalt 
Und wechset mellancolya bald 



Doch sol nieman vergessen 
Er sol der lybe machen reyn 
Mit drenken lossen als ich mevn 
Als vme denn zu gehöret 
Und in ein artzot leret. 



l.ipliegi' 



i Frfiblirt; 



4.'t 



Im Winter aber, lier von koltuf und trockener Kom- 
jilexion sei, soll man essen, was Wanne bringt; niclit aber 
„lossen" («ler .trenke nenien vil". 

(rewissemiiilien znsanimenfaiJHend Iclirt nun der folgende 
Abschnitt: 

-Hie merke wie üifii ein lueDtNche fc iiBcb dem xite sol Imiteii 
ein hfihütche Ipre**: 



.Hu-s 



.ii.kn II 



Sa merkefltu gnr eigenlich 

Dum <ias yare noch yedeni stat 

Vivrerl(>ye natnren hat 

Dornncli sich ouch die lybe hie 

Verwmndlent Ire nntiiren ye 

DnrHn verstost da hie ze stnndp 

Ilus ein zyte mnchte sin geeundi' 

UaB ander zyte sehade wer«* 

Von dieser wandelbere 

So miiBt du ye reeieren diüh 

AIh yedes Eite heischet sieh 

Alsii tiind doch die tier zeliand 

Die enfcein Vernunft iiant 

Der wyge die atorken, die swolmeii 

Wenn der wint durch die halmen 

Wäget so liQnnent die nlch 

Wol hewaren gar sicherlirh 

I'er woiff der leoparte 

Yedes nach ancr arte 

Kall »ifb gelialten iiiith vedem clte 

Wvaer man de« laHse oiich nit 

Dinen mantel soitu liereii iJnr 

D« yedcr winde wnvget liiir 

Der sieche und der gosuiidc 

H>nt imgeliche etuude 

Davon so ist dem einen gut 

IIa» dem RDdem ne tut 

Der alt« und der juuge 

Hand ander waiideluuge 

All der kelte an der liitze 

Mun folgt eine allgemein 
im besontlern Betrachtunj 
isehen angeachl 






Diivun so betlarlTe tnuii wil/e 
Dei' Hrtzot und der wysen 
Die alt«n uiid die grysen 
Hant empfunden vil liievor 
Den gloube obe dn iiit bist ein tor 
Der mentschen leben ntat gar blll 
So sint die invu-lle one nHisn 
Einer dein, der ander gross 
Die uft' des iiientscheii leben guiiil 
Des wir billich in tturgen stond 
Des hyniels stemen eyenschafft 
Und aller elementen rratft 
Lnfft WRHser ffire und erden 
Und was von in mag werden 
Zeinengeleit das mag wol sin 
Unnsera leben« tode und pin 
L'nd denn nach allenneyst« 
Die unsichtbaren geiste 
DtH liant wir allesaut verachult 
Mit sDnde und güttlicber Unschuld 
Doch ist gott ulso gut« 
Dan er uns hat in »Iner hüte 
Durch sich und imch die kuntte sin 
Die er mann i gern flflsset in 
Domit er shUb lernen wie 
.Mnn libe und sele gebelffen )iie 
Den snllent wir volgen alle zvt 
Wonn unns sfi gott zu gOttcii gyt 
Diiri'li Linsern nutze und gOttJii'h er 
Sy t rluch UKS giill flltsHet kunattt 

patliologisclie Übersicht, welcher 
i;en über die vier Komplexionen 



44 



linas 



Hie merke wie alle mentschen von den vie element^n »ind natupet 

nnd heissent vier conplexion. 



,Also recht nach des jares quart 
Ist viererleye nature und art 
Der mentschen nach elemente schon 
Und heissent vier complexiou 
Nacli den ouch aller mentschen 

kindt 
Naturet und elementet sindt 
Die müstu wissen und studieren 
Wiltu dich rechte noch kunste re- 
gieren 
Wonn wisse alles das do lebett 
In vier den elementen s webet 
Und ist geschaffen grobe und pur 
Von ir conplex und ouch natur 
Das ist von für wasser und erde 
Von luflft do mitt das daniss werde 
Ein tier ein mentsch und was so] 

leben 
Das füre das kan die wermy geben 
Das wasser blut und fuchtigkeit 
Erd fleisch und beine luft oten treit 
Doch soltu wissen eben hie 
(.lehoren wart kein mentsche nye 
Nach der naturen louff uff erde 
Das nit von in gementschet werde 
Doch so hett eins me vom füre 
Das ander von der stüre 
Des Wassers das dritte mant vvnt 
Das me von der erde nint 
Das vierde von dem lufft me 
Ir widerstrvten machet we 



Gebresten imd siechtageus not 
Und ze leste ouch den tod 
So kelti wider strvtet 
Der hitze und su gebfitet 
Das trinken wider fuchtigkeit 
Und welches den gesige trait 
Das mag sich lange nit ergon 
Es komme we und schade dovuir 
Von welchem elementen nu 
Nvmest allermeiste du 
Darnach so wirstu ouch genant 
Wie wol du s& haust alle sant 
Die selbe neygung du aller meyst 
In diner natur complexi treist 
Darnach müstu dich leren 
Mit artznye erneren 
Wonn alle dinge roögent nit allen 
Gesunt sin und wolgevallen 
Davon wil ich dich leren liie 
Wie du macht bekenne die 
Und was jedem gesmide sy 
Machtu wissen ouch do bv 
Doch Wissens nyeman eiget 
Alles doruff sich neiget 
Sin complexion als ich schier nage 
Wonn er dowider leben mag 
Und mag naturen stiUen 
Mit sinen eigen willen 
Als ich dir ouch vor hau gescit 
Von der zeichen underscheit." 



Von der ersten conplexion heinset sangwineui»* 

Die erste conplexion ze haut 
Die ist sangwinea genant 
Warme und füchte ist ye süss 



in seiner nature sangwineus 
Und i.st nach luftes arte geton 
Die ist die beste conplexion 
Wann di<» dike \än^e lebent 
In IVoiden froilicli strobent 



Milt und gutes mutes 
Und vol gesimdes blötes 
Spylen und ouch singen 
Seyten spil und springen 
l.'nd was den froiden höret zu 
Das were ir leben spate und frii 
ir sinne sindt subtvle 
Das sie in deiner wvle 



^ Ä»ä^^^^ 


W^^^^^M 


^^H GmilulllcitsptlegL- im IT 


ittelulteriicheu Freiliiirg 45 1 


Iierent vil imd uiicb vil e 


Ii' aiitljt das ist ro^nvar ^^^^| 


Denn eunet yeiuftnt anders mo 


Uatig mit den guten ^^^^| 


Doch sind sie dike unstete 


Zornig mit nnbehüten ^^^^B 


An vortun und g«tBtp 


Hie by machtn bekennen in 


In zamo sie such nit Itclite 


Wer aangwineuB mflge sin 


Koment von geacliiclit« 


Diaer hedarff auch sunder hass 


Doch 30 der zorne sn bestat 


(Jöter apyse obe syneni niflas 


KJQ hartes niirken die denn hat 


Die zarte und ouch edel sy 


ßoch verdent 9U balde gütig 


Und kalte und fflehte bab ouch do by 


Mil tagent senftmlltig 


L'nd senfCecliche spyse 


8u ptleg;ent onch der nivtiiie 


Wonn er ist zarte und lyse 


Vaate in jrein Hvnne 


1-11(1 tut ynime grobe spyae we 


Mil den wrhen frolicli pir 


FilrbnsBer denn anderen ine. m 


Von der andern <'uii|ili-\i»ii dem tolerfctiN. |^^^^^| 


Colera dii- conpl^xion 


Und vaate liep gewyiineiil ' ^^^^W 


Ist die ander und davuij 


Hau sindt sA an dem lybe " 


Wil ich dir hie sagen nisus 


Und tragent hasse aud kybe 


Wisse das ein cokricus 


sagend allein durch ere 


lat von nature truken heiss 


Und sind siibtyle uff lere 


Dem ffire gelich ata ich das weiss 


Uy wyhen haut sfl froide 


Dero »unimer er auch glichet int 


Und vallend licht in leyde 


Und fcaii vil trugenthaffter list 


Witze und oucb vil kOndikeit 


Bleich vor ist er Alsuflt 


Ut uns dike von in geaeit 


Ind ruhe von höre umb die brüst 


L'nd wonn nu diser hitzig ist 


Von Eome ist er gar gehe 


In esaen soi er halten list 


UetfirBtig und oucb wehe 


Das sine spyse föchte sy 


Schnelle iet rede und gunge nin 


Vui in kelÜ ouch doby 


Oueh so !i»e ich vo» in 


Nit hitzig darutf sfi wesen 


Das sie die frowen myiiiicja 


1)11 siii-he hon ich goluaen. 


Von der drillen c«ii|ile\i..n dum flefiuattlcü8. ^^J 


FIe((nifttti.!ua sc. heisset fi- 


ludreu fbllen ^^^| 


Der dritte vrijtn wissi^n wur 


Das siuca willen ^^^H 


Kr sy nach siner conplexioii 




Die flegma holst sn hör dovon 


Bj wyben ist er ungeineit ^ 


Der ist dem wasser glich nntuvet 


Vil wyatigkert ymme eigeu 1 


Kall» und fßchte. als man s|>&ret 


L"ff gesucht ist er genciget 1 


Ful trfige und von syunen grobe 


Wil der voi siechtagen hüten aicb 1 


l'nd »cUoffet vil dein ist sein lobe 


H« esse Ibtzel das rate ich 1 


^'un l.Tbe ist er wei^e 


Und warme spyse uud die SDbtyl 1 


Karge spöttig ich inn licissf 


Obe .r giaunf beljbeu wil. 1 



46 



Baas 



Ton der rierten conplexion dem inellancoliciiH. 



Die vierde conplex mellancolig 
Von deren sage ich dir wie die sig 
Woiiii mellancolicus der hatt 
Ein nature nach der ei*deu stat 
Kalte lind truken ist sin art 
8in antlit zu der erde gekart 
£r förchtet sich und ist ein zag 
Das ist davon als ich dir sag 
Das er hett deine hitze 
Die inii ze turstekeit spitze 
Wann sie hitze geturstkeit tut 
An tieren und in mentschen mut 
Daruiube so ist der löwe gran 
Von fiires hitze, die er sol han 
Ouch ist der mellancolicus 
Träge in louffe und wurken süss 
Das kommet von der kelti sin 
Die striket die gelider in 
Nvd und hasse ist er vol 
Ohe er sich nit kan ziehen wol 



Selten mag er lachen 

Und liitzel schimpfe machen 

Sin geberde sint trurig ungenieii 

Und hett ein hertze vol g}'tigkeit 

Doch so muss ich loben in 

Uff kunste und wyssheit stot sin sin 

Er nympt der Ifiten deine acht 

Und sorget vil den tage und nacht 

Kunste und schätze verbirget er vil 

Niemans er sich bekumbem wil 

Dis mag er von nature han 

Doch mag er ymme wol widerstan 

Das er ein teyl mag fliehen 

Ein teyl mag ymme geziehen 

Also stot es in aller kur 

Die da kommet von natur 

Nach siner nature so höret dem zu 

FAchte spyse spat und frü 

Die ymme ouch ettwas wermy geh 

Das er gesunt deste lenger leb. 



Der Inhalt dieser Verse über die Komplexionen erscheint 
als eine freie Behandlung der beträchtlich kürzeren Charak- 
teristik, welche das saleniitanische Lehrgedicht folgender- 
ma.ssen ausdrückt: 



1. De sanguineo: Largus, amans, hilaris, ridens. rubeique coloris. 

Cantans. camosus, satis audax atque benignus. 

2. De colerico: Hirsutus. fallax, irascens. prodigus, audax, 

Astutus, gracilis, siccus. croceiqui coloris. 
De Üegniatico: Hie somnolentus. piger. et sputamine niultus. 

Est huic sensus hebes, pinguis Facies, color albus. 
De nielancolico: Invidus et tristis, cupidus, dextraeque tenacis, 

Non expers fraudis. timidus. lividique coloris. 



•>. 



1^'ie man nit yedernian sol alle zite nach der conplexion schetsen 

nnd das sich die conplex rerandert. 



»Svdt ich nun underscheidenlich 
Und kurtze han imderwvset dich 
Von vierlev ziten in dem vor 
Und wo man sich sei hfiten vor 



In vedem zite und ouch da )>v 
Was yede conplexe sy 
Und ir ouch zu gehöre 
Nach Ordnung der lere 



IlllttV 



Kroibrirg 



il ii-li 



Die geeUBtheit 

Aber hie 

[In »yest iiiHü alJ wyp 

-■^o äoltu ain geschybe 

t.'iiil kab« nieman da für 



t^lit. 



AU man in Ton amen sieht 

■Si<l eiua ning ftiidcis leben 

Ui'nii yiiime naturv hft gebi'ii 

l'iid atot itlaii in aller kur 

Die dn kommet vnn natiir 

Sil wirt der hKse dike gut 

L'nd gewinnet der gutr bösou mnt 

Sil sint oueh vil gubHrde 

Der nientscbe off der erde 

Im valsther byeggerje' 

\Va« yederniann deun sye 

Diis nmg wissen suiidtr ein 

Nieinaii denn gutt nilein 

Doch kannt'iit die wysen 

Hy der cnupli-xe pryfeu 

War 2U sfi (lieh ueyget 

t*nd lichte wii-d heweyget 

Dnvon rnn^ oncti ein wyaov iniiii 

.'Sifh dester baa« iii hüte han 



L'iid mag sich selber ziii^lieu 

Vom bQsen und das fiieheii 

Dar zu er geneiget i»t 

Dem eygen willeo mit geliriilil 

Der Htot ledig und fry 

Obe er böse oder gut sy 

AIsu wiese ouch an dbwr statt 

Des iiuniger ein coaplexe bntt 

Div gut und edelwert gelioni 

Aber er hett sfi verlorn 

Mit wüster fullerj-e 

Mit lybes truserye ' 

Und sust mit vil unordenhvit 

Das er ein bSse conplese treil 

Die in mit »iechtag machet mott 

Reibe tett selber hutt 

Wer ain selber iiit »ehonen kari 

Dur tunket mich ein tumber iniin 

Onch ao soltii wiasen hie 

Das die conplexe sich yo 

Dihe endert in der mygent 

Nach dem alter und der jugent 

Nach dem liilfte und nach der apyae 

Dai wissen t wol die artiot wise. 



Aus etwa dei-selben Zeit bewahrt das im Stadtarchiv he- 
tindliche Seelbiicli des Klosters St. Maria Magdalena eine hieriier 
{gehörige Nachrit-ht, indem unter dem (i. November 1507 der 
Eintrag sielt findet, dass „Meister Filibertus was unser 
arzut. der uns vil güts getoii lief. Von vermutlich dem- 
selben Meister ,Pln]ipertus' sagt uns das Häuserbuch der 
.Stadt Freiburg, dass er «m 14WI das Hans „zum Hom* (jetzt 
Kaiserstralie Jl und ein Teil des Bezirksamts) besessen bat. 
Wahrscheinlich war er kein eigentlicher Arzt, da in dieser 
Zeit der Meistertitel fiir solche schon nicht melu' gebräuchlich 
war; aber nur Ammhmen könnten hierüber gemacht werden, 
■la irgendwelche bestimmtere Nachrichten über diesen Manu 
bis jetzt nicht vorliegen. — 





' Mild, b 


egger 


e = Gl 


ißnerei. 


1'. 






• \V«1 la 


mlst. 


rosse. 


trossa 


e, franz. 


tr 


Vsi 


«iK-hdrn» 


en, tru 


osina, 


drüsem 


beiDiufenb 


H.x 


1- u. niederd. Wll 


, 373. 


P. 







i 



48 Haas — Gesundheitspflege iui mittelalterlichen Freibarg 

Das frühe Vorhandensein jüdischer Ärzte in Freiburg 
lässt sich aus dem Bestehen einer für jene Zeit gi'ößeren 
jüdischen Gemeinde mit einer „Schule", d. h. Synagoge, an und 
für sich schon vermuten; gab es doch eine Talmudvorsclirift, 
welche besagte, dass niemand eine Gemeinde bewohnen solle, 
in welcher (u. a.) ein Bad und ein Arzt fehle. In Überein- 
stimmung damit kann die Tatsache, dass, wie vielfach, .sc» 
auch hier in Freiburg bei der großen Pestepidemie des Jahi's 
1349 und in spätem ähnlichen Fällen die Juden in auffallender 
Weise von der Seuche verschont blieben, wol auf ein 
größeres, auf alter Übung beruhendes, medizinisches Ver- 
ständnis oder auf unmittelbare ärztliche Beratung zurück- 
geführt werden. In der Tat gibt Schreiber^ an, dass von 
Zeit zu Zeit in dringenden Fällen sich Juden als Ärzte ein- 
fanden, und dass jüdische Wanderäi'zte in Freiburg noch bis 
in das 16. Jahrhundert vorkamen: 1375 erhielt Meister 
Guot leben, der arzet aus Kolmar, auf zwei Jahre das Wohn- 
recht in der Stadt, wofür er für sich und zwei andere bei 
ihm 30 Gulden zu zahlen hatte *. Dass die jüdischen Ärzte 
aber auch außerhalb des Kreises ihrer Stammesgenossen 
vielfach tätig waren, davon unterrichtet uns das gegen sie 
gerichtete Verbot des Bischofs von Konstanz vom Jahre 1383» 
welches bestimmte, dass kein Christ die Hilfe eines solche».^ 
in Anspruch nehmen dürfe ^; und lange vorher hatte ja scho'Kn 
die medizinische P'akultät von Paris ein entsprechendes Stattzml 
erlassen, nämlich im Jahre 1220, welchem gleichsinnige B^^^ 
Schlüsse von Konzilien, so zu Toulouse 1225, B&iers 124 ^> 
Alhi 1255 u. a. gefolgt waren. 



' Jich reiber, Bürgerlebeii zu Froiburg im Mittelalter: im Adr»^- ^^' 
biu'b von IXMI». 

- Lew in. Juden in Freibmg S. *)t) und 34. 

'" Schreiber. (M'scbichte der Stadt Freiburg III, 40. 

( Fortsetzinig folgt.) 




1. Das Volkslied Tom Eisenbahnung^ltlcli. 

In der Zcitsclirift des Vereins iür Vi.lksUuiKle 11,S. 45Df, 
teilt M. Adler aus dem Liederheft eines Zu tzscli dorfer Müdcheos 
das Lied einer BKuerin ans Auerstedt mit, das den Selbstmord 
eines verführten jungen Bliidcliens behandelt. Das Mädchen 
stammte aus Bergsulza nnd Hell sich auf der Hahnstrecke von 
Kulza nach Küsen von einem Zug aherfahren, und zwar um das 
Jahr 1870 herum. Adler stellte fest, dass das Lied in dem Ge- 
biet zwischen Auerstedt, Suha, Kosen, Nauiuburg, Weillenfels 
und dem Geiseltal sowie Freiburg a. U. bekannt ist und nach der 
Melodie: „Seht ihr drei Rosse vor dem Wagen" gesungen wird. 
Dieses Lied ist auch weiter nach Sliden gedrungen 
£. Marriage iu ihren , Volksliedern aus der badischen Pfalz' 
zeichnet es in zwei Fassnngen aus Handschuhsheini a. d. Bergstr., 
jetzt Vorstadt von Heidelberg, und aus Kirchardt bei Mosbach 
anf. Das von Adler aufgezeichnete Lied war ihr unbekannt. 
Da es vielleicht nicht uninteressant, ist, die Wandlungen fest- 
zustellen, die das Lied durchgemacht hat, bringe ich es hier 



Abdruck, 



Der Zug von Hamburg. 



1. Ein MMddieu schOn imtl jung von Jiihrt'ii. 
Verfuhrt von einna Buraehf^n Hund. 
Allein Kie hat schon Ifingat «rfabren, 
Was Caisdie Lielie stiften kann. 

2. Vom Kltenibaus vratA sie verstoßen, 
Das war für sie ein harter Grau«, 
In ihrem Herzen wnr'ci geHuhlossen. 
Kie wiederzukehren ius EltcrahauB, 

H. Sie gin^ von Hamburg bis nncli Bremen, 
Sie fasste a lob den harten Plan. 
Bie wollt ibr Hanpt aufs Schienen legen 
tirad wo der Zug von Hamburg kam. 
i« N. F. 8, 1. 



60 Kable 

4. Die Schaffner hatten'« längst gesehen. 
Sie bremsten ein es mit Gewalt. 
Allein der Zug, er blieb nicht stehen, 
Ihr* Haupt rollt blutend in den Saud. 

.">. Blaue Äuglein, blonde Haaren, 

Die haben mich verrückt gemacht. 

Und wer's nicht glaubt, der soll's erfohren, 

Was falsche Liebe stiften kann. 

Handschuhsliei m. 
B. 

1. Ein Mädchen von den besten Jahren, 
Die solche Tat verübet hat, 
Die kaim und muss es jetzt erfahren, 
Was falsche Lieb für Folgen hat. 

2. Ihr Herz war gänzlich hingerissen 
Von eines Burschen Schmeichelei. 
Im Stillen tat sie Tränen gießen, 
Sie fühlte, dass sie Mutter sei. 

8. Vom Mutterherzen ganz verstoßen. 
Ging sie am Donnerstag mittag aus. 
In ihrem Herzen fest entschlossen, 
Nie wiedei-zukehren ins Elternhaus. 

4. Sie ging gerad nach der Stadt Gesen, 
Wo grad der Zug von Hamburg kam. 
Auf d' Schienen tut sie sich hinlegen. 
Dass ihre Schand ein Ende nahm. 

.'>. Die Schaffner haben dies gesehen, 
Sie bremsten mit Gewalt heran. 
Allein der Zug, der blieb nicht stehen, 
Ihr Haupt rollt blutend in den Sand. 

6. Die Kinder kommen von der Schule. 

Weil niemand sie erkennet hat. 

Begrub man sie ins Tal der Schönen. 

(lott lohnte ihre edle Tat. 

Kirchardt. 

Strophe 1 von A und B ist eine Kombination von Stropl^ ^ 
2 und 1 des Originals (0); Strophe 2 in B eine solche vcf ""^^ 
O 2 und B (den ganzen Tag rang sie die Hände [0] = im still(^^ ^^ 



tut sie Tränen gie(^en). A 2 B 8 sind gleich 4, B 8 h -^^ 
dabei die von Adler mitgeteilte Variante .,Donnerstag mitta 
festgehalten. 5 heißt : 



lois nach Eüseu 



Von Siilea 

Uad bei Schulpforta 

ßip tut ihr Haupt auf ScbivD 



Wi'i] eben der Zug i 



I Naumburg kniii 



Die erste Zeile lautet niicli: „Sie ging von Naumburg: aiis 
mich KOsen" oder „Und so giiiy sie tbit von Küsen (von 
jede«.)". 

Der ersten Zeile von A 3 Hegt nun offenbar die erste Va- 
riante :iu Onmde. Doch wurde aus dem in dieser Gegend »ol 
wenig bekannten Naumburg Hamburg, und damit ergab sich 
ilie Änderung von Kiisen, das wol auoli nipht bekannt ist, zu 
Bremen. In B 4 dagegen ist Küsen in der verstümmelten Form 
Gesen beibelialteu und nur Naumburg zu Hamburg geworden. 

.\ 4 B r» stimmen daun mit 6 tiberein. 

ü 7 fehlt in A, in B ti sind die Schüler von Sclmlpfort^, 
<lie die Leiche begraben, einfach zu Kindern geworden, die von 
der Schule kommen. Dass sie bei der Beerdigung tätig waren, 
wird nicht erztihlt. Aus der Zeile in O (die Schüler haben) 
,au3 älitleid sie so schön begraben" ist das sinnlose , begrub 
man sie ins Tal der Schiinen " geworden. Die Schlussstrophe 
von fehlt in beiden Fassungen, dafür ist in .\ eine Wonder- 
sfrophe. die von Frl. Mamage als Anfang eines Liebeslieds 
{Köhler und Meier No. 49, Erk-Böhme 11 519) und als letzte 
Strophe eines Farbenlieds des 18. Jahrhunderts nachgewiesen 
wird, hinzugefügt worden, die gar nicht in den Zusammenhang 
passt. Veranlassung waren die letzten beiden Zeilen: 

L'tHl wei'*s uicbt glaubt, ^Icr aall'B prfalireD. 
Wo» falsche Liobe stiften karju. 

die an die Zeilen der ersten Strophe 

Allchi sie bat Sülion längst erfahren, 
Was ftilache Lielw stEften kann 

anklaugen. Dos Lied kehrte so am Schluss scheinbar zu dem 
eingangs angeschlagenen Grundthema zurücli. 

2. Die Hordtat des Soldaten. 

Aus gleicher Quelle teilt sodann Adler in dei-selben Zeit- 
fichrift 11, 400 ein zweites Lied von der Mordtat eines Soldaten 
mit (A). John Meier wies alsdann (ebd. 12, S. 2'2HT.| nach, dass 




52^ 



Kahle 



dies Lied auch sonst noch bekannt sei: in den von C. Köhler 
und ihm herausgegebenen Volksliedern von der Mpsel und Saar 
No. 265 in gekürzter Form (K). Voretzsch hat es sodann mit 
17 Strophen in dem Liederbuch eines Musketiers des Inf.-Reg. 
Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (L Magdeb. No. 26) gefunden 
(vgl. Zeitschr. f. deutsche Phil, 30, S. 257 Anm. 1). Diese 
Fassung (V) hat er Meier mitgeteilt. Wie in K ist die Tat in 
Erfurt lokalisiert, die Mordtat geschieht in der Augustastrafie, 
die Verwarnung des Gefangenen in der Stadthauptwache und 
auf dem „Berg**, auch hier nennt der Mörder seine Geliebte 
wie in A Luise Hagemann, während er selbst jedoch in A 
„Karl Gottfried Möcke** heißt, nennt er sich in V n^&i'l Chri- 
stian Necke". Eine weitere Fassung aus Westpreußen, mit- 
geteilt von Alexander Treichel, bringt nun Meier a. a. O. zum 
Abdruck (T). Auch diese Fassung spielt in Erfurt, die Straße 
heißt Angerstraße, die Namen des Paars werden nicht ge- 
nannt. 

Auch zu diesem Volkslied stellen sich zwei neue Aufzeich- 
nungen; die eine bei E. Marriage No. 39 (M), aus Nüstenbach. 
Handschuhsheim, Kirchardt, die andere in der Odenwälder 
Spinnstube (0), herausg. von Krapp (Darmstadt 1904) No. 150 
aus Wallbach und Überau. 

Die erste (M) lautet: 



1. Ich liebte einst ein Mädchen 
Wie's jeder Bursche tut; 
Sie wollte michs verführen. 
Dazu hat ichs kein Mut. 

2. Ich ging zu ihr auf Urlaub 
Wol in ein (lastwirtshaus; 
Sie aber stellt sich spröde 
Und eilt zur Tür hinaus. 



•*>. Da zog ich mein* Revolver 
Und schoss ihr durch die Brust. 
Ein Wörtlein wollt sie sprechen. 
Dazu hätt ich kein' Lust. 

Vy. Ach Gott, wo ist mein Liebchen V 
Mein Liebchen, das ist tot! 
Ich habe sie erschossen, 
Ihr Blut floss rosenrot! 



3. Das hat mich sehr verdrossen, 7. Was trug sie auf dem Haupte? 
Ich fasste den Entschluss: Ein blondgelocktes Haar. 

Ihr Leben nuiss sie lassen, Sie ging an meiner Seite 

Das kostet nur ein' Schuss! Ein ganzes volles Jahr. 



4. Wir trafen uns zusammen 
Wol auf dem Zeughausplatz. 
Es schlug die zwölfte Stunde, 
Und sie wars leichenblass. 



S. 



Ich wurde arretieret 
Noch in derselben Nacht, 
Nach Rastatt abgeführet 
Und in Arrest gebracht. 



rWr filiig.' Volkalifcl 



5» 



9, Da wurde ich gebundcu 
All einen Eisenpfabl. 
Da sollte ich bekennen 
Diu schaiulerhuft üelat. 



. Kh werden Itonimandierct 
Zn'L-i Miiuu Hua nieinem Zug, 
L'iid kAiioi iu sechs Minuten 
1)h lag ich schein iiu Ulut. 

Oder: la Dazu hatt' icbs keine Lust. 2c Slellt sich blüde 
iinii ging zur Tür hinaus. 3 c Ihr Leben soll es kosten durch 
einen Kugelschuss (ein Revolverschuss). 4 b Kniserplatz, 6. Ich 
k&uft mir ein' Revolver. 7a Ich schnitt von ihrem Haupte. 
7c Und trug's auf meinem Buseu. Ha Darauf Avard koninian- 



1 Man legte mich in Ketten. 
L die schiLiiderhafte Qual. 



ilc Damit icli sollt' 



lU. l'nd als i(.'h SJi' |i;<'atHUili.'li 
Die schuuderhtirtc Tut. 
Hnt tniin inirh k-bciiBUugUeh 
Nach Wilhelmahfih gpbmcht. 
Die zweite Fassung (O) Inutet: 
. li:h Hebte einst ein Mädchen, 
Wie's jeder JDngling hit, 



e aber zn verführen, 
Dnzn hatt' ich kein' Mut. 

2. Ich schnitt v«ii ihrem l[nu|)tt 
Drei blond gell ick te Haar 

VaA trag niif meini'in Hiiaen aii 
Drei Tdlie -Tubi'. 

3. \eh wurd' T<m iiir genauen 
Zum Kampf fürs Vaterland. 
Sie achwur mir unter KOsseii 
Die 7ren in je<lem Stand. 

4. Ich kam zu ihr auf Urlanb 
Will in ein IJastwirtehaus. 
^ie aber stellt sich bljlde 
l'nd ging xur Tllr hinaus. 



Wir trafen n 

Wol auf dem WilhelniB|>liit;( 
Eb achlug die zwölfte l^tuude, 
Da lag aie leichenbluna. 
Ich wurde arretieret 
Nuch in derselben Nacht, 
Zur Hauptsstodt abgefubret. 
Dort wurd ich streng bewacht. 
Hie banden uüch mit Ketten 
An einen großen l'fuhl. 
Daaelbst sollt' irh bekennen 
Diu schauderhafte Tat. 
Als ich sie dann Ijetannte 
Die Hchauderhaftu Tat, 
Da wuid' ich lebenslftuglicU 
Nach Wartenborg gebracht. 



.■>, Das bat mich aehr verdrossen; 10. Drum bötet euch, ihr Madchen, 
Ich fasste dea Enlscliluss: Heiratet nicht so frllh. 

Ihr Leben sollt' sie lassen; Doh rnglQck kommt beizeiten, 

Es kost ja nnr ein :<chu3ci. Die Not auch viel zu frUb. 

H 1 und 1 Stimmen iiberein, nur dass in M 1 es das 
MKdchen ist, da.s den Burschen verführen will, wozu er keine 
Lust bezeigt, in I dagegen der Bursch von sich aussagt, 
dass er nicht den Mut gehabt, das Mädchen zu verführen. Jn 



54 Kahle 

M fehlt die Trennung, die in 2 ebenso wie in K durch den 
Kampf fürs Vaterland herbeigeführt wird, gänzlich, auch ist in- 
folgedessen von einem vorhergegangenen Treuschwur wie in 
B keine Rede; in beiden Fassungen, M 2 und O 4, kommt 
der Soldat auf Urlaub zu dem Mädchen, und zwar sind auch hier 
ebenso wie in K die Strophen 5 und 6 von A zu einer zusammen- 
gezogen. In Übereinstimmung mit K schneidet der Soldat in 
O 2 „das blondgelockte Haar* ab, und zwar vor der Trennung, 
und trägt es drei Jahr auf seinem Busen, wie er auch in der 
Fassung von Treichel (T) 2 sie drei Jahr geliebt hat. In 
M 7 dagegen wird nach dem Morde ihr „blondgelocktes 
Haar" nur erwähnt, wie ähnlich in A und V ihr ^ Lockenhaar*'. 
Auch hat ihre Liebe hier nur ein Jahr gewährt. In M 4 ist 
es der Zeughausplatz, in 6 ebenso wie in K der Wilhehus- 
platz, wo sie sich treffen. In M 4 wird ebenso wie in K das 
Mädchen beim Sclilagen der zwölften Stunde leichenblass, wäh- 
rend sie in 6 beim Schlagen schon leichenblass daliegt, und 
der Schuss selbst, der nach M 5 durch einen Revolver erfolgt» 
gar nicht erwähnt wird. In M 8 wird der Verbrecher nach 
Rastatt gebracht, in 7 nach der „Hauptstadt", was an die „Stadt- 
hauptwach" bei A 12 anklingt. Während er in T von zwei 
Leuten aus seinem Zuge erschossen wird, bringt man ihn, wie 
in K, zu lebenslänglicher Einschlielkmg. Während aber K 
nicht angibt, wo diese stattfindet, nennt Wartenburg. Und 
dies dürfte vielleicht, wenn man sich auch darüber wundern 
muss, dass es sich gerade im Odenwald gehalten hat, das ur- 
sprüngliche sein. Denn in Wartenburg in Ostpreußen, iu\ 
Kreise Altenstein, befindet sich eine Strafanst4\lt. Aus Warten- 
burg wäre dann auch das Kolberg von K und der Berg von V 
entstanden. Sowol in M wie in werden die Namen de 3 
Paars nicht angegeben. 

3. Der heimkehrende Soldat. 

Zu den Aufzeichnungen dieser weitverbreiteten Ballacrl.* 
(Belege s. Bolte, Zeitschr. d. Vereins f. Volksk. 12, S. 215 "tf- 
gesellt sich jetzt No. 184 der Odenwälder Spinnstube mit de*^" 
Anfang „Husaren aus dem Kriege, hurrah!", also ähnlich a^' ^ 
bei Bö ekel, Deutsche Volksl. aus Oberhessen No. 50 „Der Ä "■-' 
sar aus dem Kriege kam, hurrah'M Auch fehlt hier wie d*^"*" 
die Strophe von dem Briefe, der die falsche Nachricht v 



Lbei* einige Volksliedvariaiiteii 55 

Tode des ersten Manns brachte. Ferner fehlt in der Oden- 
wälder Aufzeichnung (aus Überau) jede Anspielung auf eine 
bestimmte Zeit oder bestimmte Gegend. 

4. Vor der Einstellnng. 

Das in der angeführten Zeitschrift 13, S. 312 mitgeteilte öster- 
reichische Rekrutenlied, aus nur zwei Strophen bestehend, ist in 
andern Fassungen wesentlich länger (s. die Nachweise daselbst). In 
Oberschefflenz (Bender, Oberschefflenzer Volkslieder, Karlsruhe 
1902) wird es in erheblich abweichender Form gesungen (B). 

97. Warum? 

1. Warum ist die Falschheit so gioli in der Welt, 
Dass alle jungen Burschen müssen ziehen ins Feld? 

2. Der Hauptmann steht draußen, schaut seine Leut an. 
Seid nur lustig, seid nur fröhlich! *8 kommt keiner davon. 

8. Was hilft mich dem Hauptmann sein Reden, sein Sagen I 
Meine Eltern, die haben mich auferzogen. 

4. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, mein Bruder, 
Meine ganze Freundschaft hat mein Schatzele veracht. 

h. Dene Leute zum Posse, dene Leute zum Trutz, 

Und da lieb ich mein Schatzele, wenn's glei net viel nutzt. 

f). Wenn's glei net viel nützt, — wenn's glei net viel bat't, 
So hab ich 's dene Leute zum Posse getan. 

Dazu die Anmerkung: „Wir sangen die drei ersten Verse 
in den 50er Jahren wahrscheinlich mit einer andern Schluss- 
strophe, als die vorstehenden drei letzten, die von der Jüngern 
Generation in den 80er Jahren gesungen wurden. Es sind 
offenbar laute Stumpeliedli.*' 

Dasselbe Lied mit gleichem Anfang findet sich in der 
Sammlung von E. Marriage (M) 140 und der Odenwälder Spinn- 
stube (0) 245. In beiden findet sich als zweite Strophe die 
von der Musterung, die bei B fehlt. 

M 2. Nach Heidelberg marschiere mir und lassen uns visedieren 
Ob wir taugen, ob wir taugen, ob wir taugen ins Feld. 

2. Zur Musterung marschieren wir, lassen uns dort visitieren, 
Ob wir taugen, ob wir taugen, ob wir taugen ins Feld. 

Die fünfte Strophe lautet in 0: 
Mein Bruder, meine Schwester, meine ganze Freundschaft, 
Die haben mich um mein schön SchUtzele gebracht 



56 Kalilt» — Über einige Volkslied Varianten. 

und iihnlicli in M: 

Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, mein Hruder. 

Meine grolJe Freundschaft, die hat mich um mein Schatz geliracht. 

Diese Strophe ist in dieser Fassung oli'enbar ganz sinnlos. 
Sie ist entstanden aus den gut passenden beiden Schlussstrophen, 
wie sie Mündel, Elsäss. Volkslieder 1G6 darbietet. Nachdem 
es zunächst heißt: 

Mein Vater, meine Mutter, die weinen so sehr. 

Weil wir müssen fortmarschieren, denn der Ahschi<*d ist schwer, 

folgt: 

Meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester, meinem Ihuder. 
Meiner ganzen Freundschaft sag ich allen eine gute Nacht. 

Mein Vater, meine Mutter, die weinen so sehr. 

Mein herztausig schön Schützlein, die weinet noch viel mehr. 

Daraus ist dann in B 4 geworden, dass die ganze Ver- 
wandtschaft den Schatz verachtet, und es sind die Strophen 5 
und G dazu gedichtet oder von irgendwoher Übernommen 
worden. M hat dann als Schlussstrophe: 

Meim' (ji roßherzog von Baden hin i gar nimmer gut. 
Weil er mich von meinem Schfttzele so weit eweg tut. 




Die Pflege der Volkskunde in Baden. 

Von Oüliiir HnlTiKT. 

Im Sommer l'JUA hat hlcli ein Verein für badlache Volks- 
kiimle aufs neue zu frischer Arbeit ztiBammengefiinden. Aus 
diesem Anlitss ist es wol um Platze, zu sehen, \vns in Baden 
bis .jetzt auf diesem Gebiete geleistet worden ist. 

Nachdem besonders im Anfange des 19. Jahrhunderts 
ilurch die Romantiker (man denke nur an „des Knaben Wunder- 
honi", (las auf badiscliem Boden, im sagenumwobenen Heidel- 
lierg, entstanden ist) der Sinn flir die Kunde vom Leben des 
Volks erweckt war, ist er nie eingeschlafen und die neu entstehende 
Oermanistik (man braucht nur an die Briider Grimm und 
TJhlnnd zu erinnern) hat nueli dos ihre zur Förderung bei- 
getragen '. Wol haben die politischen Verhältnisse unseres 
Vaterlands weit bis über die Mitte des verflossenen Jahr- 
hunderts die Interessen der geistigen Führer der Nation, und 
dies nicht am letzten in Baden, so in Anspruch genommen, 
dass fllr die Volkskunde nur wenig Raum Übrig blieb. Mit 
der Einigung unseres grolien deutschen Vaterlands wuchs auch 
die Liebe zur heimatlichen Erde. Der Deutsche war glücklich 
über die Zeiten des Kosmopolitismus und der seichten Auf- 
kliining hinaus. Man wandte sich wieder dem deutschen 
^Volksturae" — ein Name, den wir E. M. Arndt, dem Sänger 
der Befreiungskriege, verdanken — zu und nach und nach sah 
man immer mehr, dass in den Tiefen unseres Volks noch viele 
Schätze verborgen waren und dass es nur galt, sie zu heben. 
Zu dieser Arbeit trat ISWü eine Vereinigung für Volkskunde 
in Baden zusammen und auf Anregung der Preiburger Germa- 

auch il«-u Aufsatz vuii K. H. Mejer. .IlrtUi«iiL- Volks- 
I XXIII. 98—11^. nach RptbatUnilig im Biidihandd er- 
(.. (ieafihk-hte der \'olkBkande enthalt und die bis 
I.*!)-4 eriw'hienenen Arbeileii itir Volkskunde nü( badisdiPiii Oebietr kri- 
tisch beleuchtet. 




58 Haffner 

nisten F. Kluge, E. H. Meyer und P. Pfaff wurden an die 
Volksschullehrer und Pfarrer des Lands Fragebogen geschickt, 
um die alten Gebräuche, Sitten, Spiele und mundartlichen Aus- 
drücke vor dem Vergessenwerden zu retten. Man wandte sich 
trerade an diese Männer, weil sie die besten Kenner des ba- 
dischen Volkslebens sind, da sie mit unserer ländlichen Be- 
völkerung, aus der sie sehr oft selbst hervorgegangen sind, am 
nächsten in Berührung kommen. (Ein verkürzter Abdruck dieses 
Fragebogens folgt.) 

Von den etwa 1500 Schulorten hat gut ein Drittel geant- 
wortet. Das reiche Material, das dadurch zu Tage gefördert 
wurde, hat E. H. Meyer großenteils in seinem schätzbaren Buche 
^ Badisches Volksleben" verarbeitet. Wir möchten auch an dieser 
Stelle dies hervorragende Werk jedem, den die Sache irgendwie 
anzieht , aufs angelegentlichste empfehlen. Doch hat sieb 
Meyer hauptsächlich auf die Lebensverhältnisse, Sitten und Ge- 
bräuche beschränkt, und es ist aus den Beantwortungen noch 
mancher Schatz zu heben. 

Im folgenden wollen wir eine gedrängte Übersicht über 
die Beantwortung der Fragebogen geben, um zu zeigen, was 
durch diese Arbeit schon geleistet worden ist, aber auch, was 
noch geleistet werden kann und muss, wenn wir zu einer ge 
wissen Vollständigkeit der Erforschung des badischen Volks- 
lebens mit all seinen Höhen und Tiefen, all seinen Vorzügen 
und Mängeln kommen wollen. Das eine aber möchten wir 
gleich vorausbemerken, dass aus der Beantwortung der Fragen 
jetzt schon mit sicherer Klarheit zu erkennen ist, dass in 
unserem Volke noch viele Kräfte alter Poesie, alter Weisheit 
und alten Volkstums schlummern. Hier gerade gilt das Wort 
aus Goethes Faust: 

^Die (icisterwclt ist nicht verschlossen, 
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot! 
Auf, bade, Schüler, unverdrossen 
Die ird'sche Hrust im Morgenrot/ 

Bei der Durchsicht der Fragebogen fällt sofort die grolie 
Ungleichheit in der Beantwortung auf. Manche Lehrer haben 
sehr viele Mühe und Zeit daran verwandt, einige bis zu B(^ 
Quartseiten geschrieben und dadurch eine vollständige Volks- 
kunde ihres Orts gegeben. Solche ausführliche und vortrefi- 



Dil- l'fli.f!,- iler Vülksk«ui.k> in lii.d.-n 59 

liebe Seil ilderitn gen haben wir besonders aus der Seegegeud, 
aus den Kreisen Waldsliut, Freiburg, Offeiiburg und dem b»- 
dischen Hinterland. Von diesen groll angelegten Schilderungen 
abwilrts gibt es nun alle Abstufun^u bis herunter zum ein- 
fachen Qaartblatt, je nachdem es die geogiaplüsclie Lage des 
Orts, die individuelle Anlage des BeAntuorters, Zeit, eigenes 
Interesse, Aufmunterung von aullen, Vertrautheit mit dem Leben 
seines tlrts bedingten. Doch ist noch zii erwähnen, dnss 
manche Lehrer auf einigen wenigen Seiten sehr viel zu berich- 
ten wussten, 

Eines ist auf den ersten Blick klar, dass sich in den ent- 
legenen Dörfern der Seegegend, des hohen Schwarzwalds oder 
des Hinterlands die allen Sitten, Gebräuche und mundartliche 
Verschiedenheiten besser erhalten haben als In den groben 
iJörfern der breiten Rheinebene, wo die Freizügigkeit und die 
Nähe groHer Städte sehr iiusgleicliend wirken- Doch ist auch 
in diesen Orten noch viel Volkstum zu linden, und wenn 
aus ihnen so wenig berichtet ist, so liegt es darin, doss mau 
hier viel tiefer eindringen muss, um das Verborgene heben zu 
können. 

Der Hauptgrund, warum aus den einen Teilen Badens die 
Beantwortungen so reichbch Hieben, aus andern Teilen spärlich 
oder gar nicht, ist in der Anteilnahme der Kreisschul rate, durch 
die den Lehrern die Fragebogen zugest-ellt wurden, zu suchen. 
Je nachdem man hier die Sache in die Htind nahm, die Lehrer 
dafür zu gewinnen suchte und durch die Stellung einwirkte, 
Set das Resultat aus. So scheinen sich besonders die Kreis- 
srhulräte von Konstanz, Waldshut, Freiburg, Offenburg, Baden, 
Karlsruhe und Bruchsal um die Sache angenommen zu haben. 
Denn nur so und nicht anders ist es zu erklären, doss aus dem 
Uarkgräflerland von Lehreni so viel wie gar nichts berichtet 
ist. während die Freiburger Landschaft, die fast unter den 
Kleichen wirtschaftlichen Bedingungen lebt, ziemlich stark ver- 
treten ist, wenn auch nicht verkannt werden soll, dass hier 
liurcli persönliche Unterredung der Fragesteller mit den Lehrern 
Jer Sinn für Volkskunde geweckt worden ist. Dies ist auch 
in andern Gegenden geschehen, so z. B. in der Seegegend und 
I auf dem Hotzenwald. 

j Gehen wir auf die Besprechung der einzelneu Fragen ein, 

^Jgi^^t sehen, was bei Jeder Frage berichtet ist. 



Bei den Ürtsnanien hahen manche Beantworter.eine kMnn 
Geschicbte ihres Orts geliefert. 

Die Flurnamen bieten maiiclien intereeennten eiirach- 
geschichtlichen Stoff, Manelies altdeutsche Wort bat sich, wenn 
auch manchmal sehr umgestaltet, erhalten und wird oft nur 
durch Überlieferung der mundartlichen Form und der Erklärung;, 
die die Bewohner geben, deutbar. 

Was die Punlste 4 — 8 und 12 (s, unten S. 6) Letriffr, 
so geutigt es hier, auf das schon erwähnte voi'ti'efTIiciie Buch 
von E. H. Meyer hinzuweisen. Ein Vertiefen in dieses Werk 
zeigt, welche mannigfaltigen Sitten und 0-ebrSuche noch 
Torhanden sind. Auch sind diese Fragen fast von jedem 
Lehrer beantwortet. Bei den Sitten und Gebräuchen sieht man, 
wie von der Wiege bis aum Grabe das Leben der Landbevöl- 
kerung und auch das der Bewohner der Landstädte Erinneningeii 
und Aberglauben aus alter Vorzeit mit christliehen ZutJiten iiuj- 
geben, so bei der Geburt, in der -lugend, beim Liehesieben, bei 
der Hochzeit bia zum Sarge: in Haus und Hof. in Flur und Fehi. 

Wichtig für die Erkenntnis des innem Lebens unsere-s 
Volks sind die Punkte 9 — 11. Bei 9 sind uns manche alte 
Volkslieder Überliefert, die verschiedenen Kinderreime uuii 
-spiele zeigen, welch gesundes Volkstum sich hierdurch vuu 
Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt. Hier liesonders floss dir 
Überlieferung sehr reichlich und neben manchem Alltägliche» 
findet sich auch manche köstliche Perle. Auch Volkssehau- 
spiele, Sprichwörter, Hausinschrifteu, Schwanke und 
Schnurren sind aufgezeichnet, und es tritt oft hei letzteren 
ein frischer, herzerquickender, wenn auch manchmal etwas derber. 
Humor zu Tage. Dasselbe zeigt sich auch iu den OrU- 
neckereien und gerade diese Seite der Volkskunde einmal rii 
bearbeiten, ist eine lohnende Arbeit, 

Unter diese Rubrik gehören auch die Riltsel. Der ge- 
bildete Städter hat kaum eine Ahnung, welch eine Fülle von 
oftmals wirklich urwüchsigen Rütseln unter unserm Landvolk im 
Schwange sind. Sind doch von einigen Orten bis zu 40 solrlitr 
Rtitsel aufgezeichnet. 

Über MHrchen ist nicht viel berichtet", dagegen iMsen 



' DnsB jedoch mich sultlie iii Huden sind, zeigen die von V. l'f'f 
Mcichnctcn .MSrrhen niis Lobenfeld* in der Feetsclii'ift für Wfin- 



jiie rfli-^o <i(T v.iifeskiii 



I liucicii 



«1 



uns die Sa^eii in der verschiedensten Gestalt Blicke in den 
Aberglauben unseres Volks tun. Hier zeigt sich, wie rege die 
t^nbildungskraft unter unserer Landbevölkerunfr ist, und dass 
in mancher Sage und in manchem Aberglauben doch ein tiefer 
Kern steckt, der uns in das innere Gemiitsleben blicken lösst. 
Auch manche geschichtliche Tatsache wird nur durch ihr Fort- 
leben in der Sape vor der Vergessenheit bewahrt. 

Der letzte Abschnitt des Fragebogens ist den mundart- 
lichen Ausdrücken gewidmet. In diesen steckt unbewusst 
noch ein guter Teil unseres alten Wortschatzes, der uns mit 
der Zeit abbanden gekommen ist und aus dem unsere ab- 
gegriffene Schriftsprache immer wieder Erneuerung schöpfen 
kann. Viele Ausdrücke sind in dem oben erwähnten Buche 
verwendet. Doch erst vollstündige Durcharbeitung des Stoffs 
in Verbindung mit den Flur-, Familien- und Taufnamen kann 
hier den reichen Schatz zeigen, der uocli zu gewinnen ist. 
Auch die Erzählungen in der Mundart erweitern unsere Kennt- 
nisse sowol fiir das Gebiet der Mundartenforschung, als auch 
erschlielien sie inhaltlich einen Teil unseres Volkslebens. 

Außer den Volksschullehreru haben noch etwa zwanzig 
evangelische Geistliche aus ihren Gemeinden Beiträge zur Volks- 
kunde geliefert, so besonders aus den Amtsbezirken Lörrach 
und Emmendingen. Diese Arbeiten behandeln in erster Reihe 
das Verhältnis der ländlichen Bevölkerung zur Kirche und er- 
hellen diesen Teil des Volkslebens. 

Zuletiit sind noch einige Beiträge von andern Personen 
anzuführen, die, durch den Fragebogen angeregt, über ihren 
Heimatsort Aufzeichnungen machten. 

Um zuletzt kurz die Verteilung dei 
einzelnen Amtsbezirke zu berühren , so 
Säckingen und Ettlingen am besten 

aller Schulorte berichtet haben. Von da ab fällt die Prozent- 
Kahl bis auf die Amtsbezirke Donauesclungen , Mannheim, 
Schwetzingen und Weinheim, aus denen überhaupt keine Ant- 
worten eingelaufen sind. Die meisten Fragebogen kamen aus 
«ien Amtsbezirken Rastatt (34) und Freiburg (31). Bei 8 Amts- 
bezirken schwankt die Zahl zwischen 20—30, bei 13 zwischen 



Fragebogen auf die 
sind die Amtsbezirke 

jrtreten, da hier üO^/ö 



hold (StraUhnrg 189«) S. (ili— «3 und in der Alemannia SXIV, 17! 




-183 



1 



62 Haffner — Die Pflege der Volkskunde in Baden. 

10 — 20, 25 Amtsbezirke haben aus weniger als 10 Orten be- 
richtet. 

Erwähnt muss noch werden, dass ebenso Herr Direktor 
Dr. Schindler in Sasbach bei Achern, ein eifriger Freund der 
Volkskunde, der auch als Gründer dem neuen Vereine angehört, 
eigene Fragebogen, die sich besonders an die katholische Geist- 
lichkeit richten, hat ausgehen lassen. 

(Fortsetzung folgt.) 




Briefwech.sel zwischen Schubart und 
Lavater über den "Wundertäter Gassner. 

Mitpct^'ili von ranl Kprk. 

Lnvatei'. de^Hcu Sinn flli' ilnx WiiMileisiiiiiL- ja litkiiiiiil wm. iiiti-i- 
«ssierte sich natftrltcli lebhaft fDr die .Wunderheilungeii* He» Exorzisten 
Joh. .los. GslinBr (n;ph. 1727 m hraz in Vorarlberg, gest. 1779 711 
Pumlorf in der Obi^rpralzi. (ileicli nachiitMD l.avnter iiii Summer 1774 
von OallnerH Krniikeiihailuiig durch liebet, HniKliiiiriegung oder mich 
(Inrch Exorxiifiiius (Dainonerbeschwnnmg) Kunde erhalten, setzte er aieh 
mit Gallner zunächst brieflich über die Sache ins Benehmen. Den- 
gleicheo tag er anderwärts, ancli von Ärateo. so von dem kiirfttratlichcn 
hairischen Leibarzt Wolter. daHlber Erkundigungen ein, welche nicht 
ungünstig ausfielen. Auch an den l'rofesBor Seinler in Halle a. 8., 
i-ineii der entschiedensten l.Jegner aller Dümonologie. hatte I.«VBt»r sich 
gewandt tmd denselben xii einer näheren Unterauchung der Tatsachen 
aufgefordert. Semler verwarf anfangs die Tatfuichen selbst nicht, hielt 
sie aber damit für erklHrt. dass er sie entweder aus psyclinlngisi-hen Ur- 
sachen herleitete iider Betrug darin fnnd. Der Briefweehael zwischen 
beiden Mttunem itber diese seinerzeit viel Staub 11 11 f wirbelnde Angelegen- 
heit ist in der ll'Ü zu Halle ernchienenen .Sammlung van Briefen und 
AufsJltzen Hbcr die ilallnernchen . . . (ieisterbeschwOrungen, mit eigenen 
vielen AnmL-rknngen herauagegelten von .loh. Salumo Semler' nieder- 
gelegt. Rü konnte natQrlich nicht aUHbleiben, dass diese Angelegenheit 
nnd die Verteidiger derselben grölten Widerspruch und starke Angriffe 
erfuhren, und daaa insbesondere Lavater deswegen mit der Zeit nicht 
nnr verdllchtigt, sondern von verschiedenen Seiten, lo von dem oben- 
erwAbnten Semler. wlltend angegriffen wurde. Zu denen, welche in 
dieser Sache das Wort ergriffen nnd nrar gegen (tnlinvr. ziblte auch 
4iei Dichter Christian Kried. Dun. Schubait, in deuMn Nahe ja 
f Heilungen Tomahm, »u in den Jahren 1774/177,^ tu Wo\t- 
egg, Wangen i. A., im Nonnenkloster zu St. Klara von SOftlngen bei Ulm, 
in Tettnang, Meershurg. im Zintcrzienserstift Salmnawril, in Aulendurf, 
Ellwangen usw. Erstmals erhob Schubart orine Stimme gegen die 
'ioßnerei in seiner im Jahre 1774 gegründet«« .TenüKhcn C'hronik* am 




04 Beck 

12. Dezember, S. 589 (schon in Ulm gedruckt), wo er über (^aüiier 
Hchreibt: ,Der Pfarrer Gafiner zu Klösterle fährt fort, den dummen 
Schwabeni>öbel zu blenden. Er heilt Höcker, Kröpfe. Epilepsien — nicht 
durch Arzneien, sondern bloß durchs Auflegen seiner hohenpriesterlichen 
Hand. Kürzlich hat er ein herrliches Buch' herausgegeben, wie man 
dem Teufel widerstehen soll, wenn er in Häusern und Menschen rumort. 
Und da gibt's noch tausend Menschen um mich her, die an diese Narr- 
heiten glauben — heiliger Sokrates, erbarme dich meiner! Wann hören 
wir doch einmal aof, Schwabenstreiche zu machen?*^ Diese Stelle ver- 
anlasste Lavater, mit Schubart im Frühjahr 177.> einen Briefwechsel 
zu eröffnen und Schubart Vorstellungen wegen seines Vorgehens gegon 
den ,von ihm verspotteten redlichen Pfarrer Gaßner" zu machen, wor- 
über sich Schubart dann in einem Schreiben vom Sommer 1775 unter 
eingehender Darlegung des Sachverhalts und seines Standpunkts recht- 
fertigte, in einem weiteren Schreiben vom Ende des Jahrs 1775 kommt 
Schubart dann nochmals auf die Gaßnersche Angelegenheit zurück. 
Diesen seinen Standpunkt über die Sache hält Schubart auch noc-h in 
seinen posthumen , Gesinnungen und Leben usw.* (II, S.48 — 50 u. 94 — 97) fe.st. 
^ibt abc>r zu, dass all seine Überzeugung ihn doch noch nicht berechtigt 
habe, diesen Mann, nämlich Gaßner, mit unaufhörlichen Spöttereien zu 
necken und sich dadurch selbst Lavaters Missfallen zuzuziehen. Dass 
aber Schubarts Einmischung in Gaßner s Sache der zweite Stein, 
wie (»r schreibt, zu seinem Kerkergewölbe gewesen sei, ist sehr zu be- 
zweifeln und jedenfalls nicht nachgewiesen. Was Adolf Weißer, der 
die Sage von (>aßners Urheberschaft der Gefangennahme Schubart» 
am meisten ausgestaltet hat, in seinem Romane: „Schubarts Wanderjalm* 
oder Dichter und I^fafif** l!^55 in dieser Richtung schreibt: ,Der Pfati. 
mit dem der Dichter zu kämpfen hat, ist Gaßner. Dieser denunziert i.'i 
ihn bei Österreich (Ij und bewirkt seine Verhaftung", ist einfach -- 
Dichtung! Wenn doch einmal die wahre Ursache von Schubarts Ver- 
haftung über alle Zweifel klar gelegt wäre! 

Mit der Zeit, da (lußner aus Schwaben wegkam, ließ Schubarts 
Eifer in dieser Sache etwas nach. Lavater ließ sich durch Schubarts 
Vorstellungen in seinen Anschauungen über Gaßner nicht beirren und 
reiste schließlich mit seinem Freunde Pfenninger im Sommer ITTb 
selbst noch zu Gaßner nach Augsburg (siehe darüber die Schrift: «Zum 
Andenken über Herrn Johann Caspar Lavaters Aufenthalt in Augsburg' 
den 15. .hini 177S. Augsburg**). Fand nun Lavater sich hier auch einigtr- 

* Der Titel dieses im Jahre 1774 von Gaßner zu Kempten herauv 
;;egebtMien Hüchleins (40 S.) lautete: .Nützlicher Unterricht, wider d«^" 
'IV'ufel /.u streiten durch Doantwortung der Fragen: 1. Kann der TeiiW 
dem Leibe der Menscheu schaden? 2. Welchen am meisten? 3. Wie ij?* 
zu helfen?"* 



Brirfu-.'.'lj.Hu 



^■lifi 






!ul l,av.itpr 



65 



^ Peri^iilklikcit Liaßiiei'K i^DttOuai'ht unil gcwHiiu üaUnür 
anirli ncdtr Luvaters Vci-stnud nodi aciii Herz, ao zweifelte Luvatcr 
ilocli nii'.lit IUI den Tatsachon in ihrer goBclücliÜicIiGn Wirklichkeit, d. h. 
er zweifelte nicht, dass ({«ßiier wirklioh ziiweilen EiDfluss auf unreine 
i.ieisler gebnbt LaW, viuiTuI LaTaler aclbat keine von (.laßners Kuren 
an)i. DiT Sache Hulhst macht« (ialtner» verhältnismäßig früher Tod ein 
Kudc. Wir lassen nun die in der grüßen Lttraterscheu Briefsainnilung 
auf der Sladthilitiothek von Zürich noch vorliegeudeu Briefe zwischen 
beiden Männern flher diese AiigelefMiilieit iin Wortliinte folgen: 

.An Schuhart in Augsburg. 
Idi habe mir zwiir fest vorgentiinmen, ohne dringende (iründe 
keinen neuen Brierweclise] unxiifnngen : — aber ich weiß nicht, was 
niicli izt treibt, llmtin, mein Herr, ein paar Zeilen tu achreihen; — 
von Unaend Dingen nicht, ivnrflbcr Ihnen zu schreiben wbre ^ auch 
keine Danksagung fflr das uuverdientc. mich tief beaubftinende üult, 
da« die deutsche Chronik von mir sagt. — Und muvon daunV Von 
item von Ihnen versiiotteten. redlichen Pfarrer fiiiUner! 



Und ( 
a) Haben Sie il 
iWenn auch 



1 dies 



r dies : 
nirht UMverhilrtcr 
r der Zehntel iletl. 



■ — nud erdit'htct ist getri 
Beiige VerfaOer der prüfend) 
Setrug herablllgen ivili — wem 
^gen Menschen geheilt hat 
Haßner, vor der weisem Well, 
jrerden? — Lachen Sie nicht, 



'ige gerichtet? 

vas von ihm ci';tillilt wird, wahr 
i nicht alles, wie sehr der arm- 
n Anmerkungen die Redlichkeit zu 
L Saliner iiu Namen Jesu eineu ein- 
— wie sollte Ihnen vor .leau, vor 
vor Ihrem eigenen Herzen zu MiiÜie 
ich bitte Sic. 



POarf ichs Ihnen zutrauen, daß Sie > 
orisch zu unters iiciien — und i 
1 unrecht gethan, 5lfentlich zu sagen: 
ich nicht verstand.' 

Ich bitte Sie, zu thun, wubey Ihr Herz am ruhigsten iHt. und 
Sie nie gereuen wird. — Verzeihen ii^ie I 



1 redlich sejn — die Sache 

enn Sie finden, daß Sie dem 

,[cli habe gelästert, was 



za 



. April 17', 



-T. f. 



MDie Antwort Schubart-^ diLiauf laiit.'l: 

H .Ulm. dcLj 14. Mai 111h. 

Ein Schreiben von Lavater, den ich so innig verehre, war mir 
sehr unerwartet, mich iinerwiirteler alier deßen Inhalt — zum Hesten 
<iaßners. Von einem Theologen, der von der Kraft des (ilaubens und 
des OebetB noch heutzutage wunderthUtige Wirkungen erwartet, iat 
freilich zu verniuthen, daß er für alles WunderthHtige anflinglich 
Aufmerksamkeit und gutes Vorurthcil haben werde. Aber wie Lavater 
daa letztere iczt nocli (&i die Gaßner'sclien Gaukeleien haben kDnne, 
nanoia ü. F. H, l. 5 




i 



Ilfi'k 



das nfirde mir unerklSrhnr «eiu, wann ich tiicbt wOlIte, t 
zige falsche seßhafte Meiniiiif; den ScharTninn des glücklichsteD Kopfe'* 
Uberrnmpeln kßnne. L'ndwieV Der nehmliclie Maun, der seiDen Bmdi-t 
Hasenkamp' gegen den AberglaulieD vnn Sntans iTaeht und List sUrkt, 
nimmt die Galiner'scLen Teufeleien in Schutz. UnverhGrter Weise liubr 
ich den neuen Exorcisten nicht ^richtet, da steh diese nrunderbart 
tTeB<'liiclite (tleii:lisam an den Thoi-en meiner ^'aierstadt sutrug. so war'* 
mir sehr leic^bt Rrkundiguiigeu einzuziehen, die U'i Tnir su \ie\ als 
aagenach einliehe Ueberxeugung gaben. Ich anb in Nitrdlingen und 
Aalen ganze Wügen voll Krüppel. Lahme. Blinde, Fallattchtige. sali 
ihren Glauben an Jesum und ihr Vertrauen auf den Wundermanii 
GaBner; ich sprach mit ihnen und wilnachte von Herzen, dalt ihn^n 
geholfen werden möchte. Aber bülflos. luid durch die Qualen des Exut- 
cisten Oaßners nnch mehr entkräftet, uod mit Verschwendung gruUvt 
Eost«n kamen sie zurOck. Ich, mein Schwager, der .\i'chidiBki>DUs 
Bok in Nttrdlingen. der VerfaQer der Scfaulbibliothek, und mein akade- 
mischer Freund, dei' HE. Superintendent Lang in Troclitcllingeii, ein rnr- 
trefflicher Mann', hezeugen's Ihnen vor Gott tvot den Augen eines 
grollen und berühmten Manne» sprerh' ich gerne wie vor Gottj. Jatl 
wir unter den zahllosen Schaaren Prei^thafter uicht einen Einzigen 
Menschen sahen, dem geholfen wurde". Wann nun nur der Zehntel 
deßen, was von ihm erzühlt wird, wahr ist — und erdichtet ist gewÜi 
nicht Alles — : wann er nur einen einzigen Menschen, den er iiii 
Namen Jesu geheilt haben will, nicht geheilt hat; wenn nur eint^ ein- 
zige .Spiegelfechterei erwieaeit wird, die er getrieben hat: woiw er üc H 
jenigen, die ihm nicht glauben wollen, anfahrt und Ochsen und EspI 
schilt: wenn (ialluer den Namen Jean su freventlich zu »einen Wunder- 
komOdien, um tanzende, komplimentitende. iBcherliche, weinende (IkhUt 
ZU provoeiren, mißbraucht: — kann er ila der redliche Gaßner 
heißen? Mull nicht eine jedwede andere acheiubar probbaltigc 
Wunderkur, die er verrichtet haben machte, ebenso verdächtig und im- 
gOltig werden, als wie alle Wunder Chrlitti werden wUrdeo. wenn's nur 

' Lavater besuchte im Sommer 1774 auf seiner Reiae nach BkI 
Ems den Rektor Hasenkamp in Mohlbeim a. Rh., mit welchem erscWii 
vorher in Briefwechsel stand. 

» Georg Heinr. Lang war im .lahre I74U zu öttingen geb«ffli 
uud ein Freund von Schubarts Schwager, dem Rektor B{lkh in KsH- 
lingen (siehe Schubarts .Uesitmungen uaw.' II. S. 90—92 und GroJ- 
manns .Gel. Schwaben usw." S. 32(1—330). 

' Zu vgl. damit die von Schubart in seinen .Gealnnungen U9".' 
II. 8. 94 — 97 gegebene, fast ebenso drastische Schilderuog der Gaßnerei "' 
Ellwangen; schon im Dezember des Jahres 1774 soll die Zahl der b»'^^ 
Ellwangen Zustrflmenden nher 2"U(1 Personen betragen haben! 



Briefwffliscl /wisclifn ^-iliiibart Liiiii r.iivater (j7 

mit einem einzigen danioter auf Blendwerk, niitlli'liirlie Kur. und fehl- 
fteBclilagenen Versucli hinauagekufcn nrllreV Kurz. GitUner ist ein 
Maun I der den Namen Jesu freventlich entheiligt und seine Kirche 
wieder in de» Aberglauben verwickeln will, ans dem sie sich hie uud 
da ein wenig loszu winden nnfieng. Nieht Spott, nicht gchrifllirhen 
Tadel, öffentliche Ahndungen verdient ein solcher Frevler und Verführer 
des Volks. El' und seine Anhänger denken und handeln so wenig im 
l^inne Christi, dnll nie vielmehr wider mich, Sterstingern', Schell- 
horn' und Herni v, Si-haden die niedrigsten Schniahschrift.en und 
pü hei liaf testen Pasquille auastrudeln. 

Wann ii'h ein DUmniling oder BftBewieht wÄro. der lästert, was 
er weder untersucht hatte, noch veretiindtrn, so sind «las alle gewesen, 
die wider liaUner geschrieben haben. Und getrauen sie sich das zu 
beweisen? Die Vermuthung ist allemal gegen GafSner. denn seit Christi 
Zeiten haben keine zuverUtJige Wunder existirt und ceteria paribus ver- 
dienen Antiexorcisten al»o allemal mehr Glauben. Dem Verfaßer der 
prüfenden Anmerkungen haben Sie genilJ zu viel gethan. Weder seine 
Schrift noch sein Eopf ist armselig. Er ist ein Katholik, ein Sohn dea 
Wal lerstein-Oettingi sehen geheimen Ratlia v. Schade, der den in der 
Kirche, besonders in der seinigen herrschenden Aberglauben einsieht, 
ohne zur Freigeiaterei übergegangen zu sein — der ans Millers und 
I.eli'" Munde Religionaweiaheit geschöpft hat — und ein so guter feiner 



* Der im Jahr« 1721 zu Lichtwörtli Ixti Rattenberg im Unterinntale 
geborene, 178H in München geatorbene Theutinermönch Don Ferd. 
äterzinger, ein bekannter Schriftsteller gegen das Hexcnwesun usw., 
■nachte sich selbst nach Ellwangen uuf. um die VorgÜnge daselbst auf- 
fDerksani zu beobachten, uud gelangte fSr aicli zur Überzeugung, dass 
die GaUnerschen Exorzismen keine wahren, von der Kirche gutgeheiÜenen 
beachwnrungen und seine Kuren nur eingebildete seien. Er legte dieses 
Kesultst seiner Beobachtungen in dein Werklein nieder: .Die auf- 
gedeckten GaUnerischen Wunderkuren aus authentischen Urkunden be' 
teDcht«t und durch Augenzeugeu bewiesen'. 1TT3. Bald erschien davon 
eine 2. vermehrte Auflage unter dem Titel: ,Beurtheilung der Gallncr- 
achen Wunderkuren von einem Seelsorger und Eiferer für die katholische 
Religion." 

' Der zu Memmingen im Jahre 17it3 gebiirene Superintendent Job, 
Georg Schelhorn gab im Jahre 177ö In 8° heraus: .Von des Wunder- 
tbäter GaKners Unterricht wider den Teufel zu streiten. Auszug aus 
dem Briefe eines Schwaben an einen niedersftchsischen Gelehrten, dem 
scharfsinnigen und venlienst vollen Bestreiter des Aberglanbens Don Ferd. 
Slerzinger gewidmet. Frankfurt' (NUrdlingen). 

» Gottfried Lei), geb. 31. Jan. 1736 zn Conitz, 1761 ao. Prof. d. 
^^bpLam nkad. Gymu. zu Dnnzig. Mli'A iin der t'niv. Gttttingen. 1791 



68 J^eck 

Kopf, daß ihn Lavater selbst lieben, sich sein Bild kopiren würde, 
wenn er ihn kennte. Sie sehen also, bester würdiger Mann, daß ich 
in der Gaßner*schen Sache aus Ueberlegung gehandelt habe. Indeß 
dürfen Sie mir gewiß vor vielen andern den Math zutrauen, wann 
stärkere Ueberzeugungsgiünde die meinigen besiegen, öffentlich auf- 
zutreten und zu sagen, ich habe geläst<?rt, was ich nicht verstand. So 
lang ich aber überzeugt bin, so lang es selbst aus schriftlichen Zeug- 
nißeu erhellt (lesen Sie z. B. den Exorcismus mit der Oberhuberin' 
und die neueste Schrift Sterzingers gegen Gaßner), daß GaßntM* 
nicht einmal ein Schwärmer, dann dazu hat er das Genie nicht, son- 
dern ein unwißender, grober, augenscheinlicher Betrüger sei, der den 
Schwabenpöbel mit Taschenspielerkünsten ftflft; so werd' ich fortfahren, 
dem kleinen Kreise des Publikums, vor das ich schreibe, öffentlich und 
laut zu sagen, was ich denke. Thut man's doch in Frankfurt und 
Berlin auch. Gaßner ist iezt in Regensburg. Wollen sehen, was er 
dort macht, wenigstens sind dort mehr Leute, die diesem geistlichen 
C(»mus oder Phihidelphia auf die Finger sehen können. 

Unendlich theuer und schätzbar wird mir in Zukunft der Brief- 
wechsel mit einem Manne sein, der schon so oft in mein Herz hinein- 
schrieb, und dem ich schon so manche helle Stunde der Begeisterung 
zu danken habe. Ihre Briefe sollen auch mir werth sein, wann sie 
Verweisen ähnlich sehen, und wann ich mich nicht entsinnen kann, 
einen so andächtig derben Ton verdient zu haben. Mit der Hoch- 
achtung, die ich dem Verdienste schuldig hin. nenne ich mich 

Ew. HochElirwürdeu ganz gehorsamster 

M. Schubart. •* 

Eine Antwort auf diese Verteidigung scheint Schubart vou 
Lavatern nicht zu teil geworden zu sein; wenigstens liegt in der 
Lavater. scheu Briefsammluug der Züricher Stadtbibliothek eine solche 
nicht vor. Im Spätherbst 177"» reiste Schub arts Ulmer Freund, der 
bekannte Dichter Joh. Martin Miller (1 750—1814), der sogenannte 
„Sigwart-Miller* und ehemalige Hainbündler, in die Schweiz und nahm 
einen Brief Schubarts folgenden Inhalts für Lavater mit: 

,,Ulm, den 1. November 177."». 

Dieser Brief, den mein Freund Miller Euer HochElirwürden zu 
überreichen die Ehre hat, ist nicht Zudringlichkeit und unverschämte 



Konsistorialrat u. Hofprediger in Hannover, f 28. Aug. 1797. AUg. D. 
Biogr. XVIII. S. 444—446. 

' Unter dem Titel: ,. Anna Oberhuberin*' hatte Schubart vor, das ganze 
Gaßn ersehe Wesen zu schildern (siehe ^Gesinnungen usw.* IL S. 89/90). 
.stand a))er ans Rücksichten auf seinen Gönner, den Ellwanger Fürstpropst 
Graftn Ign. Ant. v. Fugger- Glött. wieder davon ab. 



Briffiveclisel ü 



liutiiir 



und Laval 



69 



Abnöthigung einer Antwort, suudern ein heiller, herziger tirali ist er, 
mit dem stillen Wunsche begleitet, noch in Ihrem Angedenken zu 
stthen. Da Sie vor die Welt arbeiten, so wär'a SAndc. wann einxelnu 
oti »ehr unbedeutende Henaclien Ihre Sorg und ihren Unterricht ver- 
langten. 

(•nüners Sache wird iext in Regensburg' auf Kaisei-|. Befehl 
scharf untersucht. Aber, ich wette, er wird der I7nterauchung erliegen. 
Stolie, CnwJBsende, Verläumder. (iewinnsüchtige, sollten die mitWunder- 
gahen von Gott ausgerastet werden können? ^- Sie und die wenigen 
Ihrex Gleichen mUbeii Wunder thun; eonst thut sie niemand. An mir 
hüben Sie schon ein sehr wolilthätiges Wunder gethan. Der lieist des 
Unglaubens, heutigen Tags sn weit herrschend, half mich mich er- 
grilfen, aber seitdem ich Sie lese, studiere, so find' ich die Religion 
Christus immer liebenswürdiger. Die räsunnirende Ksite der Mitde- 
theologen ist nicht vor mein Herz, Ihre Innigkeit, Ihre Wjtrroe. Ihren 
((eist, der dem todten Buchstaben Leben und Seele gibt, den lieb' ich, 
der nährt meinen Verstand und fUUt mein Merz. Tauaend Dank rIho, 
vortrefflicher Mann ! Ihre Physiognomik , dill non plus ultra des 
menschlichen Beobacbtungsgeistes, hab' ich überblickt, aber noch nicht 
durt'listudirt. Ich bin za arm. mir sie anKUschafTen und hier entsetzt 
man sieh Über den hohen Preis des Buchs. Ueberhaujit hat Jede gute 
Sache sehr wenig Unterst atiung von hier xu erwarten. Die Leute 
aefaen's ruhig an, wie die Ofientlicho GlHckseligkelt verfallt und sohreiteii 
gedankenlos Ober die Trümmer weg. Was liegt einem nicht Alles auf 
der Seele, wann man mit einem großen Manne spricht! Aber 



^ 



Mit ihre 

Winkt mir die strenge Bescheide 
Uli verbeuge mich und ersterbe 

Euer HocbElirwürden 

gehorsamster Diene 



iheit. 



Miller ist» vor tausenden wertl 
Er ist mein Freund und doch mOcbt' i 
Ehre hat, Lsvatern zu sehen 



von Ihnen gekannt tu werden 
ihn fast beneiden, dnfl er di 

d zu sprechen."' 



' Dort war seit 1769 {—lli*l) Bischof der von Schubart 1763 in 
einer Ode: ,Der gute Fürst" angesungene frühere Ellwanger FUt«tpropst 
Graf Antonignaz von Fugger-Gltltt, auf welchen scheints Schubart 



h 



Christian Gottfried Böckhs Altdeutsclies 

GlossaxiTim. 

Von F. G. (;• Schiiiidt, 

Aus Meusel, Lexikon der vom Jahre 1750 — 1800 ver- 
storbenen Teutschen Schriftsteller Bd. I (1802) S. 456 ff. ent- 
nehme ich folgendes über Christian Gottfried Böckhs Leben: 
„Konrektor zu Wertheim und zugleich Pfarrer zu Waidenhausen 
seit 1759, Rektor des Pädagogiums in der Reichsstadt Ess- 
lingen seit 1762, Diakonus an der Hauptkirche zu Nördlingen 
seit 1762, zuletzt erster oder Archidiakonus , geb. zu Näher- 
Memmingen bei Nördlingen am 8. April 1732, gest. am 
81. Januar 1792.'* 

Nach Meusel schrieb Böckh eine große Menge Werke 
und Abhandlungen, fast nur pädagogischen Inhalts, auch Pre- 
digten und Erbauungsschriften und gab mit F. D. Gräter in 
Schwäbisch Hall heraus: Bragur, Literar. Magazin der teutschen 
und nordischen Vorzeit I. u. II. Bd., Leipzig 1791 — 1792. Er 
lieforte für diese Zeitschrift einige Aufsätze über die Literatur 
bis zu Ende der Minnesingerzeit, über den AVindsbeken usw. 
Eine Biographie (mit Bildnis) von Gräter befindet sich im 
2. Bande der Bragur und eine weitere Lebensbeschreibung in 
Schlichtegrolls Nekrolog auf das Jahr 1792, Bd. I S. 252 
bis iM\HK 

Unter den von Meusel aufgezählten Schriften werden 
außer den Beiti-ägen zu Bragur germanistische oder lexikalische 
Arbeiten nicht erwähnt*. 

» |Vj?1. auch Allg. D. Biogr. 11. T<8. P.| 

- \\\\A aln^r oiithiolt ih*r bereits handschriftlich ausgearbeitete erste 
Kami soinor , Kritischen Bibliothek för ilie altdeutsche Literatur* ein 
.iilossariiuu i\Wv alle in «Ion vt»rher«ehemlen Stöcken vorkommenden 

W.Mtn*. Vul. HraAiur II, 4»»»». \\] 



ChiistiiiTi 



i.jttrri. 



1 H/kklis .AltikHitsilie^ 



71 



Nach Angabe des Bucliliändlera Jos. Baer (Frankfurt), von 
dem ich die Handsclirift erstanden, heiand sich das Glossarium 
in der Bibliothek des Germanisten \V. von Lexer. Die Hand- 
schrift zShlt 25 Blätter und enthält 31Ö Wörter. Das erste 
Blatt gibt ein „Verzeichniss der altteutschen Schriften, aus denen 
disz Wörter Register gesammelt worden und alles dessen, «as 
in meinen CoUectaneeu und Bibliothek über die alttentsche 
Litteratur vorkommt'. Die Zahl der Bücher, denen das Voca- 
bularium entnommen, betrügt 4'2. Bei der Angabe der Wörter, 
die teils erklärt, teils von Zitaten „aus altteutschen Schriften" 
begleitet sind, ist leider in vielen FKllen die Seitenzahl des 
betreffenden Buchs, dem die Ziiation entnommen, nicht er- 
wähnt, so dass ich nicht im stände war, die betreffenden Stellen 
nachzuschlagen, ganz abgesehen von dem Umstand, dass mir die 
meisten der im ^Verzeichniss" genannten Bücher überhaupt nicht 
zu Gebote standen. Im folgenden führe ich nur die Wörter 
an, die nicht in Grimms Wörterbuch enthalten sind oder wenig- 
stens von den dort erwShnten in ihrer Bedeutung abweichen. 
Da eine nähere Erklärung von gewissen Wörtern nur auf Grund 
des Zusammenhangs gegeben werden kann, sah ich von einer 
solchen ab uud gebe in nachstehenden Zeilen nur die Worter, 
die von besonderem Interesse schienen. 

„Aussaid, der I Reg. V. 13 sec. Hebr. Cod. I Reg. V, 
27 (?) Ein Tribut oder eine Auswahl von Leuten, die auf dem 
Libanon am Tempelbau arbeiten mussten, soviel als Frondienst." 

^Allerpast, am meisten. Für die Ältere Litteratur und 
Neuere LektUre, eine Quartalschrift von Meissner in Dresden. 
Leipzig 1783 in Breitkopfs Verlag. 8. 85. II. St." 

^Afifrkhippfri/p für Nachrede, Afterrede. Pitt." Keine Be- 
legstelle angegeben. 

„Anhaiiptcn, mit dem Haupt anrühren." Kein Beleg. 

„Azauti, Vorrat an Eisen." Keine Belegstelle. 

„berieslH — berusten. Von dem Berg des Schauwens, wie 
ein Slensch kommen mög zu volkomner liebe Gotes, nach der 
Hainung des christliehen leerers Johannes von Gerson, etwann 
Cantzters zu Pariss. Geprediget durch den hochgeleerten herrn, 
Herr Johannes Gayler von Kaysersperg, Doctor der hailigen 
Geschrift etc. 1488." 

^haden — verlassen. Ein altdeutsches Gedieht, die Schick- 
sale Kaiser Albrechts II. betreffend. Coli. m. VII. p. 49." 



lick- 1 

M 



.hadm 



(He Zaime Ejrnlen, für trinken. Tcutscli. Mus. 



III. St. 17H1, S. 265, vom Wein: Du maclist nianclien Han.i- 
werksniann, dass er in zerissnera Kleid muss galin, dass ilin 
sein Ziiiin mehr kosten zu baden; denn das Haupt, Hand', Füsa 
und Waden.' Vgl. Grimm 1072. 

^Tiuchlc — soviel als Pferchsdilag Lynckers dec. I. 98 Resp. 
est, dass von der Scliaeferey auf die Buchte oder den Pferclischlag 
nicht zu inferiren. Das Wort Buchte scheint Niederdeutsch 
zu seyn. Man nennet eine Bucht, oder Buchte, einen ein- 
gezäunten Ort, welcher zur Kinsperrung der Thiere dient. 
iSfAftpi umbucht ist ein solcher Ort, worein lUe Schweine, wenn 
sie in der Klast sind, des Nachts liegen müssen. A'iViVfrbucht 
ist eine kleine Einzäunung in den KühstKlIen, worein man die 
KSlher sperrt, damit sie nicht zwischen den KHhen herumlaufen 
u. dgl. Weil nun bey dem Pferchschlage, allemal durch Auf- 
schlagung der Hürden, eine solche Bucht gemacht wird, worein 
die Schaafe des Aijends getrieben werden, so scheinet dos Wort 
Buchte eben dasselbe zu sagen. Anh. zum 37. bis 52 Tl. der 
BrI. (?) Bibl. S. 824.-' 

,Tiliäe fUr frülich pltt." Vgl. mhd. blide froh, heiler. 

.Busslin, d. i. BUchslein. Minnesinger. Collect. Tom. VII 
p. 254." 

„BcftmUicli/.i'it, d. i. alles, was vorhanden ist. alles Exi- 
stierende. Tauler.' S. ?. Vgl. Grimm 1262, wo das Wort 
in etwas anderem Sinne vorkommt. 

^lili/llen, Steinschleudermaschinen. Das verdorbene Wort 
Balista. Eine treue Abbildung dieser Blyden findet man «uf 
der letzten Seite des 1. Teils Wilhelms des Heiligen von Oranjen- 
von Ulrich Turheim, herausgegeben durch Casparson. Kassel 
1797." Vgl. Grimm 99 unter Bleide für machina belli«; 
mild, bilde. 

„Couf'eiieiirc, wie das franziis. Couverture für eine Perrf'" 
decke (Ein altteutsches Gedicht von Kunrad von Wilmhurg; 
Collect, ni. VIT p. 58) Schabracke. Er reit ein RosB olin 
niasen stark, drauf lag eine Couferteure." Vgl. (irirom 16''** 
unter Covertiure. 

.fhtiucen. diesen Namen führte ehemals der Stamm. »" 
zwischen der Leine und Weser wohnte. Vortretlliche Boniff* 



' jNlroInis Allg. deutsche Hibliothib, l'.j 



ClirisliBii Gottfried lin.kl.s Altik.ulsrlies (ilossnriinii 73 

kuttgen über diese Benennung finden sich in SIÖBevs osiia- 
urückischer Gesciiichte I. Tl. 11. AbBcIin. g S, 111. Äbsclin. 
!; 17. ScIiwiniDiende Mohre nannte man in den ältesten Zeiten 
Kiiak oder Bebeland, die Bewohner solcher in Wasser scliwimiiien- 
<ler Länderkrusten Kuaken oder Kauchen. Cunclan hiess l>ey 
den Angelsaclisen toeiiiere und jetM auch to quake das n!tm- 
liehe. Daher Quaker. Die Griechen sprachen durchgeliends 
y.vr/QU die Lateiner bald Cliauciii, bald C'aiei. Es ist wahr- 
scheinlich, dass alle Völker, w eiche solche Holländer, oder Hol- 
saten waren, von den Galliern Friesen oder Fresen (Frigere, 
frieren, auf westphälisch fresen, soviel als zittern) und von den 
deutschen Völkern Kuacken genannt wurden. Die Sache selbst, 
dass nämlich Menschen auf einer schwimmenden Erdkruste 
wohnten, kam allen, die es sahen, gar zu seltsaui vor. Bey 
dieser Voraussezung war Tacitus gar nicht unrecht berichtet, 
wenn er sagte: Chaucorum geus incipit Frisiis et omnium 
quae ex posni gentium lateribus obtenditur donec in Cattos' 
usque etc. 

Denn diss hohle Land mochte sich, eh man es mit Dfimmen 
bevestigte sehr weit erstrecken. Spittlers Geschichte des Fiirsten- 
thiiins Hannover 1786, Göttingen. " 

„Ezseijriiussfn korat in verschiedenen Pol izey Ordnungen des 
lö"" Jahrhunderts vor: als Jedermann soll seine Ezzegroussen 
vergraben und bewahren, dass kein Schade dadurch geschehe. 
Was bedeutet dieser Ausdruck? und was sind Ezzegroussen, 
Oll«' Ezzegrouben? Journal von und fUr Deutschi. 17S5 XIL St. 
S. 525. Sollte nicht diss Wort ebensoviel seyn als Feueraste (?) 
oder demselben analogisch soviel bedeuten als die Grube, worinn 
man die Asche aufbewahrt, Escherloch?" 

^J'latdnisse komf. vielleicht her von Valand {? !) einer aKen 
Gespenster Historie. S. Schwäbisch Magazin 17SU VI. St. S. 34m 
oder von Flandern, Elender. Ibid." 

^Forstlich, nmthig." Keine Belegstelle. 

Jieiag statt lag. I. Reg. III, 17." 

.,geivlicheti, verkürzt für geruhlich. Regel der Brüderschaft 
der Jünger der ewigen Weisheit in der Q Hart als chrift für Ältere 
Litteratur und Neuere Lektüre 11. St. S. 85." 

, Grurücim oder Grätilcen für Haare des Knebelbarts bey den 
Thieren. Pitt." Keine Belegstelle. 
^^^ mGagglsnck ilfr HW/, Inbegriff der lächerlichsten Possen 



-c'limidt 



' und Eitelkeiten von gacheln, kinliern." Keine Belegstelle. Vgl. 
Grimm, gagel 1141 und 1142. 

^Gerenzc, Spalte." Vgl. mhd. gerenze, Einfassung, Gitter- 
werk. 

,Gäilulen, sanft werden, sich legen. So wag gelint wann 
die Welle glatt wird." Vgl. Grimm 3030, wo unter „gelinden-- 
auf „gelingen" hingewiesen wird. 

^IMifi, der. 11 25, d. i. liastig.' Vgl. Grimm 937, 974. 
finsselbe Wort mit der Bedeutung mtide, aufsätzig, laut. 
I ^Hinfprsvuien, hinterrücks verlBuraden, heimlich die Ehre 

I abschneiden. Der liiite red ist nmnnigvalt, Die hinter.snidel 
yung und alt." Keine Belegstelle. Vgl. mhd. hindersntrten, ver- 
leumden. 

^Hrigeprtmk (ein), was jetzt Petit-niaitre. Sagen der Vor- 
zeit von Veit Weber (cand. WUchter in Hamburg), Frankfurt 
und Leipzig 1792, S. ?- 

^Heackvn (ein). Ein weiter, langer Mantel. Ibidem S. ?" 

„Jungfrii otier .hmgfrusup (('). Jungfrautrunk, ein Spitz- 
gluss, das ^jnt Kannengen hält. Für die altere Litteratur und 
Neuere Lektüre eine Quartalschrift von Meissner in Dresden. 
Leipzig 1783 in Breitkopfs Verlag. 2. St. S. 123." 

„■Jeitaii, Genua. Eschenburgs fünfter Beitrag zur alten 
deutschen Literatur. S. Teutsch. Mus. 1783, IX'" St. S. 233 ff, 
aus einem alten Meistergesang aus dem 15. Jahrhundert. In den 
Siteren deutschen Büchern wird diese Stadt gewöhnlich Jenua 
geschrieben," 

„Isfckai soviel als Wesen," Vgl. Grimm unter Istigkeit, 

^hufeistuiig, Eingebung-" Keine Belegstelle. 

riKundungstag. Das Fest der Verkündigung MariS. Sagen 
der Vorzeit von Veit Weber (cand. Wächter in Hamburg), III. Bd. 
Tugendespiegel, Frankfurt und Leipzig 1792, S. 23." 

^Lchie für allein; wie doch er was unter jn ein Mutter- 
leine, d. i. weil er doch unter ihnen mutterseelenallein, ohne 
Beistand und Hülfe war. Eschenburgs fünfter Beitrag zur alten 
deutschen Litteratur. S. Teutsch. Mus. 1783, S. 233 flf." 

„LiebmiitigkeU, d. h. der Hang gute oder Liebeswerke bu 
Üben, Ein feines Wort von Tauler. S. ?" 

„Melilkl', öftere Endung der Beywörter, die eine Eigen- 
schaft oder Beschaffenheit andeuten, als: hungermehlig für 



(-■Iiri^ 



JolUVicil BiVklw AltdpiitMühKs Cloawirii 



hungrig, wandelmeblich für wandelbar. Ein altteutaches Gedicht 
von Kunrad von Würzlmrg. Collect, m. VII p. 58." 

r,Mj/naip/lug , der 51inne ^Pflege. Man weis, dass dieser 
Ausdruck die Ijeisttmg elidicher Pflicht bedeutet. Esclienburgs 
fünfter Beitrag etc." 

,MeicJisner quid?" Keine Belegstelle. 

,Neeen<ptmer , Gauraennezer, oder Wein. Teutsch. SIus. 
III. St. 1781. Weinlied: Nun grilss dich Gott, du lieber Nezen- 
gumer." 

.Nindichkeit , Habsucht. *■ Keine Belegstelle. 

, Ofgozzo kommt in K. Arnolphs BestSttigungs Brief von 898 
vor; s. ächöpperlins Programm': Absa cum otgozzo. In der 
teutschen Übersetzung des Briefs wird's gegeben: mit iurer 
Zugiher unii fäifn (?), wo mit Hr. Schöpperlin bis zur nähern 
Aufklärung des Worts otgozzo, welches er in keinem Glossario 
gefunden, einsweilen einstimt, und es durch herrschaftliche Güter 
übersetzt. Meine Conjekturen über Otgozzo sind diese: Od, ot 
heißt substantia, possessio. — Oozzo soviel als Gosse, Cannlis, 
ubi aqua confluit — folglich odgozzo mit dem Beaiz des Weihers, 
der an der Hube liegt. Eine Carta traditionis von Eccho Mo- 
nacho beym Goldast Anmerkung zum (?) hat: Unara c«rt«m sepe 
circumdatam cum aedificiis, mancipits, iumentia, pecudibus, agris, 
pratis, silvis, aquis, aquarumque decursibus, nee non cuncta suo 
inri pertinentia. — Oder sollte nicht gozzo soviel als ganz 
heiUen, Odgozzo den ganzen Besitz, vielleicht eben das, was in 
jener carta deditionis cnncta stio iuri pertinentia lieisst?" 

„Oken für vermehren. Pitt." Keine Belegstelle, Vgl. Got. 
aukon. 

^Pech. Du machst meine Glieder Peck, Teutsch. Mus. 
III. St. 1781, S. 265 vom Wein." 

^RntU. (Eschenburgs fünfter Beytrag p. 233 ff.) So lassen 
wir yngeluck haben seinen Rant. Rant scheint hier für Ran zu 
stehen, welches Raub, Beute hieli. S. Wächters Qlossar. — 
Beym Notker heisst ranen wüten, toben." Vgl. Grimm S7 
Rand = Lauf, Bewegung, Wendung. 



' (Über Kaiser Anuili.heiiB Bestätigimgsbrief vuiu J. »98. Nördl. 

1766. — Die Urknntle int abg<.<lriirkt in Mun. Boica XXVIII, 117. Ah»a 

^^•Otgox ainil PerRniipiutiiiui'u. P.] 



76 Schmidt — Christian Gottfried Böckhs Altdeutsches Glossarium 

^Sprengen statt mit etwas werfen. IL Sam. XVI, 1»S 
sprengete mit Erdenklössen." 

^Sinette fiir Befleckung; pltt. Schmutzflecken.*" Keine Beleg- 
stelle. 

„Soff'ei/, die alte Benennung von Savoyen. In einem Canzley- 
büchlein von 1517 findet sich Sephey und beym Schedler und 
Münster wird es Sophoy geschrieben. Eschenburgs fünfter Bey- 
trag zur alten deutschen Litteratur S. 233 fl'." 

^Schornnechüg, ungleich, höckerig, welches zu Schar, Schere, 
spizig, hervorragend zu gehören scheint." Keine Belegstelle. 
Vgl. mhd. schor und schorn. 

^Stricghoide, Teufel in Weibergestalt, Hexen. Ihr Zorn 
entbrannte, wenn sie über einen Kreuzweg zogen, und sie waren 
dann am begierigsten Schaden zu thun. Sagen der Vorzeit von 
Veit Weber S. 134." 

r^TrcagCy Jes. IX, 6 (?) trocken, ausgedorrt.** 

^Leberdriss, d. i. ,Verdruss, oder dessen man überdrüssig 
ist* in dem Lied: Ermuntre dich mein schwacher Geist." 

^Ungf'schaffenheity alles was nicht geschaffen ist. Tauler. "? 

„ UnversuchlichlceUy der Zustand, wo wir noch in Kämpfen 
und Erfahrungen zu prüfen sind. Unversuchtheit. Tauler. "? 

^Vergai'\xv verjähte, d. i. sagte, Eschenburgs fünfter Bey- 
trag etc. S. 233 ff." 

^ M^mM, pltt. soviel als Wandel mit ausgestossenem n. 
Mondwadel = Monds Veränderung." Vgl. mhd. wadel. 

„ Wöldr, Wollust." ? Keine Belegstelle. 

., WösrVy Spitze an Kornähren. Cf. meine Anmerkung zu 
Henricus in Bragur IIL"? 

^Zobeln, erzobeln, aushöhnen von zabeln, scherzen beym 
Chanzier in Manessis Minnesingern 2. Tl. S. 246." 

„Zunsa. Todesco mangiaZunsa: Teut scher friss Schwarte; 
ein lombardisches Wort und Spott gegen Deutsche. ** 



Anzeigen und Nachrichten, 
Badischer Verein für Volkskunde 

oonnt sich die neue Wmniymig , die am 24. Juli 1(104 in 
Baden-Boden zum Zweck der Sammiung, Bearbeitwn^ und 
Ei'haltnng der Vulksüberüefeningeu im (irotiherzogtuin Baden 
zusammengetreten ist. Sie knüpft an die im Jahre 1893 in 
Freihurg gebildete Vereinigung an, die bereits, höchst dankens- 
wert nnterstütüt vom GrolSherzoglichen Ministerium der Justiz, 
des Kuttuü und Unterrichts, eine grolie Stotffülle gesammelt 
und zum Teil beai-beitet hat. In Heidelberg war bereits zu 
Anfang des .Talirs 1904 nach Besprechungen zwischen Prof. 
Kahle -Heidelberg und I*rof. I'faff-Freiburg ein Zweigverein 
gegründet worden. Am lU. Dezember 1904 erfolgte dann die 
durch besondere Ungunst der Verhältnisse so lange hinaus- 
geschobene Gründung des Freiburger Zweigvereina , dessen 
Vorsitz Prof. Pfaff übernahm. Der Gesaiiitvorein zählt be- 
reits weit über 100 Mitglieder, unter welchen die Hoch- 
schulen Freiburg und Heidelberg besonders stark vertreten 
sind. Den Vorsitz fih- die Jahre 1904 und 19Uö führt der 
Heidelberger Verein, an dessen Spitze Prof. Kahle steht. 
Die Vereinssatzung Hegt bereits gedruckt vor. Für den bil- 
ligen Beitrag von mindestens 1.10 Mark jährlich erhalten die 
Mitglieder neben dem Korrespondenzblatt des Verbands der 
deutschen Vereine für Volkskunde die besondem Blätter des 
Badisehen Vereins. Auch dem neuen Verein hat das Groß- 
herzogliche Ministerium freigebige Unterstützung zugesagt. So 
ist denn ein neuer Aufschwung der volkskundlichen For- 
schungen im Badischen Lande zu erwarten. Möge das vater- 
ländische Beginnen der neuen Vereinigung überall den verdienten 
jVnklang finden! Fridrich Pfaff, 

Unirrn^^en snr Vcilksknode. 
I. Wu ünden aith Rej8[gliaufe]i oder Stei nanliäufungeu, von 
HS sie Ober Aer Iieiche eines Erachlagenen oder 



L 



78 Anzeigen und Nachrichten 

irgendwie Verunglückten errichtet sind? Hat der Vorübergehende die 
Pflicht, einen Zweig, einen Stein oder sonst irgend etwas hinzuzufügen? 
Führen diese Häufungen einen besondern Namen? 

2. Wo werden noch Früh jahrsf euer (am Sonntag nach Fastnacht. 
Lätare, Ostern usw.) angezündet? Wo Johannisfeuer? Werden dabei 
Scheiben geschleudert oder Räder gewälzt? Wie ist der ganze Hergang? 

3. Wo findet noch eine Versteigerung der Mädchen statt und 
wann? Für wie lange gilt das Verhältnis? Wo werden noch Maibäume 
gesetzt? Geschieht dies für einzelne Mädchen oder wird ein Baum für 
das ganze Dorf gesetzt? 

4. Wo finden noch besondere Tänze statt und wann? Beschreibung 
des Hergangs. Werden Tanzlieder gesungen und welche? Beifügung der 
Melodie. 

5. Ist irgendwo der Brauch bekannt, dass der Braut eine Puppe 
ins Bett gelegt wird oder dass ein Puppenwagen mit einer Puppe in 
die Brautkammer gestellt wird? Oder wird der Braut während der Hoch- 
zeit ein Kind in den Schoß gesetzt? 

6. Ist irgendwo die Sitte bekannt, dass das Brautpaar beim Zug aus 
der Kirche, oder beim Hochzeitsmahl, oder wenn es sich in seine Woh- 
nung begibt, mit Getreidekömern, Erbsen u. a. bestreut wird? 

7. Wo wird dem Bräutigam, wenn er kommt, die Braut zur Kirche 
zu holen, zunächst eine „falsche Brauf* zugeführt? Wo wird di( 
Braut nach der Trauung, etwa während des Hochzeitsmahls, gestohlen? 

8. Wo werden der Leiche irgendwelche Beigaben in den Sarj 
gelegt? Welcher Ai-t sind diese? Bestehen zwischen den Beigaben und 
dem Verstorbenen irgendwelche Beziehungen , etwa der Art , dass deiir^ 
Kind eine Puppe oder sonst ein Spielzeug beigegeben wird, der Frau eiin -^n 
Gerät der weiblichen, dem Mann ein solches der männlichen Arbeit =r*' '- 
Kommt der Charakter des Verstorbenen dabei irgendwie in Betracht, su^ -*<> 
dass etwa dem starken Raucher eine Tabakspfeife, dem Trinker ein«» -•^ 
Flasche mitgegeben wird? 

9. Wo kennt man noch sogenannte pErdspiegel"*, durch die man Ver — ::^^' 
borgenes erkunden kann? Werden sie noch benutzt? Wie ist ihr Aussehen'' - 

10. Wo ist es noch Sitte, Kranke, insbesondere Kinder durch eine^ ^" 
natürlich gespaltenen oder erst zu dem Zweck gespaltenen Bauiicr -^^ 
hindurchzuziehen? Müssen gewisse Formalitäten dabei beobachte-?^^^ 
werden? Muss der Kranke z. B. nackend sein? Werden Formeln dabc^i^^^^^^' 
gesprochen? 

Antworten werden erbeten an Prof. B. Kahle. Heidelberg, Brücken 
Straße IG. 

Umfrage« 

Einen besonders anziehenden Abschnitt der Volksüberlieferungei 
bilden die Orts necke reien, die mehr oder weniger witzigen und treffei 
den Spott reden , die eine Ortschaft der andern nachsagt. Sie bestehei 








tui Na.liiirlit.-n 



79 



atuj einfachen SpottDaitieii . teils uliei' Hiicii aus gereimten 
Sprflclieu. Oft auch sind die Spottnainen aimtlicher umliegenden Ort- 
schaften in einem Dorfe zu einem langem Dorfaprueh. mich wol 
»Ortslitanei' genannt, zusammengefftsst. Als Beispiel sei liier mit- 
geteilt der 

Dorfs|iiuHi von Öchiveigmalt (im Wieaetital. 
Schöpfe iBch e riebe Stadt, 
2 y ah mau iach der Bettelaacli. 
t Huse isch der Lilrechulwl, 
I Raitbach iach der Deckel drüber. 
der Sattelhof stobt au oUeJ, 
I Chflrnberg iach der PMumcstei. 
z Hasel isch e tiefea Loch: 
wer dri chunt der isch e Tropf; 
UlaahQtte iscb e Glase rschcrbe: 
H-er dri chunt der muees verderbe. 
Im Oheregrabe »tobt en Mh, 
er chert de Cheregrabe na. 
Üfem Steinig isch e wilte Mur. 
ufein Schlechbach iach e riche Bur. 
nfem Bluemberg isch der Herretisch, 
uf der Schweigmatt fresse se Vogel un Fiseh. 

In den Benntwnrtungen der Fra);eboKeu von Kluge , Meyer und 
Pfnff in Frcilnirg finden eich folgende Dorfaprüche: Amt Messkirch, 
Rast: Amt Stockacli. Oraingen, Reuthe. Stockach; Amt Bonndorf, Ewat- 
tingeu , Schwaniugen , Stflhlingcn , Weltendtngen , Wittlekofen: Amt 
Sfickiogeu, AJtenachwand, D&nner, Huttingen, Herrischried, Laufenburg, 
Murg, Niedergebisbach , Niederhof, Öflingen, Rickenbach. Rütte; Amt 
St. Blaslen. UOebensuhwand, Wilfiugen; Amt Waldshut, Degernuu. Hoch- 
sal, Rotüingen, Unterlauchringen ; Amt Neustadt, Schildwende; Amt Br«i- 
sach. Leiselheim, Oberbergen: Amt Emmendingen, Endingen; Amt Frei- 
burg, Burg; Amt Bohl, Leiberstung; Amt Rastatt, l'orbaob. Obertsrot; 
Amt Bretten, Kttmbacb; Amt Bruchsal, Mingolsheim, Neuenbürg; Amt 
Ettlingen, Schluttenbacb. — Immerhin ist dies bereits ein ausehnliciier 
Stoff. Es lassen sich in der Tat ilaraua schon die gemeinsamen ZDge 
ableiten und Schlflsse auf die ganze Art dieser eigen tllmlichen Erzeugnisse 
des VolkswitKCS ziehen. Jeducb sind manche Landschaften Badens noch 
gar nicht vertreten. So ergebt denn an alle Freunde der Volkskunde in 
Baden die freundliche Bitte um Aufzeichnung und Einsendung solcher 
DorfsprUche, die hier veräfTenllicht ivenlen kfimien, an den Unterzeichneten. 

freiburg im Breisgaii. 

Prof. Dr. F. Pfaff. 




^Ö Anzeigen und Nachrichten 

Johann Michael Moscherosch, 

der unermüdliche Vorkämpfer deutsches Wesens und deutscher Eigenart 
gegen alle die fremdländischen Einflüsse in Sprache, Tracht und Sitten 
seiner Zeit soll durch ein Denkmal in seinem Heimatort Will statt bei Kehl 
nach Verdienst geehrt werden. Bereits sind durch Schenkungen der Familie 
König und des Sparvereins in Willstätt, durch Einnahmen aus Vorträgen 
über ^Moscheroscli und andere freie Beiträge (500 M. gesammelt. Weitere 
Beiträge werden erbeten an Mtthlenbesitzer G. König in Willstätt bei 
Kehl. 

Sprachgesehichtliche ^infrage. 

Es wird versucht festzustellen, wo und in welcher Bedeutung der 
Ausdruck Terra sigillata zuerst in der Literatur auftritt. Der 
klassischen Zeit scheint er nicht anzugehören. Alle Bemühungen, aiuh 
durch Spätlatinisten, waren erfolglos. (Aef. Mitt., Anreg. bitte an Paul 
Üi er gart, Berlin W. 35, Potsdamerstraße 85. 

0. Mei^inger^ Die Appellativnamen in den hochdeutschen 
Mundarten. 1. Die männlichen Appellativnamen. Beilage znm 
Progr. 714 d. Oynm. in Lörrach. 19U4. 27 S. 4«. 

i)>^ Eigennamen, die zu Gattungsnamen geworden sind, werden hier 
untersucht und mitgeteilt: eine dankenswerte und anziehende Arbeit. Mit 
Recht macht der Verfasser sich Schmellers Wort, dass Sammlungen dieser 
Ai-t nienuils als abgeschlossen zu betrachten seien, zu eigen. D'^' 
^Literaturaugabe" S. 5 zeigt, dass M. sich in der wissenschaftlichen 
Literatur tüchtig umgesehen hat: viel wäre aber noch aus der mundart- 
lichen Dichtung zu schöpfen gewesen. Auch würde ich raten, die Legende 
und die Volkskunde der Heiligen mehr heranzuziehen, da sie nicht selten 
zur Erklärung der sinnwörtlichen Bedeutung eines alten Eigennamens 
dienen kann, t ber Staches — das in meiner rheinfränkischen Heimat 
nur einen langen Menschen bedeutet — und Schlaume finden sich einige 
Bemerkungen in meiner Besprechung von Lenz, Handschuhsheimer Dialekt, 
in den Beiträgen zur Gesch. d. D. Spr. XV, 1>^9, 192. Zu Markolf S.19: 
Auch in der Pfalz heißt der Eichelhäher Margruf, wie aus Autenrieth z" 
ersehen ist. Zu Matz S. 19: Hemden-, Hosenmatz ist in Darmstadt g^* 
läufig für kleine Jungen mit den ersten Hosen und namentlich heraus- 
hängendem Hemdchen. Zu Lips S. 24 : Ich wundere mich, dass M. ^^^ 
„Hölzerlips", einen berühmten Räuber der Neckargegenden, nicht erwähnt. 
Auch der von ihm genannte Lips Tullian war ein Räuber. Ich will mic" 
jedoch nicht weiter auf Nachträge einlassen, vielmehr hoffen, dass der 
Verfasser selbst nach Schmellers Rat weitersammeln und später neben 
der Fortsetzung über die weiblichen Appellativnameu auch eine aus- 
gedehntere Bearbeitung des ersten Teils vorlegen möge. 

Freiburg i. B. Fridrich Pfaff- 




^, 



Auswanderer aus den Ämtern Emmen- 
.gen und Karlsruhe in der südiuigarisclien 
G-emeinde Franzfeld. 



I Wilhelm <>roua. 



Gleich Württemberg hat auch unser Badener Land — 
«las jetzige Uroliherzogtura, wie die früheren Eiiizelgebiete, 
äua denen es entständen — schon von lange her eine starke 
Auswanderung gehabt, aber daheim ist man ihren Spuren im 
Ausland nicht in der Weise gefolgt wie im Nachbarlaud, nicht 
einmal in den durch eine tnuaendjährige Geschichte mit uns 
näher verbundenen Kaiserstaat im Osten, wohin Tausende, 
besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ge- 
zogen sind, — Daheim hat man sich otTenbai' um die Weg- 
gezogenen, meist kleine Leute, nicht mehr viel gekümmert; 
and die di-auUen hatten lang» genug zu tun, um in dem Neu- 
land sich einzurichten und durchzukämpfen; es kamen wol 
Nachrichten an 2urückgei>liebeQe Verwandte und Freunde — 
denn viele sind nachgezogen ^, dann schliefen aber mit der 
Zeit auch diese Beziehungen ein — das Briefschreiben ist 
nicht jederinamis Sache, der Postverkehr war umständlicher 
und teurer als jetzt, und gar zu einem Besuche heimzureisen, 
wollte mehr heiüen als heutzutage eine Änierikareise ; die 
Fäden rissen im Lauf der Zeit vollends ah, und sie wieder 
«nzuknüpfen, als dds erstarkende NationalgefUhl Umschau zu. 
lialten begann über das Deutschtum auf der ganzen Erde, und 
gleichzeitig daheim die Foi-schuug bis ins kleine allen Er- 
scheinungen des Volkslebens nachging, erschwerte gerade in 
Ungarn der besondere Umstand, dass in den neu besiedelten 
Teilen die deutschen Einwanderer unter einem Stammes- 



jä 






iiamen zueainniengefaHst werden, a!s „Schwaben", im Gegen- 
satz zu den vor TOf) Jahren in Siehenhürgen und der Zips 
angesiedelten , Sachsen". Man niiiss da schon an Ort und 
Stelle Suche lialten, und so fand it;h im vorigen Frühjalu', 
durch einen jungen Gelehrten in Wien auf seinen Heimatsort 
aufmerksam gemacht, in der , Schwabengemeinde' Franzfelii 
im Banat unter den Familien der einstigen Einwanderer einen 
Hauptteil (mehr als em Dritte!) aus den obengenannten Be- 
zirken der früheren Markgrafschaft Baden-Durlach ab- 
stammend, von welche!' früher solion das Amt Müllheim und 
das VViesental Ansiedler nach Siebenbürgen abgegeben hatten. 
Nicht überall wird die Feststellung der Herkunft so leicht 
und so sicher gelingen wie hier: die neuen Gemeinden in 
Südungarn haben meist keine Urkunden über die Gründung; 
in ihren Archiven, denn diese erfolgte von oben durch 
k. k. Behörden, und so lag und liegt es auch mit Franzfeld, 
wie mir auf Anfrage im Hathause mitgeteilt wurde. Zugleich 
überreichte mir aber der Genieindenotär (d. h. Itutachreiber) 
Ruppenthal eine gedruckte „Geschichte der tiemeinde 
Franzfeld, anlSsslich ihres hundertjährigen Bestandes heraus- 
gegeben von der Gemeinde" (Pantschowa, Druck von Brüder Jo- 
vanoviö 1893), welche aus den Akten des Deutsch-Banater Kegi- 
ments und des k. Reichskt'iegsministeriums zusammengestellt 
worden ist. Der 288 Seiten starke Band gibt in vier Hauptteilen: 

die Einrichtung der früheren Militärgrenze im allgemeine»; 

die Gründung, Entwicklung und die jetzigen Zustände der 
Gemeinde ; 

die Geschichte der Franzfelder evangelischen Kirchen- 
gemeinde Augaburgei- Konfession 

und die ihres Schulwesens. 

Daran sehließt sich ein Anhang über das 1 OnjähngiJ 
Jubelfest der Gemeinde und endlich, was für mich dis 
wichtigste war, ein Verzeichnis der ersten und zweite 
Einwanderung und der heutigen Einwohner mit Plänen 
über die Ansiedlung und den jetzigen Bestand des Orts. 

Und beim Überlesen dieser Verzeiclmisae I und U BU" 
fielen mir alsbald neben den Namen württembergiseber 



Bddisflie AiiäwflinliTc-L' in KriiJuMd 8U 

solche badischer Herkunftsorte in die Äugen, deren teilweise 
falsche Schreibung ich bei einigen sogleich richtig stellen 
konnte, zur großen Freude von Bürgermeister und Ratachreiber. 
die mir zum Dank und zur nachträglichen Feststellung der 
übrigen noch zweifelhaft gebliebenen einen Abdruck verehrten 
(und seitdem noch einen für unsere Landesbibliotliek nach- 
gesandt haben). Aus den Verzeichnißsen I und II, die nach 
der Reibenfolge der Hausnummern geordnet sind . zog ich 
daheim die Einwandererfamilien nach ihren Heimatsortpn und 
-ländem aus und stellte dann nach Verzeichnis III fest, welche 
der Namen noch heutigen Tags und auf welchen Anwesen 
vorhanden sind. — Das Ergebnis war zunächst das genannte, 
dass neben einer größeren Hälfte Württemberger ein starkes 
Drittel der Einwanderer aus Baden-Dui-lach war, auüerdem 
mehrere ans der linksrheinischen Pfalz, einige aus dem Elsass 
und (1802) auch vereinzelte aus andern deutschen Ländern, 
«s waren also im wesentlichen die süddeutschen evange- 
lischen Gebiete vertreten, ausgenommen die Heichsatädte 
und die damals preniiischen Fürstentümer Ansbach und Bai- 
reutli, und es bestand ein gewisser räumlicher Zusammenhang 
der die Auswanderer abgebenden (Jemeinden insoweit, als diese 
evangelischen Lande aneinander grenzten: von den württem- 
bergischen Orten, im Kreisbogen zwischen dem oberen Nekar 
l)ei Tübingen und der Knz, schlagen die Gemeinden Ötisbeim. 
Derdingen, Goclisheim (finiher württembergisch), Münzesheim, 
Oberfiwisheim, Helmsheim eine Brücke hinüber in das Landamt 
Karlsruhe , aus welchem Kintheim , Hagafeld , Btankenloch, 
Graben, Ru-ssheira, Schröck (jetzt Leopoldshafen |, Eggenstein 
und Teutsch-N euren th Auswandererfamilien stellten, und mit 
diesem war wieder durch die Zugehörigkeit zum evangelischen 
Teil der Markgrafschaft Baden das Amt, oder wie es damals 
liieli. die Obervogtei Emmendingen verbunden, deren meiste 
Gemeinden in dem Einwanderer^'erzeichnis erscheinen — 
Malterdingen, Köndnngen, Nimburg, Bahhngen, Eichstetten, 
Bötzingen , Bottingen , Vörstetten , Giindelüngen (jetzt Amts 
Freiburg). Theningen, Freiamt, Emmendingen. Die elsässer 
Orte, alle offenbar falsch aus den Akten abgeschrieben, konnte 



J 



ich bisjetzt noch nicht sicher festlegeii, mit den pfölzer Orten will '] 
ich es vielleicht später einniaJ versuchen. — Auch bei einigen 
hadischen liegen noch Fragen vor; vielleicht bringt der Ab- 
druck meines Auszugs aus den Vei-zeichnissen I, II und III, 
den ich am Ende folgen lasse, die Lösung. Eine gelang mir 
wider Erwarten durch einen Zufall: vergebens hatte bis jetzt 
der Gemeindenotäi', der ausgebreiteten Familie Ruppenthal an- , 
gehörig, nach dem als Heiniatsort seiner Vorfahren genannten 
Ort , Zisch, Baden-Üurlach* gefahndet: einen solchen Ort gab i 
es und gibt es nicht in Baden, wo! aber ein „Züsch* auf I 
dem Hunsriick bei Hermet^keil, und da trafs sich, dass ich . 
meinem Vetter, Professor Dr. Ehrismann in Heidelberg, von 
der Sache sprach, und dieser einen ITniversitätst'reund, den evan- 
gelischen Pfarrer Petri dort, hat, der auf Befragen bestätigte, 
dass sein ^ZUsch" zu der vormals badischen hinteren Herr- 
schaft Sponheim gehört hatte und der Name Kuppenthal in . 
jener Gegend noch mehrfacli vorkommt. — Meinem , Auszug* 
habe ich weiter, durch Vergleiclmng mit dein Verzeichnisse 111 
der Einwohner von Franz feld und ilirer Häuser nach dem 
Stand vom 1. Januar 1892 , die noch dort vertretenen J 
Familiennamen der einc^tigen badischen Einwanderer 
mit den Nummeni ihrer Anwesen beigefügt, um den bei uns 
daheim in Baden gebliebenen Familien zu zeigen, von welchen 
ihrer auegewanderten Verwandten noch Nachkommen vor- 
handen sind: meist ist dies nicht nur der Fall, sondern haM 
sich auch die Familien und jlue Häuser vermehrfacht — w" 
Zeichen des Gedeihens unserer engeren Laiidsleute tief drunten 
in Ungai-n. 

Das trifft auch im allgemeinen für die Gemeinde Fraiii- 
feld zu: aus 140 Einwandererfamilien sind im Laufe eines 
Jahi'hunderts über SUOÜ Einwohner geworden, aus 140 Häuseni 
038, ohne nennenswerte Zuwanderung und unter Abgabe sog*'' 
vieler Angehörigen nach auswärts; denn die Franzfelder hfli*" 
einerseits groÜe Teile der umgrenzenden Hotter-Hatterte ((»p- 
markungen) ' gepachtet und gekauft- anderseits sieh aueli "'ii- 



Holier ist mol (Ins alcmiinnisfbi' Eller. P. 




Uftdiadie Auswunderer in Frnnzfeld 85 

Hie andern Banater Schwaben vielfach in bis dahin serbischen 
und niniänischoD Geineindon festgesetzt; sie siedeln als Hand- 
werker in die Naclibarstadte Panschowa. Senilin und Belgrad 
Über und haben sogar eine Tochtergemeinde, Franz- 
.Tosefsfeld, in Bosnien nahe der Save gegründet. Viel- 
leicht geht ihnen dahin einmal ein Namensgenosse aus der 
alten Heimat nach und fragt ,i3t keiner von Emmendingen da?' 

Jedenfalls sollte eine Arbeit, wie die ^G^schichte der 
Gemeinde Franzfeld", eine Tat für eine Bauerngemeindo, die 
in Deutschland selbst wenig ihreagleichen hat, eine Mahnung 
sein für Pfan-er und andeie. die sich in den Amtern Emmen- 
dingen und Karlsruhe mit der örtlichen Geschichte befassen, 
in den Kii-chenbüchern und Gemeindearchiven nach den aus- 
gewanderten Familien sieh umzusehen und der Ursache der 
Auswanderung nachzuforschen: neben etwaigen besondern 
kann auf eine allgemeine wol aus dem .lahr der ersten Aus- 
wanderung — 1791 — geschlossen werden — der drohende 
Einfall der Franzosen. — Dies galt natürlich nicht nur für die 
2wei baden-durlachscben Ämter, sondern auch für die zwisclien- 
liegenden und angrenzenden katholischen Gebiete; ans dem 
vorderösterreichischen Breisgau zumal bat aucli iiocli zu 
dieser Zeit ein starker Wegzug nach Ungarn stattgefunden, 
der in den zahlreichen neu gegründeten katholischen Gemeinden 
SHdungams Aufnahme fand. — Die Franzfelder .Geschichte" 
spricht von Einwanderern ,ans den üben-ölkerten Rcichs- 
landen". wird sich damit aber wol im Irrtum befinden, denn 
, übervölkert" war unser badisches Rheintal damals an sich 
doch nicht, wenn auch schon im Vergleich mit den durch 
die jahrhundertelangen Türkenkriege und die Pest verödeten 
Niederungen der Theill und der Donau. Das war der Grund 
zur Beförderung deutscher Einwanderung dort schon 
imter Maria Theresia und Joseph II. und dann auch noch 
unter Kaiser Leopold II. und Franz I., welch letzteren eine 
(jedäohtnistafel am Rathaus zu Franzfeld, seit der Hundert- 
jahrfeier der Gründung 1892. als Gründer der Gemeinde ehrt. 

Wie sich die Schaffung der neuen Gemeinde vollzog, 
schildert anscliaulich die genannte Festschrift, und es scheint 



emt 



mir von allgemeinerar Bedeutuug, näher darauf eioxa^ben-, 
denn in gleicher oder ähnlicher Weise wird man im Banat 
Überhaupt mit der Änsiedlung der +1)000 Deutschen (jetzt 
über40000UI) verfahren haben, und eine gleichartige Aufgabe 
ist ja auch dem führenden dentschen ätaat in den Üstmarken 
des Deutschen Reichs. Posen und WestpreuÜen, ei-waclisen, 
die — so Gott will — nicht mit minderem Erfolg gelöst 
werden wird; und manchua stände da besser, hätten unsere 
leitenden Ki-eise zeitiger sich damit befasst, wie seinerzeit 
der östfirreichische Staat in »einen Grenzlanden das Deutsch- 
tum gepflanzt, und wie dieses sich in neuerer Zeit, ohne den 
Staat und oft gegen seine Lenker, wider fremdes Volkstum 
zu wehren gelernt hat. 

Ich la^so deshalb hier einige Auszüge über die Grün- 
dung der Gemeinde folgen: 

(S. H.) Der Situationsplan über das zu erbauende neu« 
Dorf — welches erst mit Allerhöchster EntachlieÜung vom 
30, .luli 1791 den Namen Franzfeld erhielt — , sowie ül»er j 
das Ararial-Gnmdgebiet , welches den Hotter dieses Dorfs 
bilden soll — wurde im Mai 1791 höheren Orts zur Genehmi- 
gung vorgelegt. Der Bau des Doris Franzfeld begann io 
der zweiten Hälfte desselben Jahrs und sollte auch in diesem 
■lahre beendet werden : doch die ungunstigen Wittermigs- 
verhältnisse sowie der Mangel an Handwerkern und auch an 
Matenal verzögorten den Bau derart, dass im Jahi'e I7*J1 u'ir 
ein geringer Teil der Häuser fertig gemacht wei-den koJiute 
nnd der Bau des Dorfs Franzfeld erst Endo Oktober 17^2 
vollendet wurde. 

Die Hauptparzelle C , auf welcher das Dorf Franzfelil 
erbaut wurde, unifasst das Gebiet des ehemaligen Dorfs Alt- 
Szeldoscli mit Ulti7 Joch. Ferner wurde» noch dazugeuomins" 
von den Vakantgründen der Gemeinde Jabnka 1345 Jocii. 
von den Grundstücken der Gemeinde Neudurf 180 Joch, unil 
von jenen der Gemeinde Pancsova 1!88 Joch, in SumraS 
4680 Joch. Zur Ortslage mit Einscbluss der Gassen und d« 
Ortsplatzes wurde eine Parzelle von 86 Joch und 400 □' aus^ 
geschieden und diese Parzelle wieder in 108 Hausplätze je 800 D, 



1 FruiizfelJ 



87 



groß eingeteQt. und zwai- wurden 100 HauBplätze für mit 
önind zii beteiiende Ansiedler. 4 Hausplätzo für gewerbe- 
treibeude Ansiedler, 2 Hausplätze zur Errichtung von Ge- 
meindegebäuden und 2 Mausplätze zur Erbauung von Ärarial- 
gebäuden bestimmt; zu dieseu 108 Hausplätzen wm'den wäh- 
rend der Ansiedlungsdurchluhrung noch 4 Hausplätze je 480Q' 
groll zugemessen, so dass nach Ausbau des Dorfs im ganzen 
I ei DSC hl ie LI lieh der Gemeinde- und Ararialgebäude) 112 Häuser 
recte Hausplätze vorhanden waren. 

(S. 4ö.) Jedes für einen mit Grund zu beteilenden An- 
siedler erbaute Haus war 3'/» Klafter lang, 4 Klafter breit 
und 8 Schuh hoch, stand quer au der Gasse und enthielt eiu 
Wohnzimmer mit 2 Fenstern und zwar eins auf die Gasse 
und ebis in den Hof, eine Kammer mit einem Fenster und 
eine Küche, war aus Riegelwänden ei'baut, mit ägyptischen 
Ziegeln auf einen Schuh dick ausgemauert und mit Brettern 
eingedeckt, Fundament sowie Küchenherd und Kauchfaiig 
waren aus gebrennten Ziegeln gemauert und der Feuergiebel 
mit Brettern verschalt, der Boden mit Brettern belegt und 
mit Estrich überzogen. — Die Ansicht und der Grundriss über 
ein 17it2 erbautes Ansiedlerhaus ist in dem Situationsplan er- 
sichtlich gemacht. Es besteht heute nur noch jenes der 
Krben Michael Hallabrin No. 3, dann jenes des Mathias 
Günther No, 115, welch letzteres bei der Ansiedlimg unbesetzt 
blieb und hernach als ärarischos Wirtshaus benützt wurde. 

Erst als alle 100 Ansiedlungshäuser sowie 2 äi-ai'iscb& 
Häuser fei-tig waren, wurde zu jedem Ansiedlungshaus ein 
8tal] erbaut. Derselbe war gestampft und mit llobr eingedeckt. 
Die Gesamtkosten zur Aufbauung der 100 Ansiedlungs- 
häuser nebst ebensoviel Stallungen Iwtnigen 3571511. OP/*kr. 
und zwar kostete ein 



Ansiedlungshaus 
ein Stall hierzu 



zusammen 



^19 fl. 55'/skr. 
30 , 13°;>. , 
350 fl. 08"/» kr. 



Zur Versebung der Ansiedler mit dem nötigen Wasser 
wurden in der (.)rfslago H Briinnen errichtet. Der Gesamt- 



i 



88 Groos 

koatenbetrag dieser 8 Brunnen betrug 2439 fl. 13*/» kr.; von 
dieser Schuld wurde jedem einzelnen Ansiedler, der ein Haus 
und Grund bekam, zum Rückersatz vorgeschrieben im Betrage 
von 23 fl. 54 V8 kr. 

(S. 46.) Die Errichtung des Dorfs Franzfeld kostete 
somit dem hohen Arar die Gesamtsumme von 38154 fl. 147« kr., 
von diesem Betrage wurde jedes Ansiedlungshaus mit 374 fl. 
03 */« kr. Wiener Währung belastet und ob denselben zum 
Uückei*satz vorgeschrieben. 

Die Vorteilung der Häuser an die Ansiedler im neu- 
erl>auton Dorfe Franzfeld fand am Sonntag den 24. Juni 1792 
statt. Zu diesem Behufe mussten die Distriktskommandanten 
alle in iluvm Distrikt sich aufhaltenden Einwanderer aus den 
Keiohslanden, die evangelischer Religion und zur Ansiedlung 
nach Franzfold bestimmt waren, hiervon verständigen und die 
Hausväter der sich ansiedeln wollenden respektive sollenden 
. . . unter Aufsicht eines Unteroffiziers oder eines verläss- 
lichen Ansiedlers hierher abgehend machen. . . . 

(S. 47.) Die Verteilung der Grundstücke, die ebenfalls 
si*limi am 24. Juni 1792 stattfinden sollte, wurde — weil sie 
zur Zeit der Verteilung der Häuser noch nicht gänzlich aus- 
giMutv^^Mi und eingeteilt waren — am Dienstag den 17. Juli 
1792 vorgenommen und zwar erhielt jede Familie, ob sie 
eine einschichtige oder doppelte — d. h. aus zwei Fami- 
lien mit versi*lnedenen Namen zusammengesetzte war — je 
24 JiK*h Acker in 3 Fluren zu je 8 Joch, dann 10 Joch Wiesen 
in 2 Fluren zu je 5 Joch, 1 Joch Garten, 1 Joch Wald und 
S .Uvh Hutweide. Wald und Hutweide wurde den Ansiedleni 
hUt nioht zur speziellen, sondern zur gemeinsamen Nutz- 
niolMmg zug^^wit>sen. 

«S. oO.) Die im Jahre 1792 schwache Ernte, sowie die 
streng^^ nulitarisi'he Behandlung, dann die ginzliehe Missernte 
im J,^hrt^ 1794 verleidete mam'hem der Ansiedler den Aufent- 
halt hier in dies^T Itegemi* daher von denselbwi einige wieder 
mit ixliT ohne Erlaubnis iler Behönie in ihre alte Heimat 
*sior in ein ainler^^ lV>rf «es^aniK^n sind, andere wieder wegen 
ihrt^r Trüijheit und S^^hleohtidLeit ab«estiftet wurden und 



Rn<Ji»< 



i> Aiiswaiiiier 



i FianzfeUl 



H9 



wieder andere duich Ci>ortiutt in ein anderes Haus und Ver- 
einigung mit der daselbst schon konakribierten Kommunion in 
dem Verzeichnisse nicht enthalten sind. . . . 

(S. 51.) Der Zuhau von 40 Häusern zum Dorfe Franst- 
feld für die Einwanderer aus den deutschen Reichslanden 
evangelischer Religion lässt sich aus den Akten nicht erheben, 
so viel ist jedoch erhoben woiden, das» mit dem Bau dieser 
40 Häuser auf Kosten des hohen Ärars in der zweiten Hälfte 
des Jalu-fi 1802 begonnen und solche bis Ende .luli 180i? 
fertig sein mussten. Diese Häuser wurden mit deutschen 
Einwanderern evangelischer Religion unter denselben Be- 
günstigungen, wie die ersten Ansiedler, besetzt. Die letzt- 
zugebauten 40 Häuser erliielten insofern eine Abweichung von 
der Bauart der ersten Ansiedlungsliäuser, als bei solchen die 
Wände aus gestampfter Erde erbaut und mit Rohr eingedeckt 
wurden, während bei den ersten Ansiodlungshäusern die Wände 
aus Riegelwänden mit Kotziegeln auf einen Schuh dick aus- 
gemauert und mit Brettern eingedeckt waren. 

(S. 54.) Die zur zweiten Ansiedlung angeworhenen 
Reichskolonisten erhielten bei ihrem Eintrefi'en in Gönshiug, 
und zwar: 



ein Ansiedler mit Weib und 1 Kind . 

mit 2 — 4 Kindern 

und mit mehr Kindern 



AT, fl. 



70 . 



als Reisegeld verabreicht. Außer diesen wurden jene, die 
sich und ihre Familie nicht aus eigenem erhalten konnten, 
von der Regierung bis zu der Zeit verpflegt, wo sie sich aus 
ihrem eigenen Erwerb den nötigen Lebensunterhalt verschaffen 
konnten, . . . 

(Ö, 74.) Der Ort Pranzfeld ist regelmäliig, im Viereck, 
mit geraden 20 Klafter (38 Meter) breiten Gassen angelegt 
worden. In der Mitte desselben befindet sich der mit Maulbeer- 
bäumen dicht bepflanzte Platz, von dem und in den 6 Gassen 
fahren. Auf dem Platze befinden sich auch sämtliche Ge- 
meindegebäude, als: Kirche, üenieindehaus, .Schulen und 
das Pfanhaus, 



J 



(S. 75.) Der Volk«niund hat den Gassen Namen ge- 



Diese Flamen BÜid: Haiiptgaäse, HeiTengasse, Heiehegaäse, 
Neue- oder Schwabengasse, Winkelgasse , Hied- 
odei' Zigeunei-gasse , Kotga»se, Schöne- oder Langegasse und 
N eu wünschgasse. 

Die Gassen werden sehr rein gehalten und der Unrat 
sorgfältig weggekehrt. Am Samstagabend sieht man die 
weibliche Jugend mit dem Besen in der Hand die Gassen 
kehren. Die vor den Häuaeni hinlaufenden Gräben, welche 
zur Ableitung des stellenden Regenwassers dienen, werden 
von den Bewohneni jährlich zweimal ausgehoben. 

Über mehrere Gassen sind Brücken gebaut, damit das 
sicli sammelnde Wasser in die Hauptgräben gegen den alten 
Friedhof abäieJien könne. Im ganzen Ort sind vor den Häusern 
Bäume gepflanzt und das meistens Maulbeerbäume, weil diese 
am besten und schnellsten gedeihen. 

Vor den Häusern ist ein 3 — ti FuÜ oder Slä — 148 cm 
breites Pflaster. . . . 

(Ö. 76.) Seit der Änaiedlung hat sich der Ort niclil. 
nur bedeutend vergrößert, sondern im einzelnen und ganzen 
verschönert. Während die Änsiedlungshäuser aus Riegel- 
wänden bestanden, hat man später das Mauerwerk gestÄHipft 
und jetzt werden sie aus guten Mauerziegeln hergestellt: 
während die Häuser der früheren Jahre mit Brettern gedeckt 
waren, sind die gegenwärtigen mit Dachziegeln gedeckt. Auch 
sind die meisten Häuser der Front nach gestellt. Und so 
wie sieh die Wohnungen verschönerten, sind auch die Ein- 
richtungen entsprechender beschaffen. Etwa 50 Jahre nach 
der Ansiedlung baute man gewöhnlich zwei groÜe Ummer, 
zwischen welchen die geräumige Küche lag. Aus dem zweiteTi 
Zimmer oder Hinterzimmer gelangt man durch eine kleine 
Tür in den gewöhnlich an das Wohnhaus gebauten Pferdestall. 
An diesen reihte sich dann der Kindvielistall und zuletzt kam 
der Schuppen (Schupf). 

Heute werden selir viele Häuser breiter gebaut, so dass 
die Zimmer nebeneinander sind. Bei sehr vielen Häusern lial 




Baiiisclio Auawiinilei-Kr in Fraiizfeld yL 

man auch eine, vom Wolmliaua getrennte sogenannte Soninier- 
kiiche, bei welcher auch ein kleiaes Zimmer mit einem Back- 
ofen sich befindet. Die Wohnziinmer sind meistens ausgemalt 
und gediehlt (gebrettert) und der FuUboden gelb gestrichen. 

(S. 77.) Die Zimmereinrichtung war bei den Voi- 
fahi-en sehr einfach. Sämtliche Möbel waren entweder bmun 
oder rot augestrichen und bestanden aus Betten, einem Schub- 
ladkast^n, einem hohen Kasten, einem Tisch, zwei Bänken, 
mehreren Sesseln und einer Kiste. — Heute sind die Möbel 
viel eleganter hergestellt nnd bei vielen Familien findet man 
auch Diwans. Auf dem Schublatikasten , welcher mit einer 
Decke bedeckt ist, belinden sich Kaffeeschalen, Gläser. Fla- 
schen usw. Bei mehreren Familien hat man auch noch einen 
Glaskasten (Gläsersclirank), in welchem das PorzellangeschiiT, 
der Brautkranz und sonstige Erinnerungszeiclien aufbewahrt 
sind. — 

Bei jedem Wohnhaus beündet sieh aulier dem rein- 
^haltenen, geräumigen Hof ein ziemlich gut gepflegter 
tiarten. 

Bei vielen Wohnungen ist der Hof vome gepflastert und 
so eingerichtet, dass das Wasser abfließen kami. 

(S. 78.) Mit Ausnalmie von vielleicht 3 — 5 Wü-tschafteii 
hat jedes Haus einen Brunnen. Das Trinkwasser ist mit 
Ausnahme von zwei Brunnen überall trinkbar. Das beste 
Trinkwasser ist im vierten Viertel. 

Fiift. de-n Kultiirzustand unserer deutsehen Landsleute 
in Franzfeld heutzutage zeugen neben einem geonlneten 
Kirchen- und Schulwesen, das neuerdings freilich durch Auf- 
zwängung der , Staatssprache" beeinti"ächtigt wird, und einer 
tOchttgen Gemeindeverwaltung auch eine tiemeindesparkasse, 
Apotheke, Arzt imd ein entwickeltes Vereinsleben — Lese- 
verein, Männergesaiigvereiu , freiwillige Feuerwehr uam. — 
Die Gemeinde ist trotz ihrer GröUe eine beinahe rein land- 
wirtschaftliche geblieben; Gewerbe wird im wesentlichen 
nur für den Ortsbedarf getrieben, die Fertigung von ,Werfer- 
pfiQgen" ausgenonuuen , welche weiter hin abgesetzt wei"den. 
Am besten gedeihen Weizen und Kukurnitz (Mais), im Jahre 



1898 waren scIiod sieben Danipfdrcschmaschinen im Ort; von 
Handelsgewächsen wird t>eaonders Mohn und Tabak gebaut: 
der Weinbau ist durch die Beblaus sehr geschmälert worden. 
Doch wii'd immer iiocli viel Wein geti-unken, wie man über- 
haupt gilt lebt und namentlich ein starker Fleischverbrauch 
ist; das Geflügel zumal ist ja in diesen Ländern beinahe n-ie ' 
das tägliche Brot, ^Hähndl" bekommt man da bis zum Üher- 
druss, morgens, mittags und abends, in den verschiedenen Zu- 
bereitungen als ^pBackhähndf, „Brathähndi", , Faprikahähndl^ . 
Die Zubereitung der Speisen ist selbstverständlich im all- 
gemeinen die landesilbliche. doch spielen im Haushalt immer 
noch die schwäbischen Mehlspeisen — Kiiöptie, Dampfnudeln. 
Fastnachtsküchle, Kugelhupf und Kirweknchcn — eine Rolle. 

Auch Sitten und Gebräuche der alten Heimat haben 
sich erhalten wie der „Vorsitz" (die Spinnstube) und die 
Kirchweihfeier. 

Das trifft auch, was das wichtigste, bezüglich der Sprache 
der Gemeinde zu; sie ist trotz fremdsprachiger Umgebung 
und in neuerer Zeit des Itnieks von oben die deutsche ge- 
blieben, so sehr, dass auch ein paar zugezogene Familien mit 
magyai-ischen und andern fremden Namen .Schwaben' ge- 
worden sind. Als Mundart hat auch bei den Nachkoinmen 
der Badener Einwanderer die schwäbische gesiegt, etwas 
gemildert durch den Einfluss der Schule und der, vor Ein- 
verleibung der Militärgrenze in Ungarn, deutsch sprechenden 
Beanitnng: dabei können aber alle Einwohner, insbesondere 
die Männer, sich „hochdeutsch", d. i. nach der Schiift aiis- 
diilcken. wie es in der Schule gelehrt wird; freilieh nicht 
mehr ausschtielilich . denn bald nach dem sogenannten Aus- 
gleich mit Ungarn erging die Verordnung, dass die magya- 
rische Sprache in den obem Klassen, später auch von der 
untersten Klasse ab, als Lehrgegenstaud aufzunehmen aei: 
und als die Schülerzahl immer mehr zunahm und ehie sechste 
Lehrei-stelle nötig wurde, unterlag die Gemeindevertretung der 
Versuchung, sich einen Beitrag zu dem hochgesteigerten Öchul- 
aufwaud zu verschaffen durch Aufnahme eines Staatslehrers, 
wodurch den magyarischen Bestrebungen ein noch gröLiorer 



Badische Auswandert^r in VrauzlM 93 

Spielraum gegeben wurde. Ihr Deutach wollen sich aber die 
Franzfelder nicht verküminein lassen; wenn sie sich auch als 
treue Bürger ihres jetzigen Heimatlands fühlen, wie es überall 
der Deutsche in andern LändeiTi tut, so liängen sie doch zäh 
an ihrem Schwäbisch und wissen, von welchem Vorteil es 
auch für sie und ihre Kinder ist, die deutsche Kultur- und 
Weltsprache zu sprechen. 

Wie die Einwohnerschaft gut und rein deutsch sich ge- 
halten hat, ist die Gemeinde auch eine nahezu ganz evan- 
gelische geblieben, bis auf ein halbes Hundert zur Sekt« der 
Nasarener sich Haltender. Sie hat seit 1815 eine Kirche mit 
Turm und Glocken, die aber für die angewachsene (jemeinde 
allmählich zu klein geworden ist; seit 1884 ist neben dem 
Pfarrer ein ständiger „Kaplan". Die Auflösung der Militär- 
grenze 1872 hat zwar die evangelische Gemeinde von der Be- 
vormundung der politischen Behöi-de befreit, dafür aber durch 
den Anschluss an die ungarländische evangeliscli-reformierte 
Kirche, in welcher unduldsamer magyarischer Geist herrscht, 
eine weitere Gefahr für den deutschen Tharakter der Kirchen- 
gemeinde gebracht, wovon freilich in dem Buche nichts er- 
wähnt ist; mit Dankbarkeit gedenkt dieses, um das hier zu 
erwälmen, des Erfolgs, welchen 18ß;i bei einer grotien Misa- 
ernte der Hilfenif des früheren Pfarrers Frint an die Pfarr- 
ämter der Gemeinden gehabt hat, aus welchen die Vorfahren 
der Franzfelder gekommen waren: die Briefe, welche die 
Gaben damals begleiteten, sind, in ein Buch gebunden, im 
Pfarrarehiv verwahrt; unter den Gebern ist auch Prinzessin 
Elisabeth von Baden genannt. Trotz des Werktags schickte 
es sich, dass ich auch in da» kiiehliche Leben der Gemeinde 
einen Einblick tun konnte. Ich hatte eben das Kathaus 
besucht — ein einstöckiger, aber hübschei' Bau mit 5—6 
Arbeiteräumen fOi- die Gemeindebeamten und einem Bürger- 
Baal, dessen Decke mit einem Gemälde geschmückt wird 
,Fraiizfeld einst und jetzt' — und war daran, die Ställe mit 
den 4 Zuchthengsten und den 1 1 Gemeindefarren zu besich- 
tigen, als die Glocken zu9amnienläut<?ten zu einem Begräbnis; 
abwechslungsweiso gingen beim Hinweg die Männer, beim 



J 



IWckweg die Frauen zuerst-, die Frauen einfach schwarz, mit 
KopftÜchem . uur zwei oder drei mit Hütou, Beim nach- 
fol)jeiiden Gottesdienst machte sich unangenehm fühlbar dan. 
jedenfalls durch die Sitte gebotene, allgemeine und fortgesetzte 
Schluchzen der Frauen und das verhackte Deutsch des Pfan-ers, 
eines magyarisierten Slnvaken; erfreulicherweise hat die Ge- 
meinde au dem alten württembergischen Gesangbuch fest- 
gehalten, aus dem. ebenfalls nach württembei^ischem Ge- 
bmueh. alle acht Strophen eines Lieds gesungen wurden, für 
uns Badener etwa» Ungewohntes und Ei-mÜdendes. — 

An einer andern Stelle ' habe ich eingehender erzählt, wie 
ich nach Frnnzi'eld gekommen und was ich dort erlebt; hier 
nur noch ein paar Striche zur Belebung des entworfenen 
Bilds: 

Ich hatte vorgehabt, auf meiner Reise zu einem Lands- 
mann im Herzen von Mazedonien mit der Bahn durch das 
grolie Gebiet der deutschen Ansiedhmgen bei Temeswar 
und Werschetz zu fahren und in einer Anzahl dieser Ge- 
meinden abzusteigen. Durch den Ausstand der Eisenbahner 
war das aber vereitelt worden und ich hatte froh sein müssen, 
auf der Donau wieder zum Land hinauszukommen; einen teil- 
weisen Ei-aatz für das Entgangene suchte und fand ich in 
dem Besuche von Franzfeld von der Stadt Panschowa 
aus. die mit Belgiad und Semlin durch einen kleinen Dampfer 
mehrmals täglich Verbindung hat. 

Beim Kaffee im Gasthaus .zu den drei Karpfen" am 
Hafen in Panschowa bot sich gleich ein Kleinbild deutschen 
Lel>ens tief unten in dem ungarischen Grenzgebiet gegen 
Serbien: in Panschowa werden zwar unter etwa 20000 Ein- 
wohnern nur 7 — 8000 Deutsche gezählt neben über 800" 
Serben und .SOOd Magyaren, aber das Deutschtum in der 
Stadt selbst ist tatsächlich stärker, imd ihm hatten sich nn\ 
Markttag zahlreiche Deutsche benachbarter ScliwabengemBii\- 
den zugesellt; die Dorfriehter und Notare (Bürgermeister ui^J 
Katschreiber), fiir welche wol ein Amtstag war, und andere 




Filr Wtirttenilifrg, ■ 



srimrtlii-he BeiUee. V&'i. 



FSndiscIie Auswondei-ei in Franifrld 95 

Landleute .saasen in lebhafter Unterhaltung l«! einem kräftigen 
Fnlhstilck, und man hötie kaum etwas anderes als Dentsch, 
weoa au(.'h vielleicht nicht alle Deutsche waren: denn deutsch 
muM trotz alledem im Banat, wie ja so ziemlich in ganz 
l'nyam, verstehen, wer etwas sein, und vor allem, wer Ge- 
schäfte machen will. 

Wfun auch nicht mehr so zahlreich wie früher, kommen 
doch immer noch Deutsche, hesonders Techniker, aus dem 
Reich nach Ungarn: mit einem solchen machten wir nach- 
mittags den langen Weg zum Bahnhof für die Linie nach 
GroU-Becskerek — er hat eine Bimater Schwäbin geheiratet 
und einen Siebenbürger Sachsen zum Schwager — so finden 
sich Deutsche draußen Überall zusammen. — Mit diesem Tag 
war durch die Einberufung der Militärurlauber unter den 
Eisenbahnern der Au-sstand gebrochen worden, aber doch 
wiisste man in der Stadt nicht sicher, ob auch auf dieser 
Nebenbahn der Betrieb schon wieder aufgenommen werde. 
Mit einiger Verzögerung und noch schwacher Bemannnng 
setzte sich aber in der Tat der aus vielen stehengebliebenen 
Wagen zusammengesetzte lange Zug in Bewegung und brachte 
unsere tieseUschaft (mehrere Panschowaer) langsam , aber 
sicher, in etwa 20 Minuten nach der Station Ferencshaloni, 
wie durch die bekannte Namensmagyarisierung die deutsche 
Gemeinde Franzfeld getauft worden ist. Von mitfahrenden 
schwäbischen Bauern hatten wir auf der Fahrt kräftige Worte 
über die Unterdrückung des Deutsehen, auch in der Schule, 
zu höre» bekommen. — Der Ort ist unmittelbar beim Bahn- 
hof, der Besuch also leicht auszuführen, und niemand wird 
ihn bereuen. Man braucht nicht vorher in serbischen, rumä- 
nischen und magyarischen Gemeinden Ungarns gewesen sein, 
um zu staunen über das, was man hier sieht — eine wahre 
Mufltergemeinde! Wir trafen es gut, dass uns der alte 
Lehrer Frint, ein Bekannter der Herren von Fanschowa, 
gleich auf der Straße vom Bahnhof herein begegnete; er war 
uns ein freundlicher Führer und sachkundiger Erzähler, zeigte 
uns ein und das andere bäuerliche Anwesen und die Schulen, 
wo wir teilweise die Buben beim Turnen trafen, und geleitete 



L 



an den gi-oüen Platz mit der Kii-che und dem RstfasiM, -wo 
wir die Bekaimtsehiift dea Bürgermeisters und Hätschreibers 
machten. — Gegen Abend, nach Besichtigung des Orts. 
folgte der gemütliche Teil, zunächst im Hofe einer sauberen 
Wirtschaft im Schatten eines grolien Baums neben der 
Kegelbahn; auf den süffigen leichtein Wein lieUen unsere 
neuen Freunde bald einen feurigeren kommen; die landes- 
übliche Zuspeise — aufler hausgemachter Wurst scharfer 
Schafkäse mit rohen Zwiebeln — hatte für ein ungarländisches 
Kneipen die nötige Unterlage gegeben. Ich musste mahnen, 
eine Pflicht nicht zu vei-gessen, den Üruli des Dr. philos. in 
Wien an seine Familie zu bestellen: der alte Stein sass iu 
der Stube allein bei der Lampe, die aufgeschlagene Bibel vor 
sich auf dem Tisch, der zweite Sohn, welcher der Landwirt- 
schaft treu geblieben, war noch im Hof beschäftigt und Wurde 
zuerst durch seine junge Frau vertreten: die ,Söhnerin" setzte 
nach der ersten BegrüUung der Gesellschaft Wein vor, weißen; 
wii* wurden aber nicht fortgelassen, che wir nicht auch ein 
, Klügle* Koten getrunken. — So gings in schon ziemlich 
heitei-er Stimmung in den Saal der Lesegesellschaft, der wir 
auch einen Besuch versprochen hatten, und recht heiter von 
da schließlich zimi Bahnhof mit Sang und Klang, wie ihn 
wenigstens das werktilgliche Fi-anzfeld nttch nicht zu hören 
bekommen hat. — Auch iu Panschowa wartete unser nocb 
eine gröllere deutsche ({esellschaft, der wir uns nur zu bald 
entziehen mussten, da es am andern Morgen schon um */*4 Uhr 
nach Belgrad weiterging. — 

Ob und wo sonst noch Evangelische aus dem Baden- 
Uurlachisehen in Sudungarn sich niedergelassen haben, 
weiü ich nicht zu sagen: eine starke Anawanderung ging von 
ihm schon um die Mitte des IS. -Jahrhunderts nach Osteji; die 
kleine MarkgratWdiaft soll in einem Jahr SOO Familien dureh 
Wegzug verloren haben. Die Regel war, dass die evange- 
lischen Einwaudei-er von der kaiserlichen Regierung iii Sieben- 
bürgen angesiedelt wurden, auf dem .Sachsenboden*, be- 
sonders im Unterwald: dort erinnert noch heute die .Dur- 
lacher" Voi-stadt in Muhlhai-h an die Heimat der Zugezogenen 




1 Fraiiifclil 



97 



(lim 1750); nach ihren Faniiliennainiin dürften die meisten 
dem Mai'kgräßerland bei Müll heim tmd im Wiesen tal ent- 
stammen, wo Namen wie Greter, Sütterli. Ludi. Schöpfli, 
Würeli, Gi'äsli heimieeh sind. — 1770 folgten ihnen die »Ha- 
nauer Transmigranten", etwa löO Familien ^aay der Gegend 
von Ältenheini, Lahr und StraÖburg". — Ein Splitter der 
baden -diu-lachischen Auswanderung hat sich im ungarisch- 
siebenbürgisclien Grenzgebirg in der Gemeinde Uadad des 
tizilagyer Komitats angesiedelt; er entstammte nach den Namen 
und der jetzt noch gesprochenen Mundart der oberen Mark- 
grafechaft an der Schweizer Grenze. — Zu den , Schwaben" 
des Banats wie zu denen in der Batschka haben aber besonders 
katholische Gebietsteile unseres jetzigen Groliherzog- 
tums ihren Anteil gestellt. So dürfen hierher vielleicht schon 
aiiH dem Jahr \l'l^ Einwanderer in die zwei Banater Orte 
Zadorlak (16 Familien) .aus dem Schwarzwald" und (teilweise) 
in Guttenbnmn (,aus Sachsen und dem Schwarzwald"J gezählt 
werden. 1763 werden dann 1000, 1764 2000 Ansiedler im 
Banat .aus dem Hauensteinschen , Trier, Lothringen' ver- 
zeichnet. 1768—71 wanderten 4S71 ,aiis Lothringen. Elsass, 
Schwarzwald, Breiügau. Pfalz, Vorderösterreich, Fran- 
ken, Schwaben" ein ; neuen Aufschwung nahm die Einwanderung 
1782 .besondei-s aus dem oberen R-heinkreise" ( .Die Deutschen 
im Bauat" von Dr. M. Gehre); bis 1773 kamen in die 
Batsclüca gegen 50000 deutsche Zuzüglinge , meist aus schwä- 
bischen und alemannischen Gegenden*. Das ging so noch bis 
in den Anfang des vorigen Jahrhunderts hinein. 

Mittlerweile setzte in unserem Lande eine starke Aus- 
wandei-ung nach Knssland ein (so z, B. 1824 von Rhein- 
bischofsheim nach Südruasland), später nach Polen bis 1844, 
und zugleich, allmählich immer aueschlielil icher werdend, nach 
Westen übers Weltmeer: zuerst 1816 im Oberland, besonders 
an der Schweizer Grenze, beginnend (Basler Unternehmen) — 
vor allem in die Vereinigten Staaten, neben welchen auch 
Brasilien einen Bruchteil aufnahm (1819 besonders aus der 
Freihui'ger Gegend, Dörflingersches Unternehmen) und Vene- 
zuela in der hadiöchen Kolonie Tovar bei Caracas. 

Alemaimi 




i 



Erst in neuerer Zeit sind wieder Ausnahmen von dem 
allgemeinen „Zug nach Westen' vorgekommen: den württeni- 
bergischen Ansiedlern in Posen liaben sich auch badisclie 
Familien angeschlossen (z. B. in Leipe bei Lissa) und einein 
Landsmann mit großem Gut in Mazedonien galt ja meine 
Reise, 

Ob er wieder rege wird „der Drang nach Osten', den 
uns französische Schriftsteller, leider bis jetzt mit Unrecht, 
unterschieben! Wer weili es; jedenfalls fänden dort misere 
Auswanderer bei ihren Landsleuten guten AnscIUuse. 

Das eingehend gezeichnete Bild der Gemeinde Franzfeld 
und die kui-ze Übei-sicht, die ich eben gegel>en, sollte aber 

Die Einwauderer !n Frauzfeld bei Panseba 



Ei«; 



ai (ii-org r^i'hillinjser 

2 , Miohad Peter 
34 ChriatioQ Schiodle 
42 Michnel Englpr 
80 Michael Hulitr 
83 Martiu Eud«rl« 

66 ' 'SiinoD MeasiDger 
4 Mathiii» Merkle 

56 MathiHs MUllt-r 

67 ; Beruhard J'rei 
58 1 Jakob I 



Taglnhn. 



Molderding, iJaden- 

Diirlacb i 

KendringPD, Baden- 

Uurlach 
Keiidringen, Badon- 

Durlacb 
Ken dringen. Bsden- 

Durlach 
KendriDgen, Baden- 

Dnrlach 
Ken dringen, Baden- 

burlach 
Keo drin gen, Baden- 

DurlHch 
NinburgEmmend tngen, 

Badeu-Durlsch 

Ninbur^, Baden - 

DurlacL 
Ninhurg, Baden - 

Durlach 
DQhren. Hockberg, Bs- 

lingcn.Baden-Duiiacli 



BuiÜHchi- Auswarnie 



99 



jedenfalls zeigen, von welch großer Bedeutung die Aus- 
wanderung ans unserem Lande war und wieder werden kann, 
und dass sie verdiente, wenn man ihr daheiin mehr als his 
jetzt geschehen mit Aufmerksamkeit und Teilnahme nach- 
ginge ! 

Ganz beBondere erfreulich aber wäre es, wenn diese 
Arbeit auch dazu beitrüge, wieder Beziehungen herzustellen 
zwischen den daheim gebliebenen Familien und den in Franz- 
feld lebenden Nachkommen unserer Baden-Durlacher Auswan- 
derer von 1701/92 und 1802, deren Namen zu dem Zneck 
nachstehend verzeichnet werden. 



iiiat) aus dem Baden-Uurlachischeii. 




*. Seh.. 41fi AJ. Seh.. 45t! Jm. Sth.. 



— 114 Martin Merkle, 264 Mart. M., 272 Math. M.. 303 Wilh. M., 
' 33^ Adam H., 3R(^ Mart. M.. 408 Pr. M., 42ti Jnliana M., 

444 Jak. M., 513 Marg. M. 
i:.ndwig Mnller 14 Friedr. Mflller, 2Ü Chriatiaii M., 38 Friedr. M., 68 Ludwig H.. 
98 Jakob H., 911 Mkh. M.. 118 Jos. M., 10!) ChristJBD M. 

— 327 Jakob Frei. 2Iß Johsim Frey. 217 Fr. Fr.. 21it Fr. Fr.. 
' 430 .Samuel Fr.. 512 Mntli. Fr. 

b«cob3««ineeT G6 .lak. Besainger. 74 Matli. R. 



100 



Groos 



Des Ansiedlers 



•O ? * I 
O 3 B 



Name 



Beschäf- 
tigung 


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« N 

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Wagner 


3 1 


Bauer 


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Wagner 


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1 

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Bauer 


5 16 


7» 


3!l 


1» 


1 1 


W 


1 

11 


Bauer 


1 
1 


ji 


1 


Drechsler 


2I2 


Bauer 


4^2 


it 


214 


fl 


2> 


« 


1 

! 

1 


Bauer 


1 

3' 3 


j< 


2 3 



Heimatorte 



nach dem abgedruckten 
Namensverzeichnis 



b 
nach der 
richtig) 
Lesart 



92 



17 I Jakob Frey 

94 ' Mathias Leiten- 
berger 

9^ j Jakob Groß 

39 Martin Eberle 

I 

90 Georg Läpp 

99 Daniel Hofmann 

11 Jakob Heidenreich 

80 Jakob Mayer 

63 Michael Schnierer 

69 Mathias Haas 
20 Christian Stein 
7 Michael Sutter 

I 

51 Johann Schaldeker 
r)4 I Florian Meinzer 



Jakob Bart 



30 I Wilhelm Polz 
43 I Michael Dillmann 

i 
53 Adam Jahraus 



59 



Friedrich Mar 

grandner 
Georg Polz 



^^^< ' Christof Margrand- 
ner 



Eierstädten, Baden- 

Durlach 
Eichstädten 



Beckingen, Baden- 
Durlach 

Vorstädten, Baden- 
Durlach 

Gundeliingen,Emendin- 
gen. Baden-Durlach 

Gundelfingen, Baden- 
Durlach 

Hochberg Denningen, 
Baden-Durlach 

Freiamten, Baden- 
Durlach 

Demingen, Baden- 
Durlach 

Emendingen, Baden- 
Durlach 

Emmendingen, Baden- 
Durlach 

Deutsch Neureuth, 
Baden-Durlach 

Deutsch-Neureuth, 
Baden-Durlach 

Deutsch-Neureuth, 
Baden-Durlach 

Deutsch-Neureuth, 
Baden-Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 

Eggenstein, Baden- 
Durlach 



Eichstet 



Bötzingei 

Bottingt 

Vörstetfc 



Hochbull 

Thening« 

. Freiamt 

! Thening« 

oder Em» 

dingen'? 

Emmendini 



Badische Auswanderer in Franzfeld 



101 



Bemerkungen 



a 



Jetzige Haus- 
nummer und 
Besitzer 



Namen der Nachkommen und Nummern ihrer Häuser 



{0 Mathias 
Leitenberger 

!C Michael Groß 



4 Jacob Stein 



Friedrich 
Heinzer 



Gg. Jahraus 



565 David Frey, 615 Jak. Fr. 

130 Math. Leitenberger, 158 Josef L., 319 Mart. L., 344 David L., 
427 Mart. L., 428 Anton L., 434 Georg L., 501 Johann L., 
525 Jos. L., 545 Christof L. 

126 Michael Groß. 

113 Franz Eberle, 131 Jos. E., 367 Jak. E., 470 Adam E., 

549 Jak. E. 
113 Georg Läpp, 220 Georg L., 268 Georg L. 

411 Jak. Hofmann, 505 Simon H. 

150 Fr. H., 414 Karl H. 



418 Jak. Schnürer, 437 Mich. Schnürer. 



66 Jos. Haas, 102 Franz H., 198 Martin H , 248 Christof H., 

311 Martin H., 349 Josef H., 540 Mich. H. 
104 Jak. Stein. 



313 Magdalena Schaldegger. 

40 Fr. Meinzer, 290 Peter M., 374 Florian M., 419 Mich. M. 

57 Christof B., 116 Adam B., 490 Jakob B., 510 Jakob B., 

591 Karl B. 
30 Wilhelm Polz, 60 Jakob Polz, 446 Tobias Polcz, 446 Adam 

Polcz, 499 Michael Polcz. 
103 Friedr. Dillmann, 98 Jak. D., 563 Philipp D. 

10 Michael Jahraus, 12 Adam J.. 71 Georg J.,' 82 Ludwig J., 
143 Ludwig J., 222 Konrad J., 241 Konrad J., 348 Konrad J., 
384 Andreas J., 452 Andreas J., 472 Ludw. J. 

157 Ludwig Margrandner, 463 Johann M., 511 Jak. M. 

siehe unter No. 30 Wilhelm Polz! 

siehe unter No. 59 Friedrich Margrandner! 



102 



Groos 



Des Ansiedlers 






Heimatorte 


1 


ron dem 
m Haus 


Name 


Beschäf- 
tigung 


1* 


a 
nach dem abgedruckten 


b 
nach der 
richtige 
Lesart 


•^ " w 






C3 

s 


9i 


Namensverzeichnis 


s^a" 






B 


^ 






1 

63 Friedrich Heiden- 


n 


2'6 


Schrek, Baden-Durlach 


Schröck,j( 


reich 

1 




1 




Leopolds 
hafen 


38 1 Adam Haas 

1 


» 


2,3 

1 


Rußheim, Baden- 
Durlach 


— 


44 Friedrich Grauß 


Weber 


2'3 

1 


Rußheim, Baden- 
Durlach 




45 Adam Koch 

i 


Bauer 


i!i 

1 
j 


Rußheim, Emendingen, 
Baden 




64 Adam Bols 


» 


311 

1 
1 


Rußheim, Baden- 
Durlach 




75 Johann Brendle 

1 


n 


5'3 


Graben, Lichtental, 
Baden 


Graben 


48 , Andreas Weber 


I» 


3 4 

1 


Masenbach, Blanken- 
bach, Baden 


Blankenloc 
(früher 
Blankenlac 


29 ! Adam Ulrich 


» 


' 


Hagsfeld, Baden 


— 


52 Georg Jahraus 


j» 


1 


Hagsfeld, Baden- 
Durlach 


— 


57 Johann Mayer 


Bauer 


i 


Hagsfeld, Baden- 
Durlach 




66 Andreas Ulrich 









Riedheim, Baden 


Rinthein 


28 Christof Hertle 


Bauer 


2 


4 


Münzensheim, Baden- 


Münzesbei 






1 


Durlach 




— i Georg Michael 




: 


Münzesheim, Baden- 


— 


Schwarz 




1 


Durlach 




9 1 Christof Friedrich 


Bauer 


4 3 


Gochsheim, Baden 


— 


Hild 

1 










1 
22 Georg Föhner 


5» 


1 
2 2 


Obwörisheim 


Oberöwiti 
heim 


71 Michael Holzmüller 


n 


2:2 


Oberebisheim, Würt- 


OberöwL« 


1 








temberg 


heim 


45 Johann Polz 


• 




— 


Hilmesheim, Baden- 


Helmaheii 


i 




i 


Durlach 




45 ! Michael Winter 

1 


» 


4 3 


Heldenschein, Baden- 
Durlach 


• 


76 Ruppenthal 


n 





Zisch, Baden 


Züsch, biil 
Sponbein« 












Herr»elHft 1 


' 










dem HoMrl 


1 










' 


Reg.-Beiii 
Triff) 



Badische Auswanderer in Franzfeld 



103 



Bemerkungen 



Jetzige Haus- 
nummer und 
Besitzer 



Namen der Nachkommen und Nummern ihrer Häuser 



132 Franz Hass 



6U Jacob Polz 



siehe unter No. 11 Jakob Heidenreich! 

siehe unter No. 69 Mathias Haas! 
883 Ernst Kraus? 

1 Jos. K., 37 Adam K., 101 David K., 137 Christof K., 
156 Jak. K., 172 Georg K., 218 Mich. K., 262 Katharina K., 
310 Daniel K., 454 Johann K., 487 Daniel K., 488 Friedr. K. 
495 Friedr. K. 

siehe No. 30 Wilhelm Polz. 

127 Christof Br., 226 Johann Br., 467 Adam Br., 533 Martin Br. 
139 Josef W., 356 Johann W., 607 Jakob W. 



— 58 Peter Ulrich, 474 Johann U. 

— siehe unter No. 53 Adam Jahraus. 

— siehe unter No. 80 Jakob Mayer! 

' .^8 Peter Ulrich siehe Haus No. 29. 
102 Jacob Hftrtle . 102 Jak. Hertle, 432 Johann H. 

— ' 45 Mich. Schwarz, 254 Johann Schw., 291 Georg Schw., 

166 Johann Schw. 
152 Mathias Hild 61 Adam Hild. 63 Christof H., 64 Mich. H., 100 Konrad H., 

152 Math. H., 165 Franz H., 182 Christof H., 184 Adam H., 
204 Fr. H., 253 Peter H., 254 Jos. H.. 277 Theresia H., 
180 Christian H., 388 Mich. H., 412 Mich. H., 614 Franz H. 



370 Josef Holzmüller, 376 Johann H., 377 Mich. H., 518 

Adam H., 530 Peter H., 567 Martin H. 
siehe unter No. 30 Wilhelm Polz! 



122 Johann 
Rappenthal 



242 Adam Winter. 

122 Johann Ruppenthal, 259 Jos. R., 323 Johann R.. 409 
Konrad R., 413 Ad. R., 445 Pet. R., 561 Jos. R., 574 Fr. R., 
587 Jak. R. 



Gesimdlieitspflege im mittelalterliclieii 
Freiburg im Breisgau. 

Eine kulturgeschichtliche Studie von Karl Baasy Freiburg i. Br. 

(Fortsetzung.) 

II. Ärzte, Wundärzte, Apotheker nnd sonstiges ^^HeilpersonaP^. 

Bei dem vielfachen Fehlen gebildeter Laienärzte — hatte 
doch Basel im 14. Jahrhundert mehrere jüdische Stadtärzte — 
konnten unter Umständen solche Erlasse für die Christen 
schädlicher wirken als für die Juden selber; vermutlich wurdAi 
sie darum in praxi nicht so sehr befolgt und die Erlaubnis 
zum Praktizieren, wenn die Not es erheischte, sicherlich nicht 
versagt; ja Weinheim verlangte 1355 von dem Arzte „Walhen" 
nur 6 Pfd. Schutzgeld, während die übrigen Juden 20 — 42 Pfd. 
geben mussten^ Wie es aber den jüdischen Ärzten manchmal 
gegangen sein mag, das ersieht man aus einem späteren 
Schreiben eines Arztes Moses an den Stadtrat zu Freiburg*; 
darin sagt er am 28. April 1524, dass es ihm doch gestattet 
worden sei, seine Kunst den Eidespflichtigen und Angehörigen 
der Stadt zu teil werden zu lassen. Nun aber müsse er sich 
darüber beschweren, dass man ihm die Bezahlung dafür ver- 
weigere! — 

Wenn wir nun zur Betrachtung der aus Freiburger Ur- 
künden oder sonstigen Nachrichten zu bestimmenden Arzte 
übergehen, so muss von vornherein bemerkt werden, dass es 
nicht immer mit Sicherheit möglich ist, zu entscheiden, ob 

* Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins XII, 23. 

* Schreiber, Bttrgerleben zu Freiburg im Mittelalter, im Adress- 
buch von 1869. 



GeHimiIhfItsptl (.';;.- 



uittolaUi'ilicIitn t'ie 



105 



der eine oder andere der zu nennenden nicht aui^h Kleriker 
war. Insbesondere lässt der Titel , Meister" oder , Magister" 
daran denken, der damals, vor der Gründung der deutschen 
Universitäten — die au al an diachen werden wol selten in 
Frage gekommen sein — recht wol von Dom- oder Kloater- 
schulen, natürlich aber ebenso an Laien wie an Kleriker ver- 
liehen wurde und einen Ausweis über den Studiengang dar- 
stellte. Dass aber an diesen Schulen auch Medizin gelehrt 
und geleiTit wurde, ist früher bereits erwähnt worden. 

Soweit bis jetzt zu sehen ist, ist das Jalir 1309 der 
früheste Zeitpunkt, an welchem eines Arztes gedacht wird; 
denn die Angaben der Gründungsurkunde, der Stedtrodels usw. 
beziehen sich wahrscheinlich auf sogenannte Wundärzte, d. h. 
Sclierer und Bader, bei welchen darauf zurückzukommen sein 
wini. In einer Urkunde des Heiliggeisfspitals ' aus dem 
genannten Jahre findet sich nämlicli die Nachricht über 
eine Vergabung, d. h. Stiftung, welche „geschah im Hause 
Meister Walthers des Arztes", der demnach in Freiburg 
ansässig, vielleicht auch Bürger der Stadt war. Da in der 
Vergabung melii-fach des Spitals, insbesondere der Kranken 
in demselben und im Gutleuthans als der Empfänger gedacht 
ist, so könnte man vennuten, dass der genannte Arzt mit 
dem Spital wol Si'ztlich zu tun hatte \md nun die Fürsorge 
für seine Pfleglinge auch liei dem Stiften der Pfründe be- 
tätigte; doch ist dies natürlich ganz unsicher, da viele andere 
Sliftmigen gleichfalls der Kranken gedenken. 

Eine genauere Beurkundung besitzt das städtische Ai'chiv 
ülier den nächstbekannten Arzt, indem es nämlich noch den 
Bürgerbrief für den „Meister Wernher von Buoehheim, 
den arzat" bewahrt, welcher „an den nehsten Sambstage 
vor Saute Gierines tage", d. h. am 10. Janum- 1321, aus- 
gestellt wurde. Da Bucliheim ein noch jetzt bestehendes 
Dorf in der Nähe von Freiburg ist, so sehen wir hieraus zu- 
^ch, dass schon frühe die Landschaft selbst ihre Ärzte 
iVorbrachte, die dann aber die Stadt aufsuchten: studierte 




Spital Urkunden. Kog. No. 69. 



Ärzte auf dem flachen Lande i^ind im Mittelalter nodi sehr 
selten. Ob jedoch der Meister Wemher St^idtarzt zu Freiburg 
war, wie der Honat zuverlässige Schreiber' angibt, kann bei 
dem Fehlen der Quellenangabe niclit sicher behauptet wei-den ; 
gleichwol ist es nicht unmöglich, da zu dieser Zeit und bereits 
lange vorher eigentliche, angestellte Stadtärzte anderwärts be- 
kannt sind. 

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mehren sich 
nun die zugleich genauem Angaben Über Freiburger Ärzte. 
Am 27. Oktober 1352° vergabt ,Atzo, der Arzt, Bürger zu 
Freiburg", dem Spital eine Pfründe, deren jährliches Erträg- 
nis zu einem kleinen Teile für Seelenmessen und Singen aus- 
gegeben werden soll; 3ti Schillinge, das sind heute nicht \ie\ 
weniger Mark, sollen den Dürftigen im Spital für Fleisch und 
Fisch, Weißbrot und Wein gehören. Wir erkennen aus dJesei- 
Stiftung den praktisch-mildtätigen Slim des Ai-ztes, welcher 
diese Verfügung b-af. trotzdem er nuch für seine eigene Fa- 
milie zu sorgen hatte; denn »iarüber, dass er Laie und ver- 
heiratet war, belehrt uns die Angabe im Totenbuch der Stadt 
Basel, woselbst er eine Zeitlang gelebt hat, welche lautet: 
, Magister Atzo^, physicus, pater magistri Wilhelmi physici, 
civis Basiliensis, obiit in Friburgo." 

Wir haben hier einen neuen Zusatz zum Namen, welcher 
in Zusammenhalt mit dem Übrigen mit einiger Wahrschein- 
lichkeit uns folgendes annehmen lässt. 

Allerdings bedeutet „pbysicus' in der altern Zeit viel- 
fach nur, dass der so Bezeichnete innerer und studierter Arzt 
war im Gegensatz zu dem ungelehrten zünftigen Wundarzt; 
bereits um die hiei- in Betracbt kommende Zeit hatte das Wort 
aber noch den Sinn, dass es den angestellten Stadtarzt kenn- 
zeichnete, wie dies für das 15. Jahrhundert aus Freiburg uns 
sicher bekannt ist. Trifft letzteres zu, so können wir weiter- 
hin vermuten, dass der oben genannte Magister Atzo auch 
nach auswärts sich eines guten Hufs erfreute, da er um das 



■ Schreiber, tieschichtc d«r Stadt Froilmrg II, 234. 

' UrkundeD des Heiliggeistapitsls [, BAig. 374. 

* Miine. Zeitschrift fUr ilie G«scbiclite d^a Oberrliein? 



i 



<iiDdheitS]jHugu 1 



lrl«lttrlii;hfii Frciliury 



iU7 



Jahr 1352 Stadtarzt in Baael und Böiger daselbst wurde. Bei 
seinem Weggang aus Freiburg aber, wo es ihm wol gut ge- 
gangen war, errichtete er jene Stiftung, welclie in gleicher 
Weise die Liebe zu seiner Vaterstadt wie die Fürsorge für 
seine Kranken bewies. lu Basel war er viele Jahre ansässig, 
denn nach I3bö findet sich eine Notiz von dort, welche Heyne ' 
wiedergibt und die tautet: ,Atzo Physiciis de Friburgo, civia 
Basiliensis. " Als sein Sohn erwachsen, gleichfalls ein tüch- 
tiger Arzt, und der Nachfolger »eines Vaters geworden war, 
da zog letzteren die Sehnsucht nach der alten üeiniat wieder 
zurück, um sein Leben daselbst zu beschließen! seine seit- 
herigen Mitbürger aber behielten ihren Stadtarzt in gutem 
und getreuem Andenken, wofür der Eintrag seines Tods, 
dessen Zeit uns unbekannt ist, Zeugnis ablegt. 

Wie wir nun soeben gesehen haben, dass ein Frelburger 
nach Basel gegangen war, so erfalireu wir jetzt, dass auch 
das Umgekehrte stattfand ; wenigstens kann es in diesem 
Sinne gedeutet werden, wenn wir aus den Jahren 1361 und 
1362 die mehrfache Erwähnung von „Peter üilie (Gilge, 
Öylge) von Basel, der arzat" finden'; er besass ein Haus 
in der Brögelinsgasse. die heute vei'schwunden ist, und war 
mit einer Freibui^erin verheiratet. Über seine sonstigen 
Lebensumstände wissen wir niclit viel; möglichenfalls war er 
der Stadtarzt, auf welchen eine andere Urkunde aus dem 
Jalire 1-104 hinweist, da aus der in Betracht konunenden Zeit 
«in weiterer Name eines Arztes nicht bekannt ist, 

In seinem Urkundenbuch berichtet nämlich Schreiber', 
daas ein Hans Veringer ,clagt von seins vater wegen, wie 
der vor dem Weyer, als man zu IJnndingen nyder lag, wund 
ward, und da wurden all wund von im ärtzten gelöst, aber 
da musst sich sein vater selb lösen, und seinem arizt 
sechs gülden geben. Darauf habend aber unser rät erkant, 
seyd dem maln der alt Veringer sich selber zu einem artzt 
verdinget, und nicht bei der stat artzt, da ander wund lUt 

' Heyne, Fünf Bücher deutsflier Hauaaltertümer III, löl, Anw. 387. 
' Urkunden dea Heiligeeistspitjaa i. Keg. Nu. 46T, 472, 473, 474. 




Schreiber, (.'rkumleiilindi II. 1, 8. 1^4. 



J 



lod 






geweist wurden, belaib. und der stat v( 
a]s die hesehahe, des wol sechs und dreissig jar ist, nye zu- 
gcsprocli«n ward, daz sy im auoh daiuinb niciites zu ant- 
wiirten liaben und von im ledig sein'. Die Ausrechnung er- 
gibt, dass es sich dabei um das Jahr 1368 handelte, in 
welchem ein Stadtarzt da war, möglichenfalls der genannte 
Peter Gilie. 

Im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts scheinen zeit- 
weilig zwei Arzte in Freiburg gewesen zu sein: über den 
einen, .Meister Johanns Cristoffel den aiizat. Bürger 
zu Freiburg", haben wir mir die Nachricht, dass er am i. Juni 
1376 eine Gülte stiftete, „damit den Siechen im Spitale Fleisch 
oder Fisch oder was sie sonst bedürfen, verschafft werde". 

Mehr wissen wii- von dem andern Arzt, der noch in einer 
weitem Hinsicht wichtig ist; denn konnten wir bisher ver- 
muten, dass die genannten Ärzte ihre Ausbildung wol in 
Kiosterschulen , vielleicht aber auch dm"ch die Unterweisunji 
eines altem, erfahrenen Praktikers erhatten hatten, so be- 
kommen wir jetzt durch seine Titel einen Anhaltspunkt für 
ein akademisches Studium bei „Swederus, magister in 
artibua (>t bacalaureus in medicina", .de tiotlichen*, vie 
ihn das Häuaerbucb nennt ', Ai'zt und Bürger zu Freiburg, der 
erstmalig ihm Jahre 1374 uns entgegentritt. Viüb hatte er 
seine Tage beschlossen, denn da ist die Uede von ,ineisbi' 
Schwedero dem artzet seligen""; über seinen Tod hinaus akr 
sprach man von ihm mit der Achtung, die er sich erworben 
hatte, als von „dem wisen und wolgelerten man. meystrr 
Swedem", der Zeit seines Leliens allen .erwirdig" erschienen 
war: auch er war mit einer Froiburgerin, KIs Schulthessin, ver- 
heiratet*: noch 1440 wird eine Tochter der beiden, Steszly. 
d. h, Anastasia, erwähnt. Seine Frau hatte ihm das Huus 



' Urkuaden des Ueiliggeiatapitals ), Reg. No. 5R6. 

' Urkunden des HoUitfgeistopitals I, Reg. No. 546. .V>4. G32. «T''. 



" Zeitsthrirt f(lr <li<> (;eBchifhte des Oben 
(138T. Urkuadeu der Au Justine reremiten). 

* Zeitschrift Tür dii' Gesciii-clite des Oberrlieii 



tXLmS.«.XlIm 



(;psuniilieLfs|iflej!e 



1 Vre 



109 



znm Olbeig (jetzt Herrenstralie 133) zugebracht'; aulieniem 
aller besäe» Magiater Swedenis noch die Häuser .zum goldin 
Fäleklin" (jetzt Horrenstralie 5*. ,zur Meerkatze" (jetzt 
Schiffstralie Ifi), ,ziir WUersburg' {jetzt auch Herreuatrafle 33) 
und MUnsterplfttz No. 40, sowie ,ziini Rehgarten* in der Vor- 
stadt Neuburg, welcher, wenn auch wol nicht immer gleich- 
zeitige, große Besitz vielleiclit mit das praktische Ergebnis 
seiner ärztlichen Oelehrsamkeit und der damals anscheinend er- 
tragsreicheren Tüchtigkeit im Berufe war. 

Von weitern zwei Ärzten berichten uns die Urkunden 
der gi'olien Stiftung Messerer: 14'H wird ,Kuonrad Möntz- 
raeister der artzat", und 1402 „meister Nicolaus, der 
artzat" erwähnt. Von Ersterem oder seiner Familie sagt das 
Häuserbuch, dass er int Besitz des Hauses ,zum Fürsten und zum 
Pauter" gewesen. Erscheint einer .medizinischen" Familie an- 
gehört zu haben, indem wir wenigstens vermuten dürfen, dass 
ein in Villingen im Bürgerbuch zum Jahre 1417 eingetragener 
.Jotians der Miinzmeister. der appoteger" von Freiburg jenem 
Arzte nicht altzufern stand '. Des Letzteren Namo begegnet uns 
schon awB dem Jahr l;385 im Steuer- oder Zinabuch; nach 
der Heüienfolge der List« niuss er etwa Eisenbahnstralie 6^10 
gewohnt haben. Femer wird im Jalire 1409 in einer Urkunde 
der ijieselltichaft zum Gauch' , Heinrich Salmon der artzat' 
erwähnt, der im Häuserbuch nicht verzeichnet ist; müglichen 
Falles aber ist er identisch mit einem Manne, welcher unter 
dem 12. Oktober 1440 im Missivenhuch in einem Bnefo an 
den Bischof Heinnch von Konstanz erwähnt wird. Freilich 
wäre er darnach wol nur Scherer gewesen. Daselbst ist die 
Hede von der „erber frowe GÖtelin meister Heinrichs wilent 
unser statt wundartzats seligen witWe, des egemeinten kindes 
grossmutter" . was ja mit der Zeit 1409 stimmen könnte. 

Nach einer längeren Pause begegnet uns im Jahre 142.T* 

< (leschichtliche OrtubescIirMliuiig; der <St«ilt FreJbun: Bd. II, Hflnser- 



^i * I^Udta 



Pn.f. Roder, übtrlingeii (nach petaanlji-lier M 
^i^hreiber, Urkiiailenbuch H, 23^. 
l^tadtari-hiv. Abt. XL. Medici und .■Vpot heiter. 






IW 






der Name des Arztes Meister Paulus Gloterer. Her weit- 
hin bekannt nnd geschätzt gewesen sein muss: denn wir vpr- 
nehmen. dass Bischof Otto von Konstanz die Stadt bittet, 
ilmi denselben zu senden, da .wir sint etwellch' zit her nit 
vast gesunt gewesen und sind liilt bi tag nit wol starck und 
begint sich unser siechtag swere und inere. daz wir wol wiser 
artzet rätt bedürfet", li.'il wii-d er noch als Mitglied der 
Gesellschaft zum (iauch genannt ', zusamiTien mit seinem Sohn, 
dem Apotheker. Schreiber" gibt aus dem .lahre 1446 an, 
dass er Stadtarzt gewesen sei, und bezeichnet ihn zugleich 
als „Lehrer der Artzenie"; eretere Annahme kann eine Be- 
stätigung darin finden, dass der genannte Bisehof sich an die 
.Stadt als die Vorgesetzte des erbetenen Helfers gewandt hat. 
und bezüglich des letztgenannten Zusatzes kann eine Angabe 
von Mone herangezogen wei-den, welcher 14:i8 den Chorherm 
im Stifte zu Stuttgart, Hans Spenlin. als I_>r. med, mit dem 
Znsatz: „leerer der bucherzeny' namhaft macht. Der Doktor- 
titel verlieh eben ursprünglich, dem Wortlaut entsprechend, 
seinem Inhaber die Befugnis zum Lehren. 

Ob der von Mone genannte Magister Paulus Gloterer*. 
der 1467 eine Stiftung für die Aussätzigen bei St. .Takoh 
nächst Freiburg, mit der genauen Bestimmung, dass das Gelii 
,lepro3is ad manus proprias" gegeben werden solle, gemaohl 
hat, mit dem vorgenaimten identisch ist, ist nicht ganz sich^. 
aber wahrscheinlich. Jedenfalls war auch er begütert unil 
besass das Haus ,zum Pilger" (jetzt Franziskanerstraße 7) 
und ,zum Himmel" (jetzt Kaiserstraße 62)*. 

Gleichzeitig mit ihm hat in Freiburg der ,ai-t^at" Baltha- 
sar von Hochberg gelebt', der 1433 ein Haus in der WeWr- 
gasse besass, welches er 1441 verkaufte"; derselbe findet sich 

' Schreiber, ürkundenbiich II, 426. 

' Schreiber. Stadtj^eBchJchte II. 224. 

■ Zeitschrift ffir die Geschichte des Olierrheins XL m S. 44, XII ri' 
S. 83. 

* Häuserbuch der Stadt Frei bürg. 

' Mone. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins XII. IX 

* Urknnden des Heili^geis-tspitsls J, Reg. lOIlt. 



t«,.H, 



III 



nochmals im MissJvenbuch der Stadt Fieiburg. Am 7. Okttil>er 
1440 wird „Balthaser gfttlebeii unser statt wiindartzat" 
erwähnt, ohne dass wir etwas Weiteres ül)er diesen Mann er- 
fahren, der hiernach vielleicht nur Sclierer war. Hol be- 
gegnet uns sein Name wiederum im Verzeichnis der Mitglieder 
der Gesellschaft zum Gancli. Nur durch seinen Abzugsrevers 
aus dem Jahre 1455 wird weiterhin uns Meister Haus 
Starck, der Arzt, bekannt'. Und lediglich durch den Be- 
sitz der Häuser ,zum übern Brandis" (jetzt Herrenstratie 3) 
und ,ziun Arnold" {jetzt Münsteiplatz 25} ist uns „Meister 
HemerJin, der arzet" überliefert'; als seine Lebenszeit 
können wir etwa die erste Hälfte bzw. das zweite Drittel des 
15. Jahrhunderts vermuten. 

Fast seheint es, als ob im dritten Viertel des 15. Jahr- 
hunderts die Stadt Freiburg eines tüchtigen Arztes entbehrte; 
denn bei der Erkrankung ihres Stadtschreibers musste sie sich 
nach Basel wenden. Der Brief ist im Misaivenbuch unter dem 
Ifi. Oktober 1454 noch erhalten und lautet; 

„Meister Diethachner statt artzat zu Basel. 
Erwurdiger lieber Herr. Unser frflntwillig dienst syen 
ucli alczit vorgesehriben lieber herr Als hat sich unser 
statschriber zu bett geleit wann wir nu gern sehent das 
im geholfen werde Bittend wir uwer Erwilrdikeit mit ernst- 
lichem Sisse das tr mit disem unsern knecht zA uns in 
unser stat kommen denselben unsem stat schriber besehen 
und in dann das besten beroten und behalten zu sin und 
wellent also umb unsern willen nit ussblibeii wann was der 
kosten wirt darumb soll uch ein gut benugen beschehen als 
billig ist Nochdem und wir uch des zu tftnde wal getruwent des 
wellent wir in Sonderheit alzit umb uch zu verdienen haben." 
Dem letzten Vierte! des 15. Jahrhunderts gehört dann 
noch Dr. Joh. Meminger an, dessen später in einem Äus- 
aätzigengutachten nochmals Erwähnung getan werden wird. — 



' Stadtarchiv. AUt. IL. Von Edlen und Satibargern. 



^^H^ ■ H Aaserbt 



M 



112 Baas 

Ungefähr in die Mitte desselben Jahrhunderts fällt nun 
auch die Niederschrift des Eids, den der Stadtarzt schwören 
musste und der uns in „Aller Arabtleyten Schwerbuch" vor- 
liegt; seinem Inhalt nach ist er aber sicherlich viel älter, so 
dass schon der erste jenes Amts vielleicht nach ihm ver- 
eidigt worden ist. Da aus ihm die Tätigkeit des Stadtarztes 
zu ersehen ist, setzen wir ihn im Wortlaut hierher: „Item 
ir werdent schweren, unser gnedigen Herschafft von Öster- 
reich vnnd der statt Freyburg treuw vnnd hold ze sin, iren 
Nutz zu fürdern vnnd schaden ze wenden. All vnnd yed per- 
sonen, so ir zu zyten der ussetzikeit geschuldigt vmid (Ich 
geantwurt werden, treuwlich vnnd mit vlys ze schowen, der- 
selben schow mit den anderen, so tich geben sind, — es waren 
gewöhnlich zwei geschworene Meister des Barbierer- und 
iSchererhandwerks — uflfrecht vnnd redlich ze volfüliren vnnd 
in allen gestalten, darinn man sölich gebrechen erkennen mag, 
vlis anzekeren, damit die warheit darinn gebrucht vnnd er- 
fuunden word, darzu in der Ivb Artznye truw vnnd vlissig 
zu sin nach ewerem vermögen, die unsern unzimlich nit be- 
sohetzon. Acht haben, dass die Appotecker gut verkouffig un- 
vonlorben Species bruchend, Unnd wann mine Herrn ze Rat 
wenden, die Appotecker ze besechen, das ir darin willig syen, 
holffend bosochen ond probieren, nyemand ze lieb noch ze leid, 
durch keiner verpuntniss, lieby, fruntschaflft noch anderer ver- 
stondniss willen, sounder gemeinlieh, truwlich \Tind warlich 
damit umb gon, das an dem ort kein gebrech, klag noch 
nuMigol syo, vnnd ueh simst in den dingen der Artznye 
vnnd in anudorn halten nach zimliehen uflfrechten vnnd biUi- 
rhen s^ichon alles uugeverde. Doch wie es ein Rat gelegen 
sin wiU also mag er üoh enndern oder behalten." 

l>ie Kidesformol, wie sie hier aus jedenfalls recht alter 
Zeit vorliegt, enthielt aln^r nicht alle Pflichten des Stadt- 
«rztes: aus den Aufzeichnungen des Stadtschreibers', wie 
auch aus dem sogenannten , roten Buch*, welches bis ins 
14. .lahrhundort zurückgeht, ersehen wir z. B., dass ihm ob- 

' Katsprotokoilo \\\Hk 



(irsuudlu'itspflpgo im milti'Ialtei Iklien FreiburH 113 

lag. bei Verletzungen ein Gutachten oder Obergiitächten ab- 
zugeben. So heiüt es auf S, 136 des letztem, dass man hei 
einem Glocken- oder Blutgericht , solle zwen der XXIV mit 
(Jen tu-tzten oder scherem, so datzu gehören, über den wunden 
oder todten man schicken, den zu besehen". Und als im 
Jahre 1496 ein Knecht in der Vorstadt "Wielire erschlagen 
worden war. da lesen wir in den Hatsprotokollen , dass zwei 
aus der VVielire mit einem Arzt den Toten besehen sollen ', 
DaiTiach sollen zwei von den Freibuiger Stadträten, nämlich 
die beiden geschworenen Wundärzte der Stadt, Hans Rieh und 
Bernhard Huber, mit dem Stadtarzt nachschauen, wobei es 
sich herausstellte, dass der Erschlagene so tief verwundet 
worden sei, dass es , durch hut vnnd braten" gegangen. 

Aus etwas späterer Zeit Iiaben die Rataprotokolle uns 
das Zeugnis über eine Aussätztgenuntersuchung bewahrt, wel- 
ches hier angeführt werden soll: ,Wir hienach benempten 
Bemhardus Schiller, friger künsten metster vnnd in der artz- 
nie doctor, stattarzet ze Friburg im Brisgav, Beinhart Hubei' 
ond Alwig Rieh, beid scherer, alldry der obgemelten statt 
Friburg gesworene verseher dies gebrestea der malatzey, thun 
kund mengkhem unnd bekennt liiemit, dass wir uff beveih 
eines ersamen rats zu Friburg, desselben brestens halben, wie 
sich gepurt, besehen unnd versucht; uuud wiewol sy etwas 
niengel in ventn (?) hat, so sy den menschen abschucliig macht, 
haben wir doch dieselbe disa gemeit brestes der malatzey oder 
iissetzigkeit uff flissig ersehend ganz unschuldig erfunden. 
Das segen unnd behalten wir hy dem eid, so wir der obge- 
inelt statt gesworen haben; zu urkund geben wir ir disen 
lirief under unserm uffgeilruckt insigel , , ," 

Ein ähnliches Zeugnis, das 1397 wo! in Konstanz aua- 
[lefertigt wurde, hat Mone im lateinischen Wortlaut veröffent- 
licht: wenn wir heute aus unserer Zeit noch schaudernd lesen, 
■lass ein Vater mit seinen Kindern auf Lebenszeit iti eines 
Unserer glUckJicherweitie selten gewordenen Leprosenhäuser 

■ Poinaignon, Wie ni«ii in der Wiiie . . . (iericht halt, Sohau- 
indsnd B<l. XV. 

Alemutnit K. F. 6, n, □ 



lU Baas ^^^^^H 

verbi'acht werden rnusa, so verstehen wir die Wicbtägkeit 
solcher Cresundheitabriefo und die Verantwortung der Ärztv, 
die einen Menschen vor dem bürgerlichen Tod und dem vollen 
Ausächluss aus der mensclilichen tiesellsehaft bewahi-ten. 

Wir verstehen dann auch die Wichtigkeit des folgenden 
(jutachtens, welches unter dem II. Oktober ÜH'A ausgestellt 
und aus Fi-eiburg laut Eintrage im Missivenbuch an den Bi- 
schof von Straßburg gesandt wmde: 

,. . . Doctor Johanns meminger in artzny Hanns Uuber 
und Hanns Rych geswomen pei-sonen by uns über die ment- 
schen in ussetzigkeit vemielt halwn vor guter zit Wilschenn 
Habeiers tochter zu Kgensheini unser gnaden undertanig be- 
schowt als sich gebiSret, den (sie!) zumal unschuldig fiinden, 
ir des brieff und sigel geben über das haben die von £gens- 
heini der unsem rechtverdigung verachtet und besonder als 
uns anlangt uwer gnaden vogt zu Rufacli solle den brieff nit 
willig hören, desshalb die tochter von ireni vatter, mutter und 
den iren bisher geteilt gewesen sig demnach die tochtor 
widerunib für unser artzat geffirt yetz abermals mit gutea 
flyas von doctor und den genanten meisten) besichtigt, be- 
schowt und also eikannt ist, daz sy all dry samnithafft uff 
hut data vor unserm raut gestanden sind und ei?ilieIlicIioh by 
ii-en geswomen eyd und eren gesagt haben die gemelt toclit*r 
aey der siechtagen ganz und gar unbeswert schfin gesund und 
nit von den nientschen zu scheiden wol bab sy etwas bl5di- 
keit gegen den äugen die doch sonder siecheit in keinen we^ 
betüt. Dwil wir nu den handel so luter funden und uwer 
gnaden die genannt unser doctor und raeister ire wandeis rnd 
Wesens in warheit und glouben erkennen sy erbiettend sicli 
unch für meister zu Strassburg oder ein ander ort ze komen 
mit der dochter in meynena ir urtel soll buatetigt werden 
also ist an uwer wirdikeit unser demutig flyssig pit die am*' 
tochter ir vatter und mutter gnedeclich zu bedunken und nii' 
uwer gnedig vogt ouch den von Egenslieim zu verfügen, d« 
sy die tochter by wandel und wesen zu vatter und mutW 
gönnen und gestatten in vertniwen und ungezwivelt u«'«''' 
gnaden sig ouch zu sülichem werk der barmhertzikeit uwl 



J 



Efiiin<!lii^ttspfli'ge iin mitt^loltt^rliilicii Fi'<.>ibiiri: 



115 



besiinder so die rechtverdigmig das warlich ziileit geneigt 
Begeren wir iimb iiwer gnad allzit undertänig und willig zu 
vei'dieneii. * 

Und ein anderer Eintrag, weicher beginnt: „Kam der 
ätadtarzt mit dem Wundurzt und gab an, daas der Mami im 
äpital als fast untiilglich bresthaft . . .", zeigt, dass er auch 
im Krankenhans, d. h. im Ärmenspital, tätig sein musste'; 
dies, sowie seine Verrichtungen im Findolhauw. ferner die Be- 
handlung armer Dienstboten und Unbemittelter geschah un- 
entgeltlich. ScMeiilieh lesen wir in der Hebamnienordnung 
von löH)', dass, obwohl die meisten jener Arzte von Geburts- 
hilfe sozusagen nichts verstanden, zum mindesten in praxi 
sich gar nicht damit liefasaten, der Stadtarzt im Verein mit 
etlichen ehrsamen, weisen Frauen ein Urteil über die Brauch- 
barkeit neuer Kandidatinnen der Geburtshilfe abgeben musste. 
Dass bei den Berichten, die ferner der Stadtrat von ihm über 
allerlei Vorkommniese einforderte, auch der Humor nicht fehlte, 
ersehen wir aus einem Gutachten, das verlangt wurde, als im 
Kloster St. Klara Teufelsspuk vorgekommen und sogar eine 
Nonne davon ergriffen sein sollte. Auf Befehl seiner Übern 
nahm „da^ Ärztlein in der Neuenbürg" bei der Kranken und 
im Kloster eine Untersuchung vor, worauf der Berieht dahin 
lautete: ,wenn der Stadtrat dafür sorge, dass bei St. Klara 
nächtlicherweile alle Zugänge geschlossen würden, so wei-de 
sich auch kein Teufel mehr in den Klostergängen und Zellen 
blicken lassen." * 

Was nun der Stadtarzt für seine Tätigkeit erliielt oder 
fordeiTi durfte, darüber belehrt uns ein allerdings späteres 
Projekt zu einer Taxe für den Stadtphjsikus, das aber mangels 
anderer Nachricht hierüber auch für das Mittelalter heran- 
gezogen wei'den daif. Da heiüt es, dass verlangt werden darf: 
Für einen Gang bei Tage 2.'> Kr., bei Nacht 50 Kr, 
Für die übrigen Gänge bei Tage 10 Kr., bei Nacht 20 Kr. 



Kateprotokdle I4U1J. 
Pol«ej- Verordnungtii No, 56n. 
i.iesi-hiKhty d..r Uni 




i 



11« 






Für „den salva venia urio zu besehen* ohne Rezept 6 Kr., 

mit K«zept 10 Ki-, 
Bei vergifteten und aasteckenden Krankheiten für den ersten 
Gang bei Tag 1 Gulden, bei Nacht 2 Gulden; für die 
übrigen Gänge 20 Kr. 
Für Pi-aescriptiones und Rezept bei Tag 10 Kr., bei Nacht 

40 Kr. 
Für ein Conailium medicum bei bürgerlichen: 3(iii]den; für 

ein Visum repertum + Gulden '. 
Für die obengenannten unentgeltlichen Vemchtungen im 
Dienste der Stadt war als jahrliche Besoldung angesetit: 
In Geld 100 Taler, 
dazu Holz 8 Klafter. 
Salz i Sester 
nnd außerdem »ein freies Quartier". 
Jedenfalls war das Amt dos Stadtarztea angesehen und 
auch gesucht; von den Professoren dei' neugegründeten Uni- 
versität finden wir alsbald einige in der Stelle, welche auf 
diese Weise zugleich von Anfang an eine Verknüpfung der 
UochscfauUehrer mit der Stadtverwaltung herbeiführte. Als 
frühester Inhaber derselben tritt uns Dr. Konrad Knoll, seil 
1488 Professor, entgegen, der 1491 in den Steuerlisten auf- 
gezählt ist und von welchem das Nokrologium der Karthause 
zu Freiburg meldet*: . . . Ordinarius in medicinis Friburgi 
et phisicus opidi eiusdem, obiit -30. Maji I4D4. Sein Nach- 
folger war Dr. Joh. Widmann vnn Heintzen, der nach den 
Ratsprotokollen von 1494 ,zu der statt artzet uff sin Pit uiF- 
genommen, den eid lut des Eidbuehs gesworen hat. doeb 
mit der lutrung, dass der Rat in absetzen vnnd enndem mag 
nach sinem gefallen". 1501 findet sich sein Name in der 
Steuerliste mit der Bezeichnung ,der stat artzaf. Lange 
Jahre scheint er dann dies Amt inne gehabt zu haben. nänili''li 
bis 1508, wo er vorübergehend in den Dienst des Herzogs l'l- 
rieh von Württemberg trat, um diesen auf seiner Romi-eisc m 

' Stadtarchiv SI, No. 10, Auhan?. 

• Mone, Zeitschrift fdr die Liestliitlit.' dt"* Oherrlieiiis XII.IT, lä^- 



Geaiindlieitspflege im mitte Inlterli dien Freilmr^ X17 

begleiten; das StadUirchiv bewahrt noch den Brief an die Stadt, 
worin letzterer von Wildbad aus am 25. Mai 1508 sich be- 
dankt für die Überlassung des „Job, Wydinann, doctor der 
Artziiey, so Euch mit dienst vorpflielitet ist' '. Die Stadt 
aber antwortete daraufhin wieder: . . . „Die gnedig schiifft- 
lich danncksagung , so E. F. G. uunss um desswillen gethan 
hat, daz wir E. (i. doctor bansen wydman artzt uff den Rom- 
zug gegönnet aolln haben, war onnodt gewest. Dann es ist 
unnseiibalben mit ganntz diennstlichen geneigen und guten 
willen beschehen unnd wo Eweren F. G. wir inn allweg nach 
unnsenn vermögen konndten oder möchten willfar bewisen daz 
stund unns zu allen zitten wol inn willen. Damit liab dicselb 
E. F. G. unns getiniwlich bevolhen. Dat. uff ascension (1. Juni) 
anno Dom, MDVllI." 

Nach Wydmann übernahm 15(J8 die Stelle Dr. Bernhard 
Schiller*, der früher schon im .lahre liW in den Ratsproto- 
kollen als zur Apothekerpi'üfungskommission gehörig erwähnt 
wird; 1490 war er hei der Universität immatrikuliert worden 
und lehrte dami seit 1503 in der medizinischen Fakultät. 
Vielleicht hatte bereits damals die Stadt zwei beamtete Ai-zte, 
da wir auch von Dr. Tb. Ulsenius*, Universitätsprofessor, 
wissen, dass er bei der Besichtiginig der Leprösen mithalf 
und dafür von der Büi'gerschaft eine Zulage von zehn Gulden 
zu seinem Gehalt bekam. Schiller wurde später geisteskrank 
und starb etwa um l.ö2H zu Ba»<el im Spital, woselbst er 
von Paracelsue behandelt worden war*: nach ihm ist ver- 
mutlich Wydmann, der 1520, in weichem Jahre er wiederum 
in den Steuerlisten erscheint, von neuem als Satzbürger auf- 
genommen wurde, nochmals Statltarzt gewprden, da er 1529 
neben Dr. David Krämer^ in dem Protokoll über eine Apo- 
thtikenbesichtigung aufgeführt wird. Auch 1530 finden sich 

, ' StodtarchJT, AU. XXXIV, 6. 

I ' Schreiber, Cniversitätsgoacliidito I, 23Hff. 

» Sclitciber. UnivetaitAtHgeBchioUte I. 2;itt. 

' Nach einem n<ich nicht genauer vurttffedtlicbten Fund voo 
■ Sir. Albert, t^ladtai'chit-ar zu FrcJhurg. 
k^B * StadUrdiiv XL No. 1. 



U8 






I 



die beiden letztgenannten noiih in den Steuerlisteo ; Kriin«r 
vorher schon 1520. 

Alle diese letztgenannten Ai-zte waren neben ihrem Lehr- 
amt noch praktisch tätig innerhalb und aiiLWhalb der Stallt; 
vor seiner Rückkehr nach Fieihtu-g war Wydmann mehrere 
Jahre Leibarzt des Mai-kgrafen Cluistof gewesen und auch 
von andern wissen wir, dass sie bei schweren Erkrankungen 
weltli^.^her und geistlicher Fürsten zugezogen wurden. 

Außer den genannten Ärzten, welche uns als Beamte 
der Stadt bekannt sind, niüsnen aus der zweiten Hälfte des 
lö, und dem Anfange des Hi. Jahrhunderts noch folgende er- 
wähnt werden. 

In den Aufzeichnungen des ersten Rektors, zugleich ersten 
ProfeSHors der Medizin an der neuen Freiburger Hochschuli-. 
Matthäus Hummet', wird des Arztes Dr. Thomas, als des 
sorgsamen Päegei's in der letzten Krankheit jenes Manns 
gedacht: seine hier erwähnte Tätigkeit fallt etwa in das 
Jahr 1477, Vielleicht ist er identisch mit einem .Dr. Tho- 
mann Dernberger (oder Dornberger) von Memmingen*, 
welcher ohne weitereii Zusatz in den Missiven der Stadt nntor 
dem 27. Januar 148Ü erwähnt wird. Früher, wol um die 
Mitte des Jalirhunderts, muss Magister Heinrich, der 
arzet, gelebt haben, den das Häuserbuch nennt: nur eine 
Vermutung kaim es sein , dass er vielleicht der 8päl<*r 
nach Heidelberg übergesiedelte Magister Henricus Mtinsiugen 
ist, von dem die Universität Freiburg ein Pestgutachten ' 
aus derselben Zeit besitzt. In die Neuzeit aber leitet una 
ein Name über, der in der Geschichte der Medizin einen 
guten Klang besitzt und uns in Freiburg zum ei-sten Male 
begegnet. Im Jahre Ui02 lieü sich Dr, Eucharius BfigsliD* 
als SatzbQrger in die Stadtgemeinde aufnehmen, um daselbst 
bis 1506 zu bleiben, wo er als Stadtarzt nach Frank- 

' Sehreiber, UmversiUtageachbhte I, ZU,. 

' H. Mayer, Zur Geschichte der Pest im 15. bis Ifi. Jahrhuiiilrrt. 
Bchauinslsnd Bd. XXVTIl. ISIOO. 

Vgl. meinen Aufsatz, Dr, E. Rösslin in ,Vüm Rhein*. Wtirm». 
Mai IWS. 



CtsiindheiUijHc^i' im mittelaltorlichen Krciiiur^ 



119 



fnrt a. M. berufen wurde; von hier siedelte er nach der 
alten Keicliestadt Worms über, in der er das Bucb verl'asstc, 
welches ihn weithin bekannt und berühmt machte. Es war 
ein Lehrbuch der Geburtshilfe mit dem Titel: „Der swangeren 
Frauen und üebammen Rosegarten"; wenn auch Freiburg mit 
der Abfassung dieses in viele Sprachen übersetzten Werks 
unmittelbar nichts zu tun hat, so )iat doch in seinen Mauern 
der Verfasser desselben sein ärztliches Können begründet. 
Jedenfalls ist Rösslin der historisch bedeutendste unter den 
hier zu nennenden Freiburger Medizinern; mit ihm mag in 
würdiger Weise die Reihe der uns bekannten mittelalterlichen 
Ärzte dieser Stadt abschlieUen. 

Überblicken wir nun noclimals die Aufeinanderfolge der 
besprochenen, als wirkliche, studierte und appi-obierte Diener 
der Heilkunde uns jetzt bekannt gewordenen Männer, su sehen 
wir. diiss wir von dem Jahre i;W9 an eine vollkommene 
Reihe von Ärzten nachgewiesen haben, die in Freiburg prakti- 
zierten: unter diesen macht die Gründung der Hochschule einen 
Einschnitt, indem nach dem Jahre 1457 mir doktorierte Laien- 
äi-zte gegenüber den früheren Magistern erscheinen. Dies wii-d 
im» dadurch verständlich, dass den Universitätsprofessoren als- 
bald nicht nur die Tätigkeit des, beziehentlich der Stadtärzte 
übertragen werde, sondern sie außerdem noch die Praxis be- 
trieben, in welcher dann nur gleich ausgebildete, durch den 
Doktortitel, der bei den Universitäten an die Stelle des alten 
lind jetzt zurücktretenden , Magisters' trat, als solche gekenn- 
zeichnete Ärzte mit ihnen konkm-rieren konnten. Überhaupt 
war der Universität resp, der medizinischen Fakultät von 
voiTiherein das ganze Medizinalwesen zur Beaufsichtigung 
tmtorstellt worden, wie wir dies in der Gründungsurkunde 
derselben lesen können, wo es heiüt'; 

,D8ß menglich wol versorgt, und keinerley unere unser 
universitet oder iren facidteten zugezogen werde, gebieten 
wir, das die amptlüt unser statt Fryburg keinen Ubartzat, 
frow oder man, der von der facultet der artznie nit bewert 



^v'Schreil 



hreiber, Urkimikmbiic'li II. iW^/iH. 



180 






oder zugelassen sy, lassen enicheiley artznie zu Fryburg 
triben oder üben, als lieb in unser hulde sey. es sy mit 
wasaer besehen, leynigung geben, oder in welche weg sich 
das fügt. Desgleichen wollen wir, mit den appenteckem, 
wildwurtzelern, und mit den die man nempt enipericos. ge- 
halten werden. Wir setzen auch und wellen, das kein 
wundartzat, scherer oder ander, in was atats der sy, üb- 
artzny tiiben, er sy dann bewert von der facultet der 
artznie. und zugelassen von den meistern derselben facultet. 
noch Aber kein wunden, daran etwas sorg und B<^:hadens 
gelegen, oder die in houpt, hals, brüst, buch, gemecht, 
oder sust misslich zu heilen ist, über das erat verbinden, 
on rat und willen eines bewerten meistere in der artznie, 
als verre er den mag haben, gange, die salbe verbinde 
oder hoile, in unser statt Fr>'bui'g by verfiemng dryssij: 
guldin, uns halb und halb unser statt Fryburg, dartzu 
alles lones der im von der wunden solt zu heileii wenleo 
Da by sol auch von derselben facultet der artznie be- 
stelt werden, das niemans vereumpt. oder dui-eh ir ali- 
wcsen verkürzet, noch sust mit Ion unziemlich beschetzt. 
sunder diss alles redlich und on ge\'erde uffrecht gehatcn 
wird. " 
Dadurch, dass eine Hochschule nach Freiburg kam, bfr- 
kommen wir übrigens noch erwälmenswerte Einblicke in den 
Bildungsgang und in das ärztliche Wissen von einigen unserer 
Fachkollegen aus jener Zeit. Konrad KnoU, desBen als 
Stadtarztes bereits gedacht wurde, hatte der Bakkalaureat in 
der Artistenfakultät zu Erfuit, die Magistei-würde in der- 
selben zu Freibm-g im Jahre 1472 sich erworben'; von dieser 
Zeit an wai" er in jener in verechiedener Weise tätig, las 
über aristotelische Bücher, sowie über Rhetorik und Musik. 
Im Frühjahr 1478 übemahm er dann die Stelle des Rekton- 
an der städtischen, seit etwa 1260 bereits bestehenden Latein- 
schule *, wol um Mittel und Zeit für seine medizinischen Studio" 



' Schreiber. üniversil.Htaseschichte I, S. 224. 

' Bauer, Vorstllnile der Freibiirger Liiteinachule. Kreibu:? 1^^'' 



(Jesiindhi'it^pHt'gi- im miUfliilU.>rliclien Ficiliurg 



121 



»n gewinnen, welche er 14S8 mit dem Doktorate abaclilosa, 
worauf er sofort die medizinische Professur erhielt'. — 

In einer Verkaufsurkunde aus dem Jahre 15:^6 fand ich 
den ,Doctor Jörgen Maler, medicum, alten Schulmeister zu 
Fn'burg" erwähnt, welcher bekannter ist uuter seinem latini- 
sierten Namen Georgiiis Pictorius*: auch dieser Mann war nach 
erlangter Magistenvilrdo in der philosophischen Fakultät von 
lö2!> an Rektor derselben Schale und studierte in seiner 
freien Zeit jetzt Medizin. Als Frucht seiner gründlichen Aus- 
bildung veröffentlichte er späterhin, wo er Arzt der öster- 
reichischen Ilegierung zu Ensisheim geworden war, eine lange 
Reihe philologisch-philosophischer, naturwissenschaftlich-medi- 
zinischer und poetischer Werke. Ähnlich vielseitige Tätigkeit 
ist uns ja noch von gar mtinchem Mediziner joner Zeit be- 
kannt: so war K. R. Günther von Andernach" Lehrer der alten 
Sprachen in Goslar und LBwen, bevor er die Heilkunde stu- 
dierte, und trug auch später in Ötraßlmrg zunächst Ulier 
griechische Klassiker vor. Allei-dings müssen wir uns dabei 
vor Übei'schätznng solcher Leistungen hüten und überhaupt 
bedenken, dass, wo viel Licht, auch viel .Schatten ist, welches 
Sprichwort auf das Zeitalter tler Renaissance im ganzen wol 
angewendet werden kann. ~ 

Welche Vorschriften man damals für die Arzte aufzu- 
stellen für gut fand, das mag hier aus dem Beispiel einer 
aolchen , Ordnung" .ersehen werden, welche sich in den Akten 
des Stadtarchivs befindet*. Zwar stammt dieselbe aus Straü- 
burg, von wo sie der Stadtrat von Freibnrg als Muster für 
eine von ihm aufzustellende sich erbeten hatte: wie aber die 
vorhandenen Apothekerordmmgen beider Städte fast völlig 
einander gleichen, so werden wir auch jene ohne Scheu auf 
Freiburger Verhältnisse anwenden können. Die beabsichtigte 
Arzteordnung scheint hier gar nicht zu stände gekommen zu 

■ SUdtarcbiv XXSIX, 14. 

' E. Kurz, (leorgiua Pictorius. Freilrarg unil Leipzig 1895. 
' Bernajs, Zur Biographie Joli. Winthers toii Andernach. Zeit- 
schrift rar die Oeachicht« des Oberrherns XUI und XVII. 
* Slndtarrhiv XI.. No. 2—10. 




182 Haas 

sein, womit Übereinstimmt, da&s auch der Stadtrat von Strall- 
burg keine guten Erfahmngen mit der sein igen vermelden 
kann. Obwol die vorliegende Abfassung aus der ersten Hälfte 
des Iß, Jabrhunderts stammt, kömien wir sie docb zur Cha- 
rakterisierung eigentlich mittelalterlicher VerhältniBsebenuteen; 
ihr Wortlaut ist nun folgender: 

Ordnung der artzote. 

„Maieter unnd rat umid die 21 habeniit erkennt, dos 
zukUnfftigklich zu hallten, wie hernach geschrieben steeht, 
nämlich, das fürbasshin inn der statt Sti'assburg nyemants, 
er syent man oder frawen, gestattet werden soll, sich lib- 
oder wundartznye zu gobruchen oder viel zu haben über 
viertzehenn tag lanng ungevaidlich , er sy denn der statt 
Strassburg burger unnd hab gesworen das bürggereclit unnd 
dene nachgemellte Ordnung zu hallten unnd dainn zu ge- 
loben, so witte dasa ir yeden berüeithe, in massen wie hie 
nach geschrieben stat. Eh sy denn aus sonnderliche ei- 
laubnües unnd vergännung maister unnd rath, so dann zu 
zytten im werden. 

Zum ersten so sollen alle artzotte, hoch oder nyder- 
stanndig, die sich das üben unnd gebriichen wöCen, zuvor 
abschweren khein appoteckerey zu triben unnd Bonnder- 
lichen khein gifftig tryend' oder purgierende artzney oiler 
trankh zu iren husern zu bereytt«n oder zu maehen, die 
under die krannkhen auszuteyleu oder zu verkoüffen in 
kheinen weg. Sonnder sollen sieh allein gebruchen der 
Wasser zu besehen unnd den krankhen rat unnd anweysunp 
ze geben miinttlich oder geschrifften unnd sy dann lassen 
artzney selbs bestellen imnd kouffen, es sey in den appe- 
tecken oder sunst wie einem yeden geliebt. Sy sollen flucli 
nyeraants ein sonder anwey-iung geben, zu disem oder ye- 
nem zu gan yemande.s damit zu fürdeni oder zu hyndem 
in kheinen weg aller ding untadlig. 

' tryend zu mhd, trüejen ^ wachsen, geiieihen, spAter raundjirtli'i' 
diuk, fett, stark werden. Vgl. Stalder. Versuch einfa scliweU, iH«- 
tikun I 311. Hier in der iibgel ei toten Bi'dentun;: .krüftig, stt 



GeäuuillieiU])ll<?ge im miltrtHllerlii'hrn Freiburg 1-23 

Sy sollend auch hy denselben iren aydeii mit kiieinem 
appoteekher üder wiirtzler weder teyl noch gemein haben. 
Sy auch iiit verlegen oder inen vons zytt gevafdliclis lyhen 
oder filrsehen in kheinen weg oder von ir kheineni oder 
yeniannts von inentwegeii weder gab, myet oder «chennckhen 
ziinenien, durch sich, ir weyb. kind oder gesynnd, dadurch 
es iren nutK kiimen mficht ungevardlich. doch ob ein appo- 
teekher kreuttlin oder wurtzen einem artzt zu zytten im 
iar ettweg essender oder trinckender spyss schanekte, daa 
sich zum gantze iar nit über ein gülden treff ungevard- 
lich, das soll ynen guettlich zugelassen unnd vergunodt 
werden. 

Sy sollen auch bey denselben yren eyden geüyssen unnd 
geneygt seyn, einem yeden kranncken mentschen, er sey 
reich oder arm. getrewlich zu ratten unnd anweyssung zu 
geben, womit irem yedem hieiff oder rat bestehen mög und 
ye nach gestalt unnd gelegenhaytt syner personnen unnd 
krannckhayt., unnd daryin nyemantz heschetzen oder ilber- 
nemen, sondeni mit zymlicher unnd geburlicher belonung 
genuegen zu lassen ungevardlich. 

Sy sollent auch kainen siechen kranncken mentschen 
verdingen oder ym znmutten, umb ein bestimbt gellt hieltf 
oder rat zu tun, uff das sy nieinants durch sy gevardlich 
überschetzt werden mög, sonnder sich yr kunst frye ge- 
bruehen inmassen wie vorsteet. unnd ir arbeit belondt 
nemcn nach zymlicher gebiirdo, als dann zum tayl hernach 
gemeldet würdt. 

Nämlich wellicher gelert oder doctor in artzney ist, der 
mag von l)üi'gern oder hynnder^assen zu Strassburg von 
yedem wa-sser besehen unnd für seinen rat unnd recept zu 
schreyben nemen sechs pfennig als vom alter her gewonn- 
hayt iet: yemandts weit dann ynen von fi-j'eu willen gern 
mer geben ungevardlich. 

Wann auch ir ainer berueft't oder gebetten wurdt zu 
ainom kranncken mentschen zu kumen, das ain rieh ersaut 
persoi) ist, gibt die im anfangs ein gnlden, so soll er vei-- 
. eein acht tag lanng zu demselben mentschen zu 



kariH^en eein &c 



gon, so dick es not ist ungevardlicli. ym zu ratten uniiJ 
sin Wasser zu beselien zu dem besten er kan unnd sich 
verstatt, unnd wenn die acht tag unib sind, git nmn dann 
khain gülden iner, so mag or heyni blieben, biss das man 
wider nach im schickt. 

\Verent ea aber gemein oder arm personnen, die nit also 
zu lassen hetten, so sollen unnd mügent sy für ein yedeu 
gangk so sy gebetten oder berufft werden nemen ein Schil- 
ling pfennig unnd nit mer, aber mynder niögent sy wol 
nemen ye nach dem sy der personneu armut. oder göttlicli 
üb uimd ir andacht dartzu geneygt lumd bereyt ist. 

Welliche personnen aber nit also geordnet uimd geleert 
werent, imnd d(»cli IIb artzney pflegen unnd üben wolltenil, 
die sollent ynn den obgemellten stücken nit mer denn halben 
sold nemen alles ungevardlich. 

Es sollen auch alle artzotte by iren gesworenen ayden 
vierdachten personnen geben odei' lassen wei-den keiner- 
ley gifft oder annder tryend artzuey, dadurch yemauiit^s 
schaden zugefuegt oder die geburdt vertriben weiden iniig 
by straffen lybs unnd lebens. 

Unnd uff das die meng in Strasaburg mit den besseren 
unnd bewerten artzten türsehen werden möge, so soll nioii 
zwen artzotte, die ynn elichem stat syent. so fern man 
die haben m!(ge, argwon zu vemiyden, auch umb das sy 
desto geueygtter syent flyss an zu keren, bestellen umb m 
• zymiicheu sold ye nach dem unnd ainer ynn der kunst be- 
niembt unnd bewerdt ist. Dieselben zween sollend auch alle- 
wegen jtii iar zweymal mit anndem zugcordnetten per- 
sonnen heiffen all apotecker, kreuttler unnd wurtzler be- 
sehen unnd rechtfertigen, das sy gut, gerecht unnd friscli 
ding fayl liaben, oder sy daiumb zu straffen nach gebür, uml* 
das nyemants durch sy beechyssen oder betrogen werden 
möge. 

Dieselben zween sollend auch by iren aiden scliutdig 
unnd verbunden sin, inn der statt Strassbm'g zu bliben unini 
on sonnderlich erlaubnüss maistei'S und raths oder ein^ 
ammeisters nit ausser der stat zu faren oder umb lu- 



Gesundheitspflefic i 



iclien Frei bürg 



12 



fallenden kranckaitten zu weychen, yn kheinem weg, doch 
soii man njiiier von ynen beyden sambt auff einmal hinweg 
erlauben. ufT das die meng nit ratloes blieb." 

Eine Illustration zu diesem Absatz der (Ordnung liefert 
uns ein später nochmals zu erwähnender Brief von Freiburg 
an Straßburg. in welchem es um Überlassung des Stadtarztes 
behufs Vornahme der Äpothokenl>esichtigung ersucht; ^bo aber 
der bemelt doctnr (Johann Fuchs) , . , sounder bewiiiigung, 
als wir bericht werden, sich nitt bedarff von eures statt usseren, 
so bitten wir euch zumal freuntlich uns denselben doctor 
Fuplisen zu vergönnen ..." 

Noch mag aus einer späteren Straliburger Verfügung über 
das Amt der ätadtärzte folgendes hinzugefiigt werden, das» 
es nämlich ,das Honorar betreffend ungleich gehalten worden 
sei, weil die Krankheiten sowie die Vermögenslage der Pa- 
ttenten zu ungleich seien, es mit den Besuchen bei Tag oder 
Nacht, besonders bei vornehmen Leuten, verschieden gehe; 
danim sei meistensteils die Kemunemtion pro labore frei- 
gestellt worden'. Derlei Bestimmungen haben heute insofern 
ein aktuelles Interesse, als aus diesem praktischen Kflckbtick 
hervorgeht, wie schon damals die Durchführung einer ,Ärzte- 
ordnimg" mit Schwierigkeiten verknüpft war: es ist bereits 
angeführt worden, dass es in Freiburg, vielleicht mit ver- 
anlasst dui-ch die Erfahrungen anderer Städte, zu solchen Ge- 
setzen gar nicht gekommen zu sein scheint, da sich keine 
Spur davon mehr findet. — 

Die seither angeführte Straliburger Ordnung, sowie auch 
lier oben wiedergegebene Abschnitt der Verfassungsiirkunda 
der F'reibnrger Hochschule enthalten eine auffällige Gleich- 
stellnng der Frauen imil Männer in Hinsicht auf den ärzt- 
lichen Beruf; dass eine solche aber nur der allgemeineren Auf- 
fsssung der Zeit entsprach, geht auch aus einer Bestimmung 
des Kollegiums der Ärzte Roms, die dem Ende des 15. Jahr- 
Iiunclerts entstammt, hervor. Sie lautet: .Nemo masculus aut 
foemina, seu christiaima vel judaeus, nisi magister vel licen- 
tiatus in medicina foret, änderet humano corpori mederi in 
physica vel on chyrurgia.' 



A 



126 






Obwol wir nun wisseii, dans dementaprechend w im 
Mittelalter ziemlich viele Ärztinnen ', darunter nicht wenig 
Jüdinnen gab, so Imben wir aus Freibiirg duch nur eine ein- 
zige Nachiicht gefunden, die sich auf diu Ausübung der Heil- 
kunde durch eine Frau bezieht, Wenn wir durch dieselbe 
auch eine recht schlechte Meinung von dem Kiinnen der he- 
treflenden .C'ollegin" liekommen, bd soll die tragikomische Er- 
zälilung davon doch hierher gesetzt werden, da sie kultur- 
geschichtlich ininierhin interessant iat. 

Unter dem 6. November H97 findet «ich nämlicb in den 
RatsprotokoUen folgendes: ,Es ist ein artzattin hie zu Fr>- 
burg bym Johann, die sich understannden hat zu artzen: über 
als ein artzt grossen trug unnd übeniemen gemellt. Jas sy 
von ein ai-nien knecht gelt genommen, im sin khind zu artzen 
understand, unnd im das khind dermassen artzet. das es sin 
tod wai*. also das der gut knecht von am khind unnd sin 
gett kam, ist orkant, das sy dem armen sin gelt widergeb, 
unnd man Johann straf, unnd sy frujitlich hhiweg wise." 

Überhaupt fehlten im Mittelalter wie überall, so auch in 
Freiburg zahlreiche zweifelhafte .Heilkundige** nichts als dd 
wai-en Zigeuner, »Wyber, ao die artzney brouchent", Segen- 
aprecher, Jacobsbrüder, Chiromanten, Wiidwurzler oder soge- 
nannte Empirici, «Winkel- und Stimpelartzten", Bruch-, Stein- 
schneider und Augenärzte", welche mit silherbeschlagenen 
inätrumenten und ilireu „Kunstbüchem" prunkten, dabei etwa 
Aqua vitae brannten und allerlei Arzneien zusammenbrauten. 
Ijii Archiv der Stadt findet sich ein von der Univereität vor- 
gelegtes .Bedenken" *, wie ,sich ein ersamer Habt woll wüsse 
zuehalten inii abscliafi'ung der landtfarrer, zahnbrecliern, Juden, 
kälberarztat unnd dergleichen leuthbetrueger, durch wülche 
die krannckhen betrueglich ohn frucht inn schwärenn Unkosten 



' Vgl. Lipinska, Histoire dea femmes mädetinB. Paris IdOO. 

* Schreiber, Zur Sittengcscliiciite der Stadt Freiburg im Adressbuch 
für 187Ü; ferner Schere ritrilnung S. 31. 

' Schreiber, Unirersltfitsgeschii^hte I, S'J2. 

' Hon« in Zeitsehrift fOi' die Oeachicbte des Oberrheina Xlt, Ir^S 
und StorftarcliiT XL No, 7. 



Gesimdlicilspflegi' i 



II i I trlal t crl i i-li II Freib ii rg 



127 



gebracht werden." Auch Küiz gibt in öeineni Buche über 
Pictoriuü eine nette Auslose dieser am Überrheiii sicli liermn- 
treilienden Zunft, die da besteht aus: ^verdorbenen Apothekem, 
verlornen Pfaffen, dollen Juden, Eürsiniuskrämern, Schneidern, 
Thorwarteii, Schuhplätzern, Wurtzenträgem, zenbrechem, alte« 
einueggen, zaniosen vetteln, alten hewbärgischen beschornen 
weibern, baderknechten, wasenineistern und anderen Idioten', 
wozu wir noch die Henker und Schinder fügen könnten, welchen 
z. H. nac^h Becker in Hildesheiin auUer der Stadtreinigung 
d'dü Bebandehi und Begiaben der Kind better innen oblag!' Die 
Uraache von alledem lag natürlich mit darin, dass die eigent- 
liehen j^rzto nur' iiineie Krankheiten l>ehandelten, die groUe 
Menge der äuüeren Schäden etc. aber dem niederen .Heil- 
personal" überlassen blieb. — 

Unter dorn letzteren spielen nun von Anfang au die 
Scherer und Bader, als die Wundärzte und spateren Chirurgen, 
eine wichtige Rolle; schon in dem sogenannten Stadtrodel, 
der nach Untersuchungen von Maurer' und Hegel' etwa um 
die Wende des 12. Jahrhunderts entstanden ist, findet sich 
eine Andeutung ihrer Tätigkeit, welelio dann bestimnitei' in 
dem ersten deutschen Entwurf der Stadti-echte vom Jalire 
1273 hervortritt*, um welche Zeit ja noch keine Ärzte vor- 
handen waren. Da heiüt es, dass .zweene der vierund- 
zweinztgon achowint des kJägira wunden, ob sy durch hat gat. 
und dnr braÜn, alsso daz si mag heizen im bluelendiger slag"; 
dass diese beiden aber in der altem Zeit sicherlich Sclierer 
waren, das haben wir bereita aus dem früher angezogenen Be- 
richt über einen Totschlag in der Vorstadt Wiehre ersehen, 

Schei-er (und Bader, was nicht dasselbe war) gehörten auch 
in Freiburg mit den Weibern, .die Arzney treiben', und 
andern in die Ualerzunft, welche eigentümliche Zusanuuen- 



' Becker, Geschichte der Medizin iu Hililwlii/ira. Zeitschrift fOi 
Klio. Medic, fid. 38. 

* Maarer. Eritiache Untersuchung der ält«8ten VerrassungBurkuDd« 
von Freibiirg. Zeitschrift fUr die GescKichte des Oberrlieius. N. F. 1. 

■ Hegel, Das älteste Stadtreeht von Freiburg. Kbd. N. F. 11, 

* Schreiher. Urkundenbuch I, 1. 




J 



128 






etel]iing sich dadurch erkläit, dass der gemeinsame Pstran, 
der heilige Lukas, nach dei- biblischen Überlieferung nicht 
nur ärztliche Tätigkeit ausübte, sondern auch als der Ver- 
t'ertiger des ersten Marienlülds galt. Nach der bereits er- 
wähnten, alleiiliiigs spätem Kleiderordnung rechnete man sie 
mit den Apothekern in die dritte Klasse der ^vomelinien' 
Handwerker, was für die Bader bis ins spätere Mittelalter 
jedenfalls nicht galt; wie es fiir jene Überhaupt im Mittelalter 
die Regel war, so bildeten auch die alten Chirurgen eine 
sogenannte Bruderschaft, deren Schützer die medizinischeu 
Heiligen Cosmas und Damianus, sowie (wol für die Hebaminen 
und andere) St. Anna waren. 

Seherer und Bader gehörten nicht überall zur Maler- 
zuiift; entsprechend der Zunftzuteilung nach dem Objekt, mit 
dem das einzelne Handwerck sich bescliäftigte, waren z. B. in 
Villingen die Scherer bei der Metzgerzunft, da sie ja auch an 
dem Fleische sich betätigten. In Worms aber gehörten sie 
mit den Musikanten, Schumsteinfegem, Bildhaueni. Buch- 
bindern u. a. zur Schilderzunft; das tertium comparationis ist 
in dieser Einteilung nicht ohne weiteres ersichtlich. 

Die Niederschrift der Schererordnung ' aus dem Jahrs 1509. 
sowie die ,H«formation der Malerzunft und derer, die dazu 
gehören", belehren uns nun des genaueren über die Ausbildung, 
das Leben und Treiben der Zwiftgenossen. wozu die in den 
Rats Verhandlungen oder sonst überlieferten Vorkommnisse so- 
zusagen die Illustrationen liefern! 

, Welcher der scherer hanndtwerck mit der wundartzney 
treiben will, soll das erkouft'en, wie das der zunfft recht ist; 
er soll von erbera leuteii, erlich sin uiind erbem wesens'. darf 
auch mit keiiier ansteckenden Krankheit, als welche damals 
hauptsächlich die .malazy*', d. )i. der Aussatz, gefürchtet 
wurde, behaftet sein. Nach seiner Lehrzeit wurde der Knube 
von den Meistern geprüft, ob er recht scheren, schrüpfen. 
Zahnziehen, |ver)binden und |ader)lassen kilnne: dann konnte 
er mit fünf andern in die Liste eingereiht weiden, aus welche»- 



' Zimff- und Haniäwerksürduung. -Stadtarchiv XXXV No. hO. 



riilbi'Ltfi]itlo^e im mittflaltcrliclirii Freilmrg 



129 



rter Rat st-iiiti vier geKi'hwort'iien Wundärzte auswählte, die 
iK'i Verletzungen besichtigen oder bei andern gerichtlichen 
Fällen. z.B. auch der Hinrichtung, aU Sachverständige zeugen 
und dienen iniisuten. Bei einfacheren Schäden, „wenn der 
krannck au dem meister gut beniigen irnntt ein vertruwen zu 
im hatf, kann ein Scherer „getruwlieh unnd flisslich" die 
Behandlung allein Übernehmen; will der Patient aber noch 
einen zweiten Meister, oder scheint es, dasa .Böllich schaden 
den menschen zum tod oder lerne oder sunst gross naehteil 
an sinem Üb bringen unnd reichen niöcht", so soll ,kein 
meister sich unnderwynden allein zu binden, sonnder einen zu 
im nemen, der so vil oder mer weiss als er, sovem er den 
liabemit mag, damit «yemandt versumpt (versäumt) werd". 
Ein solcher Fall lag nach den Ratsprotokollen z. B, im Jaliro 
1-100 vor, als ein ,vast wunder mann' zum Tor hereingeführt 
und zunächst zu Meister Michel gebracht wurde; dieser aber 
begehrte, ,diwyl im der schaden ze gross sye", dass man 
noch einen andern Seherer hole und den Mann ins Spital 
bringe, besonders, da auch die „Gäste" den „kranncken mann 
schuchen' (scheuchen). 

Wie nun bei einei' solchen Beratung die Meistor sicli ver- 
halten sollten, das ersehen wir aus weiteren Bestimmungen, 
wo es heiiSt: ,Wenn zwenn oder mer über ein gebennd 
( Vei'band) lierüfft werden, so sollen sy einander truwlieh ratten. 
doch iiit vor dem kranncken, damit, ob sy misshellig würden, 
der kraimck dorab nit beswerd empfah, oucli keiner den ann- 
dem gegen den kranncken oder aimdeni letzen oder schelten." 

Bei Vei'letzungen sollen die Meister auch „ernstlich er- 
fahrung haben, wer sollichs gethan hab unnd solches einem 
burgermeister ylennts, so bald sy mögen zu wissen thun". 
Kommt aber ein Kranker durch Schuld eines Meisters zu 
Schaden, so muss diei^er ihm Ersatz leisten: wenn aber ein 
Meister die Ordnung nicht hält, oder aber ,ein ding so gefarlich 
hniche, die meister sollen macht Imben, in witter zu straffe denn 
die artickel innhaJten". fler Zunftmeister entscheidet auch^ 
.wenn zween oder mer spennig (uneinig) werden umb einen 
arzattlon; doch das der krannck darunder nit versumpt werd*. 



130 






Im allgemeinen aber wird dai-auf gesehen, dass der Patient den 
Wundarzt ,uiiib füigehen, arbeit unnd coaten erberliehiisricht'. 

An hohen Feiertiigen sciU kein Meister des Handwerks 

scheren, ,ea wer denn, daz nifln ein Kind in ein closter thätt 

oder ob yeniant wund werd; aber uff sonntag unnd sunst uff 

annder fyrtag mag einei' wol ein beekin usshenncken unnd iiit 

mer". Keiner aber soll ,dem anndem ein künden abbitten". 

„Sy eollent oucli all genieinlich von einem stuck lauss 

(Aderlasä) brieff haben, damit sy all mit einanndem con- 

cordieren unnd nit einer hut usshenngt, der annder mora: 

sy sollen des raut (Rath^ haben by den doctoren, die sich 

des verstonnd. damit sy recht laussbrieff kouffen." 

Ohne weitere Erläuteningen ersehen wir aus dem Vor- 
stehenden die Tätigkeit der Scherer; wii- erkennen aber zugleicli 
die wnndärztJiche Ethik, wie sie da» Mittelalter im Verkehr 
mit den Kranken wie mit den , Kollegen* verlangte. Und 
wir brauchen niclit anzustehen, in Übereinstimmung mit jener 
Kleid eroi-dnung, dieses Handwerk zu den .vornehmen' zu 
zählen trotz manchei' Bestimmungen, die uns heute minde-stens 
sonderbar, wenn nicht gar wenig ehrenvoll erscheinen. Hat 
doch schon Hammurabi festgesetzt, dass der Ghii'urg, der 
z. B. durch eine fehlerhafte Staaroperation den Kranken un 
Augenlicht schädige, in Strafe verfalle; was aber unlauteres 
Konkurrenzgebaren anlangt , ao besagten noch die Statuten 
der Universität Straßburg vom Jahre 1621, dass kein Professor 
dem andern seine auditores ablocken solle'. — 

Eine Klasse tiefer rangierten nicht nur in der genannten 
Kleidei-oi-dnung der Stadt Freiburg, sondeni mehr noch im 
Leben die zu den „gemeinen Handwerkern' gehörigen Bader, 
die bekanntlich lange iin Mittelalter als unehrlich galten; auch 
hier hat ihr Gebaren zu allerlei Polizeibestimmungen Anlass 
gegeben, dis uns gerade kein günstiges Urteil erwecken. 

Gebadet wurde in Badstuben, die vielleicht mit einer 
hölzernen Wanne versehen, meist aber nur zum Schwitzen 
eingerichtet waren: solcher Häuser galt es in Kreibm-j; 



' Vgl. Wieget liesohichte tier Mediiiii in Strallburg. 



(ipsiiiidlieitspfluge im iiiiUelnlterlitlien Freiburg 131 

mehi-ere, die teils dem Spital, teils Privatleuten gehöi'teii, 
welchen sie als Leheu. zum Teil erblich verpachtet waren. 
Ein Bad zu errichten, war niclit ohne weitei-es erlaubt; so 
lasen wir z.B. vom Jahre 1308 in der Urkunde der Auj;uHtiner. 
da»s Graf Konrad 11. luid sein Sühn ihrem Knecht gestatten, an 
Oberlinden im jetzigen Hause No, 42 eine Badstube zu bauen'. 
Wie bereits früher erwähnt, lagen sie aber meist an dem aus 
der Dreisam abgeleiteten Gewerbebach außerhalb der alten 
Stadt; vor dem Ledergerbortor war die dem Spital gehörige 
„rothe Männer-" und »rothe Fraiien-Badstubo" , in deren Nähe 
das ,Öchwal)8bad" lag, sofern dies nicht bloß eine andere Be- 
zeichnung für jene war. In der Fischerau neben der Spitals- 
miible, die in anderer Gestalt ja noch heute vorhanden ist, 
folgte das , Spitalbad', jetzt Kaiserstralie 1.35, Zu unterst 
befand sich »der Zyligen Badstube" neben der Paradiesmühle, 
welche etwa an der Stelle der heutigen Universitätsbibliothek 
stand. Ganz getrennt vtin diesen war in der niederen Wühi-e 
des „Ritters badstube an dem ninae", die 1321 erwähnt wii-d% 
dazu noch vor dem Predigertor bei den Renerinnen die soge- 
nannte ,KderIins Badstube", die gleichfalls dem Spital gehörte, 
welches sie gleich, den andern, jeweils verpachtet hatte. Auch 
das Kloster Thennenbach soll nach Bader ein Badhaus in der 
Stadt besessen haben. Die Pächter mussten die Wannen und 
tönernen ()fen, überhaupt das ganze Haus mit seinen „kammern, 
Stuben, kesseln, tüchelin in ehrbai'em Stand halten""; dass der 
letztere Ausdruck vielfach aber nicht in unserem Sinne gelten 
konnte, das ersehen wir aus der Badeordnung. Dass Männer 
und Frauen in derselben Stube badeten, wie wir hören, ent- 
spricht dem mittelalterlichen Gebrauch; bedenklich aber stimmt 
uns schon außer den Straffestsetzungen gegen gemeines Fluchen 
und Schwören das Gebot: ,ob einer barscliennckel darzu ging 
unnd nit ein langen rogk antrüg, der im die blösy bedackt, 
der soll 6 pfennig ze büss gebennt." Welchen Ausartungen 
aber das Badeleben vei'ßel, das offenliart uns folgende Be- 



H ' £eiteciin 

^^H * Spitnlsur 



Zeitechrift für die fieachichte des Oherrheinti XIA m M. 
Zeitochrift fdr die Geschichte des Oberrlieina XIX, 48fi. 
Spitnlsui'lcunden. Re^. 1108. 



132 B"flB 

Stimmung: ,die meister, ir frowen noch gesind sSUennt keineriev 
kupplery, btiben noch huröiiwerek in iren husern, irem gesim) 
nocli frembden vertragen ; wpr das zuliess oder liätt, iler bessert 
dem hanndtwerck 5 Schilling." 

Auch in anderer Be?.ieliung gaben die Bader 7.» Klagen 
Anlasä: sie hielten den Radetag, als welcher der Hanistag fest- 
gesetzt wai'. nicht ein; wähi-end ihnen zn schei-en und schröpfen 
erlaubt war. trieben sie auch mit „etlichen wybern, so die 
artzney hmchent'' das ,zen nssbreehen, lassen unnd binden*, 
welch letzteres man ihnen fiSr Notfalle, besonders weim sie 
nachts vorkamen, gestattet hatte, jedoch mit einer besondem 
Auflage. Denn laut dem Missivenbiich von 1478. S. 7y/'Sll, 
hatte der Rat auf vorgebrachte Klagen der Seherer be- 
schlossen, dass die Bader, welche in ihren oberen Stockwerken 
auch Schererhandwerk übten, zuvor zn den zwei Pfund noch ein 
drittes an die Malerzunft bezahlen müssten. Sie .undeniemen, 
was raanspersonen an heimlichen orten von schaden zustannd". 
worauf der Stadtrat beschloss: .was aber den frowen an brüsten 
oder an heimlichen orten von plattem oder frantzosen zustart. 
mögen die wyber wol heilen nnnd die, so sölichs undeiTienien: 
doch sollen sy nimen in gassen gewerft' sitzen." Dies alles 
bezeugt auch für Freiburg, welche offenkundige Ansbreitimg 
am Ausgang des Mittelalters die Sypliilis gewonnen hatte: 
und dazu hatten die Badstuben mit ihrem unreinliehen Ver- 
kehr ihr gutes Teil beigetragen, was ja nachher, da der ur- 
sprüngliche Nutzen sich in das Gegenteil verkehrt hatte 
auch KU dem Eingehen der meisten führen half. 

Aus der Baderordnung mögen nun noch einige Sätze an- 
geführt werden, welche uns zeigen, wie bereits damals bei den 
Zünften eine Art von Kranken- oder Hülfskaese bestand, indem 
bresfhafte oder sonst arbeit simfähige Leute, z, B. auch Kind- 
betterinnen, aus der .büchssen" ein .almosen' bekommen. 
„Unnd umb dz sy solch vorbestimpt allmosen und guttat desto 
hass volbringen mögen, so Iiabennt sy uff sicli unnd ir nach- 
komen ein woehenlich gellt gelegt, also dass ein meister dis 
hanndtwercks all woehe ein pfening gehen soll, desgUlch din 
kneelit, der ein teil empfshet, ouch im pfening bezalen.' 



tJesiinillifilBpflege im mittelalterlichen Freibiirg 133 

ÄhiiUcli war es bei der Bniderscliaft der Rot- und Weili- 
gerbergesellen ' ; 14^1 I>ez8lilteii die Kupfer- und Hufschmiede- 
gesellen einen jährlichen Gesanitbeiti'ag von S'/s Taglohn. Von 
diesem Gelde wurden für die Zeit eiiiei' Kraukheit Darlelien 
gegeben, für die ein Unterpfand gestellt und welche später 
wieder zurückgezahlt werden musBten; feiner war durcli Ver- 
trag mit dem Ärmen.spital ausb«duugen, dasa ein Kranker 
flaj*etbst aufgenommen, ordentlicli gespeist und verpflegt werde, 
1ÖÖ5 bezahlten die Sehueidergesellen dem Spital 40 tl„ damit 
jeder Pestkranke unter ihnen ein Bett im Spital bekäme; 
1Ö72 \vurden 20 fl. dazu bezahlt, damit dies bei jeder Krank- 
heit sein könnte. 

Nichts Neues untei' der Sonne! Aber doch wai" es erat 
dem iy. Jahrhundert und besonders dem Deutschen Keich vor- 
behalten, die Fürsorge für Gebrechliche und Kranke als eine 
Pflicht auch der Gemeinden und des Staats aufzufassen und 
dementsprecliend zu handeln, im Gegensatz zu dem Miiteklter, 
welches nur auf privatum Wege und vielfacli unter kirchlicher 
Vermittlung durch uiilde Stiftunger und Verbände verschiedener 
Art die Nächstenliebe reicher betätigte, als man im allge- 
meinen sich vorstellt. — 

VVemi seither Öftei's von ,wybern, so artzuey triben'. 
die Rede war, so ist dabei hauptsächlich auch an die Hebammen 
zu denken, welchen in damaliger Zeit die Gebm'tshülfe und 
yraiienheilkunde, soweit von solcher die Hede sein kann, allein 
oblag. .Weise Frauen" gab es natürlich in Freibnrg von 
Anfang an, obgleich wir von detiaelben zum ersten Male etwas 
erfahren durch die Hebatnmenordnung vom Jahre lälO*. 

llanach waren drei solche in der Stadt, die durch zwei 
Ärzte und , etliche, ei-sam, wise frowen'" nuissten füi- tauglich 
befunden worden sein, nachdem sie als Schülerinnen älterer, 
erfahrener Hebammen gelernt hatten. Dann wurden sie eid- 
lich verpflichtet, Tag und Nacht willig und gehorsam zu sein 
Armen und Reichen, und nicht ohne des Bürgermeisters Wissen 

■ G, ^^clI^^^, Zur (ii'scbidite iliT clfutsehen Gesellenvi-rliBnile 8. 71 ff, 
» Slaatnrchiv XXXV No. :>fin. 



134 






aua der Stadt zu gehen. Keine Frau sollten sie zu froh ,zn 
kindtäarbeit übertriben", nach der Geburt aber noch eine 
Woche lang nach der Wöclinerin schauen und dieselbe getreu- 
lich unterweisen und pflegen, wobei sie wol von der in der 
Kränierordnnng ' aufgeführten »Kindtbetterin-wurtz'* (Ingwer, 
Zimt, Muskat, Nägelin, Galgenwurzel, Persikum, Safran, 
Pfeffer) guten Gebrauch gemacht haben mögen. 

Wie es aber mit ihrer Kunst bestellt gewesen sein mag, 
das ersehen wir aus den folgenden Verboten und Geboten: sie 
aollen sich nicht unterstehen, ein Kind zu .brechen", sofern es 
lebt, ohne den Rat und das Geheiß verständiger Ärzte, welche 
selbst beileibe nicht zufassen durften; sie sollten keine grau- 
samen oder ungeschickten Instrumente anwenden, um das zu 
„brechen oder auszuziehen', als da wären eiserne Haken u. dgl. 
■Sie sollen femer sich nicht wehren, wenn es nötig sein solltf, 
mit einer andern Hebamme Rücksprache zu nehmen oder bei 
den gelehrten Ärzten sich tiats zu erholen. 

Und wie wir früher gesehen haben, dass die Ärzte und 
Wundärzte verschiedene Verpflichtungen hatten, die zur Auf- 
rechterhaltung der öffentlichen Ordnung etc. dienen sollten, 
sn mussten auch die Hebammen dem Pfarrer Anzeige machen 
wegen der Taufe oder im Zweifelsfalle nachforschen, wer der 
Vater sei und ähnliches mehr. Damit sie aber in allem desto 
geflissener und williger seien, erhielten sie alle Fronfasten. 
d. h, jedes Vierteljahr, 10 Schilling Pfennig, nach heutigem 
Gelde etwa 10 Mark, von der Stadt; natürlich kam dazu 
noch die jeweilige Gebühr für die Geburt, die in der späteren 
neuen Hebammenordnung von 1557* auf '/* Gulden festgesetzt 
wurde mit dem Bemeiken, dass berühmte und geschickte 
Hebammen auch mehr sollten fordern können und bekommen. 
Außerdem scheinen sie Steuerfreiheit genossen zu haben, die 
sogar ihi'en Männern zu gut kam; denn in einer städtischen 
Zinsaufstellung wird 1501 Hans Hetzel als zinsfrei aufgeführt, 
weil seine Frau Hebamme sei. 



' StadtarchiT XXXV No. 50, Zimft- 
t ÖtadUrchiv XXXV No. 130. 




I Houdwerkaordnungpa. 




GesundheitspHege im mittelalterlichen Freibur(;, 135 

Wie sich Fi-eiburg vor Aufstellung seiner Ärzto- und 
Apothekerordnung bei befreundeten Städten Auskunft geholt 
hatte, so wurde auch wegen der erwähnten neuen Beatimmungen 
für die Hebammen nach Zürich und StraUburg' gesclirieben ; 
trotzdem letztere Bchon in die neuere Zeit fallen, mag doch 
noch einiges aus ihnen hier angeschloäsen werden. 

Die immer noch übliche, alhiäclitliche Abnperrung der 
Altstadt gegen ihre Vorstädte brachte Unzuträglichkeiten bei 
Gebui-ton mit sich; daher wurde eine viert« Hebamme für 
Ädelhausen-Wiehre zugelassen. Damit nun die „weisen Frauen" 
sich zu raten nnd helfen wii98ten, wurde ihnen auferlegt, dasa 
jede ein HebammonbUchleiii künftighin haben solle. Möglicher- 
weise erblicken wir in dieser Ueatimmung einen Erfolg des 
von dem bereits genannten Dr. Eucharius Rösslin ver- 
fassten ersten deutschen Hebammenbuchs, welches ein wahres 
Bedürfnis gewesen zu sein scheint: denn sicherlich nicht ohne 
Urund hat dasselbe sich so rasch Über Deutschland und aus- 
wärtige Staaten verbreitet. 

Einen weitem Einblick in den sozialen und moralischen 
Zustand der Zeit gewähren uns schlieUlich die Gebote, dass die 
Hebamme es melden solle, wenn der Verdacht bestehe, dass 
das Kind ,von banden" oder in das Findelhaus gegeben werden 
solle: dass sie femer Anzeige erstatten müsse, wenn sie merke, 
dass das Neugeborene Mängel und Debrechen aufweise, die 
augenscheinlich durch ungebührliche Handlungen der Eltern 
verursacht seien. — 

Wenn wir uns seither mit denjenigen „Heilpersonen* be- 
schäftigt haben, welche alle mehr oder minder selbsttätig 
schlecht und recht mit den Kranken zu tun hatten, so haben wir 
nun noch des Stands zu gedenken, der meist nur zur Unterstüt- 
zung des ärztlichen Handelns berufen war, nämlich der Apotheker, 

Karl der GrolJe, welcher, wie wir gesehen haben, seine 
Fürsorge der Heranbildung von Ärzten zugewendet hatte, 
wollte auch, dass die Beschaffung der nötigen Ärzneistoffe 
gesichert sei, soweit dies damals möglich war. Daher 

' Stadtarchiv XXXV No, 128 u. 121), HebammenordnungBn beiller 
Slärtte. 




J36 Bus 

mussten die Klöster einen Bruder apothecarius haben, welcher 
der Eräuterkanimer, dein annarium pigmentomm, wie es auf 
dem St. Oallener Gnindriss' lieißt:, vor^laiid; und zugleiclt 
musste derselbe den Gai-ten pflegen, in welchem die selteneren 
Kräuter gepflanzt wurden. Arzt und Apotheker werden aber 
aucli hier vielfach in einer Person vereinigrt gewesen sein, 
wofQr wir iiberlmupt aus dem Mittelalter häutige Beispiele 
kennen'; Mone hat noch aus dem Jahre 14-54 einen Vertrag 
mit einem Apotheker in Konstanz veröffentlicht, in welchem 
ea heilit: „als dann niaister Buchlin der artzat bissher ettwa 
vil zita sin aigen appenteg in sinem hus gehept hat, desglichen 
andere artzat och für sich selbst tr appentegen gehept band ..." 
Wie wir aus der Freiburger Apothekerordnung ersehen, lagen 
hier die Verhältnisse bis in die Mitte des 16. .lahrhundert» 
ganz ähnlich: unter dem Iti. August 1502 (Dienstag nach 
assumption mariae) wird in den Missiven in einem Brief an 
den Rat von Straßburg „unser Eucharius roselin, appotegker' 
erwähnt , der sicherlich mit dem früher genannten Ai-zte 
identisch ist und demnach ein ähnliches Verhältnis wie der 
Konstanzer Arzt darbietet. 

Um aber zunächst die Nachrichten über Apotheker hin- 
sichtlich des ei-sten Auftretens derselben in Freiburg zu be- 
sprechen, so ist es von Interesse, dass bereits 1264 in Kon- 
stanz ein „VVeniherus apothecarius"' als ansässig aufgetlllirt 
wird, während in Basel 1270 ein „magister Johannes apotheka- 
rius"* lebte, der lü9*i gestorlien war. Etwa am Ende des 
14. Jahrhunderts, wo in ei-stgenannter Stadt zwei Apotheker 
waren °, begegnen wir hier einer Art von Oi-dnung für diese 
und Arzte, wie solche ja schon 1224 von Kaiser Friedrich IL 
und etwa gleichzeitig mit jener Konstanzer von Kaiser Karl IV, 
erlassen worden waren. 

' MoDu, Armen- und Krankenpflege vom 13— 16. .)aijiiiuiiiit>rL. Zeit- 
Külirlrt für diu Geachivlit« des Oberrheins Bd. XXII. 

' Heyn«, fünf Bürher UeiiUcher Hauaalte rtUmer Bd. I. II, Ml. 

' S. Aiim. 1 S. 64. * S. Anm. 2 S. 64. 

' Moue, Zeitfiobrift für die Ueschichte des Oberrheiaa XII, 18, 21 





i;psuQi!lieit8[iHego iin mitti'lnlterlichen Freibiirj: 137 

Im Hinblick auf die voi-steliondeii Angaben können wii 
auch den Kintra^ den Zinäbitchs der Johanniter aut: dorn Jalii'e 
13t)7'. welcher in Freilurg eine „appentecgerin' erwähnt, mit 
einer gewissen Walirscheiiiliclikeit so auffassen, dass damit 
die Krau eines Apothekers gemeint war. El>enda wird aus 
dem Jahre 1410 ein Apotheker Jacob aufgeführt, welchen 
Namen wir aucli in den Urkunden de» Heiliggeistapitals öfters 
antreffen, nämlich 1407, 1415, 1443 und 1444 als Herr Jacob 
Appentegker (Apotegger oder Appotecker); femer kommt der 
gleiche Name in den Verzeichnisi^en der Mitglieder der Gesell- 
schaft zum Gauch aus den Jährten 1361 und 1409 mehrfach 
vor mit vei-achiedenen Vornamen ' ; der letztere Umstand, sowie 
die Nennung eines , Jacob Appotecker, priester" lassen aber 
auch die Annahme zu, dass aus einer ursprünglichen Ge- 
werbebezeichnung ein einfacher Eigenname geworden war. 

Wenn wir nun von den Genannten annehmen können, dass 
es sich um ortaansiisaige Personen gehandelt hat, so werden wir 
eine Notiz im Neerol. Carthus, Fribiirg p. 206 anders deuten 
mibsen. Da ist nämlich aus dem l.'ü. Jahrhundert von einem 
.appotecaiius cuiusdam cardinalis" die Rede*; wenn wir uns 
nun erinnei'n, dass im Jahre 1415 Papst Johann XXIH. vom 
Konstanzer Konzil wegfliehend mit seinem Gefolge eine Zeit- 
lang sich in Freiburg aufhielt, so werden wir wol nicht iiren, 
wenn wii' glauben, dass es sich bei jenem appotecarius um 
einen geistlichen „Leibapotheker" eines der Kirchenfürsten ge- 
handelt hat, der dann wegen dieser Zugehörigkeit auch auf 
einem Klosterfriedhof beerdigt wurde, Ist es doch völlig wahr- 
Bcheinlieh, dass in jener Zeit, wo Kirchenfürsten nicht nm' 
ihrer Würde, sondern auch ihres Lebens nicht recht sicher 
waren, sie die Bereitung notwendig werdender Aizneien nur 
einem ihnen selbst ergebenen Diener anveitranen mochten! 

Die erste bestimmte Erwähnung eine» Apothekere gibt 
.Schreiber in seinem Urkundenbuch U 426, woselbst aller- 
dings nur der Name genannt wird, nämlich „Paulus Gloterer 



' UrkundynbüL'h von Schreiber I, 4tfa. II, 23J.. 



I ' S. An; 



HJ 



138 Baas ^^^H 

der jung der appotegker", womit wol niemand andere als ' 
ein Sohn des im gleichen Verzeichnisse aufgeführteji Paulus 
Gloterer „meister der artznye" gemeint sein wird. Jedenfalls 
beBteht zeitlich eine genügende Übereinstimnuing zwischen der 
früher angegebenen Lebenszeit jenes Arztes und dieser Nen- 
nung, welche in das Jahr 1451 fällt. Daaa aber in der Tat 
ein Apotheker schon im ersten Drittel des 15, Jahrhunderts 
in Freiburg vorhanden war, dufür kann femer die mehrfache, 
sozusagen selbstverständlich klingende Hinweisung auf einen 
solchen ini Regimen sanitatis des Heinrich Loiiffenherg 
angeführt werden; so heißt es da einmal von einem Medikament: 
„das man sol 
,U3 der appoteke machen' 
oder an einer weiteren Stelle von 

, andern Dingen, als das kan 
„ein appotecker wol verstau'." 

Um die Wende des 15. Jahrhunderts scheinen zwei Apo- 
theken in Freiburg gewesen zu sein; wenigstens kann man das 
aus dem Wortlaute einer Beschwerdeschrift* des Sigmund 
Feistlin (der 153ij im Häuserbuch erwähnt wird) über die 
drohende Gründung einer dritten Apotheke aus dem Jahre 
1541 entnehmen, wenn es da heißt, dass zu Lebzeiten des 
verstorbenen Vaters ,eine andere zugelassen" worden sei. 
1559 aber waren, wie eine Eingabe in Betreff der .New 
Appolhecker Ordnung' dartut, bereits drei Apotheker mit 
Namen Andi-eas Gundersheimer, Wolff Heintz und Sigmund 
Feistlin ansässig. 

Nach einem Eintrag in den Itatsprotok ollen hat 1482 ' 
.Hans Fry ein appotegk uffgericht', da er sonst nicht mehr 
begegnet, ist er vielleicht nicht lange dagewesen. Von grOllerem 
Interesse ist der Name des Blasius Schröter aus Straßburg, 
der vor 1468 das Haus zum Elettenfeld „an dem orrt (d. h. I 
Eck) by dem Kilchoff' °, jetzt Münsterplatz No, 2, kaufte, 

' iminchner Handschrift der Huf- un<i Staatsbibliothek «. Hfih. US 



Stadtarchiv XL No. 3. 

Urkunden ilea lIi^iligSKJatspitHls II. Rep. 1211 n. 1-213. 





eiiimdbtit!<[ifl(;^i^ 



niltelalttrlk'Iioii Freiburg 



139 



welches lange Zeit „Münstorapotheke* blieb; denn noch nach 
1565 kam es in den Besitz des Apothekers Kwnrad Jordan', 
nachdem es vorher der l."i36 verstorbene Kaspar Swein inne- 
gehabt hatte ^. Im übrigen haben im 16. Jahrhundert die 
Apotheken sowol nach Besitzern wie nach Luge sehr oft jj;e- 
wechselt, was vielleicht mit den vielfach in den Urkunden des 
Stadtarchivs wiederkehrenden Klagen über „geringen vei'trib* 
zusammenhängt; für letzteren könnte ein weiterer Beleg sein, 
dass der obengenannte A. Gundersheimer bald nach 1563 sein 
Geschäft aufgab und Wechsler wurde*. Freilich entstanden 
aber auch 1501 Klagen der Bürgerschaft*, dass die Klinken 
von den Apothekern „mit den verlegnen materialen merck- 
lichen betrogen' würden, weshalb der Stadtrat beschloss, mit 
Zuziehung der Universität tmd des Physikus Johann Fuchs 
von Straßburg die Apotheken visitieren zu lassen. 

Der Preis der Apotheken scheint damals schon recht hoch 
gewesen zu sein, wie wir aus dem 1566 geschehenen Verkauft 
der einen des Sigmund Feistlin an seinen Schwiegersohn Johann 
Unger ersehen , wobei der letztere 1 500 ßulden bezahlen 
musste; allerdings reicht diese Summe auch bei Berücksich- 
tigung des damals vielleicht 6—10 mal höheren Geldwert« 
an die heutigen, enormen Ziffern lange noch nicht heran. 

Auch Fieiburg hat seine mittelalterliche Apothekerordnung 
besessen, von der jedoch nichts mehr vorhanden ist; in einem 
Visitationsbericht des Jahrs 1529 ist immittelbar darauf hin- 
gewiesen, während wir aus der Aufstellung einer Kommission 
von einem Arzt und drei andern Mitgliedern zur Apotheken- 
besichtigung aus dem Jahre 1496* denselben Schluss ziehen 
können, der durch die „neue" Ordnung von 1559 noch mehr 



i Apothekerordnung nnd 



' Hänserbuth. 

' Eftoserbnck a.Mone, Zeitschrift für die Ueauhiehl« des Oberrhein« 

xn, 21. 

* St*dtarehiv. Unterschrift unter der 
flloMrbnch. 

* ZeiUchrift für die CcBchichtc des Oherrlieins XIX. 486 und Frei- 
r Misüven 1501. S. UO^ 

* Stwltarchiv XL No. «i. 

* Stailtaruhiv, KHtsprotnkoll. 




J 



140 Baas 

gerechtfertigt wird^ Gerade die letztere, welche zu ausführ- 
lich ist, um hier ganz angeführt zu werden, kann nun dazu 
dienen, um uns ein Bild des Lebens und Treibens der damaligen 
Apotheker zu entwerfen. 

Zuvor mag aber noch bemerkt werden, dass, wie früher 
an einem Konstanzer Beispiel dargelegt wurde, so auch in 
Freiburg ursprünglich die Ärzte ihre Rezepte selbst bereiteten ^. 
In jenem Visitationsbericht von 1529 verlangen gerade die 
beiden ärztlichen Visitatoren Hans Widmann und David Krämer, 
dass „khein doctor artzney unnd solch dinglin für sich selbst 
haben unnd gepruchen soll, damit den apothekem nachteil er- 
wachse" ; sie schlagen ferner vor, dass die Stadtväter ^die apo- 
theker erleichtigent inn etthch zollen unnd beschwerden". 
Letzteres bezieht sich wol darauf, dass andere „erwerbs- unnd 
kaufifleute tiriak, sunst einicherley giflftige oder anndere artz- 
ney en, tabulata, tränk oder ungnenta feyl habennt unnd ver- 
kauffent", was in der neuen Ordnung von 1559 dann verboten 
wurde, ^dieweil solche artzney en zum offteren mal den menschen 
tütlichen schaden pringt". Wie langsam und bedächtig aber diese 
letztere zu stände gebracht wui-de, sehen wii» daraus, dass be- 
reits 1537 Freilmrg von der Stadt Straßburg die dortige Ord- 
nung erbat ^; allerdings erhielt es sie auf nochmalige Bitte 
erst 1549^, indem Straßburg auch zuvor die Mängel seiner 
alten hatte verbessern wollen, nun aber trotzdem bei der Über- 
sendung hinzufügen musste, „dass die apotecker gleichwol bei 
uns der tiix Avegen etwas beseh werden thragen**. 

Der Apotheker gehörte mit den Schulmeisteni, den Schereni 
u. a. zu den vornehmen Handwerkern und wurde der Kränier- 
zunft zugerechnet; aus letzterem Umstand entnehmen wir 
imtor Verwertung jener Nachricht über das Selbstdispensieren 
der Arzte, dass der ursprüngliche Apotheker mehr der Ver- 
käufer von Arzneistoffen, die er selbst sammelte oder von 
auswärts bezog, gewesen sein mag als der Verfertiger zu- 
sammengosotzter Arzneien nach einem Rezept, womit ja auch 

' Stadtarchiv XXXV No. r»0. Zunft- und Handwerksordnungen. 
- Staidtarthiv XL No. 1. 2. 4. 4' *, .^. 
* Stadtarchiv XL No. 1, 2. 4. V t, :>. 



itstmilheits|ifle);o 



iiittplallerli<:hfn Yk 



141 



das ühereinstinimt, das« in älteren Zeiten die Ärzte selbst in 
die AjMitheken gingen nnd dem Inhaber dei-selben bedeuteten, 
welche Stoffe er nehmen und mischen solle; vielleicht hängt mit 
einem darauf bezüglichen, auch spater noch nicht gnmdlosen 
Misstrauen zusammen, dass der bekannte Arzt Dr. J. Schenekli 
seine Rezepte nicht in den Apotheken lieli, in welchen sich ,aller- 
ley iinordnnngen unnd misspnich zugetragen unnd ingerissen, von 
derentwegen nit wenig klag unnd nachreden eifolgt seindf '. — 
Wer das Geschäft erlernen wollte, trat als Lehrjunge ein, 
um dann zur Stellung des ,GeseUen''. , Dieners* oder , Knechts" 
aufzurücken; wollte er als solcher schon selbständiger arbeiten, 
so musste er sich einer Prüfung unterwerfen und den Eid auf 
die Apothekerordnung ablegen. Die Kosten dieses Examens 
betrugen fünf Schilling, , welche die Examinatores unnder sich 
verthoilen sollen*: dabei mag es sich wol manchmal herauH- 
gesteUt haben, daas „der knecbt in den prtneipalibus nit wol 
gefasst sey, doss er nit wisse, wie die simplicia in die com- 
posita kommen, sich auch nit lasse vermerken, dass ers bessern 
woU". Charakteristisch für das Unklare, welches dem ganzen 
Stand noch anhaftete, ist auf der einen Seite die eine bessere 
Ausbildung erstrebende Bestimmung, daes der Geselle .zum 
wenigsten der lateinisch sprach berichtet nnnd geleert sey". 
während auf der andern Seite zugelassen wurde, dass jemand 
eine Apotheke en-ichtete, obschon ,er für seine person daizu nit 
g«mugsam geschickt oder bericht were", in welchem Falle er sich 
nur ,mit einem geschickten gesellen oder diener versehen wolte". 
Um aber selbständig eine Apotheke führen zu dürfen, 
musste sich der Geselle einem zweiten Examen unterwerfen, 
welches zehn Schillinge kostete und durch „zwen doctores der 
artzney, sodann den ältest unnd berichtest apotheker unnd 
zwen aus einem ersamen rath oder der burgei-schafft, so darzu 
tauglich, geschickt imnd verstendig seyen", abgehalten wurde, 
worauf der Eid auf die Ordnung folgte. Damit dann .die 
apotheker irer practicken täglicher geschickter unnd geübter 



' Vgl. mm Fülgpmli 
gb^r anfh die »ndirti L"rl< 






■ ,Nfiie .\potliekt'r-OrJniiiig', 



h 



werden ... so sftll ein yeglielier zum wenigsten Ai» hernach 
beschribeiie l'ueclier . . . uenilichen die Teutsclie Itefonnatiwii 
der apothekeii Brunfelsii, die hauaapothek Hiffii, Dispensatorium 
Coi-di, Meaueii, Antidotariuni Nicolai. Sylvii, (?), Dioscorideni 
oder Herbarium Tragi, irni seiner apotliek haben'' . Ob daim dariiin 
, etwas iiberfllissigs unnd das alliie nit im prauch were, be- 
funden wüi-de, werden sie yedei- zeit by den medicis guoten 
bericht unnd bescJieidt zu verlangen haben". 

In der Apotheke, sowie im Hause des Arztes sollte dann 
eine Taxe aufgehängt weiden, welche die Preise der Materialia 
enthielt, wie aucli, was die Herstellung der Rezepte, die stets 
aufgehoben werden sollten, kost*. Wenn aber die V'oreehrifl 
des Arztes Zweifel en-egte, ,da etwan dem apotlieker be- 
dunken wollte, dass die artzneyen mensclilich natur ze schwer 
unnd stark weren, oder dass der artzet iiin dem Recept geirret 
hette, soll er das hinder sich an den artzet bringen unnd fragen*. 
Und „damit mans den Kiancken zu i'echter zeit handtreichen 
möge . . ., sollen alle ding der artzneyen ... zu yeglicher 
zeit, so tag so nacht, wann unnd wie die artzet das heissen, 
bereitet werden", 

über die Hei-st^llung und jährliche Erneuerung der Medi- 
kament«, der destillierten Wasser, Öle usw. enthält die Ord- 
nung sehr genaue Vorschriften, wozu auch gehörte, dass bei 
der Bereitung mancher Composita die Ai'zte zugegen sein sollten, 
deren Namen nebst der Zeit der Anfertigung vermerkt werden 
mussten. Bedenklich ist die Mahnung, am Rezept des Arztes 
nichts KU ändern, nicht quid pro quo zu nehmen, den Armen 
wie den Reichen gleich gute Materialia zu geben, rechtes Ge- 
wicht KU gebrauchen und anderes mehr. Und .dieweil auch 
vil an dem gelegen ist. dass die kräuter. bluomen. fruchte, 
sumcn unnd wurzeln, so man . . . praucht, zu rechter wH 
unnd auch mit verstand! gesamblot seyen. sollen die apotheker 
sorg tragen, darmit die nit zu unzeiten . . . eingesamblet wer- 
den"; die Kräuter aber, welche .inn disen landen nit gemein- 
lich anf dem veldt wachsen, sollen sie in iren gärtten pfianzen', 

Alljährlich im Mai und nach der Frankfurter Herbstmesse, 
luf welcher die ausländischen Stoffe gekauft wurden, fondexi 





iinJliPLtapU)^^ 



nittelaltürliilien Tri 



1« 



Visitationen der Apotheken durch die oben genannte, vereidigte 
Kommission statt, die dafüi- von der Stadt eine Vergütung 
erliielt. Untaugliches musste dei' Stadtkuecht in die Stadt- 
bäcbe oder ins .teuer, darin yedea gehört, schütten"; die ge- 
fundenen Mängel aber, deren eine Anzald aus verschiedenen Pro- 
tokollen noch ersichtlich sind, mussten in ein Buch notiert werden. 

Trotz alledem kamen allerlei Missbräuche vor: während 
es erlaubt waj', dass der Apotheker „im jar einem artzat 
ettwas essender oder trinkender speiss schannkte, dass sich 
zmn gantzen jar nit über ein gülden treff", so kamen, wie es 
scheint, doch auch solche Abkommen vor, durch welche etwa 
©in Äizt „bewegt weiden möchte, einem mehr zuzeweisen 
denn dem anndem, oder einem köstlichere Becepten zeschreiben, 
dass dem gemeinen man zu schaden dienen möcht". ,Auch 
sollen sie — die Apotheker nämlich — sich nit annemen, 
einicherley artzney ze treiben, nit wasser besehen . . ., sieh 
nit unuderwinden , einicher siechen oder kranken menschen 
rath zu thun, ze purgiren, clistireu oder ichzit ebizegeben . . .", 
zu welchen Bestimmungen nicht recht passt, dass es nachher 
ihnen gestattet wird, , gesunden personen etwas ze geben, 
damit sie zu ziemlichen stulgängen gefiirdert würden oder inen 
dienete für fauosten, keuchen, enge der brüst odei- dergleichen". — 

Das Bestreben, möglichste VoUkommenheit zu erzielen, 
hat diese mittelalterliche Apotheker-, wie die Scherer- und 
Ärzteordnung mit ihrer manchmal übergroßen Genauigkeit 
verursacht: gleich Straliburg, so nmsste aber auch Freiburg 
die Krfalirung machen, dass trotzdem die Klagen des Publikums, 
der Arzte und der Apotheker nicht aus der Welt geschafft 
wmrden, wie die vorhandenen Medizinalakten der folgenden 
Zeiten beweisen, was eine Mahnung sein könnte gegenüber 
manchen zünftigen Bestrebungen unserer Tage! 

nt. Heil- und PflegeanataUen '. 
Während das griechisch-römische Heidentum Kranken- 
anstalten nur für Sklaveti oder Gladiatoren, oder etwa als 



V^l. hierzu Wsondfrs rhlliurn, IJliriatliclii? Liebeslfltigkeii 




1 iÜ Bbhs 

UnterkunfUhänser bei Äskulaptempeln kannte, wurden durch 
das Christentum ziemlich bald Nosokomien oder Xenodochien 
gegründet. Vom Morgenland, wo sie zuei-st entstanden, "ver- 
breiteten sie sich ins Abendland, nach Italien und in die Pro- 
vinzen des Röinerreichs, z. B. Gallien: in Germanien aber sind 
sie noch zur Üeit der Völkerwandernng recht selten. Mit der 
Uiilndui^ von Kirchen imd Klöstern gelangten die Kranken- 
häuser zu den Deutschen; auch ihnen hat Karl der Grolle 
seine Sorgfalt zugewendet, indem er viele wiederherstellen 
nnd besonders durch die Benethktiner reformieren lieli. Neben 
diesen entstanden später als Laieneinrichtungen die Hospitäler 
der Städte und der ritterliehen oder bürgerlichen Orden der 
Kreuzzugazeit; in solcher Weise betätigten sich innerhalb wir 
außerhalb des heiligen Landes die Johanniter, Lazaristen. 
Antoniusherren, der DeutscWorden, Heiliggeistorden u. a. 

Unter diesen ist von hei-vorragendei- Bedeutung der letzt- 
genannte Orden des heiligen Geists, indem er eine weitver- 
breitete und langdauemde Wirksamkeit entfaltet hat. Etwa 
um 117S in Montpellier gegründet, wurde er 1198 von Inno- 
eenz III. bestätigt; 1204 entstand in Rom das große Spital 
di S. Spirito, welches Kranke, Waisen und Findelkinder, ge- 
bäi'ende Frauen, Magdalenen und arme Reisende anfnahm. In 
vielfach nur loser Verbindung mit diesem gründeten daraut 
DomheiTen, Bischöfe, Städte selbständige Anstalten gleicher 
Art, .da man soll hineintra^^en arme Sieche, die da liegen auf 
dem Kirchhof und auf der Strasse ohne Herberge". — 

Wann in Freiburg das Heiliggeistspital entstand, dessen 
älteste, erhaltene Urkunde aus dem Jahre 1255 stammt, ist 
mit voller Sicherheit nicht mehr zu sagen: den ältesten Hin- 
weis auf dasselbe gibt der sogenannte Stadtrodel, in welchem 
erwähnt sind die ,lobia prope hospitale". Da diese Urknnde, 
wie früher bereits angegeben ist, in der Zeit zwischen 1187 
und 1218 abgefasst wurde, so ist dadurch zum mindesten für 
den Anfang des 13. Jahrhunderts das Vorhandensein des Spi- 
tals gesichert; nun finden sich aber „die drie Jouba". darunter 



Vgl. lVkiiTi.U>M lies H.-i 




■ij^lspitnls. 



ßesuiiillieitspHt'ge im tnitti-liiltprlichcn Freibiirg 145 

,die loube bi dem spital" wieder angeführt in dem ältesten 
deutschen Entwurf der Stadtrechte von 1275 mit dem Zusatz, 
iiass sie wurden „gesezzet, da die stat orhabin wart". Und 
aus der Mitte des Jahrhunderts wird des Spitals Erwähnung 
getan in einer Urkunde des Klosters der minderen Bi-üder; 
denn da heitit es in einer unter dem li9. Juni 124fi ausgefertigten 
Bcachreibung des zur Kapelle S. Martins gehörigen Grund 
und Bodens, da.ss er grenzte ... ab alio latere infra hospitale 
deorsnm et . . ,' 

Bedenkt man, dass die Klöster, welche in der Stadt sieh 
niederlielien, alsbald auch ihre Hospitäler hatten, worauf noch 
zurückzukommen sein wird, dass die Stadt nach dem Vorbild 
oder wenigstens im Hinblick auf Köhi gegründet wurde, wel- 
ches als alte Niederlassung doch sicherlich bereits damals 
»eine Kranken- und l^frOndeanstalt gehabt haben wird, so ist 
die Überlieferung wol nicht ganz von der Hand zu weisen, 
dass wirklich bei der Gründung des neuen Geraeinwesens, wie 
für Kirchen und Gemeindehauten, so auch für ein Haus Sorge 
getragen wurde, das den Einwohnern im Alter, bei Krankheit 
«nd Armut Obdach gewähren sollte. Eine solche Annahme 
gewinnt an WaluBcheinlichkeit. wenn wir von Konstanz hören, 
dass da schon in der zweiten Hälfte des lU. Jahrhunderts ein 
Spital bestand', welches Bischof Konrad gestiftet hatte; ein 
rlerartigea Beispiel wird in der Diözese nicht ohne Nacheiferung 
geblieben sein; dem Donistift von Konstanz gehörte z. B. auch 
in Kolmar 1155 ein äpital. 

Mau nimmt an, dass ursprünglich das Spital zu Freiburg 
ans drei Häusern bestanden habe, welche dann bei dei" Über- 
nahme durch die Brüder vom heiligen Geist in die einheitlichere 
Anlage verwandelt wurden, die durch Jahrhunderte in der 
alten Gestalt erhalten blieb. Sie nmfa-sste gut die Hälfte des 
heutigen Häueerquadrats zwischen Münsterpiatz , Münster- 
BtT&üe, KaiserstraLle und Bezirksamt'; auiler den Wirtachafts-, 

' FreiburgM DiözesnuarcUiv, N. F. IJd. I. 1900; P. H. Stragani. 
Zur i;p3«iiii:hle der MiuderbrdJpr im Geliiete des Oberrhuins. 

■ Mont^ in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins I, 142; II, 

S. 10 u. U. 

AleiHuimia \. F. 0. 2. jq 



U6 






Wohn- und Schlafräumen war eine Kapelle vorhanden, al« 
deren „plebanus' der Nekrolog der KarthaiiB im Jalire 1496 
den Joh, Muszlin anführt; und innerhalb des Ganzen ein Fried- 
hof für die im Hause Gestorbenen. Nacli dem damals engen 
MUnstergässclien hin wai'en jene Lauben voi-gebaut, die nach- 
mals duieh Hans Nieüenberger in künstlerischer Weise er- 
neuert wurden; den Eingang aber vennittelte von der groUen 
Qasse aus eine Freitreppe. Von einzelnen Räumen erfahren 
wir, dasB da waren ; Sieehenkammem, eine Kinderstube: sogar 
ein Gefängnis, ^des Spitals Loch", fehlte nicht, das Qbrigens 
auch fiir Nichtange hörige, z, B. Studenten, benutzt wurde, 
wenn sie gegen der Stadt Keclit sich vergingen: ja ln61 er- 
ging sogar der Itatsbeschluss , .dass die Buben, welche nn- 
gehührlicli auf dem Barfüsserplatz spielten", und dadurch 
wol die Stadträte oder die frommen Väter in ihrer Ruhe 
störten, in des Spitals Gefängnis gesteckt werden sollten. 

Alle Augehörigen des Spitals bildeten, wie das im Mittel- 
alter üblich war, eine Bruderschaft mit kirchlichem Charakter: 
wie erwähnt, lag aber die Leitung des Hauses durchaus in 
weltlichen Händen. Ursprünglich geschah die Verwaltnng durch 
den Stadtrat selbst, später wurde ein Überpfleger, Spital- oder 
Siechenmeister mit vier bzw. zwei Pflegeni ernannt, unter 
welchen der Unterpfleger oder Spitalschaffner, die Siechen- 
meisterin ü. &. standen. Der Spitalmeister allein hatte da« 
Recht, Sieche aufzunehmen und zu entlassen, wenn sie wieder 
gesund waren; der Siechenmeisterin soll er „die ligendm 
siechen stetecliche bevelhen, also, das si mit dem, so si denne 
under banden haut, den dürftigen das beste tuon nach irre 
notdurft mit guoten truweii ane geverde, und uf ir sele, alse 
vi] ei kunnen und megen" '. 

Welcher Art Kranke aufgenommen wurden, das erfahre« 
wir nur gelegentlich, z. B. aus Notizen in den RatsprotokoUer^hj 
zugleich ersehen wir aus diesen, dass sowol die Stadtärzl 
wie auch die Scherer zur Behandlung zugezogen wurden, 
steckende Krankheiten waren ausgeschlossen; fiir sie wui 



Urkunden dea Heüiggeistapitnls, Reg. 139. 





ticsiindbeitspflegB im mittcialterlithen Freibiirg 147 

das Blatternbaus und das Aussätzigenhaus errichtet. Dagegen 
Murden Verletzte aiifgenoninien. wofür froher schon ein Bei- 
spiel augegeben ist'; ferner Kinder und vielleicht, wie dies für 
Pfullendorf schon aus dem 13. Jahrhundert bekannt ist. auch 
Gebärende bzw. Wöchnerinnen, in welchem Sinne eine Stelle 
in den Katsprotokollen verwertet werden kann. Ob Geistes- 
kranke, insbesondere unruhige, Aufnahme fanden, ist nicht 
sicher, da filr sie das Mittelalter überhaupt kein rechtes Ver- 
ständnis hatte, viehnelir sie entweder als Besessene gewähren 
lietl, oder fortjagte und -prügelte oder in späteren Zeiten in die 
Gefängnisse oder in die ^Tollkisten* sperrte. Geistesschwache, 
vielleicht ruhige Irre, wurden zugelassen, wofür Mone' den 
Fall anfübi't, dass eine GrollnmtttT eine Sioehenpfründe erhielt, 
,die von alter zu solicher kiankheit unnd abneniunge ir Ver- 
nunft kommen"; nach dem Missivenbuch von 1502 hatte die 
Stadt eine Pei'son in ihren „gewarsam genomen und veraeben", 
welche , etwas mit mergklicher krankheit und blödigkeit des 
houptcs beladen und umbfangen ist". Nun drohte sie dem 
Vater Michel sogar mit dem Amtmann, wenn er nicht komme 
und sich seiner Tochter Maigieth aniielnne : gern sah man dai- 
nach, wie zu vermuten ist, derartige Ki-anke im Spital nicht! 
Die große Menge der Pfleglinge be-stand aus ein- 
fachen Pfründnem, welche ihre Tage hier in Ruhe und in 
sicherer Pflege zu verleben gedachten und dafür dem Spital 
eine entsprechende Vergabung machten. Es ist interessant, 
wie durch die Stiftungen überhaupt in genauester Weise für 
allerlei Bedürftiisse Sorge getragen wurde: für Fleisch, Fische, 
WeiÜbrot, Wein, mit dem Zusatz in einem Falle, dass er nicht 
gewässert werden dürfe , für rechte Begehung der Festtage, 
für Kleidung, Beleuchtung, Reinigung (z. B. der Nachtgeschirre 
in einer Pfullendorfer Stiftung) usw.' Abgesehen vom leib- 
lichen Wol wurde auch gesorgt für das Heil der Seele durch 
Vermächtnisse an die Priester zu Messen. Gebeten, Singen u. a. 
■ Natürlich war zur Aufrechterhaltung der Ordnung eine 

Zeitschrift füt ilio Ueschiclit? des Obt^rrhoins 511, 34. 
Zeitsthrift filr di« Geschieht« des Oberrhdns XII. 160/1. 
Zeitsi^lirifi lür die Gesctilclite des Oberriieins XII, 144. 




148 






Strafbefugnis für den Spitalmeister nötig, die sich aber wol 
mehr auf die PfrÜndner bezog; abgeaelien von der Auferlegung 
von GefäDgiiis, wofQi' ja daa Spital ein eigenes „Loch" hatte. 
konnte passieren, dasa einem der Wein entzogen und er zum 
\Vas8ertrinken verurteilt wm-de, dass er auf dem Boden oder 
in der Kinderstube essen inusate, nnd ähnliche sonderbai'e 
Strafen melir. 

Soweit wir vermuten können, Ist mit großer Wahrschein- 
hchkeit anfänghch ein Spital vorhanden gewesen, das Reich 
und Arm beherbergte; allmählich scheinen sich jedoch Gegen- 
sätze zwischen den Wolhabenden, welche .Herrenpfründen' 
hatten, und den übrigen Insassen gebildet haben, wozu wol 
noch Unzulänglichkeit des Raums gekommen sein mag, was 
alles, etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts, die Erbauung 
eines neuen, des .minderen' oder Annenspitals vemnlasste. 
Dasselbe lag in der Vorstadt Neuenbürg; es hatte gleichfalls 
seine Kapelle, seinen Friedhof, auf welchem 1419 die Bruder- 
schaft der Bäckerkneehte sich zwei GrBber für ihre Angehörigen 
ausbedungen hatte, und seine besondere Verwaltung, weich 
letztere bei den beschränkten Mitteln manchmal mildtätige 
Hülfe in Anspruch nehmen musste. — 

Frühzeitig bestand auUer den genannten Anstalten ein 
„Hans der Snndersiechen" oder „Gutleuthaus", in welchem die 
im Mittelalter so zahlreichen Aussätzigen imtergebracht wurden. 
Gemäß der Vorschrift, dass diese .Malatzhäuser" auf freiem 
Felde, mindestens zehn Minuten von den übrigen Wohnstätten 
entfernt sein sollten, stand auch das Freiburger erste Aus- 
sätzigeiihauB in der Ebene und zwar gegen das Dorf Zähringen 
hin nach Norden in der Nähe des .Ketzerbaums", d, h. der 
Hichtstätte. Von ihm wissen wir aber weiter nichts; bereits 
vor dor Mitte des 13, Jahrhunderts war schon im Süden der 
Stadt jenseits der Dreisajn, etwa in der Gegend des heutigen 
Sonnenwirtshauses an der Baalerstralle das neue Haus der 
, Siechen auf dem Velde" erbaut worden, wo es dann blieb, 
solange es noch in Anspruch genommen wurde'. 1263 soll 



' Freiliurper Di 



hiv XIII, 29K 



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A 



ncBitnillieitspflr^o im mittt-hilt'Tljclii'ii H'reilmr^ ]49 

Albert von Bollstäiit, der große Dominikaner, „die Eilche der 
armen lütten vor der statt Friburg" geweiht haben. Auch 
diese Anstalt geliürte in den Kreis des Heiliggeistspitals, auf 
dessen Grund sie stand. 

Wie wir gesehen haben, gehörte die Feststellung des 
Ausi^atzes zu deu übliegenlieiten des Stadtarztes und der ver- 
eidigten Scherer; wai- ein Mensch von ihnen „vei-urteilf", so 
hatte damit seine bilrgerliche Existenz ein Ende. Wie ein 
\'er8torbener wurde er unter uns sclirecklich dünkenden, 
ernsten und ergi-eifendeu kirchlichen Feierlichkeiten ' in seine 
kiluftige Heimat verbracht, von der aus ihm kein Verkehr 
mehr mit den Gesunden gestattet war. 

Doch dürfen wir uns nicht vorstellen, dass der Kranke 
draußen auf dem Felde verlassen und ohne HÜfo seinem 
elenden Schicksale preisgegeben wur. Schon die Bezeichniuigen 
,die guten leute', ,die annen siechen' und ähnliche lehren 
uns, dass man bemüht war, für sie zu sorgen, so gut es 
ging, welchem Zwecke z. B. auch hier die genauen Be- 
stimmungen der Stiftungen dienen*; in besonders schönem 
Lichte offenbart sich vielmals hier der fromme Sinn des Mit^ 
telalters, welches sich dieser Krankheit gegenüber nicht anders 
zu helfen wusste, als wie wii' es heutzutage noch tun müssen. 

Unter sich bildeten die Aussätzigen gleichfalls eine Bruder- 
schaft, imierbalb deren jeder seine Aufgabe hatte; sie hatten 
ihi-en Priester für ihre eigene Kapelle, die in Freiburg St. Jakob 
geweiht war. Sie arbeiteten, solange sie es vermochten; sie 
durften imtereinander lieiraten und hatten auch sonst ihre 
Feste; jedoch der Verkehr nach außen war strenge geregelt. 

Beun Ausgang zur Kirche in die Stadt*, der stets vom 
8iechenmeister bewilligt werden musste, „sol ir yeder einen 
Stab in siner band tragen"; sie durften nur „by der Kilchen' 
sitzen und mussten noch vor Beendigung des Gottesdiensts 
„stracks widenimb uaser der statt" ohne jeglichen Aufenthalt. 
Der Kreis, in welchem sie sich sonst außerhalb ihres Hausee 

' Vgl. hierüber Vhlliorn. Christliche LiebesUtigki-it. 

' Vgl. Mono, Zeitschrift für liie GeHiliichte des Oberrheins XII, 88. 

* Urkunden des IJnileuthaiisfls. Reg. IfSf. 



löO 



Buw 



bewegen durften, wai- genau umachrieben; in demselben .söllent 
sy aber ir nachgepuren zii sant Jörgen, von Ebnett, Zarttm. 
Gundelöngen und ander in der ryfier und zirck gelegen . nit 
herbergen", welche Aufzählung dem Ortskundigen zugleich 
einen Überblick fiber die gi'oiie Zahl dieser Kranken gibt, fUi* 
welche jedes Dorf seine Gutleuthütten haben niusste. Ist uns 
doch auch eine Freiburger Urkunde aus dem Jahre 1273 er- 
halten, in welcher wir lesen, ,quod pauperes leprosi domus 
aput Friburg propt^r niultitndinem infirmoruni ibidem exi- 
stentium defectuiu in victu patiuntur frequentius et veatitu", 
aus welchem Grunde zum Almosengeben eindiinglich aufgefordert 
wurde. ^ 

In den Ratsprotokollen des Jahrs 149li finden wir Öftei-s 
allerlei VoibeugungsmaÜregeln gegen die Eintiehleppung und 
Verbreitung der Blattern erwähnt, die damals in verheerender 
Weise die Stadt heimsuchten. Da heißt e.s, daas man fremde 
ßlattemleute austreiben und an den Toren sie abweisen solle: 
man solle dafür sorgen, dass „kein blatternliit in das gemein 
bad gehen"; in diese Zeit fftllt auch das bereits früher er- 
wähnte Gebot, ,dafis man von der cantzel verkilndt. dass man 
die gassen allentbalb räume unnd sauber halt", und dass der 
Pfarrer für jene beten solle. Doch als alles nichts half, da 
musste der Stadti'at 1496 beschließen, ,das8 man ein hiis be- 
stelle", in dem man die Einheimischen unterbringen solle und 
welches nicht durch fremde Kranke überfüllt werden dürfe. 
Zugleich wurde Bernhard Huber, der Scherer, beauftragt, 
,in dem hus die blatternliit zu artzneyen", doch solle er dann 
niemand antasten, schröpfen oder schneiden. Dieses Blattern- 
haus stand gleichfalls in der Neuenbui'g nahe der Michaels- 
kapetle und war wiedemm aus Mitteln des Heiliggeistspitals 
erbaut. — 

Für ai-me und kranke Pilger und Durchreisende jeder Art 
war die Elendenherberge oder das Seelhaus bestimmt, welches 
anfangs innerhalb der Stadtmaucni in der jetzigen SchifFstraÜe, 
später an der Gumpost-, heute etwa Ludwigstraße, ebenfalls 
in der obengenannten Vorstadt sich befand; in der Neuenborg 
war auch „der funden kindlein hus" gelegen, das zuerst 1376, 



:i,6, J 



fiesuQdheitsjifltgi; im mittt'lslterlichi.'n Kreibiir^ 151 

aber auch noch 1544 erwälmt wird', und dessen Existenz 
eigenartige Schlüsse auf mauchei'lei Zustände und Sitten ver- 
anlassen könnte. Während Elendenlierbergen, entsprechend deu 
Zeitverhältnissen, überall und häufig vorkommen, sind Findel- 
häuser in Deutschland selten; sie sind dagegen in romanischen 
Ländern oft anzutreffen. - 

Außer den seither betrachteten Anstalten, welche dem 
Heiliggeißtspital und in weiterem Sinne der Stadt angehörten, 
ist nur noch der Spitalor und überhaupt der Wirksamkeit der 
verschiedenen Orden und Klöster zu gedenken, soweit sich 
diese mit Krankenpflege beschäftigten. 

Wie die Kreuimiige aus einem idealen CJrunde heraus ent- 
standen waren, so erweckte auch die Not und das Elend, das 
in dem fernen Lande die Teilnehmer befiel, in ganz besonderer 
Weise die christliche Liebestätigkeit; ritterliche und bürger- 
liche Orden nahmen sich in aufopfernder Weise der Siechen 
und Verwundeten au. Wenn auch später die Aufgabe der 
eigentlichen Spitalonlen sich änderte, und nach dem Verlust 
Jerusalems und des heiligen Lands der Kampf mit den Un- 
gläubigen mehr in den Vordergrund gestellt wurde, so hörte 
doch der m'spriingliche Krankendienst nie völlig auf und wurde 
in der Folge auch in die Heimat mit zurückgebracht. Ver- 
hältnismäßig frühzeitig finden sicli in Freiburg Niederlassungen 
der Johanniter und des Deutschordens'; denn schon 1240 ist 
eine Vergabung-surkunde datiert „in cimiterio hospitalis Sancti 
lohannis extra mnctis" und 1266 lesen wir von dem ,magister 
et fratres domus hospitalis sancte Marie Theutonicorum in 
Friburg". Auf dem Stadtplan von 1583 sehen wir beide 
Ordenshäuser in der Neuenburg als umfangreiche Gebäude- 
anlagen mit Kirche und großem Hof, der vermutlich früher 
B^jTäbnisstätte gewesen. 

Ob die Lazai'isten, welche angeblich 1220 in Schlatt" im 

■ Urkunden ilea Heiliggui-stapitals u. Mone Xn. 30. 

* Sclireibcr, Urkundpabuch. 

' Puinsignon, Die heilkraftigen Quellen lu ScUatt n.d, Hsus d. hl. 
Lazarus. SehBuinsknd XI. (Vgl. jeilucli Zeitschrift für die Geschickt« des 
OberrhdnB XL, 4(i2.) 




U2 



iiillieitsptlfgL' iiii mitti'lalU'rlithen Freiburg 



I 



Breisgau sich angesiedelt hatten, auch in Freibtirg der Aus- 
sätzigenpÜege oblagen, ist iiieht genauer bekannt; auch von 
den im Mittelalter beliebten Antoniteni ' wissen wir etwas fast 
nur durch ihre , Pflegschaft", die jedoch nach den Urkunden 
keine Kranken betraf. Lediglich aus den Missiven erfahren 
wir einmal von einem Spital dei-selben; denn am tiamstAg 
nach Franziscus (8. Oktober) 15U2 bittet der Stadtrat den 
,erwQrdigen Herrn pieceptor sancti Änthoni zu Fribuig* der 
sich „wideret", den alten und kranken Meister Andreas in 
sein ,Spitail" aufzunehmen, hierum. SchlieüUch mag noch der 
Wilhelmiter im Obemeder Winkel der Schneckeuvorstadt ge- 
dacht wei-den, weil sie Besitzer des nahen Kybbädleins 
waren, von dem Pictorius schreibt: „wird vil genützt von 
der burgersehaft . . . nutzt kaltem leib, thut den äugen wol 
vertreibt den giiess der nieren, thut hinweg die rud uund 
heilt beinhrilch." 

Von den Franziskanern ist nur bekannt, dasa mit ihi-em 
Kommen ein geoixineteros Armenwesen eingeführt wurde: die 
übrigen Klöster kommen hier nicht in Betracht. Sehr zweifel- 
haft ist auch, ob die Beginen, die 1261} zuerst erwähnt 
werden, etwas mit Krankenptlege zu tmi hatten, was Bader 
annimmt, — 

Aua den Urkunden, welche uns überliefert worden sind 
haben wir somit ein deutliches Bild gewonnen, wie im mittel- 
alterlichen Freiburg die Heilkunde ^on ihren Dienern je nach 
den verschiedenen Betätigungen ausgeübt wurde. Wie daim 
in organischer Entwicklung, unter Hinzutritt mancher neuer 
Elemente, auch dieser Teil menschlichen Tuns weiterhin sich 
bis zur Neuzeit ausgebildet hat. muss späterer Darstellung 
vorbehalten bleiben, die wol in mancher Beziehung auch noch 
mehr in die Tiefe wird eindringen können. 

' Schreiber. Stadtgeauhiubte H, llü. 




Dorfsprüche oder Ortslitaneien aus dem 
Badischen Oberland. 

Von Frlitiitb Pfair. 

Die Umfrage nach Dorfspruchen, die ich im 1. Heft der 
Blätter des Badischen Vereins für Volkskunde S. 14 und in der 
Alemannia N. F. 6, 79 ausgeschi-iebeu, hat in mehreren dankes- 
werten Antworten einen erfreulichen Widerhall gefunden. Ohne 
den Gegenstand erschöpfen zu wollen, seien einmal hier zu- 
nächst einige ganz bestimmte Fonnen des Dorfspruchs kurz 
behandelt. Der Betrachtung zu Qrunde gelegt sind einesteils 
jene Antworten aus dem Kreise unseres neuen Vereins, andern- 
teils von Dr. O. Halfner in Freiburg gefertigte AuszUge aus 
den Beantwortungen des alten Fragebogens von 1893 und 
eigene Sammlungen. 

Ich gehe aus von dem in HSnner, Amts Säckingen, auf- 
gezeichneten Spruch der vier oberrheinischen WaldstSdte Rhei 
felden, Säckingen, Laufenburg, Waldshut: 

Rhifelde isch e feste Stallt, 
SSckiago isch e Bett^lsacli. 
Laufeburg isch ea LüreuliUbi>1. 
Walset isch der Deckel drüber. 

Eine andere Aufzeichnung desselben Spruchs aus Hottingen 
ergibt die Abweichung für feste: r/rossi; noch häufiger findet 
sich dafür schi'mi; Wilfingen, Amts St. Blasien, wird c rari, 
Stockach e netti Stadt, Höchenschwand e Herrestaiti, Kllrnbach, 
Amts Bretten, gar die EdelstiuH, dagegen Ewattingen, Amts Bonn- 
dorf, e B^dstadt genannt. Alemannisch Lhechiihä bedeutet Bnt- 
I«rra8S, und zwar nicht in der Siteren Gestalt zum Ausstoßen 
der Butter, sondern mit dem Schaufelrad, das an der Seite 
mittelst einer Kurbel gedreht oder geleiert wird. Stalder im 
Versuch eines Schweizerischen Idiotikons II, 174 sagt bereit«, 




154 Pfaff 

dass Lyre sowol die Kurbel des Butterfasses als auch das 
Butterfass selbst bedeutet; das gleiche finden wir im Schweize- 
rischen Idiotikon III, 1370, wo auch neben Anke^iren nur 
Lire-chübel verzeichnet ist. In unserem Spruch wird also Rhein- 
felden als eine feste odet* große Stadt gelobt, Säckingen als 
arm getadelt; Laufenburg soll offenbar unter dem Bild des 
Butterfasses als reich bezeichnet werden, wie man wol von 
einem in Reichtum und Wolleben schwelgenden Menschen sagt, 
er sitze im Fett, im Schmalz, in der Butter. Für Waldshut 
endlich bleibt nur der trockene Holzdeckel des Butterfasses 
übrig. Der gleiche Vierzeiler ist überliefert über Steinen, Höll- 
stein, Hüsingen und Hägelberg; Earsau, Nollingen, Schwörstadt 
und Minsein; Herrischried, Säge, Stehle und Rütte; Wilfingen, 
Happingen, Vogelbach und Hierbach; Ewattingen, Aselfingen, 
Achdorf und Blumberg; Stühlingen, Eberfingen, Manchen und 
Schwaningen; Bonndorf, Wellendingen, Wittlekofen und Bett- 
maringen ; Höchenschwand , Amrigschwand , Strittberg und 
Segalen; dann am Eaiserstuhl über Burkheim, Leiselheim, 
Oberbergen und Schelingen; Endingen, Riegel, Forchheim und 
Weißweil. Eine Hochsaler Aufzeichnung des Spruchs der vier 
Waldstädte hängt an den Vierzeiler noch an: 

Thienge isch der Ring dra (am Deckel); 
Jetz hani gmacht wa i cha. 

Dass Llrechnhel = Butterfass ist, beweist auch der Aarauer 

Spruch : 

Aarau ist ne schöne Stadt, 
Biberstein ein Bettelsack, 
Kilchberg ist ein Butterkübel, 
Küttige der Deckel drüber, 
Suhr das ist der StämpfeP. 

Am Stämpfel erkennen wir auch noch das richtige alte 
Butterfass. In einer Aufzeichnung aus Oberlauchringen, die 
Stühlingen, Eberfingen, Manchen und Bettmaringen nennt, heißt 
es : Muche isch e NiddelküM, d. h. Rahmkübel *, und Eberfingen 
wird „ein Bettelsack" genannt. Im Spruch von Sulzbach, Amts 
Ettlingen, über Ettlingen, Weier, Oberweier und Sulzbach wird 
Weier gar der Dudelsack und Oberweier der Mdkkubd genannt. 

* Hesckicl, Land und Stadt im YoUcBiiiiiiide, Berlin 1867, S. 29. 
2 Nidel = Rahm. Vgl. Stal^*- * '' %w; R IV, 672. 



DorfHprQche uiier Ortslili 



15 



Im Spruch von Reute, Amts Engen, Homberg und Honsletten 
heilit Homberg an BurehüM, im Leiberatunger Spruch (Amts 
Biihl) über Schiftung, Söllingeu, Stollhofen und Scliwarzach ist 
StoUhofen de Murerhiwd, im Orsinger Spi'uch über 6tockach, 
Nenzingen, Wahlwies und Staliringen ist Wahlwies der Silur- 
kiihd und ebenso im Eüi'ubacher Spruch. Dem schließt sich 
der Unterländer Spruch aus Kürnbach, Amts Bretten, über 
Kürnbach, Sternfeld, Leonbronn und Ochsenberg an, der das 
württembergische Leonbronn (Lrhvrm) de Scikiiwel nennt. 

In all diesen SprUchen mit Ausnahme des aus Leibetstung 
spielt neben der Absicht, bestimmte Ortschaften im Gegensatz 
zu andern, die man als Bettelsack herabsetzt, durch die Be- 
zeichnung „Butterfass" u. dgl. als fett und reich zu kenn- 
zeichnen, oöenbar auch mit, dass diese Dörfer rechte Bauern- 
gemeinden sind; dies ist ja auch deutlich ausgesprochen bei 
Homberg. Stollhofen aber wird im Gegensatz hierzu als Murer- 
küwel bezeichnet und endlich Wahlwies und Leonbronn ent- 
weder mit Anspifiung auf dort betriebene Schweinezucht oder 
aber auf andere Eigenschaften „SäuküM" genannt. 

Hauptgegensatz bleibt aber immer reich und arm. So 
heilit auch in einem Adelshofener Spruch Konstanz eine schöne 
Stadt, Überlingen aber der Bettelsack. HogscliUr im Jlurgtal 
rühmt spöttisch von sich selbst: 



Deutlicher ist der Spott in dem vonHesekiel, Stadt und 
Land S. 29, mitgeteilten und an den Spruch der vier Wald- 
städie erinnernden Spruch; 

RheinfeUen ist mae feste StaJt. 

hinteu imil vome mit Lumpen v^minclit. 

Das gleiche ist über das schweizerische Klingnau aas Dang- 
stetten, Amts Waldshut, und über Thiengen im Klettgau aus 
Unterl auch ringen überliefert. 

Ganz besonders bezeichnend ist der zu Achkarren am 
Kaiserstuhl aufgezeichnete Spruch Über das verfallende, alte, 
malerische Stüdtchen Burkheim am Rhein: 




Bur^e iscb e scIiUne Stadt, 
hinle hsnet der Hett*lBnck, 



I 



156 Pfaff 

vorne isch se zainebuDde 
mit me alte Lienestumpe ^ 
dass sie nit ka zammenimple. 

Ganz ähnlich heißt es im Flehinger Spruch von Gochs- 
heiniy Amts Bretten: 

Götze isch e schöne Stadt, 
kringelrum e Mauern, 
hinne hängt der Bettelsack, 
vorne kann mer lauem. 

Eine andere Färbung kommt in den gutmütigen Spott über 
kleine und weniger wolhabende Ortschaften, wenn es von 
Reuthe, Amts Stockach, heißt: 

Reite isch e schöne Stadt, 
aber nur e Flecke. 

Dies wird erweitert und vertieft in dem Stockacher Spruch: 

Zizehausa isch a kläane Stadt, 
's isch jo nu an Flecke: 
wenn sie am Mentig Hochzit hont, 
so gont sie am Zinstig bettle. 

Ein ähnlicher Spruch ist über einen Zinken von Ober- 
harmersbach, der scherzhaft die „Hockenstadt** genannt wird, 
überliefert. 

Gröber schon ist der Spott über Schwaningen, Amts 

Bonndorf: 

Schwanninge isch e schöne Stadt, 
aber nu en Flecke, 
sind nu zwe Buebe drin, 
un de laufet an de Stecke. 

Während nun in den mitgeteilten Sprüchen die ganzen 
Gemeinden als Einzelwesen behandelt sind, müssen auf dem 
hohen Schwarzwald, wo geschlossene Ortschaften selten sind 
und der Einzelhof vorherrscht, auch die einzelnen Hofbauern 
herhalten. So sind durch Herrn Apotheker E. Himmelseher 
in Neustadt im Schwarzwald mehrere Sprüche aus den bei 
Neustadt ins Gutach -Wutachtal mündenden Tälern, die meist 
für sich Gemeinden bilden, mitgeteilt. Ich beginne mit dem 
Tal des zu den Viertälern gehörenden Spriegelsbachs, das 

' Liene = Waldrebe. Vgl Seilet. BmI» MimcUurt 8. 190. 



Durfspr flehe tidur Onslitniii 

beim „Bierhiisle" zwischen 
ins Outachtal geht. 



ä (lern KadJsrhcn Oburlflnd 



nd der Hülzlebnit 



Spriegelsbacher Litauei. 

Der FUrsatz iuch übe im Dil. 

der HODslebur hfit kei Vieli im Stfll. 

der Hnflcr hBngt de Speck in Rauch, 

bim Kleiser iaish es au sfi Brauch. 

der JnBlebur mit der achmutzge Traud. 

der Hanneabur hat kei Speuk lum Kraut, 

der Hilpert mit em neue Hua: 

die Schulde gucke obe ms. 

der Roinbnch mit der Tabakpfifc, 

der Metzgerpante duet de Hühnere grife. 

der Dengeaebnr mit der Ofekrucke. 

der Krtltlbur duet im Bierhosle buike. 

Hier sind also alle Bauern von oben im Tal bis zum Bier- 
hiisle durchgehechelt. Nur durch die Höhe des Feuerbergs ist 
der Spriegelsbacb von der Sihild wende getrennt. Die Schild- 
wende beginnt wie der Spriegelsbach beim Heiligenbrunnen und 
zieht von diesem Östlich in das Tal des Josbaehs, der dann 
weiter unten mit der Ordoach vereinigt bei der Hiilzlebnick 
mit der Tochter des Tiliseci, der Gutach zusammenkommt. 



.Schildwende. 

Der Taanacker iach der Afsng. 

im Griesbacb isch der Dng lang ', 
der Pfaß' mit em Brutkllbel. 
der Pfräiiglo schlagt 'sWib Obe), 
der Benedikt hat 'sHns voll Strau. 



iler Gaiabur e fuli Kral 
im Beiligebruniie 

d' Obendstuiue. 

Holz 

d' Mnidli stolz. 






Hier ist der umgekehrte Weg eingeschlagen: die Stratle 
des Spotts geht das Tal hinauf. Bemerkenswert ist der Brot- 
kübe) beim Pfaffenhof, der an die zuerst verzeichnet« Form des 
Dorfsprnclis anklingt. Ferner sehen wir, dass in diesem wenig 
unter 1000 m hoch gelegenen Tal die Lage zur Sonne viel aus- 
macht: sie wird hervorgehoben beim Griesbachershof am Anfang 
des Tals und beim Heiligenbrunnen, der mit seiner Kapelle und 
einem Wirtshaus 1025 m hoch aaf der von der Weißtannen- 



* Der Griesbachershof hat den ganzen Tag Qber Sonne 



158 Pfaff 

höhe südlich ziehenden Wasserscheide gelegen ist, und somit 
die Abendsonne aus letzter Hand genießt. 

Wir wenden uns weiter östlich das Tal von Langenordnach 
überschreitend zum Schwärzenbach, der vom 1142 m hohen 
Steinbühl beherrscht wird. Die Gemeinde besiedelt außer dem 
Schwärzenbachtal auch den Oberlauf des Eisenbachs, der bei 
Neustadt in die Gutach mündet, greift nördlich hinüber ins 
Schollachtal und östlich ins Eisenbachtal, die beide zum Donau- 
gebiet gehören, während die Gutach als Wutach dem Rhein 
zuläuft. Die Reise geht talauf. 

Schwärzenbacher Litanei. 

Der LoUr isch en Trüdler, 
der Hasebur isst gern Nudle, 
der Donisbur isch en Kälblistecher, 
der Hesselbur isch en guete Zecher, 
der Schochebur isch en Kienölbrenner, 
der Willme isch en Steiversprenger, 
der Schofmeier in gsengete* Hus, 
der Schwob basst d' Völcher' us. 
der Killi isch en dicke Ma, 
der Saalerbur isch nebe dra, 
der Rittibur isch e grobi Su, 
der Haberjockele isch ebe so ru, 
der Ahomwirt mit em rote Bart, 
der Hochebenebur isch au vun der Art, 
der Ebenemöser mit em hohe Huet', 
der Hofhannese bat gar kei Muet, 
der Großbofer hat en mfichtge Dold^ 
der Helliwander isch de Mägde hold, 
der Hintermüller isch en witzige Ma, 
in Wiesbach bän se Knöpf häs a^ 
der Winterer mit der Degelscheid^ 
der Magrämmebur mit der Kälberweid. 

' Gesegneten. * Dienstboten. 

' Oder: mit em große Guet. 

* „Er hat einen Dold**, d. h. hochgehobenen Wipfel = er leidet an 
Einbildung. Him. 

^ Im Wiesbacbhof hat sich die alte Männertracht am längsten er- 
halten. Die Kleider der alten BaueiTi kamen in die Karlsruher Sammlung 

Hirn. 

^ D. h. Degenscheide. In vielen einsamen Höfen hatte man fait Hl 
die neueste Zeit starke Säbel zur Abwehr landstreichendea OanwM*» 
Noch kürzlich fanden solche Waffen zum Abhauen von ' 



f Dorfspriii'he «der OrtslitHn 



1 BndisL'lieu Oberland 



Chollacl 



■ Litn- 



Der Kengetcr' mit em Uafersack, 

der EUplibur mit em lange Frack*. 

der Öler mit dem Buclierhus. 

der ISeierlü arhaat uhe lua, 

der Winterhalder mit der dicke Frau, 

der .... biir isch e Dr . . ks , . 



Auch das nalie, nördlich und östlich von Steinbüfal ge- 
legene Schollachtal, das in den Eisenbach mündet, hat eine 
Litanei, die aber leider nur als Bruchstück überliefert ist. 

l _,^_ 

Schwarzwald aus. Wer die Verhältnisse kennt und die An- 
spielungen versteht, wird nicht leugnen ktinnen, dass diese Dorf- 
Sprüche viel "Witz enthalten. 

Bemerkenswert scheint mir ein Hinweis, den G. Jung- 
lifluer in der schHnen von Pommer geleiteten Zeitschrift „Das 
Deutsche Volkslied" macht*. Er behandelt hier DorfsprUche 
aus dem Böhmerwald und bespricht die yod den Hofnanien 
herstammenden Rufnamen der Bauern, die wir ja auch in unsern 
Schwarzwälder Dorfsprüchen kennen gelernt haben — man be- 
achte wol, dass die Besitzer der Höfe sich meist ganz anders 
.schreiben", als sie (ihrem Besitz nach) gerufen werden. Jung- 
bauer macht aufmerksam auf Dorfspriiche, welche die einzelnen 
Hausnamen derart miteinander verbinden, dass sich ein witziger 
Vorgang oder irgend eine Verrichtung daraus ergibt. So 
schildert ein solcher Spruch aus Deutschhaide bei Oberplan die 
Schlachtung eines Kalbs in der Weise, dass jeder Bauer dabei 
eine Verrichtung hat. Ich habe bisher im Schwarzwald nur 
einen einzigen Spruch dieser Art gefunden, und zwar in der 
Gegend von Lenzkirch im hohen Schwarzwald. Während die 
bisher mitgeteilten DorfsprUche keinen inneren Zusammenhang 
zwischen dem von den verschiedenen Hofbauern Ausgesagten 
herstellten, bildet bei dem folgenden Spruch das Heraufziehen 
eines Wetters den gemeinsamen Hintergrund. 




' Reaget bildet mit Gngetibncb, StiLIctibaeli und HinterHcboMuoli dna 
t Uittelsc hollach. 
'4iis]^elnng auf die alte Trndit. 
1 ClWfi). S. 62, 



J 



160 t'foff — Borfsprüche oder Oitslitaneien a. d. Badischen Oberland 

Jetz könnt e Dunderwetter. 

sait de Vitte-Kätter. 

Sisch nimme witt, 

sait de Htisle-Vitt. 

He. *swird scho kumme, 

sait de Dumme. 

He, lens doch ko S 

sait d' Hiere-Apelo *. 

Des wird au dundre 

un d' Saigemer Maidle werde si au verwnndre; 

des wird au krache 

un d' Hieremer Buebe werde au lache; 

des wird au blitze, 

un d' Vittebüre wird au schwitze; 

des wird au dose 

un der Burgemeischter wird au lose. 

Damit sei denn für diesmal Schluss gemacht. Nur noch 
das eine will ich bemerken, dass ich alle diese Dorfsprüche, 
und zwar besonders die anfangs mitgeteilten Vierzeiler, für ur- 
sprungliche Trutzreime halte, wie sie ehedem zum Tanz 
gesungen wurden. Ich habe solche Tanzreime, d. h. solche, 
von denen es ausdrücklich überliefert ist, dass sie ehedem beim 
Tanz gesungen wurden, im badischen Ober- und Unterland viel- 
fach vorgefunden und gesammelt. Im Fränkischen heißen sie 
einfach „Gsetzl", d. h. Strophen, w^ährend sie z. fi. in der 
Herrschaft Lenzkirch den auf den Gesang hinweisenden Namen 
JRappeditzle , d. h. Repetitio = Kehrreim, tragen. Überliefert 
ist der Gebrauch beim Tanz von den Dorfsprüchen aus der 
Gegenwart meines Wissens zwar nicht; offenbar liegt die Blüte- 
zeit dieses eigentümlichen Zweigs der Volksdichtung weit zurück : 
ist es doch kennzeichnend, dass die Dorfsprüche meist nur in 
der Erinnerung alter Leute leben und vielfach nur noch bruch- 
stückweise aufzutreiben sind. Vielleicht geben diese Mitteilungen 
neuen Anstoß zum Sammeln, ehe es zu spät ist. 



' Lasst es doch kommen. 

* Apollonia. Hiere == Hierahof. 




Die volkstümlicheii Personennamen 
einer oberbadischen Stadt. 



Ein Ui'ilmg 



clilv iIlt aleinuniiiaclicii 
1 Karl Bert liehe. 



Vorwort 

Als ich vor einigen Jahren in den Ferien meine Eltern 
oder Landsleute um Auskunft fragte, iver dna oder jenes gesagt. 
oder getan Iiabe, und mir dann, da man mich für einen der 
Heimat lialb oder ganz Entwachsenen hielt, darauf meistens mit 
einem regelrechten, gewöhnlichen Kamen (Vornamen und Zu- 
namen) geantwortet wurde, wusste ich fast nie die richtige Per- 
sönlichkeit damit zu verbinden. Dies war erst dann der Fall, 
wenn man ihr die ortsjililiclie, alte Benennung gab. Damals 
wurde ich nun auch darauf aufmerksam, wie gar oft der AII- 
tagsname eines Menschen in meiner Heimatstadt stark ver- 
schieden ist von seinem offiziellen Schriftnanien, nnd wie noch 
Öfter beide gar nichts miteinander zu tun haben. Ich bemerkte 
bald, dass viele zwei, sogar noch mehrere solch offiziöser Be- 
zeichnungen hatten. Ich erinnerte wich auch daran, dass ich 
früher, wie andere Kinder, oft bitter daftlr büUen musste, wenn 
ich es als etwas ganz Selbstverständliches ansah, einen überall 
und oft gehörten Namen seinem Träger auch ungescheut ins Ge- 
sicht zu sOj^n und ihn damit anzureden ; hatte ich doch noch nicht 
im mindesten eine Ahnung davon, dass es dreierlei Namen für 
jemand geben könne, nämlich einen geheim gebrauchten, be- 
leidigenden (Schimpfnamen), einen auch offen vor dem Be- 
treffenden benutzten (Rufnamen), und endlich einen selten an- 
gewandten, .papierenen" (Schriftnamenl. 

.\us diesen Kindheitserinnerungen konnte ich schon er- 
sehen, wie die Spitznamen ganz allgemein gebräuchlich sind im 
sMiadlicben AUtagsverkehr. Allmählich erkannte ich auch mit 




Ä 



16S 



Rcrtstht 



Freuden die ungeheure Fülle luid Mannigfaltigkeit dieser ur- 
wüchsigen Schöpfungen der VolksphantÄsie und des Volks- 
humors, die meistens, gegenüber den farblosen, nüchternen Titeln 
der Prosa, geradezu wie echte, frische Kinder der wahren Poesie 
einen anmuten und aulachen. 

Nachdem ich eine Anzahl solcher originellen Benennungen 
aufgezeichnet und verglichen hatte, gewahrte ich, dass auch ge- 
wisse Gesetze bei dieser Naniengebung zur Geltung gekommen 
sein niüssten, obgleich mir noch sehr viele Bezeichnungen ein- 
fach unerklärlich und unbegreiflich erschienen. 

Nun gingen mein Vater und ich, er das ganze Jahr und 
ich jeweils in den langen Universitätsferien, daran, die ver- 
schiedensten Namen von Erwachsenen (Slannem und Frauen) so- 
wol der Gegenwart als auch der Vergangenheit, soweit das Ge- 
dächtnis der ältesten Leute reichte, zu sammeln und zu sichten, 
um sie auch in ihrer weitverzweigten Verwandtschaft zu er- 
kennen. Bei den Übernamen wurde mit peinlicher Gewissen- 
haftigkeit der Grund, die tatsächliche Unterlage und Bedeutung 
derselben festzustellen gesucht, und die oft vielfach verschie- 
denen Meinungen darüber geprüft und gegeneinander abgewogen. 
um nicht von irgend einem entfernten Verwandten des Betreffen- 
den unerwartet getäuscht zu werden. Denn es kommt häu% 
vor, dass die Sippschaft eines mit einem Schimpfnamen Ver- 
sehenen eine ganz andere, mildere, manchmal auch einleuchten- 
dere Erklärung, als die Tatsachen erlauben, dem betreffenden 
Spottnamen unterschiebt. 

Andere Schwierigkeiten stellten sicli den mehrjährigen Be- 
mühungen iiemmend entgegen und machten unsere Nach- 
forschungen langiWerig: so das oft hohe Alter vieler Namen, 
das heikle und peinliche Gebiet der manchmal sträflichen 
Schimpfnamen, wobei man, um nicht anzustoßen, stets indirekt 
anfragen musste; denn alle mit einem Spottnamen^, Behafteten 
kennen ihn natürlich auch selbst; besonders aber der Umstaud, 
dass sehr viele Schimpf- wie Rufnamen oft nur von ganz 
wenigen Personen auch verstanden, d, h, Jn ihrer Entstehung 
und Bedeutung erkannt werden — übrigens ein strikter Be- 
weis für deren Alter, Einbürgerung und Verwendung als vrirk- 
liclie Geschlechtsnameu. 

Ferner war hemmend die bekannte angeborene Verschlossen- 
heit der Bauern — und das sind die meisten Einwohner ] 




Die 



•o\k>^\ 



r oberbadi sehen Stadt 163 



Heimat — sowie der Landleute überhaupt, wenigstens in dieser 
Gegend, und gar in solchen schwankenden nnd kaum greifbaren 
Dingen, und endlich der umstüadliche Verkehr mit scheuen 
Kindern. Dann hatten die Leute auch nicht immer Zeit und 
Lust zu derartigen Erörterungen, Man musste deshalb schonend 
und langsam vorgehen. Endlich gelang es aber doch, aus dem 
„Ozean alles Tiefen und Genialen" — wie Herder das Volksleben 
nannte — etliche prächtige, wenn auch nicht lauter süße, Tropfen 
zu schöpfen. 

Litt' rat nr. 

Birliiijjer. Aus Soliwobon. I. Bd.: Sngen, Legenden. Volksnberglniiben. 
li. Bd.: Sitten und Kechtsgeb rauche. Wiesbaden. 1S74. (Darin 
besonders das Kap. XXXUI S. ill— 440 über das Gouuerleben.) 

Hurk M. R-, Zur OrU- und Personennamen kundß. Seltenere Zu- und 
L'bemamen in Alemannia XIII S. 17 ff. (nlphabet. geordnet), 

Meintie, Albert, Die deutschen Familiennamen. Halle. 1^03. 

Hone, Sonderbare GcBohlechtsDamen in Mones , Anzeiger fUr Kunde des 
deutschen Mittolalters" III S. läff. 

Hassmanu, Ausgezeichnete Eigennamen in Monea Anx. Ill S. 83 ff. 

I'faff, Unsere Personennamen. Zeitschr. des Allgem, D. Sprachv. 18^9 
No. 5. und Über Spitznamen und Zunamen. Eb<I. 1900 S. HI ff. 

Pott, Die Personennamen und insbesondere die Familieunamen. Leipzig, 
1«59, 

Socin, Adolf, Mittelhocbdeatsches Namenbuch. Leipzig, 1903. 

Stark, Die Koaenanien der Germanen. Wien, 1868. 

Ein Salbuch (Einträge von 1692— ITOOj aas dem Pfarrarchiv. Drei Stadt- 
protokoll bUch er (1702—1740). 

LagerbQcber (3 Foliobände) ans dem £nde des 19. Jalirhunderts. (Das 
Datum ist niubt genauer zu beatimmen.) 

firund- und PfandbUcher (KaufbUcher) von 1823—1840. 

Un gedruckt« Materialien zu einer Geschichte von Müh ringen (bis ins 
17. Jahrhundert gehend), die mir von meinem Freunde und Landsmann 
BerthoM Lang (Minorist) bereitwilligst zur Verfügung gestellt 
wurden. 

Einleitung. 

Gegenstand und Zweck dieser Abhandlung, 
§ 1. Vorliegende Arbeit behandelt auf Grund münd- 
cher Erkundigungen 

1. die Rufnamen, d. h. die KaDien, womit man jemand aus 
einer Menge unzweideutig bezeichnen und mit Erfolg 
herausrufen kann; 




^ 



164 BeHsche 

2. die Schimpfnamen von Erwachsenen im Alter von mindestens 

etwa 25 Jahren, und als Ergünzuu^ 

3. eine Anzahl Kinderspitzn Junen der Heimat des Verfassers, 
und zwar nach Entstehnngsursache, Form, Inhalt. Ver- 
erbung und Übertragung. 

Alle diese Abarten, besonders aber die beiden letzteren 
sind nun wol dazu angetan, helle Streiflichter zu werfen, sowol 
auf unsere heutigen Geschlechtsnamen als auch auf die allgemeinen 
Spottnamen, deren Deutung ja meistens unsicher ist. Sie sind 
vielleicht imstande, Aufkommen tind Bildungsweise dieser histori- 
schen Namen zu beleuchten und zu erklären; denn wenn man 
auch die Bedeutung der meisten Personennamen und Äppel- 
lativnamen kennt oder doch ahnt, so weilt man jedoeh in den 
wenigsten Fällen klipp und klar, wie und warum diese Person 
zu dem Zunamen von diesem Inhalt kam, und wieso jener 
Schimpfname (z. B. Lufli, S/off''.'l} aufkam und mit der Zeit so 
verallgemeinert werden konnte'. 

Manche der behandelten Namen (vgl, besonders § 5, 1) 
dürften einigermalien auch dazu geeignet sein, die Behauptung 
zu beweisen, dass die Wandlung ursprunglicher Personennamen 
zu Appellativen sich wot kaum, wie oft angenommen wird, 
lediglich oder auch nur hanptsächlicb aus dem häufigen Vor- 
kommen erklKrt, sondern meist so, dass der Name einer Person 
(z. B. der Mainzer Schinderhannes), die sich durch irgend welche 
hervorstechende Karaktereigen Schaft oder auffallende Taten — 
welche übrigens selbst nicht einmal in dem betreffenden Über- 
namen an den Pranger gestellt sein brauchen — einen Namen 
machte, allmählich auch auf Leute derselben Art oder ähnlichen 
Gelichters angewendet und übertragen wird. 

Wenn man dann noch ähnliche , ebenso genaue Feststel- 
lungen von Namen aus andern Orten hätte, so ließen sich wol 
aus einem Vergleiche der verschiedenen Behandlung« weisen 



' Tgl. S. lil der ,Zeitik:hr. des AUgem. D. Sprachr,* 190O (Bsriclit 
aber einen Vortrag des Prof. Dr. Pfaft in Freiburg Ober .t^pitznsmen 
tuid Zunamen': .Wie diest^ (die Spitznamen) entstehen, sieht man arn 
besten in abgelegenen Dörfern, wo Jeder seioen Spitsnamen hak, und Wtt 
man die amth*cheD Zuanmen kinmi kennt* ; lieun .wahrend . . . iu ätr 
Stadt die Namen meist erstnrrt unil fojiiielliufl geworden sind, 6ndet aicli 
auf dein Lande noch die früher überall vorhandene '- BMlehmig 

zwischen Menach und Name*. 



r oWrbailisc^lien SUdt 1(15 

manche, für die allgemeine Kamengebung wichtige und auch 
für die Kulturgeschichte «evtvolle Schlüsse ziehen. 

Bei einer näheren vergleichenden Betrachtung der Grund- 
sätze dieser Namenbildting und -Vererbung drängte sich mir 
bald der Gedanke auf, diese Erscheinungen möchten, besonders 
bezüglich der Vertauachung der Vornamen (s. besonders gg laif.), 
in der altgermanischen Namengebung eine Parallele, vielleicht 
sogar ihre Vorläuferin flndeii. Dadurch nfire dann auch die 
TJn übersetzbarkeit vieler althochdeutscher und anderer Doppel- 
namen erklSrlich, die ja nicht nur aus völlig gleichbedeutenden, 
sondern oft auch aus solchen Worten zusammengesetzt sind, 
die überhaupt schlechterdings nicht in vernünftige Beziehung 
zueinander ru bringen sind. 

Diese Vermutung wurde nachher vollauf als berechtigt er- 
wiesen durch Franz Starks ^Erkurs" über den Ursprung der 
zusammengesetzten Kamen (in seinem Werk: „Die Kosennamen 
der Germanen" S, 157ff.). Darin werden zuerst viele anord., 
ags. und ahd. Namen von Eltern und ihren Kindern aufgeführt, 
um die in altnordischen Sagas berichtete Sitte der feierlichen 
Namenverleihung bei den heidnischen Normannen zu erlitutem 
und sie als für andere germanische Stämme ebenso geltend 
nachzuweisen'. 

Diesen unsicheren vorgeschicbtlicben Vorgängen stellt dann 
Starte die gesetzraKHige Namengebung der friesischen Saterländer 
gegenüber, bei denen bis ins 18, Jahrhundert allgemein als 
Stammname jedes Kindes der Vorname des Vaters, und als Vor- 
name de,s Sltesten Sohns der Stammname des Vaters verwendet 
wird, so dass also der älteste Enkel immer wie der GroHrater 
heilit. Die älteste Tochter erhält den Namen der Großmutter; 
dann kommen der Reihe nach die andern Verwandten daran 
(vgl. auch Heintze, Deutsche Familiennamen 18S2, S. 29f.). Aus 
dieser Gegenüberstellung zieht Stark den Schluss, im Verlaufe 
der vorgeschichtlichen Zeit seien die zusammengesetzten Namen 
der Kinder wol in ähnlicher Weise entstanden wie in der histo- 
rischen Zeit, und zwar im Schöße der Familie, so dass sie sich 



' Vgl. damit llbrigena auch Luc. 1. 59 ff.: „. . . et voeabant ewm 
nomine patrit sui üachariam. üt respondenn niater eins dixit: Ne^a- 
quam. 3cd rocabitur loatitiM. £t di.Terunt ad illam: Quia nemo est in 

eognatimie tua, gui vocettir hoc tiomiiie etc." 



161 



Berts clie 



uns als „ein Produkt inniger Gatten- und Verwandtenliebe" dar- 
stellen: 

„Sie sind den Namen der Eltern und der näcliaten lieb- 
gehaltenen Verwandten nachgebildet worden. Anfangs mochte 
der Sohn wie der Vater oder Grolivater, die Tochter wie die 
Mutter oder Großmutter mit dem einfachen Namen genannt 
worden sein; später wird man versucht haben, die Namen der 
Eltern und Verwandten in den Namen der Kinder zu ver- 
einigen . . ." (Stark S. 162)'. 

Wenn nun auch bei den vorliegenden Möhringer Personen- 
namen nicht dasselbe einfacbe starre Gesetz der Vererbung gilt 
wie bei denen der Friesen, sondern die grollte Mannigfaltigkeit 
herrscht, und unter anderem auch nie, wie oft im Germanischen, 
der Elternname oder ein Beatandteil desselben als zweites Ele- 
ment im Kindesnamen auftreten kann, sondern stets nur als 
erstes, so werden sie doch ebensogut wie jene friesiscben Na- 
men als beachtenswerte Gegenstücke oder Nachklänge der gei^ 
manischen Doppelnamen betrachtet werden können, gilt doch 
auch für sie, was Stark S. 160 von einem Teil der altnordi- 
schen Kindernnmen annimmt, es sei nämlich „jenes Wort, das 
in den Namen der Eltern keinen Widerhall findet, wol meistens 
dem Namen eines nahen Verwandten, insbesondere dem des 
Großvaters oder der Großmutter, und zwar von mütterlicher 
wie von väterlicher Seite, entnommen worden". 

Jenes Wort, das in den Namen der Eitern nicht er- 
scheint, vertritt nämlich jetzt hauptsächlich der Taufnsm« (bet 
mehreren der sogenannte Rufname), da hier die andern zwei in 
allgemeinen Rufnamen vorkommenden Grundworte (Beruf- und 
Geschleehtsname) kaum in Betracht zu ziehen sind (vgl. übrigens 
§§ 27, 28). 

Nach der von meinem Vater und mir aufgestellten Statistik 



' Nach allem scheint alitu Stnrks Vcrniutims nicht bloll .rvclil An- 
mutend*, sondern auch ziemlich, nenn auch nicht vnllig, aus reich onii eu 
sein. Im Laufe der Zeit hat dann t^viaa aucH ilcr Urostand xur Mim 
von un- und widersinnigen Doppelnamen noch beigetrsgen, daas .inj'' 
wissen Zeiten und Gegenden gewisse Wortstämme. die oft im n™ile» 
Teile von Namen erschienen, ai-hUeülidi nicht mehr ihrem Sbnp wi^ 
sondern nur noch hIb nanienliildend*) IriuflixB gcfablt um) HogewuuK' 
wurden. (.Unsere PersonenuHine»' ron trof. Pf »ff. Freiburg, in .Zeilwlf- 
des Allgem. D. Spra.-Iiv.* \^m. No. 6.) 




volksüiiiilichcn 



nliorbaJinclifn Slailt 1(J7 



ist nun unter 526 lebenden Kindern der Vaternam« nur 28, 
der Muttemame 20 gegeben worden. Ö7 Kinder haben dem 
Zufall und der Laune oder wenigstens jetsst nicht mehr be- 
kannten Gründen ihren Vornamen zu verdanken, 6/ dem Ge- 
burtstagheili^n. Alle andern entfallen auf leibliche und geistige 
Verwandte oder Bekannte, unter denen Vaters Bruder (32) und 
der Pate {= ih thite 44) am meisten vertreten sind. Den 
höchsten Prozentsatz von Namen aber liefern die beiderseitigen 
Großeltern, und zwar sowol im ganzen (zusammen 25''/o 
= 132) als auch besonders unter den leiblichen Verwandten. 
Es erhült dann meistens der erste Sohn den Namen des Groß- 
vaters väterlicherseits (BGmal) und die erste Tochter den der 
Grollmutter mütterlicherseits (40 mal). Die Namen der andern 
Groliellern verteilen sich etwa hälftig ^29 und 2"). Das Über- 
gewicht der groUelteriichen Namen bei der Taufe eines Kinds 
ist also trotz der Menge anderer Milwirker doch immer noch 
festzustellen. (Auch bei den Alt- und Neugriecben, Albanesen; 
vgl. Pott S. 659 Anm.) 



^|K Zur (li^^'cliichte von Mührin^eri. 

% 2. UÖhringen, an der Donau zwischen dem badischen 
Orte Immendlnpen und der würftembergischen Stadt Tuttlingen 
gelegen, ist schon sehr alt. Zum erstenmal wird es erwfihnt 
im Jahre 786 als Mfmnijtfnu dann &05 Meringas (Mones An- 
zeiger III S. 35<i, aus Neugarts Cod. dipl. Alemann.), nicht wie 
gewöhnlich angenommen wird (s. Kriegers Topograph. Wörter- 
buch von Baden) erst 882 als Merchenint/a. Es besitzt schon 
seit dem 14. Jahrhundei-t Markt- und Stadtrechte. 

Jahrhundertelang (seit Mitte des 16. Jahrhunderts) ge- 
hörte Muhringen zum Besitztum der Fürsten von FUrstenberg, 
bis es 1803 an Baden kam. Damals hatte es etwa 1400 Ein- 
wohner (wie schon im Jahre 1700), und jetzt nur noch 1200. 
usbringen ist Sitz eines (kath.) Pfarrers, Arzts, Tierarzts, 
Apothekers, bat ein Spital (auch von auswärts besucht), bis 
1845 ein Amt (= Amtsrevisorat; daher docIi s'Antthus =^ frUher 
Sfifaloss der Herren von Klingeuberg), einen Galgen (bis Anfang 
4w le. Jahrhunderts), Notariat (bis 1877), auch Gendarmerie- 
ation. Möhringen war von jeher ein wolhabendes, verkehrs- 
IW Stfidtchen (noch jetzt bekommen 30Ü Bürger einen 



168 



Bertsclie 



jShrlichen Bürgern utzen, Burgerhde, von 80 M.), liegt ee docli 
an den alten Verkehrs- iinil Poststralien: Ulm — Tuttlingen— 
Schaffhausen, Rottweil— SchaflThausen—Donauesching^n. DieMebr- 
;sahl der Einwohner treibt auch noch in der Gegenwart Land- 
wirtschaft; denn MiShringen hat nicht umsonst mit rund 3030 ha 
Gesamtfläche die größte Gemarkung des ganzen Badischen See- 
kreises. 

Bis gegen 1865/66 waren besonders die Schsänärkte von 
MShringen weit berühmt und viel besucht, so dass überallher, 
besonders auch von Paris, Grolihfindler kamen, um von den 
20 — 25000 jeweils vorhandenen, Schafen einzukaufen. Die 
Zünfte blühten einst mächtig im Städtchen. So gab es aulier 
den Handwerkern, die für die täglichen Bedür&isse der Be- 
völkerung sorgten, auch Gerber (um 1S40 acht Rot- und 
Weiliger ber j , Seidenweber, Poaamentiere (Borl-imacher oder 
IkisBment^r], Slicker, Stricker, Glöcklegielier, die ihre Waren 
hauptsächlich in Osterreich, Ungarn, Böhmen und Polen hau- 
sieren lieUen. Die meisten jungen Gesellen gingen einige Zeit^ 
lang in die Fremde, um ihr Handwerk besser kennen zu lernen 
und dann als weithereiste und erfahrene Meister ihre Zunft zu 
beleben und zu fördern in der Heimat. Daher die vielen Na- 
men wie; rU Londoner, di Jiariser, th ßola; (b Wiianärheck. 
So hatte es den Anschein, als ob ]Mbhriugen sich zu einem an- 
sehnlichen Gewerbe- und IndustriestSdtchen entwickeln wolle 
Aber die leidige Prozess- und Händelsucht, die durch den in 
§ 3 geschilderten unaufhörlichen, und immer größere Kreise 
ziehenden Familien- und Parteikampf erregt und geschürt wurde, 
verdarb die schönsten Hoffnungen. Man Hell ruhig die wUrttein- 
bergischen Nachbarn allein den richtigen Zeitpunkt er&ssen 
und Dampf und Elektrizität verwenden. 1850 hatte Tuttlingen 
rund 3500 Einwohner, jetzt hat es 14000. 

Die Gründung eines Gewerhevereins (1869) mit 120 Mit- 
gliedern (jetzt nur noch 38, wovon die meisten Ehrenmitglieder!), 
sowie die Gewerbe au sstellung von 1873 vermochten den Nieder- 
gang des Handwerks nicht mehr hintanzub alten; denn dimib 
den Babnbau 1868 — 1870 wurde der Durchgangsverkehr sehr 
geschadigt, ja geradezu lahm gelegt. Daher übrigens aucli die 
nicht geringe Zahl von ortsan süss igen Italienern und Üstei- 
reichern, die damals und ebenso beim Bau d»*" ~ ' ' Imtuen- 
dingen- Engen (1864—1868) sich in Möh' delten. 




iDie rolkslUmikiien Persoi 



r uhei'lin<lis<7)ji;n Stndt Itig 



Solche, die mit Frau und Kind einwanderten, gibt es kaum. 
In jener Zeit, machte sich dann noch der immer scliädlicher 
werdende Einfluss — besonders auf die Gerbereien, die bis auf 
eine vermindert wurden — der Donau versickerung zum ersten 
Male geltend und stark bemerkbar. Monatelang ist das Donau- 
bett auf drei Kilometer ausgetrocknet, da anf Moliringer Ge- 
markung das Wasser unterirdisch in die Aach flieüt. 

So gibt es also nur noch M'enig mehr als zwei Dutzend 
kleinere Handwerksmeister (Schmied, Wagner, Schlosser, Zim- 
mermann, Schreiner, Schneider, Maurer und ScliuhmacherJ, diCi 
meist allein, nur für den ürtsbedarf arbeiten. Die andern, so- 
weit sie noch leben, betreiben Landwirtschaft, sind Taglöhner 
geworden oder gehen seit 15 — 20 Jahren in die Fabrik nach 
Tuttlingen oder Immen dingen. Viele junge Leute, Burschen und 
Mädchen, im Alter von 15 — 25 Jahren sind auch Fabrikarbeiter, 
zusammen etwa 150 Personen. Weil den Örtlichen Verhültniesen 
einigermaUen entwachsen und entfremdet, sind diese im folgen- 
den grundsKtzlich nicht berücksichtigt (vgl, jedoch § 27). 

Noch erübrigt, zur Erklärung der auffallend grölten Zahl 
von unehelichen Kindern, von denen übrigens mehrere in der 
Zeit der beiden Bahnbauten, wo die Stadt jahrelang vou den 
zweifelhaftesten Elementen geradezu belagert war, geboren sind, 
zu erwähnen, dass es wegen des Bürgemulzens früher (bis 
1870) orts polizeiliche Vorschrift war, dass, wer heiraten wollte, 
einen „eigenen Herd', d, h. ein Heim besitzen musste. Darum 
gab es zahlreiche alte Jungfern und Junggesellen. Sie bekamen 
ja das Bürgergeld auch so und hatten außerdem gewöhnlich 
lebenslängliches Wohnungsrecbt in einem sogenannten „Liili- 
dingstiUe" des Elternhavses '. 



Allgemeines über Entstehung der Ruf- imd Schimpfiianien. 

9 3. Wie und wann und von wem ist diese wunderbare 

Fülle und das bunte Chaos von Ruf- und Schimpfnamen ins 

Leben gerufen worden? Die ersteren gehorchen wol einfach 

einem uralten Gesetze, das sich durch hundertjährigen Gebrauch 

' Volksüberlieferung herausgebildet hat. Sie entwickeln 




. und die Bemerkung zu g 112. 2: dSliblt- 



J 



170 



Uertaehe 



sich von selbst. Man könnte »Iso auf sie das anwenden, wtis 
von den Volksliedern gesagt wurde, sie entstehen nicht, sie 
seien auf einmal da, sie liegen gleichsam in der Luft'. Bei 
den Unnamen weiß man gewöhnlich auch nicht, von wannen 
sie kommen, von wem sie stammen, d. h. wer sie zuerst den 
betreffenden .aufgetrieben" hat. Und doch rühren sie meist tob 
einer einzelnen Person her, die beim erstmaligen Aussprechen 
des Schimpfworts mehrere Zuhörer hatte, welche dasselbe als 
zuti'effend auch anwenden vor andern , die es dann absichtlich 
verbreiten, bis es sich allmählich überall einbürgert und schliell- 
lich allgemein gebraucht wird. Diese Art der Entstehung ist 
nun sicher und genau festgestellt nur bei sieben Xamen: (to 
Knit^ (§ 99), rfa Sonnemann {§ 100), da Gadir (§ 113, 3), de 
„S'mrd schon fest werdi>" (§ 63), (tBol^erschnikbra (§ 93, 4), 
ffMistoHe (§ 76) und *» ZiintH (§ 99). Diese Fälle können geradezu 
als typisch betrachtet werden. Der Urheber des ersten Spitz- 
namens, ein fremder Beamter (Straüenmeister), schalt damit seinen 
Untergebenen vor andern Arbeiter«. Der zweite Spott wurde 
zuerst ausgesprochen gegenüber einem Wirt vor seinen Gästen, 
und zwar von einem ortsansässigen Arzt. Ein Spassvogel, ein 
,Itapp^dule'^-^ und Märchenerzähler (vulgo rfj Tumnpostel) hnt 
seinen beiden Kollegen (Maurer) die nächsten zwei Spottnamen 
aufgebracht. Die übrigen drei rühren von dt 
satirisch veranlagten Lehrer B, her, der in seine 
etwa 60 Jahre wirkte {\ 1870). 

Man wird nicht fehl gehen, wenn man die Verroutung 
ausspricht oder sogar behauptet, dass von diesen vier Persönlitb- 
keiten noch mehrere Schimpfnamen stammen, und jtwar tom 
letztgenannten andere SchulspitKnamen, und vom lustigen und 
luftigen Maurer ähnlich harmlose Neckereien. Von diesen beiden 
wurde es nun tatsächlich mehrfach versichert, von den beldep 
andern als sehr wahrscheinlich hingestellt, machten sie sicli 
doch gern lustig über die schlichten, ^dummen" Landleute*. 



' Ein Hftujitgrund lier Bildung von so vielen verschiedenen Bof- 
nnnioR nm^ wol das hSufSge Yorkamitien der i;bichen Vornamen (Tgl.fi^) 
gewesen sein unb noch sein. 

' Vgl. Pfafe Erklärung Alcm. N. F. VI, l(iO. 

' l'utaftchtich weisen vuracbiedene Worte und Ausdrücke, äxt «'•' 
lit'i der SpitznatneogiABng (irie dietie vier) vorkommen, auf tremdcn Tr- 
»)>rung hin (■.!. B. Saaeklepper S C^). 



bekannten, 
■ Geburlfistadi 



I Die Volk Bill ml ichen Peraonennumen « 



»lierbodiächrti ^ta<lt 171 



Ebenso veranlagte Natnren werden auch redlich ihre Beiträge 
zum Schimpfwörterlesikon geliefert haben. Verschiedene Frauen 
haben sich hierbei noch besonders ausgezeiclinet, so die ge- 
furchte te Verleumderin der fünfziger Jahre: (l'SattIcrbaarU, deren 
seltsam und ungewöhnlich verdrehter Name (vgl, Seppl!) schon 
ihren Charakter andeutet. Er hat wenigstens jetzt noch einen 
last unheimlichen Klang. 

1876 haben dann eine verheiratete und zwei ledige Frauens- 
personen sogar auf schriftlichem Wege, durch Verteilung von 
PaSfiuiUeii (meistens in Versen) an rund 60 weibliche Personen, 
wenn auch mit geringem dauerndem Erfolge, sich um eine all- 
gemeine Schimiifnaraentaufe verdient, zugleich aber auch mit 
dem Arm der Gerechtigkeit bekannt gemacht. — Zu einer ge- 
nügenden Erklärung der vorliegenden, verhältnismäßig doch 
eicher Ungeheuern und ungewöhnlichen Fülle von Spottnamen, 
wie sie in solcher Mannigfaltigkeit wol selten an einem und 
demselben Platze vorkommen dürften, reichen aber derartige, 
auch anderswo gemachte persönliche Bemühungen einzelner doch 
wol kaum aus. Den nachhaltigsten Einfluss in dieser Be- 
ziehung übte der gewaltige, verderbliche Riss aus, der seit Be- 
ginn des 19. Jahrhunderts bis gegen Ende desselben (18Ü0) 
durch fast die ganze Einwohnerschaft ging, und der entstanden 
war durch die gegenseitige Reibung und Bekämpfung 
zweier angesehener, gleich ehrgeiziger Familien. >lit 
der Zahl der Familienmitglieder wuchs auch die Heftigkeit der 
Fehde. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war auf der einen 
Seite der Anführer: Landtagsabgeordneter Benedikt Fischler, 
der damals Bürgermeister war, nachdem man in den stürmischen 
Revolutionsjahren ihn einige Zeit abgesetzt hatte (vgl. § 100 
und § 35 b). 

Der Held der Gegenpartei war der bereits erwähnte Lehrer 
Bertsche, dessen noch übler bekannter Sohn; t/^ MiiUer li., sich 
alabald zum HauptkSmpen seiner Gesellschaft aufwarf. Er über- 
traf an Streitsucht und Prozesskrämerei bei weitem seinen 
Vater wie seine Gegner, deren Sprecher und Pamphletiat, dJ 
(aU) Flaschner (wegen seiner Spott- und Hadersucht war er 
gefürchtet und hatte desJialb nicht einmal einen gangbaren Über- 
namen bekommenl), seine Prozesslast im Gefängnis büßen 
. Sogar noch, nachdem es IÖ67 seiner Partei gelungen 

, einen ihr nahestehenden Mann zum Burgermeister 




J 



172 Bi^rtsche . ^^^^M 

Wählen, verfasste Müller B, 1875 im Geföngnis gegen Ter* '' 
flcliiedene aeinei- Widersacher Pamphlete, größtenteils in Versen, 
die er in der Schweiz {Schaff hausen) drucken und dann nachts 
za Hunderten in seiner Heimat verteilen lieU. Man sagt, er . 
sei auch mitschuldig gewesen an der besprochenen Schmäh- 
schrift ensUndflut vou 1876. So haderte und prozessiert« man 
noch Jahrzehnte weiter. Wie leicht begreiflich, sind nun be- 
Bonders alle diejenigen, die sich irgendwie in diesem ewigen 
Parteikaropfe und hüssltclien Familienzwist Iiervorgetan haben, 
reiclüich mit Spottnamen versehen, und zwar meistens mit recht j, 
beleidigenden und ki-iinkendeu, die daher oft auch übertrieben I 
scharf und unbegründet sind. 

§ 4. Einen beträchtlichen Anteil an dem Aufkommen und ' 
der Verallgemeinerung der grolSen Masse von Unnamen halten 
auch drei alte ürtliehe Einrichtungen und Gebräuche; die all- ' 
gemeine Hanl'brecheanstalt und die Spinnstuben, aber , 
hauptsächlich die Fastnachtspiele, die indessen alle drei fast 
gleichzeitig (um 1Ö7U herum) an Bedeutung und Pflege im alten { 
Stile verloren und allmählich eingingen. — Was war natürlicher 
und naheliegender, als dass die 40 — 50 Frauen und Mädchen, ■' 
welche jeden Herbst etwa sechs Wochen lang vom Morgen- bis \ 
zum Abendgrauen auf freiem Platte vor der Stadt bei lustigen 
Feuern Hanf brachen, nebenbei auch die Vertreter des starken 
Geschlechts tüchtig „durchliechelten"? Und im Winter kamen ' 
sie bei Tage ^E'Kunkl'f (Kunkel = Spinnrocken) zusammen, ■ 
und bei Nacht ging man dann „ s' Li acht'' oder ilioyaart^', heute I 
da, morgen dort. Den im Herbst angefangenen Faden konnte 1 
man nun weiter und zu Ende spinnen. 

Was in der kurzen ^eit des Hanfbrechens versäumt oder 
nicht erreicht wurde, konnte ja während der langen Wint«^ 
abende am warmen Ofen beim Spinnen. Nahen, Stricken, Flicken 
nachgeholt und vollendet werden, in engeren, vertrauteren 
Kreisen {Itoitä genannt), welche aber bisweilen auch junge 
Burschen erweitern durften'. 

Einer der wichtigsten Faktoren, die bei der Entstehung der 
zahlreichen Spitznamen mitwirkten, war dann die Fastnacht 
(d'FasnslJ, an der Alt und June:, Reich und Arm von jehet 



' Vgl. Birliugcr 
■ Vgl. noch Birlj 



Die viilkatnmlii'hcn Personennamen e 



r überIjndiBthen Stadt 1 73 



gern feilnahm. Da wurden (vor 1870 jedes Jahr ohne Aus- 
nahme unil Unterbrechung:) allgemeine, in der Umgegend be- 
rühmt gewordene Festspiele, häufig unter Aufwand bedeutender 
Kosten, veranstaltet. Darin, oder auch getrennt davon, wurde 
die Stadtchrouik ' verkündet, und einzelne hervorragende Ab- 
schnitte daraus dramatisch (meist in Versen) behandelt. Charak- 
teristisch waren und sind dabei teilweise jetzt noch die soge- 
nannten Hansel (Hi'msl, Hansfic)^, die in einer besondern Tracht 
(bemalter, seh eil enb eh an gen er Drilchanzug mit bemalter Holz- 
maske und Fuchsschwanz), dem eine eigene Gangart (= ä^Hiinsrl- 
schriti) angepasst war, mit veränderter Stimme meistens selbst 
vetfasste, kurze Verse nnd Reime nach eigener Melodie sangen 
(= Fasn3fli-^der) oder hersagten. Die Schuljugend wurde von 
ihnen im stetigen Vorwärtsschreiten durch fleißiges Auswerfen von 
Obst, Bretzein u. dgl. zum Mitsingen aufgefordert. Diese Past- 
nachtsverse hatten nun meistens einen lokalen Inhalt, und zwar 
in der Regel auch eine persönliche Spitze gegen irgend jemand. 
Im Anhang ist eine Anzahl der bekanntesten Verse, die mit- 
unter recht derb sind, unter Angabe der EntsCehungszeit ge- 
sammelt, und zwar solche mit oder ohne Nennung von Namen. 
Wenn die Betroffenen in der Abhandlung vorkommen, ist je- 
weils darauf verwiesen. 

Selbstverständlich waren diese uralten Bräuche vielen Kampf- 
helden eine willkommene und passende Gelegenheit, ihren Partei- 
leidenschaften die Zügel schieben zu lassen. So benutzte der 
mehrfach erwähnte Müller B. die Lieder No. 3 (mit Bezug auf 
die Brautwerbung von Bürgermeister Fischlers Sohn), Xo. 4 (be- 
züglich der Wahl des letzteren zum Gemeinderat), wol auch 
No. 5 (auf sich selbst beziehend) und sehr wahrscheinlich noch 
mehrere andere, um seinem Hass gegen die Anhänger der andern 
Familie und Partei Luft zu machen. Auf diese Weise bekata 
auch er selbst später einen tüchtigen Denkzettel (s, g 101; vgl. 
auch g 98; d-t Meister Lmiffflnf/ei). 

Die harmloseren Reimereien wurden auch hänßg zu Tanz- 
liedern gestempelt, wenn sie den richtigen Rytraus bessssen. 
Man sang sie dann an Fastnacht, und später wol auch an der 

1i(e= Kirchweih) gemeinschaftlich zum Tanz^ So dienten 



bekannU alte Stockscber Narrenbucb, BJilingtr II S. 49. 
BirliBger U S. 32. » Vgl. Pfuff. Alfm. N. F. VI, 160. 




174 



Bertsthi! 



sie als Ersatz der manchnial mangelhaften Tanzmusik! Beaonden ' 
originelle und beliebte Verse werden jähre-, sogar jahrzelinte- 
lang immer wieder gesungen (vgl, § lOlJ. 

Alle diese Fastnachtsbräudie sind Überreste aus aller 
närrischer Zeit, wird doch schon in der Zimiuerischen Chro- 
nik (IV 135) das ,sc/ummengerichf gern Meringen" erwähnt, 
„wo alle dummen, drolligen Jahres Vorkommnisse aufgetischt 
wurden" ', wie bei dem berühmten und berüchtigten Sarren- 
gericht von Stockach', Birlinger ist aber noch im Zweifel, ob 
damit tatsächlich unser Mühringen gemeint sei. Indessen, ab- 
gesehen davon, dass die andern beiden schwäbischen Dürfer 
gleichen Kamens an Vergangenheit und Bedeutung weit zurück- 
stehen, wird im Stadtprotokollbuch vom Jahre 1703 (S. hb) 
„D'seJ^menhuob" erwähnt. 



Allgenieiae phouelisflie und j;raminatische Vorbemerkungen. 
§ 5. 1. Alle Rufnamen werden, wie die Schimpfnamen, 
von alters her stets mit dem bestimmten Artikel verbunden 
(vgl. folgende urkundliche Bezeichnung 1704/05: .Johannes 
und Michell die Langen", Jllichell und Jakob die Stambler' 
u. ähnl.), und zwar vei-mutlich deswegen, weil viele ihren ur- 
sprünglich individuellen Charakter etwas eingebiillt haben und 
fast zu Appellativnamen geworden sind. Es erklärt sich die» 
aus dem Umstand, dass die meisten Spottnamen, sowie ^iele 
einfache Rufnamen, ja sogar zusammengesetzte (z. B. ifo I^agler- 
ferde) nicht bloH auf die eigentlichen Namensträger, sondern oft 
auch auf ihre ganze Verwandtschaft und Nachkommenschaft an- 
gewendet werden, und zwar rein und unverändert, und beson- 
ders bei Kindern und aolchen Erwachsenen, die keine persön- 
lichen Schimpfnamen und auch keine charakteristischen Rai- 
namen haben (vgl. gg 53, 114). So hört man häuSg Redens- 
arten wie: das ist eben auch ein „P/wrfc", ein echter ,ZHndii- 
hehier', ein rää(ch)l-> lidtzetliita (G esc hleclitsn amen) ; die gehört 
halt zu s'Na^*zis (Vornamen), zu rfa Schinder (Berufsname), m 
da (i ä')Noglerhasclief'umile, zum Ger^hiip (= Haufen), tarn 
SpiümaxJs'ig oder -ziiß (== Zeug, verächtlich für Geschlecht, 

' S. Birlinger II S. iO. 
' Birliager U S. 45— 5(i. 



vulkstüinüdien Persrinfiinuiuen einer (iberlmrlisdieu Stsdt 175 

FwniUe) u. a. Durch den Gebraucli mit einem tierartigen Zu- 
satz werden sonst gewöhnlich harmlose Rufnamen auch schlieli- 
Ikh zu Unnamen gestempelt, (Einen beim Schimpfnamen nennen 
lieilit man natitnts). 

Ferner bekommt man von Kindern auf die Frage: „Wem 
gehörst du?'^ (so fragt man nämlich stets, also nach den Elterni 
nicht nach dem Namen des betreffenden Kindes selbst), oft die 
Antwort: (ijs Bdiers, s'Na^is usw. (demnach meist mit dem 
allgemeinen Familienrufnamen). 

Auf diese Weise haben sich sogar mehrere bezeichnende 
.Schimpfnamen mit der Zeit zu wirklichen Appellativnamen ent- 
wickelt, z. B, MuiiUwanger (= Schwindler, Aufschneider), Wi^schi- 
kiafcr {^ Wucherer), Uahncnfritlr (— Lump) u. a., wobei allerdings 
die Bedeutung des ersten Namenselements zu Hilfe kam. — Zum 
größten Teil bewirkte aber wol die allgemeine, bei der Anrede 
fast ausschlieDüche Benützung der Taufnanien (s. g C), bei welchen 
der Artikel zur Unterscheidung nötig war, die entsprechende 
Anwendung desselben bei allen Eigennamen. Auch im Hollän- 
dischen erscheint der Artikel in festen Oeschlechtsnamen noch 
häufig: (Je Ruyter, de Vrknt, de Witt); ebenso wird er im 
Griechischen bisweilen gesetzt'. 

2. Der Widerspruch, welcher bisweilen herrscht zwischen 
dem grammatischen Geschlecht eines Worts und dem na- 

I türlichen der damit gemeinten Person (z.B. da Luft, eine Frau; 
rfi Met Liederlikeit , ein Mann) wird nur selten gehoben. Bei 
Klännern trägt doch manchmal die innere Sprachform über die 

I Süßere den Sieg davon: (?j Madam de la Tour (vgl. § 75). 

3. Bei Diminutiven, die sehr oft angewendet werden, 
schwankt der Gebrauch zwischen ,f?J" und „s'"; aber nur, 
wenn es sich um Männer handelt*. Wenn ds vorherrscht, so 
ist damit gesagt, dass jemand fast ausschlielMich mit dem be- 
treffenden Diminutiv bezeichnet wiid. Dieses hat sich dann 
ebensosehr eingebürgert, dass man es wol kaum mehr als solches 
fühlt und auffasst, mag auch der Benannte es nicht gern hören, 

4. Zur Erklürung der häufigen Anwendung und des all- 
gemeinen Gebrauchs der Ruf- und Schimpfnamen uud 

I zugleich zur Hervorhebung der Wichtigkeit und generellen Be- ^^^H 

I ' Tgl. flbrigens auch I'ott S, 2 Anm. ^^^^^ 

^^^^^* fi«i Frauen und Mädchen natürlich ausschlieülirh a'. ^^^^^| 



I 



niitzung der Eltemnamen für die Kinder sei noch folgctaVIfls Ue# I 
nngeflihrt und vorweggenommen : 

Will man ein Kind kennen lernen, so fragt man dasselba j 
zuerst niclit nach seinem eigenen Xaraen (denn man bekäme bei 
kleineren doch nur den Vornamen zu hören), sondern nncli seinen 
Eltern, und zwar mit der stehenden Frage: ^Wet»m kherscht • 
(elii)'^" Darauf antworten sie dann meist mit dem allgemeinen 
Rufnamen ihres Vaters, oder häufig auch mit dem Familien- , 
»amen (fiJs'Bellers, s'Bol^ers). Jlanchmal bringen sie auch in 1 
der neueren Zeit, von der Schule beeinfliisst, den regelrechten J 
Schriftnamen ihres Vaters vor. Versteht und kennt man 
diesen aber nicht, so ersetzen sie ihn selbst rasch durch den 4 
geläufigeren Rufnamen, bisweilen sogar durch den gangbaren, ii 
Stets gebrauchten Spitüiiamen, „Im Mfawanfffr', erwiderte mir ] 
einmal fast mit einem gewissen Stolz ein zwölfjäliriger Knabe. I 

5. Da jeder Vokal vor (und bisweilen auch nach) Nasal | 
immer auch nasaliert ausgesprochen wird, ist dies nur dann ange- 
deutet, wenn der Nasal abgefallen ist. Das umgekehrte r (») 
bedeutet das sehr oft vorkommende unbetonte, dumpfe e (so- 
genannter Indifferenz vokal). Bei der HSufigkeit der Suffixe 
-er, -el ist es hier jedoch als Belbstverständlich unbezeichnet gt^ 
laaaen. Um das Lesen der Naraea nicht unnütigerweise zu er- 
schweren, wurde es meistens auch nicht berücksichtigt, dass f 
vor Konsonant auch im Inlaut wie ach und statt p und t die 
entsprechenden tonlosen Medien gesprochen werden. Ebenso ist 
die Kürze oder LSnge, sowie die Qualität eines oder e nur 
ausnahmsweise phonetisch angegeben. 



Rnfnaiiien. 

J 6. Die primitivsten und natürlichsten, und deshalb tnich 
die häufigsten Rufnamen sind die Taufnanien, Da man immpr 
noch die Ansicht unserer Altvordern teilt, dass diese vor dem 
Zunamen die Bedeutung des Individuellen voraushaben' und 
dazu die der Gemütlichkeit und Vertraulichkeit, gebraucht uibo 
sie fast ausschließlich, wie in einer Familie, bei der Anrtde 
gegenüber Groß und Klein, Frauen und Männern, und sog»!" 
auch dann, wenn man, z. B. älteren Leuten gegenüber — ^'^ 

I Vgl. Sodn 8. 67e Aoiu. 3. 



l'JHc vulkstümlichfu Pei 



r oberbndisihcn t>tinit 177 



gegen die Eltern — das übliche „Ihr" statt Du anwendet. 
Dieses galt natürlich früher noch viel mehr wie jetzt. Wenn 
man von einem Dritten spricht, so wendet man bei der zweiten 
und jeder weiteren Erwähnung gewöhnlich anch nnr dessen Vor- 
namen an, wie immer auch sein Rufname zusammengesetzt sein 
mag. Die Bewohner eines Stadtteils, besonders die Frauen, be- 
zeichnen auch oft jemand, der im selben Viertel wohnt, steta 
— nicht mir bei der Anrede — lediglich mit dessen Vornamen. 
Aber überall und von jedermann wird einer damit nur dann be- 
zeichnet, wenn er. wie die folgenden, der einzige seines, noch dazu 
wenig bekannten Namens am Orte ist ; das ist nun vielfach auch 
bei Eingewanderten der Fall. Diese müssen sich aber schon 
ziemlich beliebt gemacht haben, wenn man sie nicht mehr mit 
dem Zunamen benennt. Auch wenn nach seinem Tode ein 
Namensvetter erseheint, wird dieser gewöhnlich amiers genannt 
oder wenigstens durch einen Zusatz unterschieden ; denn mit 
jenem reinen Taufnamen, der zudem meist in Kindern fortlebt, 
verbindet man eben immer nur noch dessen ersten Trager. 

1. Männer: rfj Alfriä, sogar als Bürgermeister noch 
meistens so genannt, da er vorher beliebter' Kaufmann war, 
(Ij Anselm, vor zehn Jahren eingewandert, lU Barn-) = Barna- 
bas, tfo lieiidd, de Bhue, auch lU Schei^bia^e = Plazidiia 
Scheu, fremd; rfj Boii-iftur, <lä Bruno, da Ikinise = Dionysius, 
(Ü David, d.t Dommä. früher auch Thoma geschrieben in Ur- 
knnden = Thomas, da Edmund, dJ Ediri", Name eines Land- 
wirts; ein besserer Kaufmann gleichen Namens wurde dagegen 
oft auch Edwin genannt; d<i Etiffelbert. da Fideele, geistes- 
schwacher Kneclit, fremd — der Name war früher hüuliger; 
denn er hat mit der Zeit einen gewissen Beigeschmack be- 
kommen, vielleicht durch diesen uraltge wordenen Träger; 9. 1824 
Unterschrift: Fidele Äxle; ds Eitje» — Eugen; rfj Fridiftin, fremd, 
dJ Gebhtiard, t/j Gloiis s. Nikiaus 1694, Glauss 1704; ds Göt- 
frid = Gottfried, dj Gnscktinn oder Grischti, 1695 Christen, 
1703 — 1734 Christa, jetzt ungebräuchlich, lediger Knecht, fremd; 
li» JyJUS — Jonas, d-) Jti/ia>^ (d'Jidia" = Juliana), d» Kaitw* 
s^Kajetan, fremd, d^ Kose = Kasimir, da Kunwelc. 1B64 ein- 
gewandert, KorneÜiis, da Lebo/d, (fo Lenhard = Leonhard, da 
Mang-is — vgl. Wanger — Wagner, renijla =■ regnen; s. Ende 
d«s IS. Jahrhunderts „Magnull Lang", uuch .,Mang Lang"; da 
3 Sasamc = Nazarius, do Od-nn = Adam, schon vor 
• N. F. 6. ». ]., 




46 Jahren eingewandert: vgl. 1693 Adern, (/.' Maftls ^^ Matthias, 
nicht zu verwechseln mit dem Malt^'s, ein Geschlechtsnaine, ili 
Fder und (U Foid, einst zwei bekannte Musikanten — damals 
meist zusammen genannt, jetzt kommen die beiden Namen öfters 
vor, (Ij FliUipp, fremd, tl.i Hone. 1823 Hierony Bertache, tl-i 
RuäiUe, vgl. 1GU2 Rimtidph B., seit Menschengedenken sonst 
= Rudolf, rfs fiev^rin, da Siffniund, A> Slmma = Simeon, tb Stands 
= Stanislaua, d;* (alt) Tadce = Thaddaus, rfj UHmi", de Xander 
^ Alexander, ds Visiene = Vinzenz, r/d Zacjie, auch Zaches =; Za- 
chÄus, (fo Zds-is = Celsus, lU Zenis^ = Senis(ius), 

2. Frauen und alte Jungfern: d'Angnr3, d'Aw/HSi^, d'lia- 
bdt, fremd, d'Br'itrhfj) = Beatrice, d'Baibi», fremd, d'BriyM. 
fremd, d'Be(r)nha}ia, d'Jimestii, d'Fhreniin, früher s'Fletie, 
d'Hurfais, fremd, (VJakobi^, d'Jensvee = Genoveva, dJösepitä, 
d'Judith. d'KiUtiri», tTKartin, d^KolascJU (!) = Scholastika. 
fremd, d Kords, früher sonst Kordl = Kordula, d'IAiddi'^. 
d^ Ligwi('w) = LiAvii-aB., d' Mn/jdälen, d'Miirid<nw = Waria Antonie, 
d'Marjann, d'Miirjef= Maria Eva; if Ma(r)izus = Maria Susann n. 
d'Marlise == Maria Elisabeth», d'Muru(r)schi = Maria Ursula, 
d'Mecktdd. d-Mcnik, ifOfr = Afra, fremd, d'Oliva, d'Paidi«, 
d'IiosiialJ = Rosalia, d'StepJin(ns), d"Rdor3, fremd, d' Vroniri. 
fremd, d'Zezdl ^= Cäcilie. 

Viele dieser karakteristischen Taufnamen — die Doppel- 
namen fast sämtlich — , die auch in deu öäentlichen Urkunden 
bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auftreten, sind allraiUiUcli 
seltener geworden, mitunter ganz verschwunden, so dass sie als 
Altertümer aufgefasst werden und deshall) sich leicht hei ein- 
zelnen alten Leuten zu Rufnamen entwickeln konnten. 

§ 7. Werden zwei Personen hartnäckig in weiteren Krei- 
sen beständig nur mit dem reinen, unveränderten Taufnamen 
gerufen — und das kommt doch bei der allgemein beliebten, 
häufigen Wiederholung derselben Vornamen oft vor — . so be- 
nutzt man bei dem einen der beiden Namen 

I . entweder das Diminutiv, das jedoch mitunter ai»'l' 
spöttisch und beleidigend gemeint, und ebenso aufgefasst wird, aiti 

'1. eine aus irgend welchem — meist unbekannten — 
Grunde besonders gebildete, oft altertümliche oder fremde, ab- 
weichende t'orm. Manchmal werden 

3. auch beide Arten verbunden. (Diminutivvoi 
als Schimpfnamen geltea, s. Im § 69b.j 



■ Die vülkBtlLniliL'hon V 



r obeifjadiBi-hen Stadt 179 



1. s', rf.» Ik(r)nh<irfle (r-Auefall nach Laüiari = Leonhard 
und Jlenitart = Reinhard); d-irsFrümh, s', ä9 Hannasie. de Jn- 
kobde ', s\ da Itenhüiile (e für ei wol nach Benhart und späterem 
irfnAurt!; vgl. 18ä6 „Menr&d Mlinzer") ^ s'Agatle, s'Amnarril'- 
= Anna Maria, «'Barijäf. = Waldburga vulgo Burg, s'Grellv, 
Ä'Ä'(ü(ej'?e = Katharina vulgo Küfii-r, s'Lcnile, i!.€MJ = Magdalena, 

2. (fo Bel)be, für Joseph vulgo Josepp, bisweilen Sep/i; vgl. 
ital. Bejtpo; d-i lientwt = Be(r)nhard, altertümlich, »fa Käsehper 
statt Kaschpcr, friiiier ^ (fo Kiäfrln'ischper; de Fridfr für Fritz, 
rfj Hans, der sich sogar so schrieb, eingewandert; für sonstiges 
Johann, Hannos. Dieser Name kommt indessen Ende des 17, und 
Anfang des 18. Jahrhunderts öfters, sowo! allein neben Johannes 
als auch hauptsächlich in Doppelnamen, z. B. Hans Konrad, Hans 
Jakob, Hans Kaspar, Hans Yeorg = jetzigem Hanserg, Hans 
Heinricli, vor. {/■* Miitteeli^s, von Ippingen vor 50 Jahren ein- 
gewandert; vgl. I/reves und Dri'es vo& Andreas, Meues und 
Miibus von Bartholomäus (s. Pott S. 103). Die ortsüb- 
liche Form fiir Matthäus ist Mattre, die z.B. 1823 öfters im 
Grundbuch Matfil, wie Tndfi, „Bartlä Franken-, geschrieben 
wird. Noch früher scheint J^athcfies übrigens auch gang und 
gäbe gewesen zu sein; denn diese Form findet sich auch ein- 
mal im Salbuch, 1692—1700, neben Matheis — MaUiess 1702 
= Blathias — und MaUms. ds Bich oder (fe liresselrich, von 
seinem Vater, A. Drossel, vulgo (fw Heiherija; so genannt statt 
üblichem, neu aufgekommenem Fritz, Friedrich; (7a Ä'*j)j?i, eigent- 
lich Dim. von Sepp, hat jetzt einen gehässigen Charakter be- 
kommen und wird allgemein gebraucht für einen JMimmerian 
oder Grobian namens S'pp, z. B. ds Bdlers<ppi, ein geistes- 
schwacher Knecht Beller, da Bloamaseppl, ein „Klotz" namens 
Blum; (fc Zen£ = Vizenz. — 

d'BaarU = Barbara; d'Bebbe statt Seppa — oder Seffs 
= Josepha; d'Marei, sonst Marie; rf'7ec!«(?) sta.tl Jaiove oder 
d'MiJlervi'va, Tochter eines Müllers, die jedoch, wenigstens nach 
Ausweis ihres Grabsteins, Eva hieß; (V Mtidl» i^ oder d'Sehlosser- 
ntadtai'*, Tochter des sogenannten „Schlosser Fischler", statt 
Üblicher Mae/A^e», vielleicht nach dem sagenhaften „Kiinmad- 
lai''U', dem Geist einer wegen Kindsmorde unschuldig verur- 



^' ' Das Belt«n gebrfluchlirht Diminutiv von Jakob heißt jetzt mehr 




J 



180 



B^rtsthe 



teilten Wahrsagerin, der im ^Kühltal" umgegangen und mit 
den ihm begegnenden Leuten gutmütig gesprochen haben soll 
— daher wol llir unschuldig gehalten wurde — bis er nach 
50 Jahren Wanderns von einem Mann erlöst wurde 1 Froher 
scheint Madl(f gebräuchlich gewesen zu sein; vgl. 1703 Mad- 
lena Guotin. 

3. (b Beriesle von B(t^js = Rupertus = Rupert; ds Kusine 
= Dominikus, (fo Jiikebäe, nicht zu verwechseln mit dem obigen 
Jakulteh (e ist im nahen Tuttlingen, Württemberg, gebräuchlich, 
z. B. KeU, KebÜe); da Johannade statt llannesle, d-* Sotük, 
später mehr Bobd = Robert. — s'BehMe, s'Fev^r von IViv, 
eine berüchtigte Schwätzerin, die dreimal verheiratet war, ihren 
Müdehennamen aber stets behielt; s'Fleiie, später d'Florcnii-i 
s'Marelle; s'Sepperle, wol aus Sepp-i, SeppHe = Sefße von 
Josepha. 

1. Diese modifizierten VorUHineD dienen nicht gerade ausecldieß- 
lich zur rnterscheldiing, sondern &iieh ala Koseformeii. 

2. Erwähnt sei noeh: d» Gtorg , obgleich er erst 20 Jahre alt iU. 
Er ist nttmlich der einiige Georg, d. h. nar bei ihm spricht man den 
Namen Geoc^ Schriftdeutsch aus — tatBäi-hlich kommt auch dieser Tauf- 
name sehr selten vor. und JGrgle gab es seit 5Ü Jahren keines mehr, da- 
gegen Öfters noch Hansfjjerg — nnd zwar deswegen, weil sein Onkel — Ak- 
zisor Bock, eingewandert — bei dem er anfcrzugen wurde, ihn stets vn 
nannte. Diese Erscheinung tritt indessen noch mehrfach zu Tage, fti 
erkliirt sich vielleicht auch noch mancher vun den erwähnten unregel- 
mäßigen Taufnamen. 

8. Nach Birlinger II S.4IIff. fflhren viele Oanner noch um Iflflü, 
such in den üerichtsakten, nur einen — nicht einmal immer bpHonder» 
auffallenden — Vornamen. Es wird dann gewöhnlich ihre Heimat d*iu 
angegeben; .ein gesellen, Jäklin von Üullingen genannt* — zum l'nter- 
schied vom ,schwartzen Jükli' = Jakob E. von Horb — ; Salemou you 
Freibarg: ,ainer genannt Thoman von Pfull*; Simon von Wien; ßre^r, 
Sebastian. .S. 435; der kleine Bernhardle; der kleine Uanneslen; Haaü von 
Kempten, nachher in dem langen Protokoll immer nar Hans genannl: 
neben einem Lang Hanü, auch I.anghans. zuerst; Hans LuHghanKn gf- 

% 8. Wenn irgend ein öffentliches Amt oder aueh ein pri- 
vater Berufszweig nur einen einzigen Vertreter am Orte li«, 
so wird dieser lediglich mit seinem Berufsnamen oder Amti- 
titel bezeichnet (vgl, Ähnliche Personennamen im jüngeren Aiwl.i 
s. Socin S. 216f.). 

1. Städtische Bedienstete: lia liubaa(r}t von Ba'^ha^ 
I Felds im Bann der Gemeinde; Tgl. 



ftSie vulkstllmliiOieD Personennamen piner überhaifisclien Stadt 181 

mild. C. didus Bnmvurt usw., Socin S. 470: jetzt = tfj J-yrf- 
schitz; lU liachbcck oder Stu(iUßicci, BScker im allgemeinen 
städtischen Haclihtis: da BoUzei, früher = rfj StatUhzäscht: 
{tBrecMmoaschttre, auch (TMonik genannt, 87jährig als ledig 
um 1860 -j-, die letzte Breche meisterin, — d'Brfche oder Bre- 
cM^ ist die Stätte, wo allgemein der Hanf beim Feuer gedörrt 
und dann gebrochen wurde — , rfa Bur()3moa*^Schtcr; <l) Hag»- 
fuiitUrer = FarreuwBrter ; d.) Gmoandsrechner , jetzt mehr rfd 
Stadtrechner; da G(i»siiirt: cfo Goassahirt; dJ Guschthirt = Hirte 
des Jungviehs = rfYrWficW; dafür jetzt d^ Ä'(VW^7*iW und d'i Ki9- 
hvi; d'HeliaHn, jetzt gibt es jedoch zwei Hebaromen; ds Henker 
(Lagerhucfa aus dem Ende des 18. Jahrhunderts ..Jobaon Reich- 
lin da Henker" = Vater des ,51eister Hanserg" in g 43, s«; 
vgl. das Gewann „Henkeracker"; s. „Johan Reichlins Henker- 
lehen"); da Kiiselit<tknriJcht = „Fruchtmesser" = Aufseher im 
Fruchtkasten = stadtisches Haus, worin die Zehentgarben auf- 
bewahrt wnirdeu, um armen Leuten eventuell damit aus der Not 
zu helfen. Er bestand noch bis in die fünfziger Jahre des 
19. Jahrhunderts; da Lehrer, solange nur einer da war'; rfs 
Sotsdn-mer = Ratsdiener; da Rotschr'iber, frUher da Stadtschriher ; 
ds Schinder = Wasenmeister; s. BirUnger II S. 4429*. Viel- 
leicht ist dieses der mhd. Schinderarius bei Socin S. 529; 
d'Sckaslwischsre, de Stroossahiäacht, frUher; da Leiehäsckouer, 
früher mehr da Totaschouer; da Waaldmoat^scMer = der oberste 
der Wald schützen. 

2, Kirchliche Angestelltet da Holgarechner — da HiAq 
= Kircbenstiftung = Kirchengut; daher mehrere Flurnamen, 
s'Hdgahelzh, da HdijahoK usw., jetzt da Kircli^rechner, aber nicht 
allgemein als Rufname gebraucht; rfa Kaplot oder da Vikar, 
früher (b Vikare; da Pi'arr oder da Dcliu{n); da Sigrist, jetzt 
d» Messmer^. 



' Bei den Lehrern wird, wie bei den Gendarmen, da seit -W Jahren 
derim iwei am Orte angestellt sind, meist ihr Oeschlechtanaine beigefügt. 
»Ibo; ä» Lehrer Biekel, da Lehrer Brown; wie d» Gendarm Rot usw. 
Wenn aber einer .^chon lange ortsansfissig Ist (wat bei tiendormen jedoch 
nicht Turkam) und gar eine einheimische Frau nimmt, dann flillt aeiu 
Tit«! allmfihli.ch ganx weg. Jetzt also meist; da Biekel und d» Braun. 
Kenerdings gibt es nuch: d'Lehnre. (Nur die Schulkinder sagen »' oAht 

m ^Freile Soiindeo.) 

^^^v ' Die HaushUlterJn des jeweiligen Geistlichen nennt man d'Pfarr- 



J 



Ute: ,{3 Akzi- 



; rf* AJaawar = Ak~ ' 



tuar, der als Invalide lange in seiner Heimat lebte; li^ Aml- 
Hi(i" (bis 1845); lU tosthaUtr, jetzt do Fostaffenl ; (h Notar (bis 
187G); rfj JBri->fbot^, dj Slationsmai*'sier oder Staämtsmoasckter, 
wiirttem bergischer Beamter ; ds tHeierufsetitr, 

4. Privatleute: ila Ap^deeker; il-' Bloaker, Besitzer oder 
Pöcliter der ehemaligen Shiakc — Bleiche; il^ BiiscJiUnder; d^ 
Builäscher = Pottosuheusieder ; s", i?J Dammbourle, ein kleiner 
Mann, der im russischen Feldzug Napoleons Trommler war, 
nacbber als solclier berUlinit und deshalb Überallhin gerufen 
wurde, d-> DiMer; da Drajcr = Drechsler, nicht zu verwechseln 
mit dem Dreher, ein Geschlechtsname; d^ /■7(Wc/(Ht'r = Blechner. 
noch so genannt, obgleich er schon seit 3U Jahren nur einen 
Kaufladen besitzt; dJ Färber, d3 Gärtner, der Geilienhirt, dann 
Gießer war, aber die Gärtnerei erlernt hatte, sie jedoch kaum 
ausübte; trotzdem wurde er, anfänglich wol spöttisch, immer 
noch so gerufen, seine Frau d' Gädnäri' ; dJ Jlustmacher: d» 
Jäger oder d-^ Fcrsckler, furstenbergischer Förster; di Kammaclier 
— auffallend, da sonst der Kamm Strül, von Strahl, oder Kant- 
pel heißt — ; (?-> Kanditer. Kaufmann und gelernter Konditor; 
d» Kessler, Kesselflicker; d9 Messerschmied, da ÖJJer, da Ea-t- 
si^rer, da Säyer, dj Sedder = Siklzduiaciter; vgl. rahd, Dim. 
Sefeferiw, SocinXXII; (foScA«/er,d<i.'j(»7C&ej-,Bauernkittelstricker; 
(to Ti^raarit (seit 15 Jahren keiner mehr da); da Tuacher, Tuch- 
macher; da Zoa}V>inacher, Korbmacher. 

§ 9. Ebenso wird bisweilen jemand einzig nach aeineiu 
Geschäft oder Amt benannt, wenn seine Kollegen, deren fä 
in diesem Falle jedoch nur wenige, 2 bis 3, sein dürfen, andere 
karakteristiscbe Benennungen haben, wie der eben erwfthot« 



ködün, oder d'Frou be*w. d'Frtile X; wuim es seine Mutter nder Wi» 
Schwester ist, liört mmi die erste Bexeichnuug seltener. 

' AktUor, jetet a. D., Schlimm wurde fast immer nur mit aeinem 
Gesollluch tanameu beieivluiet ^- seine Fran beiUt auch d'SdiUminm —i* 
er schon lange am PUtze ist nnd, obgli>ich Unterlfioder. xiemlich popiillr 
wurde, Ähnliuh ging es seinem I.nuilsnisRn und AmtsvorgSn^r Bock, 
desi^en Frau uud jetzige Witwe stets d'Baekia gcnimnt wurde und «ii^< 
wahrend er selbst nur selten den Namen ib Boek — wol Aea ominfico 
lüflngs wegen — bukum | vgl. den Kinderspifcsnamen «'JV«/e £o(4§ l"'l' 

- Der langjUhrige, einheimische I.andhrlefti'iLger winf über, wir "> 
seiner Jugend, vieUeiüht auch noch deswegen, weil er fast immer UU' 
warte, nur d» Siitdaif 



I' Dif volkslümlii^lien PtTson.'imaniyn ciniT utjerbiidisfLeii -Stiidt 183 

Itudolf: da Z'^yler, lU Strooasswa(r)t, da Ba'*wu(r)t — Bahnwart, 
nicht zu verwechseln mit dem alten Jiaiiart ■= Bannwart, äe 
Wuldsdnis ■= Waldhüter, Ai ^a'^cidicmUcr. 

Auf die in den letzten Paragraphen behandelte Art der Be- 
nennung weisen wol auch die folgenden, mitunter noch am Ende 
des 18. Jahrhunderts in den Urkundenbiichern üblichen BeueJch- 
Qungen liin: 1730 „Heinrich Weiüen dem Harfzer"; 1734 
„andreli Bertschins d, Segers" ; 1739 .Johannes Dummel d. Blai- 
cber"; „Ignatius Vogt d. Nagelachmidt". In den Grundbüchern 
des 19. Jahrhunderts konnten keine Beispiele hierfür gefunden 
werden, überall fehlt der Artikel, wenn der Berufsnanie ange- 
geben ist, während bis Mitte des 18. Jahrhunderts fast aus- 
BchlieUlich der bestimmte Artikel steht, Es konnte dabei die 
Wahrnehmung gemacht werden, dass die so karakterisierten 
ihr Handwerk oder Amt entweder allein oder doch mit geringer 
Konkurrenz ausübten. 

{} 10. Da alle in § 8 unter 1, 2 und 3 autgeführten, und 
von den dort unter 4 aufgezählten Ämtern etwa das eines Apo- 
thekers, Dokters, Tierarzts und eines fürstlicli-fürsienbergischen 
FörsteirB, oder Waldhüters im allgemeinen sich nicht vererben, 
so wird fast jeder neuaufziehendeu oder neueruanuten irgendwie 
beamteten Persönlichkeit (auch Lehrern und Gendarmen) eine 
Zeitlang das FrÜdikat ,neu" verliehen, — wie auch den 
Wirten und fillillern. — Der in den Ruhestand tretende oder 
soiiHt abgehende Beamte bekommt, falls er am Orte bleibt, zu 
seinem bisherigen Namen den Zusatz „alt", der auch dann 
noch gewiihnlich anhaftet, wenn jener sein Kennzeichen „im' 
ISngat verloren hat. Diese beiden Wörtchen dienen blos als 
Unterschiedsmerkmale. Als solche gelten sie aber nicht sehr 
lange, weil das erstere begreiflicherweise bald verschwindet, be- 
sonders dann, wenn der neue Angestellte bei seinem Dienst- 
antritt mehrere Amtskollegen antrifft (vgl. § 9). Sonst spielen 
sie, wie auch bei andern Rufnamen, die Rolle des Epitheton 
arnaus, besonders für das Alter, Hier seien nur die bekannte- 
sten, längere Zeit allgemein gebrauchten Namen von derartigen 
Bediensteten a. D. aufgeführt: rfj alt Mzisor. rfj <ät liunjJ- 
miMscIitfr, ih alt Piiliznl, i/j ult StutUrccbncr, il-i alt Fosthaalter, 
lU (di FostagfiU, lU uU Mi-ssniir, daher auch dt alt H/'bann, 
. di ali Sehu-tlwisckerü. Im Anschluss daran seien auch die Be- 
^■Huwgen der Exwirte und -inüller hier vorweggenommen: 



184 



Berts clie 



I 



rfj alt BachmiUer, * cdi Hirsrh(^)irirt, fh alt Kroratrirt, rf» rät 
O^Gfwirt, di tut Suntt^mrlin. — Man vergleiche damit: rf' (ait) 
Flaschtu-r, tli(alt) Kammachrr, (b fali)Kamiiti-r, ih((iit)Tii3rhfT, 
</j (alt) Ziaglfr (§ S, 4), die alle meist den alten Berufs = Rui- 
namen beibehalten, auch wenn sie ihr trlilteres Geschäft nicht 
mehr und eventuell ein anderes ausüben. Deren Geg^enstücke 
aber heißen: il.i jung Flaschurr, d^ jittig Kmiilitfr usw. Diese 
kommen jedoch kaum allgemein, oder doch nur ganz kurze Zeil 
und ausnahmsweise vor. Es konnte wenigstens trol^ eifrigen 
Nachforschens kein einziger gangbarer Name dieser Art fest- 
gestellt werden. Der Grund bierfür dürfte wol der sein, dass 
in diesen Fällen nicht so sehr der Dienst oder der Beruf bei 
der Namengebung des Nachfolgers maligebend ist, wie bei den 
öffentlichen Beamten, als vielmehr die Persönlichkeit selbst. 
Allerdings ist es hier auch meist eine Geschäfts Übergabe an 
einen Sohn oder Schwiegersohn, die dann gewöhnlich ihre festen 
eigenen Rufnamen schon besitzen. Bei andern als bloßen Be- 
rufsnamen ist die Bezeichnung i.jung* noch etwas häufiger. 
„Alt" bedeutet bei Privatpei'sonen fast immer alt an Jnliren. 

Auch in amtliche Schriftstücke wurden früher diese Ka- 
rukteristika aufgenommen: 1G95 Hans Jakob Pertschin der Alt; 
1704 Hänslin Schellhanier dr jung — sein Vater = Hans Schell* 
liamer — , 1739 ..Pr. Josef Guothin (d. jung ZUgler)" ; Joseph 
Müller delS alten, und Joseph Müller dell Jungs. 

Vereinzelt steht: da nct Biir, der vor 25 Jahren einwan- 
derte, was bei einem Bauern eine Seltenheit ist (s' Krlhar^ms; 
das Adjektiv wird also nicht flektiert; vgl. auch § 43). 

% 11. Diminutiva von Berufsnamen gelten im allgemeinen 
als Schimpfnamen. 

Hier anzuführen sind die folgenden zwei Ausnahmen: ä^ 
Mot^r und (/.) Schmkllc, später rf.' alt Schtitidlr, klein unil 
„säarbig" = schmSchtig. 

Fast jeder Postagent wurde und wird, auch bisweilen neben 
seinem persbnUchen oder einem andern Ruf- oder Schimpf- 
meistens d-f Boschflr genannt, wie man vorher die 
durchfahrenden Poetillone hieß. In neuerer Zeit wird der üiane 
jedoch etwas verächtlich gemeint, und gewöhnlich anch so auf- 



S 12. Nur ein sehr geringer Prozentsatz (etwa 55 Per- 
sonen) werden und wurden, soweit sich die Kitesten Leute ezi- 



Die volkstümlichi'D rL-isrmeniiiimen einer oberljodisdien Stadt ly5 



sinnen künnea, allgemein und fast immer mit ihren nackten 
Gesciilechtsnanien bezeiclinet; davon 

1. einige deswegen, weil sie zu ilirer Zeit die einzigen 
männlichen, erwachsenen Träger des alten Familiennamens eind 
bzw. waren, und aus irgend einem Grunde (s. g 53) einen ander- 
weitigen Rufnamen weder ererbten noch erwarben, 

2. andere, weil sie sieh durch Ansehen und Karakter von 
ihren übrigen Verwandten, welche die Elternnamen oder andere 
Rufnamen besitzen, gleichsam getrennt haben, 

3. wieder andere endlicli, weil sie als unehelich Geborene 
amtlich den Namen ihres fremden Vaters fuhren dürfen. 

4. Die übrigen, etwa 40, sind mitunter schon sehr lange — 
über 50 Jahre — eingewandert. Ihre fremd klingenden Namen 
werden natürlich, soweit angBngig, bald mundgerecht gemacht, 
80 dass sie den fremdartigen Karakter mit der Zeit verlieren. 

l. th (alt) Exil- = Öxle, th Fmus, di (all) Giitx, (h Rühren- 
back, lU Eathmund, da (alt) Schmkenhurger. 

•i. da Bausch, da H&aa, da Hässlei; da Müller, dJ Säcfde, 
der zudem lange auswärts war; da Sonntag, den man auch noch 
so nannte, nachdem er sein früheres Ansehen gänzlich eingebüßt 
hatte; da Susann — ausnahmsweise auch nicht di Zusunn; vgl. 
Zibäl = Sybilla, Zusann = Susanna, da Zenise = Senis(ius) — 
dessen Name als der eines grolien Woltäters, ■{■ 1S43, in £hren 
gehalten wird, früher = da Schmitfaljiia, weil Schmiedssohn. 

3. da t^erle, da Lenz, da Schwidtherg, da Weigand. 

4. da Awr, Kaufmann, da Jiaier, da Bleicr, da Feiher, 
iFFrUsdte, eingewandert vor 60 Jahren als MUllerknecht, da 
frrout, desgleichen; sein Vorname Polykarp fiel also nicht ein- 
mal 80 sehr auf, oder war bu fremd; da Gilovc, Ital, = Crhilovi, 
fla Häuser, rf» Hcüsterii, da Hutäer = Utzler, schon seit Anfang 
des 19. Jahrhunderts am Orte, aber kinderarmes Geschlecht; 
dj Manger (s. Anhang No. 21); dr Marjüne = Marignoni, da 
Mattes, obgleich sein Vater, ein Oagahrötler = Sonderling, schon 
einwanderte und er selbst bekannter Fuhrmann und Bote ist, 
&1iber = da jung Mattes, und jetzt, wie sein Vater vorher, 
mehr da alt Mattes, da er nun auch u. a. einen Sohn hat; da 
mager, da Sclieu, da W'efid u. s. f. 

Nur ein Diminutivum ist hier zu verzeichnen, das nicht als 
Schimpfwort gilt : d^ (alt) Kri'gle = Krug. — Bei dieser Gat- 
tung werden begreiflicherweise die Prädikate „jung" und „alt" 



186 



BprtBi-|i0 



» 



am meisten (mgewendet . sog'nr bei Bvüdem, wenn der Alters- 
unterschied bei ihnen ziemlich frroll ist. 

g 13. Zusammengesetzte Rufnamen. Die bis jeUt be- 
handelten drei einfachen Benennungen nach Vor-, Berufs- und 
Geschlechtsnamen («ach der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit und 
Häufigkeit) bilden noa die Elemente, aus deren Verbindung die 
iDannigfaltigsten und verscbiedensten Rufnamenkomposita ent- 
stehen. Je nachdem man sich auf den Standpunkt einer jener 
drei Arten von primitiven Namen stellt, erhslt man die zwölf 
Grundschemata : 

Vor-, Berufs-, Geschlechtsname + Vorname, 
Vor-, Berufs-, Geschlechtsnajne ■)- Berufsname, 
Vor-, Berufs-, Geschlechtsname + Geschlechtsname: 
Diese Verbindungen kommen nun alle, mit Ausnahme der 
letzten, wo zwei Geachlechtsnamen verbunden wUrden, tatsäch- 
lich mehr oder weniger hitufig vor. Durch die Reihenfolge der 
Grundwörter ist vorderhand auch die Disposition der folgenden 
Ausführungen gegeben. 

g 14. Typua Vorname -|- Vorname. Wenn der Mann, den 
man stets nur (/<> Sinini^ hieß, einen Sohn bekommt namens Mas, 
so wird man ihn ganz begreiflicher- und natürlicherweise all- 
gemein nicht bloll da Mar, sondern sShH7ii-> Mnx, oder um- 
ständlicher (i)ntSimni-> sin Mnx nennen, wenn nämlich sein Nach- 
bar, der sogenannte Käse, bereits einem seiner Kinder den Namen 
Max gegeben hat oder gleichzeitig gibt. — Schwache Genetive — 
wie s'Simni» entstanden aus früherem nasaliertem Sintm-»", 
s Becken) '. — Wenn man dann von diesen beiden Namens- 
vettern spricht, 80 nennt man den letzteren eben (i)m Käse 
Moj: oder spSter, vielleicht immer, s'Kases Max — ' vgl. die 
mhd. Genetivnamen, Socin XXIX. Es entwickelt sich mit der 
Zeit s'SimmJ Max zu d^ Siimno McLv^i und zwar wol so, il 
das GenetiT-5 als sächlicher Artikel aufgefosst wird, da man Ja 
oft sagte: s'Mfixle bzw. s'Simm-i Biablr. oder -Mäxle. Als daiiD 
der Bube ein Max geworden war, rausste man ihn do Max, unil 
konnte ihn deshalb leicht da Sinim'» Mtu- nennen. Unter sein™ 
Eiuflnss erging es s' Käses Mnjc ähnlich, wo sich nach Abfall 
des genetivischeu Artikels auch das .v an Knse verlieren mosel«, 



' Vgl. di GarU, Oß. 

' Vfl. irihd. ; dae Sigemumit 




)lkstürulic]i<>n PersoueniianieD viiicr <>bor1>ii<li»i:liuii Stiidt 187 

ttnd zwar durch die Macht der Analogie, die ausgeübt wurde 
von Seiten der vielen s-loseii Kompositen, die bekanntlich in den 
oberd. Mundarten noch zahlreicher aind als in der Schriftsprache. 
Mit der Zeit schmelzen die Vornamen des Vaters und seines 
Sohns gleichsam zu einem einzigen Begriff zusammen. 

Auf diese Weise sind die Ausdrücke rfj SimniJmax und d* 
K<isenuix in der Tat allmählich zu wirklichen Kompositen ge- 
wordeu, deren Grundwort der eigene Taufname des damit Be- 
zeichneten, und deren Bestimmungswort derjenige seines Vaters 
bildet. Das erste Element besitzt den Hauptton, das zweite trägt 
manchmal, z. B. zur Unterscheid uiig von Gescliwistern , einen 
Nebenton. FUr MSdthennamen gilt natürlich genau dasselbe. — 
Ein solcher Jugendrufname kann unter günstigen Umständen 
sich erhatten bis zum Grabe. 

g 15. So wie diese zwei Musterbeispiele, die übrigens 
nicht aus der Luft gegriffen, sondern tatsächlich die allgemein 
üblicheu Bezeichnungen zweier Personen darstellen, sind die 
folgenden Namen Erwachsener als die bekanntesten gebildet, 
Tgl. noch Sj 24, 

Es sind, nebenbei bemerkt, meist Nachkommen der in § 5 
Behandelten, vgl. g 5, i. 

1. (/.' DarnMeo, iU Bebk'/carle (vgl. Anhang No. 16), ffo 
liemälsseppi, da Bottsfa^eantone, trotz der Länge stets gebraucht, 
und dessen zwei Brüder rf<> Bmwfeuekark: und da Bonsfasef'rane, 
(t> Daniscliattseifi oder meist (warum ?) s'Vanisis Hunsr-rrf, Johann 
Georg, einziger Solin des Btminc, s, d3 Davi'lsliermann, (U Oeh- 
hariipmtl, iU Kkmsjhamusle (s. 1Ö25 im Grundbuch: Johann 
Lang Klausen) und sein Bruder : rf.i Klau»>ha(d3s — Grundbuch 
1827: BaltBsar Laug Clausen; Unterschrift: Bai dus Lang — , d» 
JooJSitalbeii, du Kascanlone, lediger Bruder des Kase-Max, rf» 
KfiscJijwrJDsepjf, und dessen verheiratete Schwester s' Kiii<cbper- 
biirfjclff, klein und buckelig, rfj Kusslemarte = Martin — MaHi^ 
= Slartina und MaitJ = Martha, — d^ oder s ManifiSSSJuiMste 
(Grundbuch 1S25: Johann Lang Mangessen), d3 Markussaleo, 
s\ rfrf Odätt^kark, s, dj OdJmufruiu: = Adam, d^ Iluidlefhomms 
= Thomas, d^ Stanass^rone, d» Urhäyustat' , sonst Urkin, ds 
Xandcmaie = Ignatius und dd Xanderjoliannes, des Vorigen 
^^ftBdUjff^ Zachejakob, di ZeniseicUltelm, ds Zetie-tfransepp. 



2. d'BoiU'feuftmantia, d' Hansaluis, rf'iTnnsapöM?!», d'Mar- 
htssj(n)anne, d' Od^»3(n)(mn3, ilPatdebcnliar/J, von s'Paui^ Ben- 
hart^ = Paul, dPmüesiWi, Schwester der Vorigen, d' Petertiteres 
(s. Anhang No. 9), d" Rmharf^tcaifdjburg, d'Sigmund^hcres oder 
sSiffniimda = Tiieres, s'Zachfamnmeile, dazu s\ d'Bertass^jtarei/e, 
von Sertdssle, so genannt als ledig und dann wieder als Witwe, 
(FKaseJenwe, Schwester des Kttseniax (s. Anhang No, 11). 

Diese Art der Bezeichnung des Sohns mit Hilfe des Vor- 
namens seines Vaters spiegelt sich auch wider in folgenden 
Benennungen, die sich oft in alten Büchern und offiziellen Ur- 
kunden bis Uitte des 19. Jahrhunderts finden: 1692 Lorenz 
Guoth Michels Sohn, 1695 Jakob Guoih Michels Sohn, 1824 
Johann Lang MaugeUen ^ Magnus, I8'26 Joseph Groß Franzen, 
Johan Gut Vinzenz(en), Johann Gut Lazern (vgl. dazu Ende 
des 18, Jahrhunderts Joseph Guten Latzerus). 

% 16< Gleicherweise werden pleonastisch bisweilen auch 
Leute benannt, die seltene Vornamen allein tragen und daran 
Rufnamen genug hätten, z, B. dd Stan3ss9ro»e und dPaiäfsibdl — 
aber erst so bezeichnet, als es eine zweite ZibUl, nambch d'ZacJic- 
zibiM gab — , oder allgemein und richtiger gesagt: Aus solchen 
Vornamecverbindtingen entwickeln sich — seitdem diese all- 
gemein Üblich sind — wol erst viele reine Taufnamen als Ruf- 
namen, sobald mau entdeckt, dass sonst zurzeit keiner den- 
selben Vornamen hat. 

§ 17. Uneheliche Kinder erhalten so manchmal den Vor- 
namen der Mutter zu dem ihrigen: d' Fet'dfffustJ ^ Auguata, verh., 
(V Judiiliatheres und deren Schwester il JudUhsniarjngät = Maria 
Agatha, s' K<JascfUä(n)amtn»reile, verli., .i'Mtigd^en^ Mnrjtmn. 
verh., aber stets so genannt. 

1. Wenn sie dun Namen ihres Vuters l)ekonini(Mi, ^-ehiii-t ilos in Am 
Gebiet der Schimp&iaineii (-\g\. % 104). 

Ü. Naüh der Mutter werden auch Kinder tüu Puitt ufrcnieidni 
beoanut, so 2. B. allgemeiu (vgl. auch S <'>C' ^): ^' Heienijakob. d'Kätter- 
karlin, df Bälabatlücht und dessen Tochter d'Bäbtmarie. Bei nnd«« 
aber dient diese Art dei' Bezeichnung meist nur xum Spott. 

§ 18. Mit diesen eng und traulich zusammengefügten ZHfi 
Vornamen schaltet man wie mit einfachen. 

Danach heillt die Frau des Xiindemtne z. B. dXumh^ 
luisiti, sein Haus s'Xciri(hrnaselnis, die ganze Familie s'Xavthr- 
ruixes. seine Kinder: s' Xa»deniasls Btialü oder -Mtidk, -Kmä 
(Mehrzahl). Wenn er nur einen Sohn hat, so nennt man dies«o 



5 volkstümliclien PersoiH'ni 



r oberbndi seilen Stadt 18 



s''Xandernaeesbt0, das schon als Kompositum gefühlt wird; später 
auch di Xatidemazd/uä, oder z. B.: s Xanderna^istfotifrid, dann 
d* Xaiidemttsegotlf'rid. Aber diese letztere Form iat, wol wegen 
ihrer inonströsen Ltinge, nicht lange und oft gebräuchlich, daher 
sagt man daflir: (Ij 'Nuseyailfrid. — Ahnlicher Fülle, wie dieser 
tatsächlich vorkommende, gibt es manche: rfa Thommsseppätone 
= Joseph Anton, Sohn des Itiiodlethomnta, trotz der Länge stets 
gebraucht; s, di Hanserg^iarle, Sohn des Danisfhanserg; rf* 
äepjibvnhart, Sohn des Bürrntäseppl ; dieser Fall iat außerdem 
deswegen interessant, weil Großvater und Enkel eigentlich die- 
selben Vornamen, Bernhard, nur in veründerter Form tragen, 
also ähnlich wie im Friesischen. 

g 19. Häufiger sind jedocli jene Fälle, wo der Sohn eines 
Vaters, dessen Rufname nus seinem Vornamen und dem seines 
Vaters besteht, den Taufnamen seines Großvaters erbt. Dies 
tritt dann ein, wenn der Taufname des Vaters allzu oft schon 
vorkommt und der neu, nach dem vorigen Paragraphen gebildete 
Rufname zu Verwechslungen fuhren könnte. Bei unehelichen 
Kindern kann dasselbe wieder bezüglich des Mutternamens ein- 
treffen. Die gleiche Erscheinung haben wir wol auch im Alt- 
germanischen: Sifffrid — Siymunil. Beispiele s. Socin S. 202f., 
und auch bei Geschwistern : Ginidu/t filius, GundhÜt füia, siehe 
Beispiele dafür a. a. 0. S. 205. 

1- d^ lielibttwil/ieim, Sohn des Jiebbehirle, d3 Boii-ifazeauffHät, 
tli Botiäf'asnantonif, rfo Jon^ss^patd, von JoiussJalbert, — dd Kasc- 
ahd'ie, von Kasemax, da Seppdframepp usw. 

s', iVDoBiMeni, Tochter des Davit Jhcrmann, s'Mang^ss»- 
thefs, von Manrfiss^hanrktsle. 

2. d-i Jndiihi(n)ant(mc und rfj Judith-'xavcre , natürliche 
Söhne der unehelichen JitdUh3marjag-/t. 

rfj Sepplfrannipp, Sohn des Sepp^ithirt. — In diesem Falle 
haben übrigens auch Grolivater und Enkel, wenn nicht dieselben, 
so doch wenigstens Shnlich klingende Vornamen: Joseph — Franz 
Joseph; vgl. 1703: „Jakob (iuoten Jokchen Sohn", dessen 
Vater = „Jakob Guoth, schwartz Jokch" , auch Jakch geschrieben, 
also offen und lang gesprochen. Genannt wurde er sicherlich: 
■1» Jokjjdkob .' — und dessen lang ledig gebliebene Schwester: 
s'Scppltnridlr. wurden auch noch s', d-» Sipplheiüiaii'ifraniepp 
oad d'StppH/euharfJtmnUf genannt, welch letztere Namen die 
1 darstellen, aus denen die ersteren entstanden sind. 




190 



ÜerLscIi» 



g 20. Es Icann auch vorkommen, dass zur Benenimn^ eines 
Kinds der Vorname seines Vat ers, und cti der seiner Geschwister der 
des Grollvaters benutzt wird. So sind z. B. di> Ejutllel-arlr und 
der in § 14 genannte TiiotnnUfirjiji^otic Söhne desselben Vaters 
Rtt-Kä-ithoniDhi. Es kommen sogar bei ein und demselben Kinde 
derartige verschiedene Bezeiclinungen vor, welchen gewöhnlich 
aber eine boshafte Absicht zu Grunde liegt. Vgl. daher bei 
den Schimpfnamen § lU3ff. 

S 31. So kann der Vor- und Rufname eines Ahnen sich 
also vielleicht noch erhalten in den Namen seiner Enkel und 
Urenkel — unter den direkten Nachkommen des IMifip lioinmen 
sugar zwei Iklßninrlt\ Grolivater nnd Enkel, vor — , aber nnr 
unter der Bedingung, dass man, etwa bei einem Enkel nait auf- 
fallendem eigenem Taufnamen, nicht plötzlich in die andere Be- 
nennungsart überspringt, wie es umgekehrt der Fall ist beim 
lioHfwiihdw, von titniuiss.irow, dessen Sohn d.> liotiHc(k>r heißt. — 
Diese Vererbung hört nicht auf bei natürlichen Kindern, voraus- 
gesetzt, dass die ledige Mutier den Vornamen ihres Val^rs oder 
Großvaters im eigenen Rufnamen als ersten Bestandteil trug. 

Das beweisen folgende Fälle: rfj Fanlehode, Sohn der Pmih- 
henhnrU^, d-i Sfaehcadolf, von Stacliefran^ic. Tochter des Statin; 
da ManfffSS^josppji, von Mavii^sS'>therrs, Tochter des JUantfissa- 
hannaslc. 

g 82. Typus Berufsname + Vorname. Bestand des Vatei^ 
Rufname lediglich in einer Berufs- oder Amtsbezeichnung, so 
wird eben diese den ersten Teil der Nomen seiner Kinder aus- 
machen, unbekümmert darum, ob sie dasselbe Handwerk oder 
Geschäft wie der Vater 1. t-atsächlich ausüben oder 2. auch nicht. 

Der leere Berufsname vererbt sich kaum so, dass er alleiE 
allgemein auch auf den Sohn und Geschüftsnacbfolger angewendet 
würde, da er als fester Rufname stets etwas PersöuUclies, In- 
dividuelles an sich hat. 

1. (fo Btoalierfertle, d^ 3iti»chhindfrfram, d» FüHiennarie, 
da flaschtierjHiul, da OMermax, d» Siriclerbaldas, rf-* WaldschU:- 
katle, rfj Zi-t^erxanTc, da Jiifl-ikmuad, Sohn des BwteWA-s. 

2. dJ Bitdiischnffrde und dessen Bruder -aiigust, ds Bii»rl'- 
liindrrtfusll, Bruder des obigen Bit^iAindrrfrani, s'Tammbor^ 
tHarisrpprir, kleine Tochter des TammboHr, auch als verheirater 
noch so genannt, rf.» Ihajrrjolifmn, d.' Krs^^titentuek = ^'epo- 
nmk, dJ Botseliribci-adolf, d» Schäferfra»^, df ZiJgi.trbaHiä - 



volkätilinliclipn Pti 



r überbailisciien Stmlt 191 



(T-Jagpr/xibe, d' Sdimidleamu und s Schmit^(n)enimele, Töchter des 
■ Schmidle, d Zisglersoph.: 

Ähnlieb wird in Priti Beutere .Reia nali Bi-Uigim* der Paatoren- 
sniin stöts „IMndrich Pastrr" genannt (_V)jl. auch Heiiitze y. 3Ö Anm. 1). 

% 23. Sogar im RufnfuneD des Enkels kann sich der Be- 
rufsnaine des Groüvaters noch eriialten, ohne Rücksicht darauf, 
ob er das betreifende Geschäft ausübt oder nicht- 

A' ZlMjlcrnemuck, der wie sein Großvater Ziegler ist; da- 
gegen lU Bwläsi-h^r)aUvlf', Sohn des Bwhisch^rfvriir, s'Öhhr- 
frannde, Tochter des (jhlrniiax, und tf Fluschticrfanc = Fany, 
Tochter des Fluschnftpaul, deren Kindernamen : i/-* Jittdiisclfr- 
ferdeuddf — noch früher s'Budiisch'i-faiJis Adolf — und s'Öhhr- 
maiitfraKxdi: usw. waren. 

§ 24. Aus einem Namen wie Färlx'nimrtc kann sich aber, 
wie bei den zusammengesetzten Vornamen, z. B. Kustvuix, für ein 
Kisd nicht nur ein Name mit dem Bestimmungswort (also Färber), 
sondern auch einer mit dem Grundwort (Mmif) bilden, d. h, 
der in gg 14 — 21 besiirochene Typus mit zwei Vornamen; je- 
doch meist nur, wenn es sich um einen karakteristischen , sel- 
tenen Taufnamen handelt. £inen solchen Kufnamen hat z. B. 
<i> MaHehaHf, der Sohn des Fürhcrmarfe. Er ist aber der 
eiiLiige unter den Nachkommen der in g 22 Genannten; des- 
wegen nämlich, weil bei ihrem Namen der Nachdruck eben auf 
dem Berufsnamen des Vaters liegl:. 

g 25. Ähnlicher weise können solche Rufnamen wie Öhlir- 
max auch Personen eignen, tlie ihren Berufsnamen = erstes 
Element im Rufnamen lediglich selbst sich erst erworben haben 
dadurch, dass sie ein anderes Geschäft wie ihr Vater oder Groli- 
TaCer erlernt haben und nun betreiben. 

Vorher als Kinder haben sie natürlich einen andern, er- 
erbten Namen besessen, der diesen Tausch leicht möglich machte. 
rf* Fischer josepp, lU Glascrxaven-, d-t Hufncrcdwise, daneben 
auch noch (U Kusvalidsfu d^ Ki^ferjosipp , ib Megssrhaintr 
(s. Anhang No. 26), lU Miller jost;pp, da JHUlet-iarh, da Süyi-r- 
ttmrte, lU ScJiäfcrfram, d-* Hthmü-äkonrad, auch SchmUbkonrad, 
df Schmkdkark, d-> Schrinerjalcob, U-> Webcniuirtr.. 

Auf diese Weise sind wol auch die fatgeaden bistoriscben Nanien 
entatanden: 1695 , Michael Gnoth genand MiUer Michel*, der 17011 
=: michel gaothen, genant Miller Micbele ; 1710 .Lorenli Perlschin, genant 
d. saDerlorentz'; 1705 „der Jfigeratoffel meldet flieh ratione seines Weihs, 



d 



I9S 



bifTt 



§ 26< Es gehören hierher noch die etwas abweichend ^^e- 
bildeten Namen nach dem Handwerkezeug, der Ware usw.:* 
iL' Üoapfakarh:, wol aus Sottpf*rl-arlr , Seifensieder; d'Soapff 
= Seife; il-i EfoaMitüner oder Bloalnhainer (ßloalce = Bleiche); 
(t> Bi'iraddf, Bierbrauer und Wirt; rf.» Bi^rjohan, desgleichen, 
früh eingewandert, aber nach dem Vorigen; danach die 
spätere komische Bildung: iI^j Bwschrhii.-r, der vorher die 
Schreinerei erlernt hatte; rf,) Poatfram, Postagent, früher tU 
ScM-'scIiterfmiis ; d) VogFla7ttone, früher ili JtuUth'fnJantonr, 
war Weber, später Vogelzüchter; rfj ZmtnJrJtarlr, ein Zimmer- 
mann. — (VEpfiithpYPS, Obsthändlerin, lange unverheiratet, früher 
= irMangJsS'Hh^es; s' Käsburgelf, früher s' Färbirburtjdc, di« 
nach der Auswanderung ihres Manns nach Amerika den KSse- 
handel anfing. 

Dil- Nninen der Nachkommen dieser Leute nerileo genau eo ge- 
bildet wie die in den §g 22 — 24 behandelten: d'Glasemaiine, ubuteicli rer- 
lieirntet noi^h so genannt, tU Bioaktrkarle usw. 

% 37. Wird ein Vater nur mit seinem Zunamen be2eichnet, 
so ergibt sich für seine Kinder der RafDamflntypus: 6e- 
scfalechtsname -f- TorDame, also die Umkehrung des regel- 
rechten Schriftnamens, die selir gebräuchlich ist, da sie ja die 
bequemste, einfachste und dabei die zweckdienlichste Kamen- 
kombination bietet. Es ist dies aber auch die farbloseste und 
prosaischste Benennungsweise, die deshalb auch meist dann an- 
gewendet wird, wenn die Allgemeinheit wenig Interesse und 
Teilnahme für den Bezeichneten übrig hat, also z, B. bei den 
meisten Schulkindern und jungen Leuten bis etwa zu 25 Jahren, 
bei frisch Eingewanderten, Sonderlingen u. a. 

Dieser Typus muss auch sonst den Lückenbüßer machen. 
wenn man etwa den karakteristischeren Namen für jemand 
momentan nicht im Gedächtnis hat oder diesen einem Dritten 
verständiicher machen will. Er nimmt überhaupt mit der Zeil 
sichtlich immer mehr Überhand, so dass diese alles einebnende 
Bewegung, mit veranlasst durch das entfremdende Fabrikwesen 
(Tgl. Einl, g 2) im Verlaufe von 10 bis 15 Jahren ordentlich 
wahrzunehmen war. Immerhin hat ein solcher Name nocb 
etwas Ursprüngliches, Altertümliches an sich gegenüber den 
beiden getrennten Worten des amtlichen Namens (vgl. 1703: 
,Hans Georg Hummel [Hummelhannesle]"). Es ist ein wirkliches 
Ganzes, dessen Bestandteile fest zusammengefügt sind; wiiddoj^ 




} Vulk»tUllljLI! 



r oberbadischen iSlacil 193 



die Frau des KeBrran<irfS z. B. trKdierandresslin genannt. 
Entstanden ist er ebenso aus einem genetivischen Ausdruck, 
wie s'B'^rtschi'Jakotti Anna ^ d'Berisehejakob^n)ann^, tCBttisch'-- 
«jitM, wie die bereits behandelten, ans zwei Vornamen be- 
stehenden Kufnanien (s. §§ 18 f.). 

Vgl. Birlinger 11 Ü. 411 ff. , Anti a. den Brandenburger Hunsaen 
Tociit^r, vuig« Brau d en h urg er- Anne le": .MarioniiA. vulgo äea Winklera 
Uarianno"; „Gungelis Jakoble^; „suo Kraut Micheln", „Lang Melchior-. 

J 28. Mit solchen zusammengesetzten Namen werden ge- 
wöbnlicli die Kinder von Personen bezeichnet, deren Bufname 
itus dem reinen Geschlechtsnanien besteht (^ 11), oder ihren 
Zunamen als erstes bzw. zweites Element aufweist (g§ 30—31, 
36 — 39). Dazu kommen viele Frauen, die. wenn sie nicht 
ihren gleicherweise gebildeten Mädchennamen auch nach der 
Heirat fortfuhren, mit eiueni Rufnamen benannt werden, der 
aus dem Zunamen ihres Manns, genommen aus einem, vielleicht 
auch irgendwie zusammengesetzten Rufnamen, und aus dem 
eigenen Taufnamen besteht — vgl. darüber übrigens g 59, — Kinder 
der 30 benannten Leute bekommen meist dieselben Namen- 
komposita ; es kann jedoch auch der väterliche Vorname das 
Bestimmungswort des Kindesnamens bilden. — £s konnten im 
ganzen etwa 60 der gangbarsten Namen diesei' Art und zwar 
nur von Erwachsenen festgestellt werden. {-> aus jfn] ist da- 
bei meist der schwache Genetiv.) 

tU Bttierlco; '/■' ExlefrUlrr; il-> FatUkati*:, von Faden; d-i 
Fischkraddf, <V Fischlei-mliifUn: ild tiottihainpr = Götz; rf^ 
GrossJffustav, unehelich; th üaihiMm = Louis, vgl. ils Flaschnn-- 
lottis; sein Sohn: lU LnUisippl : dj Kochakarh-, seine Frau d'Kocht- 
karlin; Kinder: rfj Koch4iv, di Koch'h\i)n-ii. usw.; (/.* Koclw- 
icUhdm, des Vorigen Bruder, Kinder: d-> Koclii>(n)anione, d> 
Koch^roi^rt u. a.; (/j KrU'y-'danisr , 1824 Dionys Krug; d-' 
Krutig^dtanBij krg , zur Unterscheidung von seinem Vater, ge- 
nannt d'i LimUfwmsrfg ; seine Brüder aber: d^ Liml'fritz usw., 
vgl. § 41; rfj Kruii'ikaiic ; Kinder: Krug-diaAi", -aniow: d-> 
Majcrwillii-Im; Kinder: s'Majcnvilh^mibu.^, -meidh, noch jung; 
(A* Märieniaiif = Martin Martin, Tochter d'Maii/^ig.it: d' 
Matt^ss-ijohann, oder d^* jung Mattrs; d-i Schatz-ifidHc; do Sclu^- 
hanwwrlxitHschl ; d<i Schlfydedjwatt; Söhne: d-* Schlegi-lsijtp u.s-f.; 
(t» Schmi'djoltanu: d-i Scharelcarle = Schury; rfj SpüenagH- 
, unehelich, u. a, m. — d'Bausck^mtiihÜ(d); d' Bfüerhann' 




IS 



A 



184 



DprtscIiL» 



= Johanna; (T Edfifcresrm ; (T H'ssi)(n)amalr = Hes»; d'nufstfT- 
margrpti : ttStoffkrauffust^. 

Durch diesen bänfigen mtlndlicben (iebraacb des flektierten 1>- 
scblechtsiBaniens erklärt ^ii-'b wol ttncb die in alten Urkunden und HUcheiti 
oft wahrzunehnieDde Erscbeinung, dsss diese Form sogar in den Noiuinu- 
tiv eingedrungen ist: 1822 Wunihald Langen, 1825 Bartlä Franken, 182« 
LorenE Eitenbenzen, Konrsd Guten, 1703 Jakob (Junlen, 1739 , Fr. Joseph 
Cinolhin'. 

§ 29. Wie man Beamte eher mit ifai-em Titel als mit ihrem 
persönlichen Namen anredet und auch sonst sie allgemein sn 
bezeichnet, werden gewöhnlich GeschSftsleute und Handwerker, 
die eine wichtige, grolie Rolle in der Öffentlichkeit spielen, 
meist ebenso mit ihrem Berutsnamen, wenigstens bei der An- 
rede, genannt, und, wie wir gesehen haben, dann auch in andern 
Fällen, wenn sie keine oder keine bedeutende Konkurrenz 
haben. Es tritt also hier der persönliche Name mehr in den 
Hintergrund vor dem Geschäft. Taucht nun aber ein ein- 
heimischer oder fremder Kollege auf, so wird man zunächst 
nach der Lage seiner WerkstStte oder mit dem (altenl 
Namen seines Hauses ihn näher bezeichnen; — damit kommt 
ein neues Bestimmungswort zu den drei bisherigen — , und sswar 
wol zuerst und hauptsächlich dann, wenn für seine Wohnung 
ein besonderes Wort besteht, wie bei der konservativen Schmiede 
und MUhle, ferner Gerbe und ^/'■(/s = Gerberei und Metzgerei: 
vgl, Megser und inegsj- So waren in Möhringen von jeher 
doppelt bzw. mehrfach vertreten: Müller, Schmied. Nagler. 
Metzger, Gerber, Wagner, Küfer, Bäcker, Schreiner. Seiler. 
Schuhmacher usw.; daher die folgenden Namen, wozu noch die 
der meisten Wirte kommen: d-* Hrrhtirirt, iJ.i Kron-ntirt, il'Ox'- 
wirtin oder d'Oxikresfm, ledig, u. a. 

1. f/j Toarbfck, dessen Haus beim ehemaligen Manficri'/i- 
d. h. Anger, stand, das mit den andern um ISlö abgerissen 
wurde; tli Ox^ncangiT, der neben der Wirtschaft zum Ochsen 
wohnte; d-i Bachwangpr, am Krähenbach wohnend. Vgl. ini 
mhd.: BadirUter „dictus Bachritter miles de Canzach- 1272; 
Bacheberlin „Eberlin am Bach" bei Bück, d-> Bachsehlosscr ; 
da SUidMesocder, Seiler neben dem Rathaus, mitten im Städtchen; 
rfj Htadtmeijscr , dessen Haus — d'Stadtnuys, schon sehr alt, im 
]tnttelpunkt der Stadt steht; dd WinkelschlossfV, d^ W'inktl heim 
ein Stadtviertel, sein Sohn aber ^= i/J Hermäftdir; d^ IfVrr/.*- 
whriniT, der auf dem Wird' — ein Stadtteil, geschriehm:, 



Die volkstümlichm Pi 



[■ oberbadiseheu Stadt 195 



"Werden, Würden, Worden, Werda; s. Werder, Württemberg 
— der einzige Schreiner war, 

2, d-i DiirwmiUf'r, PSühter der , Donaumühle'', die seit etwa 
50 Jahren der Firma ten Brink in Arien gehört; lU BachmilliT, 
Besitzer der sogenannten Bachmäe; ih G(rrJna(fifr, Nagelsehmied. 
rf.j Gir-^ki'^frr und f?j (ivrJhur, d'Gnr^ = Name eines nralten, 
großen Hauses, früher eine Art Armenhaus; daher il' Gflirsi/ass. 
Gthr^ieipsfn und andere Flurnamen. Im Stadtprotokoll vom 
12. MSrz 1702 wird die „Gehrenguotspflegschaft" erwähnt, „in 
welche mehrere Bürger Heugeld bezahlen müssen"; s'GicdU/irie. 
s'Gtfi'lb. ein altes Haus mit einer gewölbten Stube; rf^ Rapp^bur, 
Besitzer des sogenannten Rappenhofs; d-* Giig^rschtabur von 
GiigJrsehUhof = ElsterAo/'; (U ErMlieck, im sogenannten Erk}- 
hus. dem einzigen Gebäude mit einem Erker; tlj Hrfr^kiafn; 
I/ihrthas = Herrenhaus, alte Zehntscheuer; iIj JiitssJschrhu-r, 
im sogenannten Bussen wohnhaft; il-> SpUlhaftur, in dessen An- 
■\^-esen früher tl-i Hpifl, jetzt = Spül, war. 

im in engesetzten Itanien iat also der Name des Be- 



stpiitndc Name: d» Gerber t 



nifa Hteta das Oruudwor 

i, HierKii kommt noch der allei 
Toar, Nachbar des Toarbeck. 

§ 30. Wenn der neu auftretende Handwerker oder Ge- 
schäftsmann junger Burgerssohn ist, so bietet sich sofort, als 
ein ja auch sonst beliebtes und häufiges Unterscheidungsmerkmal, 
der Rufname seines Vaters dar. Er muss eben dann seinen 
Vornamen vertauschen mit seinem Berufsnamen als dem nun- 
mehrigen Grundwort seines Rufnamenkonijiosituma, zu dem nun 
dieselben Bestimmungsworte treten können wie zu einem Tauf- 
namen, nämtich: 

1. Vorname des Vaters: (fo Na*t£e$ehnitlfr, früher (7j 
Nusiffnms, Bruder des liia'tzi-goitfrid; <i» Rotvti-angrr, Bruder 
des Ronewähdm; (fo ZmisehiJtmachej; auch rfj Zeniseivilhdm ; rf-' 
Iiui^r(t/imnn^)iceber, Sohn des Ribi(lUi)iommi> (also mit Vornamen 
des Groll vaters). 

2. Beruf sname; Dieser seltene Fall kommt nicht vor, 
Vgl. jedoch § 46 Anm. 

3. üeschlechtsname: lU Fad<ischlosser = Faden ; </' 
KocKigiasir: d.i Maierbrck; ifo Schatsaieanger; rfj Sttrk-iwanger: 
d-' SehrMhammerkhfer; d-» Riff-tkiafer; ds Scktmite-Jsaitler; d-' 




18' 



i 



196 



Bertsche 



g 31. Derselbe Fall wie in No. 3 des § 80 kann eatflr- I 
lieh auch eintreten hei Eingewanderten, so z, B. rfj Lriherschrinrr, 
li-i BwA^mdvr, von Buhl; d-J Hwirwadelbiir — Hiinerwadel, Da 
diese aber meist mit den leeren Geschlechtsnamen bezeichnet 
werdeD, kommt die Erscheinung bei ihnen nicht so oft vor. 

1. FOr dieaeo Typus No. -] gilt wol daa. was So ein S. 545 gefenCtber 
der iin Mhd. vereinzelten Anordnung; nator 6'iionra<Ju«sagt: .Noch beute 
liebt die Mundart, im Gegensatz zur Schriftsprache, die Berufsbezeichnung 
hinter dem Namen folgen zu lasseu.* 

Auch im Frieaischon wird vielen Namen das Gewerbe des zeitweiligen 
Inhabers beigefügt, wenn auch keine Komposita dadurch entstehen. Vgl. ' 
Pott S. 547—54!!. j 

i. Bei den in % 25 behandelten BUrgeresOhnen. die ein neues Ge- ': 
achaft graudeten, stellte man »ich umgekehrt auf den St^uidpunkt der Tauf- 1 
nameu uud bildet« ihre neuen Rufnamen mit BeuUtzung ihrer Kinder- \ 
iiameu, also: ds Hafneralwise aus rf) Kaseahcise. I 

§ 32. Die Nachkommen aller dieser Leute, deren Name im ' 
Grundwort einen Hinweis auf ihren Beruf enthält, werden ganz 
regelmSßig mit einem genetivischen Ausdruck bezeichnet, also 
z. B. s Ger3hHr3(n) Autjiist, früh -j-; sMaterhcclc9 Scliosd =^ Jo- ' 
sephina; s'Hechtir.irts Battisl, welclie Formen sich bisweilen er- 
halten, besonders wenn der Betreffende, wie der Letztgenannte, 
stets ledig blieb. Öfters aber entwickeln sich daraus mit der 
Zeit Komposita mit drei Namen: j 

1. d9 Toarbeck^hainer und seine Schwester s'Toarbeeiie(n)- ■ 
ammareile; tfo Bachwan(fersev3ri>*, d'BadmclUossermüiJ; d'Ger^ [ 
bur^anne und deren Brlider rfj GerJbur^johann und d^ Gen- ' 
buned^oatt, drei ledige Kinder, 50^56jülirig, des Gtr^ur; dazu: | 
rfirf Kritjswirijohaitn; d'Ox'<>tvirihrrtli<>; d-> Sunn^mrtttfdor, früher . 
etwas spöttisch, da er Viktor getauft ist nach der Anordnung- II 
seines schwärmerischen Vaters vulgo d^ Sonnemann, der an Viktor 1 
Emmanuel dachte. Da der Mutter ein solch „verrUekter" Name 
— Vittor mundartlich = Viktoria! — nicht passte. sagte sie 
stets Tedor, was sich bald einbürgerte. 

2. d'NäieschnSderthcres; d'Jtoniu'üng<ran7y. 

i). d' KoclhtglastrmatfitlH und deren Schwester: -fmttä: li^ 
MaU-rbvch-ifriis; d'SterkiKangi-raitinsi'pp-i. 

Da der Vorname Lorenz, wenn er auch manchmal bekgt ist onii it 
und diirt tatsäcliliiJ] uocU vorkommt, iiumerliin selten ist. dlli-fte diT Tul- 
gini.le i'oll (ioch wol ähnlich wie der ebini behandelte Tedor entsueJ« 
nad zu beurteilen sein: .Lorenz Eytenbenx ('Sepp)*, im Litgcrbuch N* " 
% dem Ende des 16. .tahrbunderts. 



fulkHllimlitlipii Personennamen t'iiiei' oberli.'niia':hei] Stallt 197 

g 33. Meist werden jedocli diese liberlangen Worte ge- 
kürzt, und zwar wie bei den Vornamenkompositen auf zwei 
Arten. Man Ifisst nanilich entweder das Grundwort oder das 
Bestimmungswort des väterUchen Rufnamens fallen, das letztere 
aber bauptsüchlicU nur dann, wenn der Sobn auch das Geschäft 
<les Vaters ausübt. Zuerst wird man im Gebrauch schwanken, 
bis jene Art sich einbürgert, durch die jemand unzweideutig 
bestimmt und unterschieden ist von etwaigen N am ensko! legen. 

1. a) s'Tmrflnif oder stuch ^ s' Gi'rberflcric, ledige Tochter 
des Gerber am Tor, als Kind sogar — s' Gi^b'Taniloar-'iiiridlp. 
Ähnlich diesem nannte man dann das erste, damals noch lebende 
Flerk später einige Zeit auch s' Anifkusfkrli^, dessen Vater im 
alten Amthaus wohnte; di Gtrojasi^pp; rfj Spithnax, .und sein 
Bruder da Spiüaiigusi ~ dessen Kinder: rfj SpUlroberl, d<> Spitl- 
pius, verheiratet, usw. — , die zwei Söhne des Spiilhafner; d^Gu/ilb- 
magdMen; s'Suss^neidl^; (fo Mechtfridei; Bruder von s'HecMwhis- 
battist; (fo SehvUäfränsh; d'Sunn^erth^ und d'Sannsmarie, beide 
ledig; d' Ox^iwirtherlhi ; s'StäirnHhereesde; di> Gervpäer'. 

b) Hierfür konnte kein Beispiel gefunden werden. Ver- 
wechslungen wären da auch zu leicht möglich. Das obige Eone- 
iranypranno konnte z. B. nicht gekürzt werden, da es bereits 
eine lion^anm und auch eine M'^ang^ranTV gibt. 

c) d'Kodi^fglastrJmathSdund d'Koeh'>franel. dsSchtMhammer- 
hatiist, d^ Schare-jcavcre, früher rfj SchurrsatHrf/w und seine 
Schwester d'Schun^lii'i-es, auch als verheiratet und verwitwet stets 
so genannt; d-> UäJ^nradflkarle; ti» Stcrk-ibathärfk ; sein Sohn 
s'SieriC'^nhärUlsantonele.' Auf diese Weise können also die be- 
kannten einfachen Rufnamen — g 27 — auch entstehen, wenn 
es keine Verwechslung gibt. 

2. a) (/rf Soiderkarlv : d-' SoidrrJw: d-/ Mciisryjohann ; da 
Ki^fcrkonnid. 

b) Solche waren nicht zu ermitteln. 

c) d.i Sattkrkark, Sohn des SchmiU^asatllur. Dieser Name 
könnt« deswegen aufkommen, obgleich der Sohn des sogenannten 
Sattler Zepf bereits auch so bezeichnet wurde, weil dieser schon 
ufan Jahre ausgewandert war, als jener noch in die Schule 
(ring; rfj Sattlerrdmiimi, Vater des SchHresalllrr. 

' Daxu vgl. Stadt [irotük ollbuch 1702: .Jakob üuoten genant Gebren- 
i^Jb^bcn* luui Unterscliied vom Alt« ragen aasen und Namensvetter ,BcbiTBrtt 




i 



1S8 ßerteche j 

§ 34. Solcher Rufnamen, die zum Bestimmungswort eineu 
Berufsnameo und als Orundwort einen Taufnamen haben, gibt 
es noch eine ganze Reihe. Aber ea wäre bei der Kompliziert- 
lieit und dem Alter vieler Fälle zu schwer und langwierig, Ab- 
stammung und Verwandtsctiaft ihrer Inhaber auf mündlichem 
Wege zu ermitteln, weshalb sie auch nicht in die verechiedenen 
Kategorien eingereiht werden konnlen. Ks sei nur festgestellt, 
dass sie inbezug auf den ersten Bestandteil — der zweite ist 
immer der Vorname des Benannten — entstanden sein können: 

1. aus dem reinen Rufnamen des Vaters oder Großvaters 
(§ 22) oder 2. aus dem selbst erworbenen Berufsnamen des 
NamentrSgers (§ 25), oder endlich 3. aus des Vaters Berufs- 
namen, der als zweites Element auftntt in dessen Sufnamen. 
der selbst wieder auf die mannigfaltigste Weise und Art ge- 
bildet sein kann (vgl. t{§ 2i), SO u. 31), ferner noch 4. aus des 
Vaters Rnfnamen, dessen Bestimmungswort seinen oder seines 
Vaters Beruf angibt, der also bereits ebenso gebildet ist wie 
z. B. Gerber josc2>p; vgl. § 2'i. 

g 35. Nicht näher erklärte Beispiele für den Typtis Berufa- 
name + Yorname. Sicher übten bzw. üben das in ihrem Namen 
bezeichnete Geschäft oder Handwerk nicht mehr aus: d-t Mtgser- 
fumncis und sein Sobn i/a MtyseruillirJm, (?.* Schnidcrhansi^: li* 
Soalcrjulia»; tb Wcaigprjohann^s und dj Wangerharlc, dessen 
Sohn; d'Schrittertheres, die, weil seinerzeit ledige Modistin, dem 
Namen nach wenigstens noch öfters genannt wird, obgleich sie 
längst verstorben ist; iIj Zi-iylerbattist. 

Die Folgenden dagegen betreiben das angedeutete Oeschlitt 
fast alle, mit Ausnahme von einigen wenigen, längst Verstor- 
benen, bei denen nichts Sicheres mehr zu ermitteln war. '/•» 
Postjakobde und sein Sohn lf^' Postjose])}), beide Briefträger 
= Poslhot; di> (Haserjahnh und sein Bruder dJ Ghtserframfjtji; 
dß Hafatnattis (Hafs = Hafen) und sein Bruder rf.» Hafäwttnibdd, 
auch = rfj Wumbtdd; da Hafwmaiee und sein Sohn (/j Hnf'tm- 
mlhelm; s',d3 Kesd^rseppele ; d<i Kiaf^rfiäede ; s. rfj KiaßrymuBt, 
sein Sohn; Ja Mi:gseralwise und sein Sohn da Miys^rjakof', nur 
Gelegenheitsmetzger ; da NagUrhasehe und stAaSoha da Saj^er- 
ferdr. und dessen Tochter s'N'nfi!erferiie(s)k(Wetie, ledige Modistin, 
jetzt — s'K'ifterl''; rfj NiujIerhnK' oder 'h/^wjdiki ; sein ältester 
Sohn, da ^aglerbenedikt, wurde später als Bürgermeister und 
^bisweilen — besonders von seiner Gegenpartei — 



P Die vulkstmiLli<'h(.'n Persuii<.>iinami.'n einer uWrbndiäolifo K^liidl. lü^ 

sp&ttisch auch yaiihvJiasche orfer tfa Bascht: genannt und zwar 
nach seinem Onkel, der »Is ^Grobschmid" und ruher, übereifriger 
Poliüei den Naiuen Basche, der früher wol ortsüblich war (an- 
fangs des Iti. Jahrhunderts kommen Üasche, Bascha öfters vor 
neben Sebastian), sowie seine Verwandten, jetzt noch =^ s'Naf/ler- 
hascJtes, in Verruf brachte, zumal da ja auch die Gattunganamea 
Suubasche und lirechbasche , wie jetzt noch, damals allgemein 
bekannt waren; il» Suttlerantlres, Weber, und sein Sohn ifj 
SatÜeratidresk, Taglöhner; da SoaUrkarte und dessen Sohn rf-* 
Soalered^uat , später = da Messmer; (l^ Uhr^frits, Sohn des 
,Uhr3macher Furier" !; du iVeberjosepp, d^ Zimmerferde, Zimmer- 
man, und sein Bruder da Zimniemasaare. 

Solche Namonkomposita finden siuh mehrere unter den Gaunemumeu 
\nA Birlinger 11 S. 4U— 440: .HanneHlen, Tulgo des KeUler-Hathieen 
Hanneelen, ein Kratteiiniacher" (vgl. damit unsere Eeßlerjlldin g 102, t); 
,Bronno. volgo Aea SnlbeiimaQna Brunne*; .Schinder- oder OehltrSger- 
HannHB' 8. 431); ,BArbeI oder HerrgotHmacberBbSrber ; .des ührenmachers 
Seppte'; ninil des ächinder l'etera Theree*; der .Singec Karle . . . hab« 
mit Liedern gvhandull'. 

§ 36. Wenn zu dem einzigen Vertreter desselben 
Oeschlechtsnamens, der zugleich sein Kufname ist, ein er- 
wachsener Namensvetter kommt und bekannt wird, sei es, dass 
Kf auch eingewandert ist, oder aus irgend einem andern der in 
§ 11 erörterten Gründe gleichfalls aur mit seinem Zunamen stets 
bezeichnet wird, so niuss dieser Dualismus, um Aliss Verständnisse 
nicht aufkommen zu lassen, irgendwie beseitigt werden. Dies 
geschieht nun Jihnlicherweise durch ein Kompositum, dessen 
Grundwort der Zuname und dessen Bestimmungswort gewöhn- 
lich ein Herufsname ist. Die Namen etwaiger Nachkommen von 
derart Benannten können aus beiden Kompositionsbestandteilen 
entstehen. 

1, So folgte dem eingewanderten „Vogt" bald sein Bruder. 
Da untersciüed mau sie nach ihren Handwerken und hieß den 
einen den üchmiedvogt und den andern den Gh'rsrrrogt. Dieser 
Benennung kam noch der Umstand zu Hilfe, dass man lange 
vorher eine ähnliche Bildung hatte, nÜmUch : dj Voift oder ds 
Steck/t'i'ogt, die allerdings ein Spottname, damals aber ganz gang 
lind gttbe war (§ 102). Der Schmiedvogt wird jetzt stets noch 
ta genannt — mit dem Akzent auf dem ersten Wort ^ obgleich 
aeia Bruder schon seit 15 Jahren wieder fortgegangen und auch 
Jener Schimpfname nicht mehr gebräuchlich ist, wenigstens nicht 




am 



Ijerlscbe 



mehr in der alten Form, da sein erster TrSger ISngst tot; und 
endlich trotzdem entgegenwirkende Titel, wie „Hafner Läng-, 
bestanden und nach und nach immer mehr aufkamen. — Etwa 
zu derselben Zeit, um 1870, kamen ein Lehrer und ein Tag- 
Ifthner namens Graf in die Stadt. Der erstere wurde wie alle . 
Lehrer von jeher, nach !^ 7 Anm. 2, als , Lehrer Graf be- 
zeichnet; später, und zwar besonders durch seine Verheiratung! 
mit einer Bürgerstocbter, nur mit Graf. Schließlich wäre er 
sogar einfach rfa Grof geheißen worden, wenn es nicht seinem 
schlichten Kamensvetter schon längst so ergangen wäre. Dfirum 
sagte man eben di Lrhrer Grof, nur beim direkten Gegensatz 
il^ Li'hreygrof, und dem andern ds Lump^iiruf, da er tatsächlich 
auch Lumpensammler im Nebenamt war, später spottweise Hucb 
d^ Sehfifyrof. Die Nachkommen dieser zwei werden meist nur. 
wie anfänglich, durch die verschiedenen Vokale auseinander ge- 
halten. — Am Orte lebte ein gewisser Haas, meist = d? aU 

■ Haas. Warum er so genannt wurde, obgleich er Uäüler hieb, 
konnte nicht genügend ermittelt werden. Er soll als zeitweiliger 
Hutmacher nur lauter Kilhasen zur Hutfabrikation gekauft und 
verwendet haben. Vielleicht liegt auch nur scherzhafte Um- 
bildung seines Namens vor, da er ein sehr starker, großer Mann 
war. Da ließ sich in den sechziger Jahren ein fremder Seiden- 
weber desselben Namens am Platze nieder. Dieser wurde nun 
humorvoll lia SUlahas, eigentlich = Seidenhase, genannt, was er 
aber später als Schimpf aufnahm, nachdem er Sandgräber ge- 
worden war und dann meist i.U Sandhas geheißen wurde. (Vgl. 
den Geschlechisnamen Sandhaas, wie z. B, der Maler von Hasle 
und auch ein altes Möhringer Geschlecht hieß, das durch die 
Stiftung eines „ewigen Jahrtags" wenigstens dem Namen nach 
noch in der Erinnerung fortlebt.) Kinder neckten damals den 
lustigen Mann gern mit dem Ausruf: Uns. Uns, Sid^has! — 
In neuerer Zeit werden so auch die zwei fremden Brlider; d^ 
Fahrihtnthauser oder meist einfach d,i Ilauser und dJ Gfyi)fr- 
liausn; obgleich der einzige Gerber, unterschieden. 

2. Ähnlich erging es dem einheimischen 3TiiremepjAe. der 
getrennt gehalten werden musste von dem seinerzeit atleiii- 
stehenden Nachkommen der Nepple. Dieser wurde aber auch 
mit dem Spitznamen d" Galöppirmjipie benannt. Die Tochter 
des ersteren heißt: d'Nt^^emariise. Vgl. Anh. No. IG. — So 

^mM- es auch beim Söcksmajer = Socken- und Strumpfweber — 



Die vciilcBtilmlidieii Persimcniimnen einer oUerbudiselipn Stallt 20] 



er wurde spater Polizeidiener, aber trotzdem meist da Polisri- 
mai/rf genannt, niclit wie sonst Ulilich einfach i/j Pdht-i — und 
beim Gläser stolflvr gewesen sein, <ieren Gegenstücke aber nicht 
entdeckt werden konnten. Nachkommen dieser zwei sind: th 
Mai/'rbevk und WStoffTeraugunl^. 

1. Ebenso gebildet sind die Unnamen di Märsetchah (§ 80). dt 
Lufuifelber (g 99) a. a. 

Ä, Allein stellt da: di FerdeboUer, seit verheiratet mehr ^ d» 
BolitTaagutt, der naoh dem frühen Tode seiner ledigen Matter bei der 
pb^nfslla ledigen Großmutter — die aber bald dnrauF den sogenannten 
SachftTdt heimfete — „aufgezogen* wurde. 

9. Vgl. BüdungeD wie: Linden-Mütler, Thtater- Schuhe a. ähul. 

% 37. Erst in neuerer Zeit sind folgende, selten vor- 
kommende Bezeichnungen entstanden, und zwar sowol bei Ein- 
heimischen wie besonders bei Eingewanderten, Der Typus Be- 
rufsname -I- Gescliiechtsuame ist demnach nur bei den im 
vorigen Paragraphen Bt:handB]ten gegeben; denn die folgenden 
Benennungen sind keine eigentlichen Komposita. Sie sind es 
nur aus nah ms weise gelegentlich einer direkten Gegenüberstellung 
von zwei ähntichen Namen. d<i Metiser-öberfe , seine Tochter 
= d' Megxfrmin-) . und sein Bruder d<t Schmied-äherk , Kinder: 
d' Schmiedmarie und ija Schmifflfrofie ; aber auch = de Äberi*- 
tue^ser und da Aher/rschniicd genannt und gelegentlich diMrgser- 
fitjt-rlr. d-f Müniserhisfn- oder Ki'fiT Münser: (?J SaUler Schmtde 
oder iifter (li SchmiUs^satiU-r, Sohn = da SaUUrkark : da Molei' 
Riff, stets nur so genannt, er war ein junger, besserer Maler; 
rfj Sattier Zepf, seine Tochter: d'SaCtlerpatdi'*; r/J lilaser Frank: 
(b Müller Ziihr, und nacli diesen: d.> Miller Miller, auch rfj 
DttruftttdUT, der Slüller heillt iind früher es auch war. Bald aber 
betont« man das erste Wort, also MillrnnUhr, wie er auch jetzt 
als ExmüUer noch genannt wird; d-' (Schnider) WeUH. 

g 38. Ausnahmsweise kam diese BenennungsarC auch schon 
vor 40 Jahren bei Leuten vor, die als tüchtige, bessere Hand- 
werker und Geschäftsleute eich ein Ansehen zu verschalfen und 
sich sonst auch selbst eines zu geben wnssten. da Hafm'r Lany, 
dessen Schimpfname: da gchf" Ltmif wahrscheinlich &lter ist als 

I dieser Rufname, Sohn des Hal"wunibald!; da ScMosser Fisdder; 
da rUnmincliir Furtir, seine Kinder: d^ UhrJfriiz und d'UhrHn)- 
tmtM-', nach ä'I'h-'marlieretnma; da MiVer Bertsch; berüchtigter 
II dea Lehrers Bertsche und Pächter der DonauniUhle; seine 
^^^^—alger und Vorgänger waren fast alle fremd. 



i 



808 



Bertsche 



§ 39. Bas Schema Vorname + Zaname, das dem Scbrift- 
t;ebraudi entsprit-lit, kommt sehr selten in Anwendung. Seit 
^lenschenge denken waren und sind die folgenden sechs Personen 
die einzigen, die fast ausschlieiilich so tituliert werden und 
wurden. Diese Ehre wird, wie es scheint, nur denen zu teil, 
die durch besonderes Ansehen, ruhigen Charakter und Wohl- 
habenheit sich auszeichnen, il.i Edwin Birtscftf, KttufmanR, dJ 
Hrrmann I^ribr, Gutsbesitzer, dJ Leo FiscMfr, Kaufmann, rfj 
M(tx Jii-ichfi; Tierarzt, d^i Pilir Bivk, Kaufmann, und lange 
nachher sein, indessen nicht, mit ihm verwandter Namensvetter 
'/.' Hivmann Bfck, der auch jetzt noch, nach seiner Verarmung, 
<liesen Namen bekommt, fiir dessen Anwendung er Übrigen» 
meist selbst Sorge trug und Propaganda machte, um seinen 
früheren Namen <}•> iJavid (ij 103) vergessen zu machen. Und 
von diesen sechs Namen hat sich sogar nur ein einziger tat- 
sächlich ganz vererbt, weil eben nur er auch als wirkliches 
Kompositum gefUhlt und aufgefasst wurde. Es ist dies: Piirr- 
Hi'-ck, dessen Frau d' Fäey-Bickin war. Kinder: di> FHerbfel^- 
hitie, d' Frterbecl-ananne ; d' FficrbefJ!>>min3 ; die uneheliche Tochter 
der letzteren: d'PeterbecksbtrtIa hieß und heilit jetzt noch stets 
so, nachdem sie zum dritten Male verheiratet ist. Das sind 
tatsächlich Komposita mit dem Hauptton auf dem letzten und 
einem Nehenton auf dem ersten Worte. 

V'^I. Anh. No. l.'); Jakob Maier, dessen Hochmut, wie beiiu Hi'i- 
tiiiinii Heck, wi>l ho verspottet werden sollte. 

§ 40. Eine besondere Kategorie von zusammengesetzten 
Rufnamen bilden jene, welche als Grundwort zwar auch einen 
Vor-, Zu- oder Berufsnamen haben, aber als erstes Element ein 
beliebiges anderes Wort, das auf irgend ein karakteristis^hes 
Merkmal des Namensträgers hindeutet, und womit einfache Ruf- 
namen im allgemeinen nicht gebildet werden. 

§ 41. Ursprünglich hat man wol nur bei Handwerkern i" 
ihrem Namen hingewiesen auf ihre Wohnung, und zwar mehr 
aus praktischen Gründen (Ij Ü9). Das geschieht aber auch bei 
andern Leuten, deren Kinder und Enkel diese Bezeichnung |fr 
wohnlich erben. Das Grundwort ist dabei meist der Taufasni;. 
d' Antihitsami^, früher d'Wis^amuf = Anna Wieser, die schon 
lange Jahre Magd im sogenannten Anifhm ist; d'PfanHifi^< 
Nichte des -f- Dekans, im PfarrAo/'- oder -/(tts wohnend; d'TiüoX 
-hinterm Gjyi'W, ein Fluraaiue, zum Unterschied von der »ndeBi, 



■'Die vulkst (Im liehen Personeunamen tiiier iiberl>aiii sehen Stallt ^03 

efoenfails langjährigen Witwe: (TVittor (ii tU Hechigass); (s') (U 
l{r'ia**rivadljohan)Ws(le) = Johann Renn, dessen Haus seit 
Menschengedenken s'Müa"noadeishits heiüt, von einem früheren 
Besitzer EUnerwadel; seine Kinder: s'Hna^ricadlburgäe und ds 
Hiia'^i-waiUscpp^ane, nicht zu verwechseln mit den Kindern des 
Hiia^nctullbur : ds iläWrtvaiRkarle a. s. f.; ds SchmUMeo, in 
einer „Schmittd' zu Hause und selbst Schmied, dessen Sohn 
(to Sdtmitt'tpeter ; d>> Lind-tjürgU; Besitzer des sogenannten Linden- 
hofe, vor 60 Jahren -j-, und sein Sohn d.i LindJhanserg, dessen 
zehn Kinder: rfa IJndJfriti (dessen Kinder Lind-ifrunmitw usw.), 
ffe Linditfram, dJ LituWudwkj, d' lAndsmurii- u. a, ; d-i Buchferde, 
der am Bache wohnte, bekannter Junggeselle, erst spät ver- 
heiratet; irBaehhusmbu, jetzt verheiratet, Tochter des Baeldiech. 
g 42. Nur einmal kommt es vor, dnas man zwei Personen 
mit reinen Geschlechtsnamen nach ihrer Wohnunj^ bzw. deren 
Lage unterscheidet: </.> Obergassf/cäer, in der sogenannten Ohrr- 
gass, später mit dem Spottnamen d'i Bammerhdhr bedacht, und 
dj BanJwfbdltr, früher mehr di' Brllvrantont; als , Statin ns wärt er- 
im Bahnhofsgebäude wohnend. 

1. Vgl. im Mild. Joh. le dem Bache, Petrus im Graben, W. hi der 
Linden, Üa-schinus am Wei'dr, Affnts im Wiele a. a. iSocin XVIll. 

2. Bisweilen neimt man einen Ba.hnwart. der allein „u/'in Sohl' 
wohnt, auch d> Severin u/m Bohl, oder wenn er in der Stadt sich uufbait: 
,abtn Sohl', ahnlich aeino Kinder. 

3. Daa Mbd. hat ala Familiennamen neben reinen Haus- oder Flur- 
namen tmd Ableitungen auf er, also jAndm-J.iftder, auch nocli Personen- 
namen wie Bere-maii, Hageman, Waltman, die hier fehlen, 

4. Zwei Beseichnungen nach der WohiiatAtte allein sind bei den 
Schimpfnamen: il» Ger und rfs Ülibte in § 112. 

g 43. Beimatsort, Gestalt, Aasseben und andere persön- 
liche Eigenschaften und Verhältnisse aller Art dienen ferner 
ZOT Kennzeichnung und Unterscheidung, Damit werden in- 
dessen häufiger Übernamen als ge^vöhnliche Kufnamen gebildet. 
Um es gleich hier vorwegzunehmen, diese Namen gehen meist 
rein tind ohne Zusatz oder doch mit beiden Elementen auf die 
Nitchkommen über. Letztere sind, soweit vorbanden und er- 
wachsen, den Betreifenden beigesetzt. 

irufsname als Grundwort: ds Emmingerschmifd. dJ 
HattinfjerBchu^miacher. — D^ gross Kiffer, Kinder: (?a Ki'ifer- 
f^ifter, d'Ki^ferkrescm, da Bot Beck, der feuerrote Haare hatte. 
-£iick, ScAfCrtc-miifw 1516, Schiiar^sclmider 1480.) Sein 



J 



904 



Bprtsclie 



Sohn auch so, obgleich nicht rot. Dessen Sohn ist Rurli nicht 
mehr Bäcker, wurde aber doch wie sein Großvater benannt, 
eine Zeitlang wenigstens; als er dann die Bachmlihle tnne hatte, 
auch = rfa BaclimWer, jetzt wieder = dJ rot Bede; dessen 
Kinder: s'yt^s Bechs(n)anrt9, s'fotd Becl!^n)eige<'<ne) = Eugenie. 
(da Eigf-n und d' Hge») : aber seine Frau = etRdbi-cUn ~ der 
Name war ursprünglich wol Schimpfname — \ dB nei Jiiir oder 
d^ II<ia"rwadlbiir, wie bereits oben (§ 9 Anm.) erwähnt, wonach 
nur noch seine Frau benannt ist; dnel-Bhin, auch iT HiirincniM' 
hirin; seine Kinder bekamen aber den Geachlechtsnamen; iti 
W&)V»rbedi, der in Wien die BSckerei erlernte, — Sohn: meist 
dJ Pfuddieck, ein Schimpfname — , und dessen Sohn aber Avieder 
da Wäatiarbeck, obgleich nur kurze Zeit Bäcker, auch s' Wä»n^r- 
■ hpcl^johann; dessen Kinder; da Wii^a»rbecl.9sepp3tone, rfs -krmrnd, 
tV-Mwig, (fc -glaser usw.; (/j Gipßheck, spasshaft auch rfj 
Zipflheck, der in Österreich einst das sogenannte Hallm\ondbrot 
kennen lernte und es dann zuerst in Engen, nachher in Möb- 
ringen einführte, wo es Gipß = Hiinür genannt wurde, Tochter 
= d' Gipßbeckasophe , als 70jährige Witwe noch so wie stets 
genannt ; da Hmnmelhur — Kinder: di Hunuiii1huri(n)antone usw.. 
in dessen Haus vor etwa 120 Jahren einige Zeit ein PriTat- 
farren = Hummel, so jetzt noch in der Schweiz', gehalten 
worden sein soll, — Erst seit etwa 1820 gibt es Gemeinde- 
farren. — Der Grolivater des jetzigen HmnmeRmr (Aberle) hatte 
am Anfang des 19. Jahrhunderts schon diesen Beiname». 
Übrigens gab es damals laut SalbUchem auch ein Geschlechl 
Hummd — 1 693 und Ende des 18. Jahrhunderts : Johannes 
Hummel. Näheres liel) sich nicht feststellen. 

ß'i Ga**sf>ur: Mitte des IB. Jahrhunderts lebte ein gewisser 
Joseph Nepple, dessen Frau d'Hüttl = Kosename für GmU, 
HiUfde, Diminutiv, wol wegen ihrer Aussprache — vgl. rfj 
Hndel^ — genannt wurde, und danach er selbst da HälMbur. 
Das gefiel ihm aber nicht. Deshalb lieli er, ein Spasavogel und 
reich dazu wie er war, einst sich selbst malen in einem Ungen 
Zwillichrock, an dem eine Gans zupfte, sodann dieses lebens- 
groüe Bild an seinem Scheunentor anbringen, gleichsam «Is 
Hausschild. Nachkommen von ihm können sich dieses alten 
Bilds noch erinnern. Von nun an wurde er, wie wol l'w'" 



' Ebenso im .kleinen Oileniviilil", BlHIicii des Neckars. V. 



I Die volkatUiiilithcii Ppraonennamen i 



übe rhaiii sehen Stadt 205 



sichtigt (vgl. den noch lebenden Viläorinvogvl in § 101), ria 
(jangbur geheißen. Gegen Ende des IS. Jahrhunderts kaufte 
sein Haus ein gewisser Dietrich aus Bargen, der, wie bei Besiiz- 
wechsel gewöhnlich, denselben Namen bekam, und ihn auch 
dann weiterführte, als er später in das jetzt noch bestehenite 
und nach ihm benannte Ga^sbitr^ktts umzog. Von seinen Nach- 
kommen leben noch : (s'jdo Ga'isbun'Jnlob, d' Ga**sbur^marte: Blin- 
der des GansburJjoSPpp u. a. 

2. Vor- oder Zuname als Grundwort: s'Ennningerbärtcle 
(Barbara), Tl>rga}i.fsoffe (aus Tiergarten), (s')d^Bolh'jÖrglelZieg\eT- 
geeelle von BoJl, Amt Messkirch; Gegenstück zum Lindoj/h-gle, 
um einem unschönen JtoK«" auszuweichen); ds Ma't^schter Hansfrg 
(= d-> Henker, s. § 8, i), Joh. Georg B . . ., der als letzter 
fiirst«nbergischer Scharfrichter beim Möhringer Hochgericht 
wirkte (s. Birlinger n S. 441 ff.). 

D-t Vatier Braun = Anton Braun. -{■ 1727 in Wien als 
k. k, Hofoptiker. Er hatte seine Heimatstadt mit einer bedeu- 
tenden Stiftung bedat^ht, mit deren Zinsen die Armen früher 
allmonatlich nach einer sonntäglichen Vesper beschenkt wurden. 
(In einem Pos tnach tsvers aus ilen fünfziger Jahren des 19. Jahr- 
hunderts wurde einem verarmten Verschwender geraten : „ Gang 
doch ««" zum Vatter Brau**, Däa(r) hat no kann verhungvn 
Jaun = lassen.) 

Unter diesem ehrenvollen Namen lebt der große Woltäter, 
dessen Lebensbeschreibung usw. die Schulkinder in der Orts- 
kunde erfuhren, aach jetzt noch im dankbaren Andenken seiner 
Landsleule weiter. 

1. Ea mOcht« ettra Hiiffallen , daen nur gar wenige harmluBe RuT- 
umen einen Hinweis auf die Huüere Ersi^heinuiig enthalten. Aber am so 
lahlreicher aind die Spottnamen, liie dergestalt gebildet sind. 

3. Vgl. die Namen bekaimter üaimer. z. B. der TIIHoger Kasper; 
a. Birlinger II S. 411 ff.: Sauerbarger Toni, von Saiicrburg I. E. ; der 
Jlolse'nier Micliei, ans Mohheini IE.: der Lanbheimcr Toni; dazu: .der 
bayerisch Hansel'. — Jetzt noch viel genannt werden hier zwei bis um 
die Mitte des 19. Jahrbunderta allbekannte Gestalten halbnllrri scher Natur: 
tt» Siti*gerehti3t3 und di Esslinritrhanrutale — von Seitingen und Eis- 
lingen — , der eine ein grnber. UberlOstiger Bettler, der andere ein. gut- 
ntOtiger, gemgesehener Kobold. iJes letzteren nicht imiuteresaante Lebena- 
^eschichte und Karakteriatik findet sich im Kalender ,Der Wanderer au 

,, ßadensee* vom Jahre \^6f^~^ f.der Esütllngerbiie-). Sein Name ist nun in 
^J^Üviogeti zum all gern ei ndbli eben Spitznamen für einen gutherzigen, hnrm- 



A 



loa 



I Tölpel geworden. Daher h5rt tnnn oft: du bist »n rä3{'e&M' 



hantag oder entsprecbend mich Tuttlingtrha 

8. NameakompoBita v'ie Suggaikont, Stump/heitn, bei Buct, usir. 
fiinleii sich nur nls Schimpfnainrn vor. 

% 44. Der Rufname geht nicht nur von den Eltern auf 
die Kinder und Enkel Über und hilft so deren Namen bilden, 
wie wir bis jetzt gesehen haben, sondern es kommen auch bei 
Verwandten indirekter Abstammung, und sogar bei solchen in 
aufsteigender Linie Vererbungen und Übertragungen von Ruf- 
namen aller Art vor, und zwar nicht einmal selten. Hierbei 
spielt das Wohnhaus der Betreffenden meistens eine groUe Rolle; 
denn dieses bzw. sein fest ausgeprügter, bleibender Name bildet 
gleichsam das Mittel der Namensübertragung für die Personen. 
So enthält also bei dieser Gruppe ein Namen komposittim als 
erstes Element den Namen eines Verwandten — mit Ausnahme 
der Eltern oder Grolieltern — oder irgend einen Hinweis auf 
diese Abstammung und Verwandtschaft des Betreffenden. Es 
geht auch bisweilen der gänzlich unveränderte Name auf 
einen Verwandten kurzweg über. Solche einfache Benennungen 
sind der Übersichtlichkeit wegen doch auch erst hier aufgefiihrt. 

% 45, Es kann ein Vater nach seinem Sohn benannt 
werden: rfs Soiipf^jicter, der als „aberwitzig" gewordener Greis 
lange bei seinem Sohn vulgo Sfiapfaknrh ,uf (h LiM'mg'^ 
= Leibgeding, lebte, und ihm wol bei der Seifensiederei aueJi 
etwas half; da (alf) Sitniigmi/hr = R. Sonntag, früher d^ Boch- 
säger genannt, der bei seinen zwei Söhnen, rfj MiRerkarfe unil 
d9 MSlerjosepp, welche die väterliche SSgerei zu einer Müble. 
vulgo Jiachmühle, umwandelten, als Libäinger oder „Mit^silf 
}ta**" = „muss dich haben", das Alter zubrachte. — Diese 
mundartliche Aussprache des Geschlechts namens Sonntay kommt 
sonst nicht vor, ist vielleicht ähnlich dem Sonntagsjäger ge- 
bildet — ; lU OMejfriax, früjier dJ Sigmund, der ebenso im onteren 
IAbdi(n)gstihle seiner Ehle, die sein Sohn, da Öhleriimz, dann 
betrieb, seine Tage beschloss. 

Man sagte stets s'Moxi>(n)€kle, vielleicht da mundartlic'i 
auch der Mohn, der früher vielfach angebaut und zu Salatöl 1»- 
nUtzt wurde, stets nur Max^ heißt. Vgl, noch g 63, 

Eine fieDeoniiog der Schwiegermutter uacli ihrem .SchwiefWraota 
a. in 8 63 Aniti. 

' Mhd. tnägt, viägetnme, mägetät := Mulm. P. 



I Die volk^tllinlichon IV: 



iilitrhiniiHclu'n t-UiIt 2u7 



§ 48. öfters bekommt eiQ TethfdiKiX^ = Schwiegersohn, der, 
wie es oft geschieht, mit seiner Frau das Haus der Schwieger- 
eltern liezieht, sei es als alleiniger Besitzer bzw. mit Verleihung 
desWohmmgsrechts an diese, oder als bloßer i>Iieter oder Teil- 
haber, den Rufnamen, bei Eingewanderten sogar den Ge- 
echlechtsnamen seines Schwiegervaters. Neben dem Na- 
men des Hauses hat hier auch der der Frau einen Einöuss aus- 
geübt. Ein solcher Name, der übrigens manchmal nicht gern 
gehört wird, obgleich man ihn ohne böse Absicht und allgemein 
ganz harmlos gebraucht, vererbt sich natürlich wie jeder andere. 

1. Taufname als zweites Element: ci> Hansukartf 
neben Koch^kark, seine Frau = (TifonsJd^JMC, Tochter des Hmis; 
s'HansBliHs; seine Kinder aber mehr: (h Kocfislw u. s. f. ; (fj 
Kasi'jakoi, Schwiegersohn des Kost-, d^ Ger^pder, verheiratet 
mit der sogenannten GerMheres, Tochter des Gfmnagler; Kinder: 
rf^ GeräediHcaü u. a, ; lii Londonerbnttist oder d-j Londoner, wie 
sein Schwiegervater hieß, seine Fran stets = d'Londoncrberthn 
da Sc^isUase = Flazidua B.; Schwiegervater: ScJieu; Tochter 
= d Scheißmarie-, il^ Wicktscpp^totif oder d^ (jung) Wicksbur, 
früher dJ Wä-tnerbecksseppätone ; seine zweite Frau heißt jetzt 
auch wieder d'Wiekin; d9 GlaserJcarle, sonst ds Grossäkarh; 
dessen Schwiegervater Glaser war, seine Frau d' Glasemanne. 

2. Berufsname als zweiter Bestandteil: ds Mrirkssbur, 
dessen erste Frau d'Markuss~>(n)annt und dessen Haus s'Märkss- 
hus heißt, auch sein zweites Weib = iV Mürksobirin^ ; d? ZdsS»>- 
kiafer von Cdsins; seine Tochter: d'ZdsiS'>(n)dis; d» Schni^*d»-- 
kUfer, ein Schneider, dessen Schwiegervater Küfer ist und d» 
Gersküfi'T heißt, sein Sohn aber =^ da Miiiufrküifrr! 

3. Reiner Name: !}■> (jung) Jiackwanger, Weber, dessen 
Schwiegervater der eigentliche Backwanger war; seine Frau 
= s'Ifachumit/ers Amu, früher s'-srhtoar^e oder d'BacMvanger- 
ann^i Söhne: d-i Bachwangerkarle u. s. f.; da Wicksbur und rfi) 
Londontr sind schon unter No. 1 erwShnt. 

4. Besonderer Fall zu No. 1: Beim Nrjtp/ejnkob, der 
das Haus seiner eigenen Eltern übernahm, wurde der Wegfall 
Und Mangel einer Beeinflussung durch den Namen eines scliwieger- 
vöterlichen Hauses ausgeglichen durch den starken Einfluss seiner 
Schwiegermutter, d'Ni-jiplin, die er zu sich nahm ins sogenannte 




Vgl, in g 48: Hi Märkstjoaepp. 



i 



untere Sttible, oft s'Ni'pjite StUi/c genannt; seine Frau keifit auch 
stets: ilNepplciiMrlise; seine Kinder ff^ Neppiejohatm, iTXepji/f- 
ircsen^, verheiratet, d'Neppleam^ usw. 

Schitiderkiafer und BiirsehHtier (s. ^ 25) sind die einzigen Nemra 
vom Tj-pua: Benifsname + Bernfsname! 

g 47. Ähnlich erweise wird manchmal der Name desjenigen 
Sohns, der das elterliche Ge.Bchäft oder Anwesen übernahm, 
auf jene ledigen Geschwister übertragen, die im Eltemhause 
ein Wo hnnngs recht, das durch Verheiratung aber verloren geht, 
besitzen, oder bzw. und bei ihm dienen. s'Frirhertittrgi^t!, alt« 
Jungfer, von ihrer ganzen Verwandtschaft war nur ein Bruder 
Färber, di Fnrh^rmarte; do Hansofram oder -fränzlr. als 
80jähriger •{-, lediger Bruder des sogenannten Hans, bei dem 
er stets diente; rfj Kaseaiwise, verstorbener Bruder des Kanr- 
Jakob, dem der Name aeinerzeic auch nur übertragen wurde (siehe 
§§ 46 u. 99); rfj Miirhsijosepp oder di MiirMe, kleiner und 
schwächerer Bruder des sogenannten Markus, bei dem er als 
ledig längere Zeit diente. Der Name Märkte hat dann seiner- 
seits bewirkt, dass neben Markus auch Marks zu seinem Bruder 
gesagt wurde. Kinder des Markus sind: d'Marktts-*fn)annsmid 
da Markttsü/po; die des Mnrksle heifJen aber d-) 3fnrks9rud(Jf: 
(te MärkS'^hrrniann oder -scdtW und s Meirks^hrrpsde , Tcr- 
heiratet. Das gemeinschaftliche Haus heißt noch s'Märka^liHf. 

Der Name Markus war früher hftufiger: 1704 Marx Leo, 
1623 Man Rudolf. 



Ähnlich fflhrtrn jii hucI 
Namen und Wippen eines vor 
sie im Dienstverhältnis standen 



iin Mittelalter nichtadelige Hitter oft 
ehmeren und reicheren Adeligen, Eil dem 



§ 48. Es geschieht auch, dass ein Mann, der eine Witwe 
heiratet und in ihr Hans zu wohnen kommt, den Namen 
ihres ersten Manns erhält (vgl. damit § ti2). So kQnDfii 
also Kinder auch nach ihrem Stiefvater benannt werden. 

d-i Ghittr = Joseph Faden, Mann der Gintertherrs oder 
Ginlere, deren erster Mann tUnter hieli, und in deren Haus anch 
noch ihre ledige Schwägerin: d'Glnterkreseni als Libditifiif 
lebte. Kinder des Fallen: d' Giiiiemanne und da Ginttrhanne, 
beide ledig, etwa 70 jährig; iti Kantageriier = A. Groll, Gerber, 
von Kaut vulgo da Katdsgerber: da yppftcfma*^! aus: der Neppl'" 
ihren MWJ = Kramer, zweiter Mann der Nepplin, der meis' 
aas war ts arbeitete und sicli bald von der Frau trennte, ao^ 



I Die vulkstilnilii'hcn Person ennameii einer olierbadisflien SlaiU 209 

«laher kaum bekanot war. Seine Tochter ivurde stets allgemein 
d'Xepplemarie genanut , wie ihre verheiratete Stiefschwester 
f/'A>/j;rf^iW«r/ist', bei der sie lange Mar. 

§ 49> Kinder erhalten manchmal sogar den Namen ihres 
Stiefvaters, auch wenn dieser nicht nach ihrem rechten Vater 
benannt wurde (§ 48): nämlich dann, wenn sie an Zahl oder 
Alter oder an beidem von den Kindern aus zweiter oder erster 
Ehe überragt werden: dJ SterIcabenMtile = Bernhard Schell- 
hammer, Stiefbruder der älteren ätfrl-^mx, Sli^fcajohamt n. a. 
= Kinder des Störk; iV Fin^ssi/jiücobl» = Jakobina Weiß, Stief- 
schwester der jüngeren FiMSS^tuariscppS usw., Kinder des 
Finns. 

Dasselbe gilt für ein uneheliches Kind, das die Frau in die 
Khe mitbringt und mit den ehelichen Kindern aufzieht, ohne 
dass der Vater von diesen jenes anerkannt oder angenommen 
hat: da Mu^->saiih.r = N. Zepf; Stiefvater = Max Reichle; 
dJ Has^boiihs, später = di StriclcerMd^s, da er Strumpfatricker 
war, Baltbasar Maier. Im Anfang des 19. Jahrhnnderts finden 
sich noch die Schreibungen des Taufnamena Balthas, Baltus, 
Baldes. ~ Er soll \on einem russischen Soldaten stammen. Sein 
Stiefvater = vulgo dj Maas (a § 3b, i). 

g 50. Vereinzelt steht der folgende Fall, der indessen ein 
tiegensiück hat an dem Schimpfnamen Raiheclc sowie im ahd, und 
mhd., z. B- ,T}t»idonid et Thfotfidila t/ermawr. Theoderis nrpos. 
Theodenma nepds' bei Socin S. 207, ferner S. 582/3: ila Speck 
= Jos. Ant. Furter, der um 1813 von den Franzosen gefangen 
genommen wurde, von seinem reichen Vetter, d. h. Onkel Konrad 
Speck aber losgekauft wurde und aus Dankbarkeit dann dessen 
Namen annahm. Vielleicht bekam «r ihn auch nur vom Volks- 
mund. Nachkommen: d^ (alt) Speck, von dessen Söhnen nur 
derjenige den alten Namen beibehielt, welcher sein Spezerei- 
gestfhftfr oder s'SpeckäladJ Übernahm, nämlich ds Speck^titus. 
Dessen Kinder; d^ Spechtfrani, s'Speck^reesle a. a, 

Einiipurtig kam nu ihrem Nnmen di (alt) Schäf»rt, deren Si^hwager 
berllhmter WnhrsagEr und Scliüfer = da Schä/erfrant, war. Ihre« Manne 
Name ist riii'ht mehr bekannt : vielleicht wurde er gemäß g 4T nach 
seinem Bruder benannt: jedenfalls wnr er kein Schäfer. Ihre Tochter 
ti'S>Aäfersc)tp3, die mehrmals verheiratet war, und d'Schäl'erburg, lange 
verwitwet. 70jlllu*ig t. wurden stets ao bezeichnet. 

g 51. Schließlich sind noch einfache Rufnamen 
handeln, die jedoch zuweilen auch durch irgend einen der drei 



rel j 



210 



häufigeren primitiven Namen zu Kompositen ergänzt werden. 
Deren gibt es ahttr verbaltnismällig nur wenige; denn die so 
gebildeten, aus besonderen Worten entstandenen Namen gehören 
fast alle in üas Gebiet der Schimpfnamen. Sie bezeichnen hier 
Eingewanderte nach ihrer weiteren oder engeren Heimat. Vererben 
tiui sich diese Namen kaum, da deren Träger sie ailmählicb \er- 
lieren, d. h. sie verdrängt sehen durcli andere, heimlichere. 

1. I)J Iffthäri/ey vom Heuberg, der als arme Gegend gill. 
Deshalb bekam der Name bisweilen einen etwas verächtlichen, 
schimpflichen Beigeschmack; ib Tirder = Peter G. oder spät-er 
pleonnstisch und wot mit Anlehnung an den Namen seines 
Landsmanns und Kollegen Canon, vulgo di Gerapeter, d-> Tirnlcr- , 
peter, der beim Babnbau 1864 sich ansiedelte. Vgl. 1710 „Fran^ 
Chiolin de Welsch"; 1734 , Jakob Weltin dr schwizer". 

2. Dj Meitliniifr, aus Reutlingen; dd Schinom^- = B. Senn 
aus Schienen, seine Tochter aber d'Si-nn^nJantis. 

Vgl. 1702: Joh. Eytenbenz BnriDg|er]. ,von Johnanoa Eytenheiixtpn 
dem Bi^rlnger"; danebon ein Joli. Eytenbenz der Fiäi-lwr; 1704: , Anton 
rU(fr da Ipplnger"; UM .Barthn Mühlenberg de .Homtr' von Hom': 
8. auch Birlinger II S. 411— 440: der , Tiroler'. ,der kleine scl.wnrje 
Thanncr", aus Tliann itn Rundgau. 

§ 52. Solche einfache Namen tragen bisweilen aber ancli 
Einheimische, Bei ihnen geben sie die Stadt oder das Land 
an, wo jemand kürzere oder auch längere Zeit gearbeitet und 
sich aufgehalten, oder auch die Waffengattung, bei der er 
gedient hat. 

IJj AiiieriIcanei-(J;(trle), früher tb Gerhrkarie; S Ainerikaneir, 
die als ledig lange in Amerika war, </.> Pariiser, vorher s'SUt- 
l'-ibi-nhiuii':s Äntoni/Ip., der lange in Paris in Arbeit stand. Als 
sein grülJerer Bruder 1848 auch von Paris zurückkehrte, nannlr 
man Um lU Klel"pariis, seine Kinder; rffl l'arisned^tiat ns«-. 
und diesen d^ Gross/iuris, dessen Frau =; d' Grossparism, oder 
meist d'i Kasrnuilter, nach seinem Schimpfnamen. 20 Jafare 
später ging ein anderer beleibter Schuhmacher auch nscli 
Paris, der seither (fo Dickparis (unflektiert) heißt; Tochter 
d'DickparisenniKi; da Londoner, ein Bruder der Pariser. Kinder: 
iV LondotwrlieHhs, d^LondotirrpauJi", die so auch als verlieiratfi 
stets genannt werden (s. g 471; (t* Hamburger; da Off^hr^'- 
der sich auch eine Frau, v u]go s'Oß'-'buryeru'ifle, sehr klein u ml 
; ei a Riese, in Offenburg holte; rfj Reeiim; der bis ISiC *'* 



^Dip vülkstuinliclicii Personenmimen piner obeibnrlischen Stadt ^U 

päpstlicher Soldat in Rom diente. — <l> FirsUhärger, einer der 
letzten >Soldaten des Fürsten von Fürstenberg, dem ja bis 1803 
die Siadt gehörte; da Fis^hy = FUselier, sein Sohn: ii-> Fis3lm-3- 
.laftler, da er nuch Sclimutz beißt wie sein Kollege: ds Schmutze 
sattlet", rfj Marine = „Marinesoliiat" = Matrose; aeine Frau 
= (V Marhifhebannt früher (TMari"it'm; d^ Dragoner, sein Sohn 
(?J jimff ]>ragoner oder Dragonerkarte. 

1. Vgl. schon in ilen jAngeri'n SchkhUn ahd. Namen vi^le Shnlicbt' 
üildungen, uu bei Sncin S. 213f., 21ßf., danu mhd. StaiDmesnninen. 
Socin XXIII. 

3. Eh k&iue hier noch in Betracht: da Manfamer oder d» HeedeUiergei: 
Aer in Maniihi^in niler Heidelberg nrbeitete tind auch die dortige Ans- 
B|iraclie etwas leriitf. Er int iihor athoii lange aiisge wandert und daher 
fast vergeascü. 

g 53. Keinen Bufnameo, der auf eine bisher behandelte 
Weise gebildet und allgemein üblich wSre, haben ungefähr 
80 Personen. Das kommt daher, dass man sie einfach stets 
mit ihrem mehr oder weniger scliimpflichen Spitznamen benennt. 
Die Gründe zur Verallgemeinerung des Schimpfnamens sind ver- 
schieden. Es geschieht meistens bei Leuten, an denen der All- 
gemeinheit wenig gelegen ist, und zwar ihrer sozialen Stellung 
oder auch ihres minder wichtigen oder gefürchteten Karakters 
wegen, also bei eingewanderten Knechten und Mägden, alten 
Jungfern und Geistesschwachen, besonders unbeliebten Lumpen, 
Prahlern, Windbeuteln, Schmarotzern. Oft verliert ein anfilng- 
lich sogar beiUender Spottname mit der Zeit an SchSrfe; denn 
das eigentlich beleidigende Merkmal kann vergessen oder auch 
absichtlich zeitweilig bzw. bei dem oder jenem Familienmitglied 
weggelassen werden, bis es schließlich ganz verschwindet, wie 
z. B. die Nasale in JBo"ler, Junbo»!, Kna»ch, oder er wird nur 
von Kindern oder Enkeln anders gedeutet und nicht so schlimm 
aiifgefasst, weshalb er dann allgemein zugelassen und gebrauclit 
wird. Bisweilen wird bei solchen, die mit zwei und mehr Über- 
namen ausgezeichnet sind, der glimpflichste und harmloseste 
dnvon zu einem :illgemeinen Rufnamen benutzt. 

§ 54. FräaenDamen. Erwachsene ledige weihliche Per- 
sonen sind den Münnern gleich behandelt. 

Da die selbständigen, persönlichen Ruf- sowie Sclnmpf- 
nnmen von Frauen unter den andern aufgeführt sind, handelt 
*s sich also hier mir um übertragene und ererbte Frauennamen. 



Jd 



21S 



Tiertache 



Bei den Kufnamen koninit eine Anzahl von FVanen Ton 
vornherein nicht in Betracht. nSmlich diejenigen, welche noch 
j5 ö3 bereits immer mit ihrem eigenen Schimpfnamen oder dem 
ihres Manns oder Vaters bezeichnet werden. 

% 55. Eine Frau erhält im Volksmund niclit so unbedingt 
wie in der Schriftsprache sofort mit ihrer Verheiratung auch 
den Namen ihres Manns, sondern behKlt meistens noch lungere 
oder kürzere Zeit ihren Mädchennamen, den man eben schon 
zu sehr und lange — Mädchen heiraten durclischnittUch mit 
25, früher mehr mit 28 Jahren — gewöhnt war, als dass man 
ihn so rasch vertauschen könnte mit einem ungewohnten, frem- 
den. In vielen Fällen gehen beide Namen im Gebrauch neben- 
einander her. Besonders die Alters- und Schulgenossinnen und 
-genossen, ihre sogenannten , Jahrgänger'', gebrauchen fast aus- 
schließlich den alten, traulichen Kindemamen der jungen Fraii. 
Ja, bei etwa 30"/o sämtlicher, mit übertragenen Rufnamen be- 
hafteten Frauen geschieht dies ganz allgemein und für immer, I 
wofür die in gg 56, 57 aufgeführten Namen, außer den bereits 
da und dort angeführten — wozu natürlich besonders die reinen 
Vornamen in g§ b, 6 gehören — , Beispiele sind. Es sind dies 
hauptsächlich Namen von solchen, welche allzulange über die 
obige Altersgrenze hinaus ledig blieben, was bei den alten, 5n- 
lichen Heiratsvorschriften (s. darüber Einleitung § 2) früher 
nicht selten vorkam, oder MHnnev von auswärts oder auch Pan- 
toffelhelden nahmen. Endlich sind es Namen solcher, die aucL 
nach ihrer Vermählung das vorher betriebene Geschäft einer 
Näherin, Modistin u. s. f. weiterführen. Übrigens kann auch dei 
Umstand, dass der Mann ins Elternhaus der Frau zieht, bei 
dieser die Fortführung ihres bisherigen Namens bewirken, ohne 
dass gerade der Name des Manns durch den ihrigen beeinflusst- 
zu werden braucht, wie es in manchen Fällen vorkomnii-.^ 
(s. § 46). Es können natürlich verschiedene dieser Ursachen 
bei einer Person auch zusammenwirken. 

§ 56. Nach ihrem Vater werden also auch noch nach ihres 
Verheiratung benannt: d'Alwisenanne, Tochter des ScMlhammn'^ 
al'tise; d'B<t»h(n)wartläMär;s'Dumm^bwrbäe; d'Fti^sopht:; d'Gt" 
rethercs, Tochter des Ger^naglera: d' (iersrosalJ — Rosalie; — di>4 
GeW-namen haften sonst auch gerne fest! — ; d'HutniiiMurJn 
anne; s' Käscb/trbi'irbde von lioiicrkäschpr; d'Koch<>(n)a>tuü< 
d'fji>n/inivrl>^f(hd; d'Hoticann^ und d' Wangeraimä, Tochter dt 




Die vi>lkBtümlicbi?n IVrhi.i.fiinamHi einer uberbuaisL'lifn .Stadt -JXd 

Wangerjohattnes : verschieden von diesen beiden ist die Frau des 
sogenannten Ronewangcrs: (Tlioneioani/erann^ ('.): d'SciimiiUi- 
«nna; s'Seppelmei^, halb verüclitlich, aber allgemein; d'Zimimr- 
kariedone = Antouie u. a. 

Begreif! icherwciau befindet in dieaer Grup|te sivk kaum ein*^ von 
jenen fremden Frauen, die ein Bürger^sohn von auBwHrts heimholte, ila- 
f>;egeii fast alle lüejeniaen, die eintn Eingewanderten nahmen. 

§ 57. Den Namen der Mutter statt des Vaters — es sei 
diese Erscheinung zusamtnen fassend hier erwähnt, obgleich sie 
meistens, und zwar besonders bei MSnnern, nkOit Ruf- sondern 
L bernamen Keitigf, (vgl, § 17) — behalten als Bestimmungs- 
wort ihres Rnfnaciens nicht bloß natürliche Kinder nach ihrer 
Verheiratung bei, sondern auch ehliche, deren Vater Pantoffel- 
held war und das Hausregiment der Mutter überließ. Mhd. 
Metronymica s. Socin XXIX, III u. IV Anm. 2. 

Unehliche: iVBol^eivmni^; A'Sddegdhui-gftl) oder if'Jiiirff, 
eine beUanute Bütin, deren Mann früh im Ge^iingnis starb. 

Ehliche: tV ilttoor-nnhu , verheiratete Tochter der soge- 
nannten Vittoor und Schwester des llttooroschu'madwis und des 
Midön'äsehniders, ein Schimpfname, s. § 101; s'Stir^meidU', vgl, 
§ 95 Anm. 

!• Geechwister können demnacli, unti wie auuli aua den früheren 
Ausführungen ersichtlich, die verschiedenartigsten Namen tri^en. 

i. Ein Beispiel dafOr, doss ein Kind nach der Mutter nur deswegen 
benannt wird, weil der Vater früh starb, wie es nach Socin im Alt- 
geriDaniacheu 'ifters vorkommt — vgL auch mhd. Ittensoltn, Neeeiieohii, 
daa jetzt noch in Sauldorf, Amt Mesakirch. vorkommt. Mechlildinun u. a. 
bei Bück. In diesen Fällen waren wol auch verschiedene Gründe für 
die Namengebung mallgeiteud — konnte nicht ermittelt werden, 

g 58. Sogar gegenüber mehreren Mannsnamen, die eine 
Frau infolge ihrer mehrfachen Verehlichung eigentlich bekommen 
sollt«, hält ihr aus dem Elternhause mitgebrachter Name hart- 
nackig stand und bleibt ihr natürlich auch noch im Witwen- 
stand. l)'Godeiamtn3rei; d' l^erbeck^beriJai und deren Tante: 
<r Peterl>ecksti anne. 

Es kommt auch bisweilen vor, dass — allerdings gewöhn- 
lich nur nach Ehen von kurzer Dauer — der kaum eingebürgerte 
Mannsname im Rufnamen der Frau wieder verdrängt wird durch 
den Madchennamen der Witwe, was sich dadurch erklSrl, 
daas dieser eben noch in frischer Erinnemng ist und auch neben- 
her teilweise gebraucht wurde, d'üetlüre = d'lMermin3; d'Soahr- 
leoin (!) = cCBert^srnnmlise; d'Bimimgare = d'Sigmundsifieres. 



814 



Herlsciie 



% 59. Typns: Mannsrofname + Vorname der Frau. Vob 

ile» übrigen 70", n geliüren eigentlich auch nnr 4U'''u ganz zu den 
rein inovierteii Femininen; denn die andern 30 "/u sind lediglich 
iiuf Grund und mit. Hilfe der Madchennamen gebildet und be- 
stehen, ähnlich wie die Geachlechtsaamen der besseren Stünde 
in der Srhweiz und manche inhd. Prauennaraen (Beispiele bei 
Socin XXSTI, I), aus dem ganzen RutDatiien des Manns, bzw. 
irgend einem Bestandteil desselben, und dem Vornamen der 
Krau, sei es, dass dieser früher zugleich ihr Eufname oder dessen 
Grundwort war. An die Stelle des Mftdchen namens, an der bis- 
her der Vatername mit irgend einem Element oder auch ganz 
vertreten war, kommt jetzt einfach der Mannsnome oder ein Teil 
desselben. Selten, um diesen Fall gleich vorweg zu nehmen. 
tritt der ganze Manns rufiia nie, auch wenn er ein echtes Kompo- 
situm darstellt, vor den Frauen tauf namen, weil dadurch meist 
ein Monstrum zu stände kSme: d' Hammdbur-idone , d'Ox^inrt- 
lietiht, et Ri>tiewung'^nnuä ~~ hier wol nur zur Unterscheidung 
von Roneanna und Wungerann^ — , 

1. Vorname, der zugleich Rufname, des Manns: s'0d3ni3' 
l'mmde, d'PliiUpp'inmim', früher d' BofUifazeitanne. 

2. Berufsname, zugleich Rufname: d' Hag-ikiiÜer, von Sag^ 
j'u-HUrer; s' ZiägUrammSreUe. 

3. Geschlechtsname, zugleich Rufname ; rf'^M/*/«««inf, früher 
Soalerniine, d' M'iierkarli», fremd, d'Ii((iiriU^tt7inr, vor- 
her d' Krummoschnidemanne, s. § 72c, so oft auch jetzt 
noch. 

4. Vorname aus dem Rufnamen: d'Adolf^l'iUter, Frau des 
Fiscideradoff, d'Xw'zcfheres, von Xan(lt:nm*'ze; d'Jione- 
litrtlie von RonewUJuim!, d' Stachcmarei von Stacheaddf: 
vgl. Anhang No. IS. In den beiden letzten Frauen- 
namen erscheint also der Name des Schwiegervaters! 

5. Berufsname aus dem Rufnamen : d'PoscJUfuis von I^cht- 
fram, früher und jetzt noch mitunter d' }i a'^Utiitii^ 
d' Hafneniannc von HafnencilMm; U'uher d'Jlmsenannc 
so auch jetzt noch ; d' Kisslerf'rnmd von KessUrkrumm 

d' Vogelkiitter von Vogdantone; s'Ziägtertttareile; s'Zinjfler-^^ 
kiäh-rle. von Ziaglerjiemuk. 

6. Geschlechtsname aus dem Rufnamen: d'HaibHros^ 
HaiMfram; d' Biff'skäiter von Riff.ydkk; d'SchuM) 
früher d' Hiiiutiiiibttr^hei-es von Scharetvilhefm. 



/ülksUlinliflieii rLTsoiifniimnpn cjii.t oUerlHirlisrlicn Sl»ilt 215 

<V. Sonstige Bestandteile des Mannsrufnaniens : d'dersrasi** 
Ton de GtY, für ihn ein Schimpfname; vor der Heirat 
= d' Berhssfrosif^ ; d'Sekmitt-imarUse: s'fkhmiiMJwresiie, 
der Name ihres Manns ist niclit mehr beknnnt; ihr 
Schwager war i/j SchmittJhiia : d'Sj)n-l;>idone = Antonie 
— Done war früher, wie da und dort noch Jet7t, auch 
männlich; s. 1697 ITionj S. — , Frau des SprckatiUis, 
früher Ä'MWMJrfoHe; (rWnstiJfrhecIcaiütICffJrin; d'Lnnäoner- 
l-ilU3r. 
1. Mad vgl. flaniit die ahnliche ahd. Erscheinung, x. II ^WaltrttmnMS 
T, Wallrata mater" hei Sooin S. 203. 

ä. d'Bloaker>iai\nt, Witwe Aea Blonkemax, wurde oft auch d'Moie»- 
,u {lenniint. Vd. S «3. 

g 60. Hovierte Frauennamen werden, manchmal mit Um- 
:, gebildet ans allen vorkommenden männlichen Rufnamen, 
lind zwar durch Anhängung von -e. geschlossen und kurz, nach 
-ff, also .>jv, und -in, d. h. tm überall sonst. Vgl. Socin XXXII 
Abschn. II. Wenn es zu einem zusammengesetzten Mannsnamen 
den entsprechenden Frauennamen gibt, so ist damit erwiesen, 
dass jener wirklich als Kompositum empfunden und gebraucht 

d'AIfi-iflhi, iT EngiVietiin, d'ifalnare, dl ult Hansin usw. 
— D' Burfptiuxfstäre, d'Do/däre, d'h'ärh^e, dt uU JägJre oder 
Konati^H, d'Megsire, d'BachmiUärc, d'Rofschrihare, d'Stadi- 
incgs^re. — D'Äliedm, d'EUisre, d'Drexl^e, d'Dummin (s. An- 
hang No. 14J, d'Frankin, d'Grofin = Graf und d' Gräfin i^ 36,1), 
iCKriiglin, Knifgle Diminutiv von Krug, d'MarJonin = Mariy- 
noni, d'Bi»gare. ~ Di aU Na"zin aus Xandeniazi; iTUonin von 
fiaiiiss^rmie. — If SottUrleohi('), Schtimdkonrndim. — IfFiseld-ir- 
itddlUn, d'llaitjeßui-m, d' Koci^wähdmin, d' Sehate3karlm, nicht 
'katii** = Karolina. — H Maierheck'm, d'C'dsas-ikinfere, d'Schmied- 
tHtgtin. — D'Schmied AlKiiin, d'Meffs^r AberUn, d'Lchrer SkMin, 
tti alt Hirseliäwirtin. — D' Hamburtpie, d'FissÜ^rin, d'Ga>'s- 
hirin, d' SpithmixUn. 

1. Diese Betit«!ung Eeigt sich sognr oft in urkundlichen Namen : 
1702 „Madlcns Guotin". ITO:{ , Knlberhllrt Maria Rebmfinin genaiid 
>'iaclierweiMiu': Hariu äussaunin: ITIO Margarete KugelamlUinin i 1823 
. M. Anna Heitliu; 1834 Unterschrift: funleaetlich) Heilerin. 
I 2. Wendet niaii in diesen Fällen auanahrosweise einmal den Titel 

L Vttn 4Mt, 8u hOrt mnn hisweilctn. wie noch allgemein im 18. Jahrhundert. 
lüWbMt imtrt, d'Froii Fraiih'u sagen. 



816 



Ktrtai'lie 



§ 61. Auf die eben behandelte Art und Weise können 
und werden tatsächlich auch alle andern Frauen bisweiten be- 
nannt. Wie der umgekehrte Schrit'tnanie {g 28), so ist auch 
diese Art der Benennung die einfachste und bequemste, wes- 
halb sie oft die Retterin aus der Not machen muss. Manchmal 
aber weicht man aucli dieser Form absichtlich aus; dann näm- 
lich, wenn sie zu lang und unschön ist. In diesem Falle hilft 
man sich dergestalt, dass man sagt: (l)nt Kochten jedmatt s(i'>t 
Will oder (i)»i KruJtjmiJwise sine. 

Vereiuielt ist die Form : 4'MariHeheban», Fran des sogenaiint«ii 

g 62. Es kommt vor, dass eine Frau, die mehrmals ver- 
heiratet war, immer den Namen ihres ersten Manns bekommt, 
und zwar dann gewijbnlich, wenn die erste Ehe die längste 
war, und die andern Jiänner dazu nocb Pantoffelhelden gewesen 
sind (s. bereits g -18); z. B, iflHntare oder Giitfarthens, d'Katä-^ 
(ferbcre, dNepplin, langjährige Witwe von auswärts, deren erster 
Mann (t> Muremep^v war, sTroS-imible, mehr ein Spitzname 
von Troll; s. § 70. 

§ 63. Witwen {auch junge) von Beamten und sonstigen 
Angestellten werden mit dem Zusatz „aif gewöhnlich bez^clinet: 
di alt Äl-zisart, auch = (TBixhin und iVFron Bock ; dt alt Barg-'' 
■tamsl^re. Desgleichen; di alt Kiitsihrtin, di idt Snnn^Hiiiiin. 

Dieselbe Benennung erfa&lt aber auch die Frau eiiie& Be- 
diensteten, der in Ruhestand getreten ist: di alt ATtziaere oder 
meist zur Unterscheidung van der ebengenannten: tTScIiiimmin; 
di (dt Postagentin. Dazu auch: di alt Hirschamrtin ; tU alt 
Oxawirtin. 

Di alt Apithtkire, alte Witwe, hat diesen Namen von ihrem Schwieger- 
sohn, der die Apotheke schon lange besitzt, vor Jahren Übertragen V- 
kommeD, sogar ohne dass flie bei ihm irohnte. Vorher ^ d'BloakeTHonaf 
oder d'Maxananne, auch Öhlemmime, da sie die Frau den sogenuuien 
Öhlermax war, der die ehemalige Ölmühle aowie die alte Bleicbp 
= Bloiike heaasa und auch d» Bloaker oder da öhler hieU (vgl. g 4ö). 

% 64. wahrend bei den Männern kaum je einmal in iIpkS 
Anrede, und auch da sehr selten, das Prädikat „Herr" verliehe» 
wird — höchstens manchmal beim „Pfarr", solange man ih"^ 
noch nicht recht kennt, d. b, er sich nicht pj/iMw/«" = geineir - 
allgemein = leutselig, gemacht hat — , genieüen dagege-s 
mehrere Damen aus besseren Familien die Ehre, meist bei d»*i 





■ Die volkBlümlicIien Ppi 



V oliPrbaiiischeiL Sta.lt 217 



Nennung ihres Namens mit dem Epitheton Fron bzw. FipHi' 
ausgezeichnet zu werden, nämlich; d'Frou Fischltr = Frau des 
sogenannten Leo Fischler! (s, g 39); iI'Frou Hellsehe, aber auch 
ifHariett, Witwe Henriette des sogenannten Edwin Bertsche. 
Hier seien nachträglich der Übers ichtlicliieit wegen auch an- 
geführt: s', d'Frritr Emm-', 75jährige, ledige Schwester des 
Hermann Leiber, auch A' Hr-rr L. (genannt (vgl. § 39); d Freue 
Sofe, 80jährige alte Jungfer; d'Frctlr Griif, Lehrerin und 
Lehrerstochter; die Bezeichnung wurde hier erst durch die Schul- 
kinder allgemeiner; (f Freue Hanm, Johanna, ledige Schwester 
des f Dekans; dFreile Secger, ledige Schwester des Stadt- 
pfarrers. Der Name wird mit kurzem ii, wie der gleichlautende 
Berufsname, ausgesprochen. 

Die sogeoauntc Madamm Jäger lebte 30 Jahre lang als Witwe obes 
Apothekers in der Stailt und war elieufalls eine Schwester des genannten 
Herjnnun Leiber. Madam galt frliLer als der nobelste Titel für eine hesaera 
Dune; jeUt mehr verächtlich, da Madam auch ^ Puppe. 

Sflii 111 pf minien. 

§ 65. Die Schimpfnamen der Frauen seien im Änschluss 
aa deren Rufnnmeu vorweggenommen. Das in g 54 Gesagte 
gilt im allgemeinen auch hier. Die Frauen sind mit einem beträcht- 
lichen Prozentsatz an den selbständigen, persünlichen Spottnamen 
beteiligt, die bei ihnen wol meist noch aus der Schul- bzw. 
I Mttdchenzeit stammen. Oft auch bringen sie des Vaters oder 
t der Mutter Übernamen mit in die Ehe und behalten ihn 
I allein oder neben dem movierten Spitznamen des Manns. Es 
{ trifft also hier dasselbe wie bei Rufnamen zu. Unter den 
gleichen Verhältnissen und Umständen wie dort bleibt nicht 
selten der vfiterliche Spottname, besonders wenn man ganz all- 
gemein ihn gebraucht (g 53), der Tochter auch als Frau stets 
haften, zumal dann, wenn ihr Mann keinen karakteristischen 
Namen hat: d'Schrr.>niimte,d'Stibh-mnrie, d'Trullemae/d^e", d' Wis- 
fiOpf'iann' u. a., wie sie auch da und dort gelegentlich im fol- 
genden, besonders in gg 1U7 — 112, angeführt sind. 

S 66. HoTierte Franeniibemamen. Meist aber wird der 

„Schletterling'-, den man dem Mann anhängt, auch auf seine 

Prau angewendet, es mlisste denn nur sein, dass sie inbezug 

^^^ JCarakter und Ansehen in ganz besonders vorteilhafter Weise 



J 



Dertsche ^^^^^^^^H 

von ihm absticlit. Dabei wird der Vorname der Frau nnr an 
Holcbe Schimpfnamen angefügt, die schon lange eingebürgert 
Bind und mehrere Vertreter in der Verwandtschaft haben, be- 
sonders aucti dann, wenn schon im Schimpfnamen des Manns 
sein Taufname steclit {§ 59). Sonst haben wir einfach movierte 
Feminina. 

d'HibutiamK von </.) HOrr, di giinl VUtor oder tTGiiJ/j- 
cittor, Frau des sogenannten Giwl^: d' Stachemarei von Stache- 
udolf; d'Stihlchmri, Frau des StiUe oder StOjlcjohan». — 
d'Adiifiin zu s'Aihifle, d'Grossparisfre zu Grossparis, d'l)i?r- 
stämlere, d'Fünffisssl^re zu Fiinffti^ss, iTJ-'unkhi; d'Hoifrbiidin 
( Hofeheislf), d" Kuaträdlin von Ku^raad; d'PrimJglascre; d'Sintä- 
dMUn;d'Tsch'ipp-)re.d'Vifior9schnidi>re;d'S'ellH'tilareod.erd'Well^ie: 
d^ZundeOudneri' oder d'ZundUn von Zunddhainer oder ZuntU. 

EigenarligerweiHs kam s'Kampeibwffele. frtther »"Färberburgäe, >a 

ihveni Namen. Ihr Mann, ein FftrlieT. stahl einst eine Anzahl von Eämnum 
^ d> Kampel oder Sträl, verschwand aber nach Anterilta. bevor er gt' 
fnaai wcrilen konnte, und hinterließ seiner Strohwitwe nicht viel niebr ak 
.lieaen Sclunipfiiuiijeu. 

g 67. Übersicht über die Schimpfnamen. Da für di<? 
Tlnnamen annähernd dieselijen Prinzipien der Bildung und die 
gleichen Gesetze der Vererbung gelten wie für die bisher 
behandelten Rufnamen — entstehen sie doch meistens ganz 
parallel und analog diesen — so werden sie im folgenden mehr 
dem Inhalt und der Bedeutung nach betrachtet als nach der 
Form. 

Danach sind sie auch eingeteilt in solche, deren Entstehung 
veranlasst wurde durch 

l, körperliche Mängel und Eigenarten im Äußern, 

'2, Fehler der Aussprache und Redeweise, 

3. geistige Eigentümlichkeiten, sittliche Scbwücben uqiI 
Fehler, 

4. zufällige Ereignisse, darunter besonders Begebenheiten 
von 1848 und Paatnachtssclierze, 

5. Art und Weise der Beschäftigung, 

6. Abstammung und Verwandtschaft — Vererbung ani 
Übertragung von Schimiifnamen — , 

7. eigentümliche Wohnungsverbältnisse, endlich 

8. Namens verdrehu ng en . 



Di^ VülkstiimlidnT IV-rsoneuiiamen einer ciljcrbaiiischeii f^tfldt ^19 



Begreif licberw eist umfassen ilie drei ersten Abteilungen, die iwch 
■lic Hanptgruppen bÜdi'ii, die nieialeii und interessantesten äpottnamen- 

§ 88. Übernamen der ersten großen Masse entbaUen und 
bezwecken also, wie die Mehrzahl der römischen Geschlechts- 
namen (vgl. Claudius, Naso, Plautus) eine neckische Karakteri- 
sierung der Bezeichneten nach ihrer äußeren Erscheinung. 
Dabei ist das Augenmerk gerichtet auf das Ganze wie auf ein- 
zelne Teile des Menschen, 

§ 69. Kine auffallend kleine Gestalt wird stets durch 
.\nhängung der Verkleinerungssilbe -le = kin an die verschieden- 
artigsten Hufnamen, deren Bildungsweise im ersten Teile dieser 
Arbeit behandelt wurde, verspottet. Oft tritt auch noch ver- 
stärkend der Umlaut, sogar bei Geschlecbtsnamen, ein. Diminu- 
tivs kommen indessen auch sonst vielfach vor, ohne dass sie 
einen gehtLssigen Beigeschmack an sich haben, sei es, dass der 
damit bezeichnete kleine Mann ein gemütliches Wesen, eine 
fröhliche Sinnesart besitzt, und den Namen allgemein zulSsst, oder 
dass sich im Diminutiv noch die Koseform der Eltern erhalten 
hat. Man kann ferner beobachten, dass Verkleiner ungeformen 
auch oft erst dann gebraucht werden, wenn der Betreffende 
durch das Alter gebeugt ist. Hier sind nur die allgemein nnd 
stets gebrauchten Diminutivschimpfnamen aufgeführt. 

a) Zunamen: iJ^ Munilli' oder Rothmundle (von Rothmund; 
1702 und 17.S4 Rotenmundt; vgl. auch 1704 Mundus Giioth), 
welch letztere Form die gelindere ist; tUBajerh oder meist de 
Scluvr^bajerl'- — J. Baier, dessen Vater Scherenschleifer war; 
lU Hü^ncädelf oder d^(s)HiU>'^iradfV»rlf, der ins Hüe^ruadels' 
Hus wohnte — ein früherer Besitzer desselben hieU HUnerwadel, 
er selbst heillt jedoch Johannes Renn, s. § 41 — ; s'((l^) Sä- 
toorlc — dJ Xaior in g 101 = Xavrr Salor, kleiner Kamin- 
feger, s'FiTlr, Schützen Wirtin, geb. Fuchs, von Esslingen; zu- 
gleich Anspielung auf ihr „verschmitztes", schlaues Wesen. 

b) Vornamen: da (s') Herinänn{d}le = EermaTiTi S.; wol 
analog diesem: s'Kaileniün(d)lc = Karl (vgl. mhd. Metile bei 
Socin); dj MitcMc = Nnuticlc, der zudem buckelig ist; rf» 
Xiivnif = Xai'eere, der sich besonders hohe Absfitze auf die 
Schuhe machen Hell ; <?.* Jakefit^e oder f/j Bri^fjakehde, der lange 

, Briefträger war — gleichsam Diminutiv, von Kindern besonders 
^«K^iuicht, vom Diminutiv JiikeMe; df Fetetie oder d-t Geer^ 

■iL 



peterle, dessen Frau aus der sogenanuten Geer^ stannit«; rfs> 
GeräwiUk(le) = Ed^icatt, Sohn des Vorigen; dieser Käme 
ist wo] auch stark beeiDflusst von dem des Großvaters: Ger^- 
tvadl (s, g 96, 2); (/j Glaserjergle. 

c) Berufsnamen: da BasJnienterle = Posaniattirr; cl» 
^yebetie, der früher Weber war, dJ Sctim»derle; da GwiJibbiilc. 
der Bauer in eioem Hause namens s'Gin'ilb war; tiJ Schae- 
mäcJwfle, bei dem auch noch die i^Iagerkeit auffällt, daher auch 
= MSgerle; di WatdäschiUle = Waldschütz. 

1, Bei Fraai^imamen kommEn VerkleineningsformeD Doch hSufiger 
vor, w^Tiieti Aber ^wohnlich oicbt ala .Seh im|)&i amen aufgefasst. 

i. Man vgl. auch, die Üimiiiiiti%'a in § 7, i. 

% 70, Diminutive dienen ferner zur ironischen Benennung 
von ausnahmsweise großen uinl starken Personen, deren ein- 
zige Art der Verächtlichmachung dies ist. s' Getrbcrseppfie — 
Sfj}p^f ist Kinderdimiuutiv oder gleichsam doppelte Verkleine- 
rung von Seiip — Si'pjil — ; s'Biile, welcher der größte und 
stärkste Bauer tier Stadt war; lU Tii-icliir = Tu-^chfr = Tuch- 
macher; dieses Wort hat im Laufe der Zeit wol verschieden- 
artige Gefühle zum Ausdruck gebracht; denn der Betreffend-? 
wurde rasch sehr reich und vornehm und wollte Herr B. be- 
titelt sein, und nicht ib Tu-^chei; da er sich seines Handwerk*, 
das er ja doch selbst kaum noch mehr betrieb , schämte. AU- 
mKhlich verarmte er infolge seiner vielen Prozesse und starb im 
Spital; da (s')W<'ingeile = Wagner; il^ Hafim-hiii^c, spKter 
= d^ Bfiebe, jetzt dJ OuM, s. §g 89, 1U6, Sohn eines Hafners. 
5Iit diesem Spitznamen sollte wol zugleich auch die übertriebene 
Zärtlichkeit seiner Mutter kritisiert werden. s'TrolUwible, un- 
geheuer große Person, die dreimal verheiratet war, zuerst mit 
einem gewissen Troll, desseu Name ihr auch fortan blieb; 
s' Scho^swibli' , Frau des obenerwähnten kleinen Scheeiitbajer^i. 
Vielleicht ist ähnlich eutstanden 17Ü2 „Maria RebmSnnin, ge- 
nannt FischcrwiUin^" 

S 7L Eine in die Augen fallende dicke oder magere Ge- 
stalt ist ebenfalls oft Gegenstand der Verspottung, die sich in 
einem Spitznamen niederschlägt;: 

a) (tä dick Wilfiehn, (?■* dick Johann oder da Dick noch gAM 
aligemein gebraucht, obgleich „Monte» i-nt omen'^ jetzt kaum mehr 
gilt bei ihm, der schon ia der Jugend s'Färbemiartis Dich 
hieß; da ScMcffeldick = K. Schlegel, zatn Unt 




ini'v 'iiierl)H,liaclifn SIndt. 221 

dkl- = E. Riff, der jedoch ganz abgemagert ist., weshalb sein 
Name auch aus der Jlode kam; ffe KochMick oder s'Korlu 
Dicl-B, rfJ GlicMkk, eine kurze, gedrungene Gestalt = Überall 
gleich dick; da Edlwag'*, eine plumpe Frau, deren Gang zu- 
gleich gekennzeichnet ist durch den Vergleich mit einem schwer 
beladen en Materialwagen. 

b) di Magerh, hei dessen Namengebung man wol an den 
bekannten Geschlechtsnamen MegiTle dachte. Der gewähnliche 
Name für einen dürren Schwächling ist sonst Miiij^räss. Schon 
ajwrd. s. „Helt/i maffH', Stark S. Iö3. Do St^eyUs, de Gitz, 
Sohn der sogenannten StMemarjagot s. § 112, i, vgl, auch die 
Redensart: „er ist so mager wie eine Geili", der zudem in seiner 
Jugend Übermütig war wie eine Geiü = Gits, besonders von 
Rindern gebraucht als Gitzele neben Hiittele. In seinem Ge- 
burtshause besass man auch viele Ziegen. !)•> Disrsfünder, wie 
der allgemeine Ausdruck lautet für einen abgestandenen, dürren 
Baum. Vgl. alid. C. Diirro, Diitref))luü bei Socin. 

% 72. Ein gauK besonderes Augeniuerk richtet man auf die 
Gangart und die BeschnAenheit der Fülle und Beine, was die 
folgenden verschiedenartigen und zahlreichen Spitznamen erweisen. 

1. Gang: it* Gliinhanton , ein Geistesschwacher, wol von 
Olonker, glonks = schlotterig, wakelig gehen (warum nicht das 
gewöhnliche Atdone, ist unerfindlich); d-t Zenziglunk, dessen 
Vater rfj Zetie = Vinzenz war; rfj Gah'ippprneiiiile = Nepple, der 
im Gegensatz zu seiner langsamgehenden, stitrk hinkenden Frau 
übertrieben rasches Wesen zeigte; dJ Goass-fgcdoiipcr, der dazu 
noch m^er war wie eine Geiü; d^ Schasetr, der trippelt wie 
ein Jagd- oder Dachshund, oft = C'lasseur; d-> SiigetriU. oder 
frUher meist Sügdrtmmd, auch S'igdmckel, eine aus der Sägerei 
stammende alle Jungfer mit wakeligem Gang; dazu trank sie 
oft noch gerne Schnaps — Trimm 1er, iimmHrimttü'^ = herum- 
lungern, stolpern, trimmlig = schwindlig. Tribl — ein Hebel 
zum Treiben eines Rads, auch in einer Sifgerei gebräuchlich. 



0- Beine: d'Korh^galA = K. Koch — eine Gabel machen 
= die Beine spreizen; vgl. ahd. '[V.debfüi Socin — ; d'Speck^- 
gab/. Sohn des sogenannten Speck (g 50j; d-f GabdebiM, der 
stets ledig blieb, datier Biut (s. § 9ö), d'Hci^angj, eine be- 
kannte (iälierin, deren Fuüspitzen nullerdem sich fast berührten. 
■■ Doppelzange zum Heuaufziehen. 




J 



X-Beine: df Läs^ilJfuess , trLeid; PI- iTLäsofa sind vier 
gekriiminte Träger aus Holx, welche (üe Leitern aufrecht und 
an der Wagenaclise festhalten = Wagen leiste, mhd. Iluhse, vgL 
den Familiennamen Leiiclisenring. 

Ein zu kurzes oder verkrüppeltes Bein (Hinkender): ih 
Kesskrkrujnm, dessen Vater Kesselflicker war; da Zntt'sekrutnni. 
dessen Vater = d» Zenise = Senis B.; da Bofxerh-unttn , oder 
ila krumm Bdzrr = Jak. Bolzer; rfa hntmm Sebni^der. Vgl. 
ferner Anhang No. 10. 

Sonstwie niiasgestaltete Beine oder FHße: da Stonrch, 
der auOergewUhnlich lange Storchenbeine hatte (s. mlid. Storkv- 
Stoercfili(n), Socin : da Htelsaeacher = Zacliarias, der einen Stelz- 
fuli hatte. Birlinger U S- 431: J. M. „der Stelzenlmb ge- 
nannt, von Üppingen aus dein FUrstenbergischen, Oberamt Möh- 
ringen' ; da BuutafMss, eine Frau, die sehr verdrehte, aber kleine 
Piiße hatte. Ihre überaärttiche Mutter soll einst su ihr geäugt 
haben, sie habe FUile wie eine Dame. 

Schon im Mhd. gibt es mehrere Cheinamen . die des Gehänselten 
Fflße zur Zielscheibe hatten, so z. Ü. bei tjocin: Ftiosa, VumU, Seftu, 3i>- 
gar Geüfuox und Rntfuoi. Bei Bück uud Mouei Tanw&nn, Storaetiftui, 
Wutfuoz 1417, Permfmss, Leiehtfuaa, .Sloltei'loth, Einbcin. Krummbtin, 
iMngbein. Die letzteren aiDd jetzt noch fnat alle als üeschlechtsnamen 
erhalten. Huntfuo», Sapptff'ua«, Ockrnfuos und Hoggtnfusa von auca 
'Jans, liintfua 1310. Schragfmg^Ha 13U0. SlrekkfiuM imb, Krumpfut» 
1336, Gtüdinvuos. Im anord.: Bargifulr = Knimrafuss. VilhUgfr 
= BolBfiiß, Halfdan kiUeggr = der Hochbeinige. Stark S. l.V). Vgl. 
auch Pott S. .'iW— 600. 

% 78. In die Augen springende, abnorme Bildungen anderer 
Kürperteile, besonders des Rückens, des Schädels, der Augen 
usw. werden benOtzt ?m allerlei Spottnamen. 

Rücken: dd Srigefmckel , alte Jungfer, die Wohnungsrecht 
in der SKgmUhle vulgo Si'igc besaas ; rf.* Üunnchuchfl, der täglich 
die Wirtschaft zur Sonne besuchte; d-t Soalrrliuck^ oder W' 
BtickJlsoaln' = Seiler; d>> Hess^huckal, alte Jungfer namens Heb; 
da Filerbrck^hiickl, Sohn des Peter Beck; daBiickiie, oder Buckeli- 
kttrJe, der zugleicii zwerghaft klein war. Vgl. mhd. Pitg^i; 
Btichti, Bukil usw. kommt öfters vor bei Socin; vgl. auch Bir- 
linger 11 S. 431r „Schnizhukels .7ule" ; d^ Buckeibvck oder di* 
BacUjohonnäs. Kur sein Vater war BScker. Der erste Name 
ist daher wol nur ererbt, d. h. sein Vat«r dürfte auch schon 

!lig gewesen sein, 




volksliiinlichi'ii Poi 



oberliudi sehen Sin dl 



>S3 



Schädel: <i* Wasserkopf: lU Fieehki^f; s'S/iiiihhti, oder 
(/j Spilskopf, Schuiapitznftiue, später mehr = s'l^pinnhinj (sielif 
g 110); ds Zifimder, der einen sehr dicken, zylinderfönnigen(!i 
Kopf hat, (/.) Kopße, der bei kleinem Körper einen unrerhültnis 
mäßig grollen Schädel besass — mbd.: Schedd, Schedetin(?J. 
ferner Bo/tim, Bockshitiü, Bocsclicdd, Socin; DuUenkopf, im 
Hegau noch bekannter Geschiechtsnanie , von Doble; Kwkopf: 
Ganslopf 1492; Mitck<-n.hirn, Gw/rfkim: bei Bück, vgl. Gttgef- 
fritz, ein Schimpfnamen in der Zimmerschen Chronik; Gross- 
lopf, Jiosskopf, Mone S. 83. 

Augen: s'PfiuJt/rndle, die auffallend hervorstechende An- 
gen (so groll wie ein Pflugrädchen !) hat; d-i SibiÜig Knt-fj 
= J. Krug; ds schülif} Ed^wait, das eigentlich kein Schimpf- 
wort ist, denn er wurde allgemein bedauert und bemitleidet. 
Vgl. ahd, Otto der scMlekenta, Socin S. 458; sogar schon 
anord. Finur slialtfl. Stark S. 15b; femer „der einäugige 
Fidele', berüchtigter schwäbischer Gauner; die Bock äugig, Bir- 
linger tl S. 430. 

Sonstige Körperteile: d'Spccl^ta»s3, der von Geburt auf 
eine dicke, häsaliche Nase hat, wol Schnlname; vgl. Anhang 
No. 22; dj Kurshaah (mhd. Hartwich Cliurzfuds Stark S. 153 
Anm. No. 2); rfj Lnngohr, 1435: Langmtihrli bei Ruck, d.i 
Lätschmnrir, weil er weit vorspringende, r(isselartige Lippen be- 
sass — Latsch allgemein = verzerrter Mund — da Liitschjosej)p. 
nach dem Tode des erateren meist einfach = rfj Lutsch: (/.' 
Fidilfwirt , ein sehr magerer Wirt mit schmalem Podex; rf;> 
Firdsdiek, das Gegenteil vom Vorigen; d> Fidhhirle, Sohn des 
letzteren; s'dkk FidiJ, eine ganz besonders dicke Frau (vgl. 
Mttendkkb, Mone S. 83). 

!• In diesen PSIIen haben wir meist die Metapher pars pro totn ! 

i. Die Kühne gaben bexeichneuclerweise keine Veranlassung xu »chent- 
liaften He in innen. 

§ 74. Die Beschaffenheit und Farbe des Gesichts 
und der Haare sind auch Schuld an gar manchen Spottnamen, 
die daher ein eigenes Kapitel verdienen. Dabei mag auffallen, dass 
der Bart aber nur eine bescheidene Rolle spielt, während er 
doch nnsern Vorfahren manchen Stotf zu Übernamen lieferte. 
Bei Socin z.B. kommen vor: Bart, IJcrtlin, Geizebart, Hechelbart, 
Sterzfilitirt, Bosstitirtio, Rofpaii; s. auch Pott 



'echelhart, Jj 



224 Bertsche 

1. Gesicht: d9 Gä<d, der die Gelbsucht hatte; (U Maser 
von Masern = Mäs9r^; vgl. Maser im mhd., Socin; d'Larv^ 
= wüste Maske, der nicht bloß schwarze Haare, sondern auch 
einen ganz dunkeln Teint hat — auch Name einer gelben Kuh 
mit schwarzen, brillenartigen Flecken um die Augen — ; d<f 
Neger oder Riffdneger = dd Bonjur, alter Junggeselle mit 
rabenschwarzem Haar, dazu mager und unsauber, hiteslich (wol 
Schulname; vgl. mhd. dictus Mor.); dd Schwa(r)z (ebenso; auch 
= d<^ Mohr^wirt, obgleich er nur kurze Zeit bloß Kellner war; 
1703 „Jakob Guoth, schwarz Jokch", im Gegensatz zum gleich- 
zeitigen sogenannten Gehrenjoicch (§ 33, la). 

2. Haare: dd Korddfux, rothaarige Tochter des sogenannten 
Korddengdf die zudem als schlaue Händlerin und Bettlerin un- 
beliebt war (mhd. öfters FuchSy FuchseUCn)^ Socin; vgl. ferner 
Anhang No. 17, 1 u. 2); da Nepplerapp, eine Frau Nepple, 
auch = d'Napplin mit schwarzen Haaren, Rapp = Rabe; vgl. 
mhd. di<itis Rappe; d^ Wiskopf, der schon in seiner Jugend 
schneeweiße Haare hatte, daher wol Schulspitzname; ddWishärle, 
ein kleines Männchen, wie vorhin; vgl. mhd. Wisherlin, und 
öfters Wisso und Albus, Socin; Weysshauptly Mone S. 83; d» 
SclmaujzhaHkaschper, mit ungeheurem Schnurrbart = Schnautzbarr. 

Man vgl. die Gaunernamen bei Birlinger H S. 411 ff.: Der braune 
Nikolaus, ,J. L. vulgo der Blaue; der Rothe, der rothe Hechel spitzer: 
„des schwarzen Martins Theres*, der schwarze Mattis, . . . habe schwarze 
Haare und einen Zopf, ... ein schwarzbraun Angesicht, . . . trage schwarz- 
lederne Hosen und Schu**, „der gehle Maties; Jakob E.. so sich sonst 
schwarz Jäkle nennt**. 

(Fortsetzung folgt.) 



Preibnrger Bniclistück 
einer mitteldeutsclieii Stephanuslegende. 

Von Fridrich Pfaff. 

Unter vielen im Laufe langer Jahre von wurmstichigen oder 
sonst schadhaften Bucheinbänden abgenommenen Handschrift- 
bruchstücken der Universitätsbibliothek zu Freiburg im Breisgau 
fand ich neben dem in dieser Zeitschrift, N. F. IV S. 192, an- 
gekündigten Willehalmbruchstück auch den folgenden Text, Es 
ist der Rest einer Pergamenthandschrift etwa vom Jahre 1300, 
die in der Breite 13 cm maß, deren Höhe nicht festgestellt 
werden kann, da nur der untere Abschnitt eines Doppelblatts, 
6 cm hoch, erhalten ist. Und auch von dem ersten Blatte (unten 
1 und 2) sind nur 8 — 8,3 cm in der Breite vorhanden, der äußere 
Teil ist abgeschnitten. Jede Seite enthält sechs Zeilen und Spuren 
einer weiteren. Das Doppelblatt war wol das innerste einer Lage, 
wie sich aus dem Text zu ergeben scheint. Die äußere Seite 
war mit Leim auf dem Buchdeckel angeklebt, ist jedoch, wie 
die ganze schöne, große Schrift überhaupt, gut lesbar, trotzdem 
das Pergament auch viele Wurmlöcher aufweist. 

Die Sprache des Bruchstücks ist mitteldeutsch. Bei dem 
geringen Umfang des Texts werden sich bestimmtere Schlüsse 
nicht ziehen lassen, ü bezeichnet nur m, und zwar u und md. n 
= hd. no\ düginde 1, 2, gedultic 2, 5, fürsprechin 4, 3, umhe 4, 6, 
firmü 2, 4, (femütis 2, 6. 

Der Wortschatz weist einige Altertümlichkeiten auf. So 
^miankunne 1, i, schinie 1, 2 intehitln 3, i. Der Text ist demnach 
"weit älter als die Handschrift. 

Der Inhalt des Bruchstücks entspricht etwa den Haupt- 
stücken 5 — 7 der Apostelgeschichte. Da auf der ersten Seite 
offenbar auch die Vorgeschichte des Auftretens des hl. Stephan 
erzählt ist, könnte ich das Ganze wol auch ^Bruchstück einer 

Alemannia N. F. 6, 3. 25 



226 Pfajff 

altdeutschen Bearbeitung der Apostelgeschichte" nennen. Eine 
solche ist jedoch nicht bekannt; wol aber gibt es eine Anzahl 
von Bearbeitungen der Stephanuslegende, und zwar stets als 
Teil von Heiligenlebensammlungen. Nach diesem Beispiel kann 
auch wol die Handschrift, der unser Bruchstück angehört, eine 
solche Sammlung enthalten haben. Jedenfalls hat die Erzählung 
durchaus Stephan als Mittelpunkt. 

Keiner der mir bekannt gewordenen Stephanustexte stimmt 
zu dem Bruchstück. Vor allem nicht die Apostelgeschichte. 
Sie erzählt nur, dass die Zwölfe aus der Mitte der Jünger unter 
sieben bewährten Männern auch den Stephan us, einen Mann voll 
Glaubens und heiligen Geists, voll Gnade und Kraft, als Pfleger 
aufgestellt hätten. Und dann folgt die Erzählung seines Wunder- 
wirkens, seines Auftretens vor dem Synedrium und seines Be- 
kennertods. 

Dasselbe berichtet der lateinische Text des Jacobus a 
Voragine^ 

Das wie unser Bruchstück mitteldeutsche Heiligenleben des 
Hermann von Fritzlar beruht in dem Stephan gewidmeten 
Abschnitt auf der Apostelgeschichte, die es noch bedeutend 
kürzt*. 

Auch die Predigten vom hl. Stephan, die Schönbach ver- 
öffentlicht hat, zefgen keinen Zusammenhang mit unserem Text'. 

Ferner ist auch der Abschnitt 4 „von Stephanus einem 
mertirer" des Passionais nicht verwandt*. 

Wie es scheint, ist auf Seite 2 unseres Bruchstücks Stephan 
dem hl. Paul gegenübergestellt. Von Stephan wird sein sanftes, 
geduldiges Gemüt gerühmt, während Paul — damals ja noch 
der Verfolger Saul — zu dessen Füßen nach der Apostelgeschichte 
die Steiniger des ersten Märtyrers ihre Kleider niederlegten, 
„eines brennenden Gemüts" war. Die Erzählung ist fließend 
und schön. Dies macht es besonders bedauerlich, dass nur so 
geringe Reste erhalten sind. 

Das Bruchstück trägt jetzt unter den Handschriften dex 
Universitätsbibliothek zu Freiburg im Breisgau die Nummer 5ftV). 

* Legende auroa. Rec. Graesse. Ed. II. Lipsiae 1850. S. 49— 5fi- 

* Deutsche Mystiker hg. v. Pfeiffer. 1. Leipzig 1845. S. 84 — ^6. 

* Altdeutsche Predigten, herausg. von 8chönbach. Graz 1886 — löV'I. 
I. UX; II, 19; III, 14. 

Hinsgeg. vonKöpke. Quedlinb. Bibliothek XXXII. 18o2. S.87 — ^^S. 



i 



Freibarger Bruchstück einer mitteldeutschen Ötephanuslegende 227 

1. mankunne. vn irluhte dif . . . 
[chime d^ heiligen düginde. u . . . 
unzirgendichem lihte. Ru . . . 
wände un dir gotif [un wol . . . 
himele zu unf in den kerkir . . . 
daz er unf irloHe uon d' geu[a] . • . 



2. 



[Sfe [feph] ^ 

uPuzwendic dar kum. zu 
n beide edile. nach dir weite. 
[n] sitin harte miflich und' ein an- 
han d' waf ein! femftin gemü- 
gedbltic. So waf fanti pauluf 
[n] pn ein! brinnenden gemfttif. 



[zichite] ein bo- 

e ende, daz Fie (ich intebitin drane. So waf in 
ab' fanti pajil^ alliz wid'e. Do die zwelf bo- 
tin do u^nam fanti ftephanf rede, do befantin 
si in. vn undir rihtitin in des gelobin. pn ge- 
touftin in pii wart ein irweltiz uaz des hei- 
ligen geiftef. pn irweltin fie in zu ir dienifte. 

4. d a[iuda7] . . . [h] 

uerlifen danne and' meindetere. Do q^men fie def 
in groze angift pn irkurn fante ftephan. zu eim 
für fprechin. daz er fie folte intredin wid' den 
h'rin. daz fie niht hetin folichif getan, wi er ein 
driger were. pn hete diz lant Pir kerit. Do sp^ch 
fante ftephan. daz fie einef hriftef g'ten ümbe 



15 



Noch einmal der Name Achalm. 

Von Jnlius MiedeL 

Auch mich hat der seltsame Name Achalm schon mehrfach be- 
schäftigt. So gut nun Dr. K. Uibeleisen im V. Band (1904) dieser 
Zeitschrift auf S. 141 ff. seine Herleitung von einem altdeutschen 
Personennamen Achalm verficht, so hat sie mich doch wenig 
befriedigt, und ich erlaube mir daher, einen andern Versuch der 
Öffentlichkeit zu unterbreiten. 

Mit Recht weist Uibeleisen die landläufige Deutung „Alm 
an der Ach" sowie die Bacmeisters aus einer unerklärten vor- 
germanischen Form Äcallum und Bucks „Achluilden^ u. ä. zu- 
rück. Aber auch Ludw. Laistners Annahme, der Alem. X, S. 67 
an das mnd. ecJcel = Beule jdenkt und meint, es könne die Vor- 
stellung der Anschwellung auf den Berg übertragen sein, ist 
gar zu weit hergeholt \ H. Fischer im Schwab. Wörterhucli 
I, S. 89 neigt bei der Sichtbarkeit des Bergs auf weite Ferne 
neuestens wieder dazu, den Namen für vordeutsch zu halten. 

Und doch hat er entschieden deutschen Klang. Darum ist 
wol auch Uibeleisen auf seinen Personennamen Achalm gekom- 
men. Nun sind freilich Berge, die scheinbar Namen von Per- 
sonen tragen , nicht gerade selten. Eine alte Bildung wie die 
des mons qui vocatur Eburharti mons (im Saargau, trad. 
Wizenb. bei Zeuß 204, i. J. 851) ist so leicht verständlich wie 
manche ähnliche neue, etwa Wilhelmshöhe. Andere wie Hans- 
jörg, Patrich (nur so lautet der Name in der Umgegend) e^ 
klären sich als Übertragungen von einem daran liegenden Hof- 



^ Der Euriositit halber aeMii hier noch die andern mir bekaonteo 

älteren Erkli«^ ^uit: AMwlm = Achhelm, d. i. Helm, 

Schutz d*^ = Agd, d. i. Ähren — , dann Berf' 
gpitce 



NocL einiiiBl der 



p Aülialm 



229 



nnnien: der Berg über dem Hof des Hansjörg. Ähnlich iata 
mit solchen, wie Roseuegger, Blender (bei Kempten), an deren 
Abbang die Höfe Rosenegtr, Blenden gelegen sind und zu denen 
also einfach „Berg" zu ergänzen ist'. Der Torhelm und der 
Oerstenhalm sind einstweilen noch zu schleierlmft, als dass 
sie irgendwelche Beweiskraft haben könnten, Madersalm ist 
kein Berg, nur ein Weiler, und den Bucksehen Gotbalra ver- 
mag ich nirgends zu finden. Diese Gattung von Namen ist 
aber offensichtlich neueren Ursprungs, und schon dieser Umstand 
macht es zweifelhaft, ob bei Achalm ein Personenname ange- 
nommen werden darf. 

Dazu kommt aber noch die Form. Von alten Vollnamen 
männlichen Geschlechts werden tatsSchlich nur die auf boilo — 
Socin gibt jetzt auch noch zwei «uf liero an — schwach ge- 
bengt. Allein gerade die Formen mit Beugungsendungen sind 
bei der Achalm die alteren. 

Halten wir uns daher die Entwicklung der Namensform 
noch einmal vor Augen: um 1. 100 AcIk^ min, 12. und 13. Jahr- 
hundert Achalmcn, dann AcMnir, Achaln und Achalm, die Achai 
fd'Achl), auch Acheiberg; in der Schriftsprache hat sich das 
vollere „die Achalm" behauptet, überall marschiert an der Spitze 
ein deutliches Acli. 

Hat nun am Ende der Zwiefalter Chronist Ortlieb mit 
seiner Bemerkung „mons a praeferfluente rivo Achalinin voca- 
tur" doch nicht so unrecht?' Hat er den Sinn des Bergnamens 
doch noch, wenn auch vielleicht nui' teilweise, verstanden, weil 
er ihn an ein Wasser anknüpft? Aber die Echatz kann er da- 
bei freilich unmöglich gemeint haben; auf die hat man die An- 
gabe — vielleicht verfuhrt durch das wol ungenaue praeter- 
fiiiente — auch erst in neuerer Zeit bezogen. Noch Gratianus 
in seiner Geschichte der Achalm (Tübingen 1831) schreibt 
S. 7: „Der Name wird von einem vorbeifließenden Bach ab- 
geleitet. Dieser Bach, gegenwärtig ohne Namen, entspringt in 

' Ho hnt auch det vcrstDinmelte ächarfrelter an der bairiach-tiro- 
litchen Oreiize, iler im Vnlkemuad Schafreiter und bei Apian noch i^chaS- 
nitt«r heiUt, Beiaeu Nunen von einer unterhalb liegendeu .Scliafreute. 

' DuH Bedenken, ilass er von einer urbs apricht, die Graf li^ioo ge- 
t habe, lOHt sich cinfauli, wenn man annimmt, dasB urba wie auch oft 
X Sinn von Burg gebinucht ist: heitlt es ja bald hernach cum 
tf'AdMlmin diclo. 



J 



230 Miedel 

der Nordseite der Achalni, in der Waldschlucht Dobel, fließt an 
der Wurzel des Bergs nach Sondelfingen herab und erhält dann 
erst den Namen Reichen- oder Reihenbach." Dieser Reichen- 
bach , . der seinem Namen nach zu schließen , reichlich Wasser 
haben muss, entsteht übrigens — ich kenne die Örtlichkeit leider 
nicht und kann daher nur nach der Karte urteilen — aus zwei 
Rinnsalen, die sich kurz vor der Straße Reutlingen — Metzingen 
vereinigen. In Sondelfingen kommt noch ein zweites Bächlein 
hinzu, das östlich unterhalb der Kalten Herberge vorbeifließt 
und gleichfalls der Achalm entquillt. Gen Osten geht sodann 
der Eninger Bach, der dem Arbach (einst Marcbach) zueilt. Süd- 
westlich finde ich zwei Wässerlein herauskommen, die Reut- 
lingen zufließen, und auch nach Nordwest zieht sich ein Rinn- 
sal dem bekannten Heilbrunnen zu, der 1713 gefasst wurde. 
Über den letzteren sagt Beger in den Gesamieten Nachrichten 
von dem vortrefflichen Gesundbrunnen bei Reutlingen (1761) 
S. 31: „Das von langer Zeit auf der wegen ihres binsigten 
Grases verschreyten . . . Wiese stehende, wegen seines Ge- 
stancks übel berüchtigte Wasser fand man aus hartem Schiefer 
hervorquellend ... Es waren zwei starke Quellen, welche 
sprudelnd und wallend eine Menge Wasser über sich heraus- 
gurgelten. Vier Monate darnach wurde in einer Entfernung 
von ungefähr 200 Schritten ein dritter Ursprung gefunden.*" 
Und in der Reutlinger Oberamtsbeschreibung (1824) heißt es 
S. 35 bei Erwähnung der Schwefelquellen auf den Ried wiesen: 
„Auch sonst dringt noch an vielen Orten und beinahe in jedem 
tiefer gezogenen Graben Schwefelwasser mit aufgelöstem Schiefer 
hervor." 

Also Fließwasser genug an den Hängen des Bergs, die 
eine Benennung danach rechtfertigen könnten. Es scheint, dass 
sie meist dem oberen Rand der Opalinustone, der untersten 
Schicht des braunen Juras, entquellen. 

Was ist aber dann der zweite Teil des Worts? Die ^All- 
mende" wäre doch nicht, wie Uibeleisen meint, sogleich von 
der Hand zu weisen angesichts der im Schweiz. Idiot. I, S. 190 
dafür auch nachgewiesenen Formen Aümein, Ällm^df Allm^j so 
dass ein Äch-aUmein, Ach-alm^ wol glaublich erscheinen würde. 
Auch das SchwSb. Wörterbuch verzeichnet je einmal Älman uod 
J^mat ^^iHiB mundartlich neben überwiegendem alm9d „auch" 

einmal eine Spur eines dentalen Auslauts bei 



Nocli einmal rter Nnme Achfllm 231 

der Aclialm beurkundet, so würde ich keinen Anstand nehmen, 
die Attmende als Grundwort anzusprechen. 

So aber muss noch ein anderes Grundwort gesucht werden. 
Ein solches verfolge ich schon länger in dem auf ahd. u-allan 
wallen, sprudeln zurückgehenden waliii = die Wallung, der 
Sprudel, die Quelle. Es steckt ziemlich sicher in den nassaui- 
schen Flurnamen Waime, tt'almsfiom , \VaBniena4^h , in der 
branden burgischen Walmntr, in dem Waliii»od des Uod. trad. 
Formhac. I, S. 747 von 1180, die also etwas Ähnliches bezeich- 
nen wie der Name Wnllenttenbrunitfi von 1012 bei Fürst. II ', 
1544: femer wahrscheinlich in Watbim-od (Nassau), 1313 Wal- 
metiroyäe und Wcdmshelm, abgeg. (trad. Formbac. S. 788), viel- 
leicht auch in dem Bergnamen Ahnen, der volkstümlich TVn/m«» 
heiüt (Kant. Zürich), und dem WuQenlxich, der an einer H'wfl- 
hcäde hinflieüt (bei Pfäffikon). Wer weiß, in wie vielen der 
zahlreichen Wallbrunnen und Wallbäche es sonst not^h versteckt 
ist! Zweifellos ein Wort, das so recht geeignet ist zur Bil- 
dung von Gewässernamen. 

Nimmt man also die Urform Aclueahnin au, so bedarf zu- 
nächst der Ausfall des te einer Begründung. Wie schon die 
Entwicklung von ahca zu nira und oiia neigt, wich bei der 
Lautverbindung hiv bald der erste, bald der zweite Laut, wie 
denn bis ins späteste Mittelalter herein Formen wie Ampferarh 
— Ampffraite {beides noch im 15. Jahrhundert!), Kai^ahe — 
Xassawe, Scluntacb ~ Schonawe, AhiwincHn — Auwinkel u. dgl. 

I nebeneinanderstehen. So sehen wir einerseits Vlacii-ilTe zu 
tlaivU (St. Gallen», Ahewilhre zu Aehicihr werden (jetzt Ehn- 
weier im Elsass geschrieben); anderseits verklingt das te z. B. 
in der Eichel (Nebenfluss der Saar): 713 Aquila, schon 788 
Aehiüu, deren Gau 84(5 Athilgouiui genannt wird. Bekannter 
ist die letztere Erscheinung in Wörtern wie eihltorn ^actvern, 
tnorhala < »lorhwnlu, burgaerc < hargware, Echart < Echvart, oder 
ifi/iati^leihvan, si'hun (_ saUtvan usw. Nach Braune ahd. Gr. 
§ 109 A. 4 schwindet im Anlaut des zweiten Teils von Kompo- 
eiten das ir überhaupt gern; ich erinnere nur an die Personen- 
namen auf (cöW, H-dlf. Grund hierfür mag der halbvokalische 
ICarakter des w sein, der in der Form Achunlniin über Achutd- 

I min, Achoulmin von selbst zu Adialmin fuhren musste. 

L Die Endung des Namens ist wie allenthalben in Ortsnamen 

b^^pfttiv, und zwar Inder Mehrzahl: *en Achuhiihi ~ bei den 



232 Miedel — Noch einmal der Name Achalm 

Wasserquellen; ob damit nur eine der angeführten oder alle 
zusammen (also „der an Quellen reiche Berg") gemeint sind, ist 
gleichgültig. Das i der Endung erklärt sodann den zuweilen 
im zweiten Teil erscheinenden Umlaut, der aber gemäß der 
Mittelstellung des Schwäbischen zwischen fränkisch und ober- 
deutsch vor l + Kons, nicht durchdrang. Dass sich bei der 
Lage des Haupttons auf der ersten Silbe die letzte verflüchtigen 
musste, ist weiterhin auch einleuchtend und der Wechsel von 
m und n im Auslaut gleichfalls eine häufige Erscheinung (vgl. 
tagum > tagun, tum > türm u. fi.). Der Volksmund ging noch 
einen Schritt weiter und warf auch noch diese Laute ab: die 
Achel. Und das Geschlecht? Mit dem ists gegangen wie bei 
Ähre, Sitte u. a. : aus der Mehrzahlform entstand, als man sie 
als solche nicht mehr fühlte, die weibliche Einzahlform. 

Nun bliebe nur noch übrig zu erörtern, ob denn eine 
solche Benennung sich auch anderwärts findet. In Deutschland 
kenne ich keine; aber was ich beim Studium der ausgezeichneten 
Schrift Dr. H. Middendorfs, Altenglische Flurnamen, nach 
engl. Urkunden vom 7. bis 11. Jahrhundert (Würzburg 1899 
und 1901, Halle 1902) vor einiger Zeit fand, machte mir die 
Richtigkeit meiner Deutung zur Gewissheit. Dem ahd. aha 
entspricht ags. oe, dem ivalm ags. wylm ; nun lesen wir a. a. 0. 
S. 9: ao 726 tse^ian cewylm, 798 Craeges ceuudmn, aeicdmts 
hangray 932 (HerdweUys) aewylm und 931 crf Awilme als Flur- 
und Ortsnamen — also eine ganze Anzahl englischer Achalm! 
Ein neuer Beitrag zu den oft überraschend nahen Beziehungen 
zwischen den alten Sachsen und den Schwaben, hinaufreichesd 
in jene graue Vorzeit, da sie noch Nachbarn waren. 



'fr. 






Sprachliclies aus den Senatsprotokollen 
der Universität Freiburg. 

(17. Jahrhundert.) 
Von Hermann Mayer. 

Sehr häufig kommt im 17. Jahrhundert vor: NN soll mit 
einem gehörigen Filzen^ bestraft werden. Nach Grimm, 
Deutsches Wörterbuch III S. 1633, ist es soviel wie Verweis, 
nach Sanders, Deutsches Wörterbuch I S. 443, derber Ver- 
weis. Übrigens kommt es schon in früherer Zeit vor. Lex er. 
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch III S. 351 zitiert aus der 
Zimmerischen Chronik III S. 584, 19: einem einen gueten filzen 
lesen = den Marsch machen. Der Bedeutungswandel ist aus 
den angeführten Wörterbüchern (s. oben) zu ersehen und voll- 
ständig klar. 

Dagegen finde ich in keinem der bekannten Wörterbücher 
einen andern Ausdruck, vielleicht von demselben Stamm. Am 
13. Mai 1675 findet sich folgender Eintrag: Andreas Müller 
metaphysice Studiosus bittet vmb ein Beifils ad gradum magi- 
sterii halten (?) pro convivio. Was das Wort bedeuten soll, ist 
aus dem Zusammenhang klar. Es ist bekannt und wird gerade 
in jener Zeit häufig Klage darüber geführt, dass die Kosten der 
Feierlichkeiten bei den Magisteriums- und andern Promotions- 
festen für ärmere Studierende meist unerschwinglich groß waren, 
80 dass von solchen oft um Erleichterung (Erlassung eines 
Teils des Aufwands, Einschränkung der zum Festmahl zu laden- 
den Ofiste u. ä.) oder um einen Beitrag als Unterstützung 



' Mitunter auch mit tz gcschrieb(»n, z. 1^. 18. Dezember 1675 : Weilen 
Torkommen, dass ettlichc studiosi nuch nit immatriculiert, da doch solche 
gwmahnt, conclasum: sollen mit einem Filtzon bestraft werden. 



234 Mayer — Sprachliches aus den Senatsprotokollen etc. 

gebeten wird. Zum Überfluss stehen a. a. 0. im Senatsprotokoll 
die Worte „vmb ein Beifils" anstelle eines durchgestrichenen an- 
gefangenen pro stip[endio]. 

Aus der Studentensprache scheint der Ausdruck nicht zu 
kommen. Ich finde bei Kluge, Deutsche Studentensprache, 
Straßburg 1895, nur Filzität, offenbar im Sinn von Kargheit, 
Geiz (S. VIIL auch bei Grimm erwähnt III S. 1637), und 
zwar im 17. Jahrhundert; und Filz als Biername in der Trunken- 
litanei vom 16. — 18. Jahrhundert (S. 23). 

Vielleicht weiß einer der Leser dieser Zeitschrift Aufschluss 
über die Etymologie des Worts zu geben. 



Notiz über Heinrich Louflfenbergs 
Gesundheitsregiment (1429). 

Von Karl Baas. 

In seiner Monographie über Heinrich Lo u ff enberg schrieb 
Ed. Richard Müller, dass das von jenem 1429 zu Freiburg 
verfasste Gesundheitsregiment, welches handschriftlich in Mün- 
chen aufbewahrt wird, bis jetzt nicht gedruckt sei. Da Müller 
die ganze Literatur über den Dichter verarbeitet hatte, die der 
gleichen Meinung w^ar, so forschte auch ich nicht weiter da- 
nach, ob unter den vielen von dem Mittelalter überkommenen 
und am Ausgang desselben zum Teil gedruckten Regimina sani- 
tatis sich nicht doch eines finde, das auf Louflfenberg zurück- 
ginge. — Ein glücklicher Zufall ließ mich nun die letztere 
Frage im bejahenden Sinne beantworten. 

Auf dem hiesigen Stadtarchiv wurde mir jüngst eine bis 
dahin nicht weiter beachtete Inkunabel vorgelegt, die den Titel: 
„Versehung des leibs" trug und welche nach Angabe des letz- 
ten Blatts war „Gedruckt czü Augspurg in dem LXXXXI. jare". 

Schon die der Überschrift folgende Inhaltsangabe der Ein- 
leitung machte mich stutzig; als ich dann das in Versen geschrie- 
bene Werk überlas, sagte ich mir sofort, dass dasselbe Hein- 
richLouffenbergs Gesundheitsregiment sei, welches mir ja 
durch das Studium der Münchener Handschrift und das teilweise 
Abschreiben derselben gut im Gedächtnis haftete. In der Tat 
bestätigte der Vergleich der beiden Texte alsbald meine Mei- 
nung: von unwesentlichen Unterschieden abgesehen, erwies sich 
der Augsburger Druck als völlig übereinstimmend mit 
dem uns in der einen Handschrift bekannten Regimen 
sanitatis unseres Freiburger Dichters. 



236 BaaB 

Wolfg. Panzer hat in seinen Annale» der älteren deut- 
schen Literatur, 1788, die Inkunabel verzeichnet und beschrieben; 
in seinem Repertoriiim bibliographicum wiederholt Hain ledig- 
lich dessen Angaben. Dass beide aber den Verfasser nicht an- 
geben konnten, hat darin seinen Grund, dase der unbekannt« 
Drucker das Schlussrütsel des Qedichts weggelassen hat, in 
welchem als Akrostichon der Name Heinrich LoufTenbergs ge- 
nannt ist. Vielleicht verstand er diesen Sinn der letzten Verse 
nicht mehr oder aber er wollte die Herkunft seines Werks 
nicht nennen; lediglich die Jahreszahl 1429 melden noch die 
Endzeilen des Drucks. 

Als durchgehenden, gußerlichen Unterschied des letzteren 
Ton der Hünchener Handschrift bemerke ich die lautlichen Ver- 
schiebungen in Konsonanten und Vokalen, wie sie der Sprach- 
entwicklung zuzuschreiben sind, so dass z. B. steht; „auch, 
dein, säumen, one, lassen, zum, arczet, blut, apritl, monat' 
statt: „ouch, din, sumen, ane, lossen, zem, arczot, plut, abvrelle, 
manot" u. dgl. m. 

Ferner hat der Druck an Stelle der in der Handschrift nur 
mit Worten angedeuteten Bilder diese selbst in mit wenigen 
Ausnahmen genauer Übereinstimmung derselben mit jenen An- 
gaben. Zur nachträglichen Illustration der Textproben aus 
Louffenbergs Gedicht, welche ich in dieser Zeitschrift (XXI 
S. 41 ff.) gegeben habe, setze ich hier die Darstellungen der 
vier Temperamente her. 





Sang«i.,ic„.. 

loh bin von Art ein frSlicIi im 

" KAttem blAt das ich ban. 



ilW Hpiiiricli Luiifffiibcrss lli'sniiJheitarpgimciit (1429) 237 




Ich hin von lortn ein gathor man Ich bin ein «iättig traurig tuan 

□b irh jncb nitze und list^ han. anA kdn niütt nodi frSde han. 

Die erklärenden Verse unter den Bildern sind auch Zusätze 
des Drucks, der im übrigen nur im ersten, astrolopisch-astro- 
nomiBchen Teil von der Handsclirift dadurch abweiciit, tlass ea 
manche Tabellen nicht hat, wfthrend andere in den Zahlen ge- 
Andert und dazu mit Erläuterungen zur Benutzung und dem Ver- 
ständnis derselben verseben sind. 

Von Interesse ist schließlich, daas sich im vierten Haupt- 
teil, in dem Abschnitt: „Hie merke, wie , . .', welchen ich auf 
S, 43 abgedruckt habe, ein Vers findet, den das Sllinchi 
Manuskript ausgelassen hat. Nach 

„Der mfntschen Iphen stat uar lijil* 
heint es im Augsburger Druck: 

.Es kost haut und ui 

Wie ich an anderer Stelle 
zeigen werde, so beweist diese Aus- 
lassung gleichfalls, dass die Mün- 
cbener Handschrift eine Abschrift 
des verloren gegangenen Original- 
tnanuskripts ist; wir sehen abei 
ferner aus dieser Abweichung des 
Text«, der zur Zeit der Herstellung 
des Drucks des GesundheiCsiegi 
ments Heinrich Loutfenbergs in 
mehrfachen Exemplaren vorhanden 
gewesen sein muss, Ton denen 

Jedoch nur die eine, in der Hof- und Staatsbibliothek zu Münciien 
aufbewahrte, Abschrift bis auf unsere Tage gekommen 




d 



Die Pflege der Volkskunde in Baden. 

Von Oskar Haffner. 

(Fortsetzung.) 

Nachstehend folgt ein Verzeichnis der Orte, von denen Be- 
antwortungen des Fragebogens eingegangen sind. Die Gemeinden 
sind nach Kreisen, von Konstanz beginnend, geordnet, die andere 
Reihenfolge ist alphabetisch.. 

Die Beurteilung der einzelnen Beantwortungen soll lediglich 
den Zweck verfolgen, anzugeben, in welcher Weise über die 
einzelnen Orte berichtet ist, soll also keine allgemeine Zensur 
enthalten. 

Folgende Abkürzungen sind verw- endet: Abergl. = zeigt, 
dass hier im allgemeinen über Aberglauben berichtet ist; allg. 
= allgemein; Ausdr. = Ausdrücke; ausf. = ausführlich; ausgez. 
= ausgezeichnet; Bearb. = Bearbeitungen; dürft. = dürftig; 
Kirchl. — Kirchliches; lückenh. = lückenhaft; Nachtr. = Nach- 
trag; Pfr. = der Verfasser ein Pfarrer; reichl. = reichlich; 
s. = sehr; spr. = sprachlich; teilw. = teilweise; v. Lücken 
= viele Lücken; (!) wichtig. 

Die einzelnen Ziffern beziehen sich auf die Nummern des 
Fragebogens (Blätter 1, S. 6 u. 7). 

I. Ereis Eonstanz. 

1. Amtsbezirk Engen. 

1. Hilzingen. 1; 2. 

2. Riedheim. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, c; lim; 12 ab, ac, ae— ah, ca, 
cd, d; 13 a, d — f, i, 1, m; kurz. 

H. Thengen. 1; 2; 4; 9 b, c; 11c, f, n; 12 ae — ag, cd; 13 e, g, i; dürft, 
u. ungeord. 
Aus dem Hegau. 9 b; 12 d. 

8. Amtsbesirk Eonstans. 

1. AUenabach, 1—4; 6; 8; 9 b, f; 11 i (spr.) vgl. 13 c; 12 ae, cc, cd: 
13 a, m; kurz. 

2. Allmannsdorf. 1 — 4; 6; 8; 12 ab, ad, d; 13 a, b, d, f— 1; alles s. kan. 

3. BoMingen. 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, f, g; Ha, b, e, g, h-k, m; 
12 ad, af — ah, ba — bc, ca — cd, d; 13 a — l; gut, 

4. Freudenthal 1—4; 7; 8; 9 a; 11 d, f, m; 12 ab; s. unvollst u. dürft. 

5. Goitmadingen. 1—4; 0—8; 9 a (allg.), b (allg.), f ; IIb, f ; 12 ab, ad, d; 
8. dürft. 



Die Pflege der Volkskunde in Baden 239 

6. Konstanz. 1—8; 9b— d, f: 11 (allg. Abergl.); 12 af— ah, bh, d; 
13 a — m; s. gut. 

7. Markelfingen, Nur 9 b, aber reichl. 

8. Badolfszell 2; 9 b, c; 12 bb; 18 i, 1: v. Lücken. 

9. Bandegg. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, f; 11 a; 12 ab, ad-ab, bb, cb, 
cd; 18 a— m; gut, z. kurz. 

10. Beichenau. 1—4; 6 — 8; 9 a (allg.), b, d, f; 12ad— af, bc, cb, cd; 
kurz, V. Lücken. 

11. Singen, 1 — 8; 9 a— c, f; 12 d; teilw. gut, v. Lücken. 

12. Überlingen am Bied, 1; 3; 6; 9a (allg.), b; s. dürft. 

18. Wollmatingen. 1 — 4; 6 — 8; 9a, b; IIb, i (spr.); 12aa— ah, ba — bc, 
ca— ce, d; 13 a— n; alles s. kurz. 

8. Amtsbezirk Messkircli. 

1. AUheim, 1 — 4; 6—8; 9 a (allg.); 11 b, c, f, k, m; 12 ab, ae, cb, cd, 
CO, d; 13 d, e, i, m (vgl. 9); teilw. dürft., 11 gut. 

2. Bietingen. 1—4; 6—8; 9 a; 11 (allg. Abergl.); 12 d; höchst dürft. 

3. Bdl 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, c, e, f; IIa; 12 ab, ac, ae— ah, 
ba— bc, cc — ce, d; 13 a — f, h, i, 1; s. kurz. 

4. Engelvcies, 1 — 4; 7; 8; 9a (allg.), b, f, 11 a, i (spr.); 12 ab, ae, af, 
ce; 8. dürft. 

5. Gutenstein, 1 — 4; 6 — 8; 9a, b; IIb, d, i (spr.), k, m; 12 ab, ae — ah, 
bb, bc, ca, cb, cd, d; 13 a — i, 1, m; s. gut. 

6. Hartheim, 1 — 4; 6 — 8; 9a (allg.), b, f; IIa, c, d, k; 12 ab, ae — ah, 
cd, d; 13 a, d — f, h, i. k; Lücken, mittel. 

7. Hausen i. Th. 1 — 4; 7; 8; 9a, b (reichl.), g; IIa — c, i (spr.), m; 
12 ab, ae — ah, ca, cc, cd, d; 13 a — i, m; mittel. 

8. Hainstetten, 1—8; 9 a (allg.), b, d— g (!); 12 ab — ae; 2 Bearb.; gut, 
aber Lücken. 

9. Krumbach, 1 — 4; 6 — 8; 9 a, b: 11 a, b, i (spr.); 12 aa, ab, af, ag, 
bb, bc, cd, ce, d; 13 a — f; gut. 

10. Langenliart, 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, f; IIb, i (spr.), k, n: 12 ab, 
ae, af, ah, cb, cd, d ; 13 f; dürft. 

11. Leiberdingen. 1 — 4; 7; 8; 9 a (allg.); 12 ab, ae, af, ah, cd, d; 13 a, 
d, e; s. dürft. 

12. Menningen, 1 — 4; 7; 8; 9 (allg.), b, c; IIb, d: 12 ab, ae— ah, ba— bc, 
ca — cd, d; 13 a — m (reiclil.); gut. 

13. Messkirch. 1—4; 6— S; 9 a (allg.), b-d, f, g: IIa— f, i, k. m; 12 aa, 
ab, ad — ah, ba — bc, ca — ce, d; 13a— i, 1; alles s. gut. 

14. Oberglashütte, 1—4; 6—8; 9 a (allg.); 11 b, d. e, k, m, n; 12 ab, ae— ah, 
bb, cb, d; 13 a — 1 (reichl.); ^ut. 

15. Bast, 1—4; 6— H; 9 a (allg.), b-d, f; 11 a. b, i (spr.); 12 ab, ad— ah, 
bb, bc, cb — cd, d; 13 a, b, d, h, i, m; mittel. 

16. Bohrdorf, 1—4; 6— S; 9 b; 12 ab, ac. ae- ah, ba— bc, d; 13 a— i (s. 
reichl.); gut. 

17. Sehwenningefif 1: 3; 4; 6—8; 9 b, f; 11 d, m; sonst fehlt alles, kurz. 

18. SetOmhart. 1; 3; 4; 6; 12 ae, ah, ba, cc, d; 13f, i; überaus dürft. 



240 HaflTner — Die Pflege der Volkskunde in Baden 

19. Wasser. 1 — 4; G— 8; 9 a (allg.),.b; 12 ab, ae, ag, ah, ba (spr.). ca, 
d; 13 a, b, d, f; s. dürft. 

20. Womdorf, 1—4: 6—8; 9b, f; IIa, b, m; 13a— e, g— i, 1, n (gut): 
mittel. 

4. Amtsbezirk Pfnllendorf. 

1. Bethenbrunn. 1 — 4: 6 — 8; 9 a (allg.), b, c; 12 ab, ac, ae^ah, ba, 
bb, cd, d; 13 a, b, d — 1; mittel. 

2. Grossschönach. 1 — 3; 7; H; 9 b, c, f, g; 11 c, d, f (Abergl.); 12 aa, 
ab, ae, af, d; 13 a, d — m; gut. 

3. Heiligefiberg. 1 — 4; 6 — 8; 9a (allg.), b, f; IIa (Beilage, gedruckt): 
12 ab — ah, ba; 13 a, d, e, g, h, i, k, 1; kurz. 

4. Herdwangeii. 1 — 4; 7; 8; 9 a (allg.), b, d, f; 12 ae — ah; bb, cc. cd, 
d; 13 a — d, i — m; mittel. 

'). Pfnllendorf. 1 — 8; 9 a, b, c, f; 11 d; 12 ab, ae — ah, bb, cd, d; 13 a, 
b. d, f, g — 1; mittel. 

6, Röhrenbnch. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, c; IIa, b, f (Abergl.); 12 ab, 
ae — ah, ba — bc, cb — cd, d; 13 a, d, e, g — 1; kurz. 

7. Zell a. A. 1—4; 7; 8; 9 a (allg.), b, f; 11 b, f, i (spr.); 12 ab— ag, 
ba, bb, ca, cc, cd, d; 13 a — k, m; gut. 

5. Ajntsbezirk Stockaoh. 

1. Bodman. 1 — 8; 9 a — d, f. g; IIa, b, m; 12 ab, ad — ah, cd, d; 13 a. 
b, d — k, m; gut. 

2. Eigeldingen. 1 — 3; 9a (allg.), b, d; IIa — d, h, i (spr.), k (spr.), m, 
n; 12 ab, ad, af, ah, ba — bc, cd; gut, a])er Lücken. 

3. Espasingtii. 1 — 8; 9a, b, f, g; IIa, b, f, i, m; 12 ab — ah, bb, cb 
bis ce, d; 13a — n (dazu einz. Wörter); alles s. gut; Nachtr. 

4. Gallmannstceil. 1—4; 7; 8; 9b, e, f; IIb, d; 12 ab, ae — ah: cb, cd, 
cc; 13 a — e, i; kurz. 

r>. Liptingeyi. 1 — 4: 6 — 8; 9a (allg.), b — d; lim; 13a, n; alles kurz. 
V. Lücken. Nachtr. 

6. Ludwigshafen. 1 — 4: 6; 8; sonst fehlt alles. 

7. Mänchhöf. 1; 2: 4: 8: 11 a, i (spr.); 12 ab, ae, af, d; 13 a — f, k; 
alles s. dürft. 

8. Nenzingen. 1—4; 6 — 8; 9a, b, d — f: 11 a, c, m (Abergl.); 12 ab, ad 
bis ag, d; 13 a, c-f, i, m; gut. 

9. Orsingen. 1; 4—8; 9a (allg.), b, c, f, g; IIa— c, f, g, m; 12 ab, ac. 
af — ah, ca, ce, d; 13 a. c — f, m; s. ausf. 

10. Beuthe. 1: 3; 4: 7; 8; 9a (allg.), f; 12 d; 13 a, d, m: s. unvollst, 
u. dürft. 

11. Stahringen. Nur 12 ae. 

12. Steissingetij Verweist auf eine andere Sammlung. 

(Fortsetzung folgt.) 






Die volkstümlichen Personennamen 
einer oberbadischen Stadt. 

Ein Beitrag zur Geschichte der alemannischen Namengebung 

von Karl Bertsche. 

(Schluss.) 

§ 75. Ein männliches Aussehen und dementsprechen- 
des Betragen bei Mädchen oder Frauen wird folgendermaßen 
originell gekennzeichnet : 

a) cb SchatzBseppl oder (U 3I(irsfsepply statt cV Schatzdscpp9 
oder -seff*) = Josepha — Sep^ü ist ein verächtlicher Name für 
Joseph — Tochter des J. Schatz vulgo Marse, die sich erst mit 
40 Jahren verheiratete; do Ma^bno, in der Schule == s'Miaiterle 
= Mtitterlein, s. § 76, die bis zu 37 Jahren ledig war; da 
Paultis, eine alte Jungfer, Paulina R. = d^ Kna^cl'j § 85, die 
, Meister" ist in einer Familie von Geschwistern, ledigen und 
verheirateten, auch verwitweten; do GocMjohann = d9 GocM, 
s. 92, 8, eine böse Schwätzerin, Johanna Seh. ; d^ Bcdhutz, die 
als Mädchen ihrem Vater = d) Bachwanger^ balbieren = rasieren 
half, ebenso ihre Schwester Balbina; daher wol die Scherzbildung. 
Sie war sehr ausgelassen und dafür stadtbekannt, weshalb sie 
auch mit dem folgenden kuriosen Fastnachtsvers aus den 40er 
Jahren verspottet wurde: 

Ex domini pace! 

S^Bachwangers Schtca(r)ze = schwarzgelookte Tochter des 

Wagners am Bache. 

B'Millerknädcht und d'HafnergaelU (die in ihrer Nähe 

wohnten) 
Ikmdr (tun ihr) d» Win uff d'Steg» stelle. 

D9 Moäett^ Vielleicht ist hier der männliche Artikel nur in An- 
Uiu^^iig ai^ ihren wol ersten Spottnamen do Schmisett gesetzt, 

AlemMnia N. F. 6, 4. ] (j 



242 Bertsthe 

bei dem er grammatisch geboten ist; ihrem Karakter entspricht 
er indessen vollkommen (vgl. § 76). 

b) D^ UnifnBry ungeheuer großes und herrschsüchtiges Weib 
aus Seitingen, Württemberg, gebürtig, wo man mnm9r statt 
umder = immer, dafür jetzt aber mehr iSbivil^ sagt; d^ Jo^^bo^il 
= jawohl, starke Frau eines Pantoffelhelden, die auch stets 
näselte und durch vieles und undeutliches Schwatzen auffiel. 

In den beiden letzten Fällen sind also, wie auch sonst öfters, zwei 
Momente, Aussehen und Sprache, eigentlich drei, auch Karaktereigenschaft, 
maßgebend gewesen bei der Namenbildung. 

§ 76. Im Anschlüsse an die auf Grund des allgemeinen 
Aussehens und der Körperbeschaffenheit entstandenen Unnamen 
mögen die in Anbetracht der besondern Art der Kleidung 
gebildeten nun aufgeführt werden: 

Do Gräd^schnrz, der als Schuhmacher stets, auch außer- 
halb des Geschäfts, eine grüne Schürze = der Schurz trug; di 
side Fron, Witwe eines geschickten Seidenhutmachers; jetzt 
Näherin, die sich früher stolz meist in Seide kleidete. Das Mhd. 
hatte schon einen Sldherrc, bei Socin; rfcV Kocli^ahe, der als 
fürstlich-fürstenbergischer Jäger einen mächtigen Schlapphut ge- 
tragen haben soll. Wie an seinen Nachkommen, von denen nur 
einer diesen Namen geerbt — auch noch = KochoffaU — er- 
sichtlich, mag er auch einen wackeligen Gang und eine läppische 
Haltung gehabt haben. Vgl. mhd. Lapo, Lape, Socin; Laffc ist 
sonst der Name von Kühen mit einem weit herabhängenden 
Hörn. J)cf(!) Modett, früher auch do Finett oder d^ Schmisett. 
(wol von einem Fastnachtsspottgedicht herrührend), die sich als 
ledig stets hochmodern, d. h. nach der „Modde** kleidete. Endung 
ett wol nach den bekannten Bahett, Hariett = Henriette; Finett 
vielleicht von ^Finess<> , Faxd mach^" ; Schmisett(le) oder 
Schmis = Mädchenkragen; s3IiHtBrle, später rf.> McO^uo, weil 
sie sich in der Schule so altmodisch kleidete, wol auch so aus« 
sah und sich danach betrug (1697: Jakob Stambler genannt 
Vätterlin; s. auch Attila); do Starai^^ — die Nasalierung haf 
sich allmählich verloren — der als Schuhmacher in Wien war, 
in ein österreichisches Heer unter General Starein eintrat und 
dann in Möhringen ins Quartier kam. Er soll nun wie sein 
General stets Lederhosen, rote Schnallenschuhe u. s. f. getragen 

haben. 

Man Vfd. hiermit unsere metaphor. Bezeichnungen wie Rotkäppchen. 
Bkmii fc(rner: Qrawrock, !Silberpawr(?j, Mone S. h3; Isenhuot 



Dil. volkstQniliclu'ii l'ersuneiinnmen piiicr i-berljndiBflipn ^^tuiit 24J 

„Jupptn llSTi, £/o(/ mit rfer Juppwi' bei Bnck; Stninipflioaen -Lorenz, der 
alte schvnrze Hoaen trug; Üirlinger II l^>. 4211; Duiil<!iik]ttdlinnneBl<? 
S. 43". 

% 77. Kinet» selir betröchtliciien Anteil an der Fülle von 
übernanipri habeu die mehr oder weniger auffallenden Fehler 
der Aussprache. Die Entstehunctsart und Bildungsweise ist 
eine mannigfaltiKe. Es werden Personen, die mit wirklichen 
Sprachfehlem behaftet sind, einen Laut nicht sprechen können, 
oder solche, die nur undeutlich und mangelhaft reden, einfach 
mit ihrem Vor-, Zu- oder Rufnamen, und zwar in der ihnen 
eigenen Aussprache benannt: 

(i) JMimim> = ThimiiM = Tliomaa; di Daüe oder Wangrr- 
ilailc = lU yViififiPrhirh = Karl G., Wagner; und zum Unter- 
schied von dieseni: (/.* GrwyiodtiUf vulgo Knug^harJe; rfj Kalfc- 
Sepp = Karl Joseph aus Wiirmlingen; zudem eine fremdartige 
Vornamenverbindung; d'Biirann von Marjan, — (fj Glattbba flir 
Olauinßrer, aus Österreich um 1812 eingewandert, nicht wie sonst 
o«.'; da Altee von MMerius ^ Matthäus; rfj IjcfJje = Beeile, 
von ^'(J)/^, ein Schulspitzname; s'BleppeHn liir Sepperle (s- § 7,3). 
Vielleicht ist es auch Anlehnung an ihres Manns Schimpfname 
rfj Bhmp (§ 92, i), da man sie bisweilen noch s'JSempi'iii; mit 
Hinweis auf ihre Verschwendung und leichtfertige Wirtschaft 
= s'Geld verplemperlc, schimpfte. 

g 78. Bei Stotterern wird dieser verdorbene Name dop- 
pelt gesetzt und rascli hintereinander gesprochen. Der einfache 
ist liier weniger beleidigend, daher allgemeiner. Vgl, Stark 
S. 153: anord. Sigiirdr slr/'a = Stammler, rfj Aul-Aal von Paul, 
absiclitlicli nicht oh: tTKukH oder Käkättr, Kätter = Katharina. 

§ 79. Besonders «blich ist dann obige Art der Benennung 
bei Eingewanderten, die ihre heimische harakteristische 
Mundart nicht verleugnen und alsbald verlieren. 

Geschlechtsnamen: (U Frankch = Frank, der vor 
42 Jahren ans dem vier .Stunden entfernten Watterdingen ein- 
wanderte. Heine Aussprache fiel also doch noch mehr auf als 
sein fremder Vorname Lambert; da HalfhsrMer = Helfersried er, 
Wirt aus Grunern bei Stsufen ; rf.) Golp (mit Übertrieben offener 
Aussprache des o) = Kolb, aus Thüringen vor 25 Jahren ein- 
gewandert, (/.* Brodlmail = Brodheil, vor 60 Jahren mit seiner 
Frau eingewandert aus der Waldshuter Gegend; ffNiipjA'tn vulgo 
^^faH^in, die. gebürtig aus StUhUngen, Amts Waldshut, 

i. 



d 



^44 Bertsche 

58 — 59 Jahren einen Möhringer heiratete namens J. Xepple; 
iVBaUdre aus der Schweiz, verheiratet mit einem Beller. 

Vornamen: cC GlöcUemänne vulgo Glöcklemanne = Anna 
Glöckler, aus dem Amt Stockach gebürtig; d^Vronickch = Ve- 
ronika, von Schienen, Amts Konstanz, vor 56 Jahren eingewan- 
dert; sLisBhäiÜc vulgo Lis9beef = Elisabetha, aus dem nahen 
Oberflacht, Württemberg, stammend. 

Man vgl. hierzu auch § 7, 2. 

§ 80. Auch werden Flachworte und sonstige, von einem 
Menschen besonders häufig gebrauchte Redensarten, auffallende 
Flick- und Scheltworte kurzweg in der ihm eigentümlichen 
Aussprache als Spottname gebraucht, sei es, dass damit die 
notorisch mangelhafte, undeutliche oder verkehrte Ausdrucks- 
weise oder die Mundart eines Eingewanderten oder ferner die 
von einem Einheimischen in der Fremde erworbene oder sonst 
angeeignete hochdeutsche oder fremdsprachliche Redeweise karak- 
terisiert und lächerlich gemacht wird, womit übrigens meistens 
zugleich eine moralische Zurechtweisung Hand in Hand geht: 

Auf diese besondere Weise sind viele Spitznamen gebildet 
worden, und zwar meistens Satznamen (Socin XX). 

1. Do Bagatt = bigott; dd Sa^pperment; (U Bh^x, dessen 
ständige Redensart „Kotts Blix'* statt „Potz Blitz" w^ar. Durch 
dieses Schimpfwort sollte wol auch sein hastiges, übereifriges 
Wesen verspottet werden, vgl. „das geht wie der Blitz**, und im 
Mhd. Viridis BUcchece, Socin. Derselbe heißt auch rfa San = so! 
welches Wort er auch sehr oft gebrauchte bei seinem Rasier- 
geschäft; cU Base = für Blase, ein allgemein übliches Schimpf- 
wort = Tölpel, das er gern anwandte; d9 Trapf = Tropf, ist 
der Vater des vorigen; dd Schn^^ = 5cAo« = schon, aus der 
Redensart: „Jet^ han i scha^ wieder ebbos fertig!"; d^ Zage 
= sage = sag ich, ein Vielschwätzer; d9 Margn = Morg^ 
= Guten Morgen, der auch noch hochdeutsch sprechen wollte; 
dd Hole-Hde, der in seinem hitzigen, überflinken Wesen fast 
jedes Wort doppelt aussprach. — Sein Enkel zeigt noch eine 
ähnliche undeutliche Aussprache. Daher er zu seinen Arbeitern, 
Zieglern, stets sagte: Hol(8)-Hol mir das und jenes. Vielleicht 
auch Anspielung auf Hölehous = gefürchteter Mann = Schreck- 
gespenst. 

2. D^ Einigermaasso für ai^nigermassen = FrancJcch sieh^ 
§79; d9 Alowaü = nU^ml = immer, Ahzi-ser aus dem badischen 



,'i)lkat<lmlii'ht.'ii l'e 



r olierhaiiiscben ^taiit 245 



TJnterlanii; rfj Buger, Lelirer und zugleich Mesaner, -j- vor 
tiU Jaliren, der jedes böse Schulkind mit Böge}- titulierte, wel- 
cher Name sich seit der Zeit zu einem allgemeiuen Schimpfwort 
entwickelte (s. z. B. ^ ö8, i ). Biigir vom frz. bowf/rc. 

3. A» Baigött = lii^gott, der lange in der Fremde, u. a, in 
Wien iisw. war; rfj Nachhir oder iU Hernach = nolwsi; wel- 
ches Wort er als langsamer, gemütlicher Arbeiter oft anwandte. Er 
lernt« seinerzeit beim Militkr in Karlsruhe hoclideutscli sprechen; 
lU Sdwissd^nirn = SchissiiJihi", der als wichtiger städtischer 
Beamter, Feldhüter, sicli etwas Hochdeutsch aneignete und der 
jede andere Arbeit als seinen Dienst für zu gering hielt und 
noch hält, und deshalb darauf pfeift; da Mr'irse oder Marse- 
.tcliui = Merci. der lungere Zeit in Frankreich war und Schatz 
hiell; lU Honjour, der auch lange Jahre in Frankreich war. 

% 81. Kosenamen flir die Eltern, die nicht ortsüblich 
— fast nur Mutter und Vater gebraucht — oder schlecht aus- 
g^-sprochen oder zu lange über die Kinderjahre hinaus gebraucht 
worden sind, wurden ebenso zu bleibenden Schimpfworten fUr 
das betreffende Kind verwendet: 

(/■> Daildatc = Dtdi^, der auch als grölSerer Knabe noch so 
seinen Vater nannte; dfa) Mu-tddnar = Miodder = Mutter. 

g 82. Wenn jemand bei irgend einem Anlass ein be- 
liebiges Wort, einen karakteristiachen Ausdruck in besondei-s 
auffallender, schlechter, niissverstündlicher oder hochdeutsch 
klingender Aussprache, dazu in eigenartigem Zusammenhang be- 
nutzt, so wird der betreffende Ausdruck meist unverändert oder 
auch mit kleiner Umgestaltung uls Spotmameu auf ihn an- 
gewandt. 

1. dd Thhants, für Spunten am Fass; aus der Jugendzeit 
summender Name; die 50jäbrige ledige Trägerin des Namens 
6|)richt jetzt noch das Juden-s; d.t Ff'udfi oder Ifudfieck, aus 
}'fMl(e)wäbe f(ir Ff'aniüMite = Pfund Brot, ist genommen aus 
seiner undeutlichen Anrede an seine Kunden, die heute noch 
ganz zitiert wird. Es liegt im Worte auch noch ein Hinweis 
auf seine Unsauherkeit, da pfude gleich pfui ist; sein Vater hin- 
gegen war ein feiner Bücher, genannt da Wä^nnhech; ifo Berg- 
iinddnal, der sich einst rühmte, er habe bei den Soldaten schöne, 
weiße Berifiindnlene B.osen getragen, statt bergalenc (vom fran- 
zösischen percah') Hosen aus feinem Sommerstoff. Er 
^^U*t ein undeutlicher Sprecher, weshalb man ihn bisweilen 



A 



246 Bertsche 

auch d^ Dud0r9s (allgemein) nannte, von dml9r9 = zitterig 
sprechen; d^ Genadir = Grenadier. Nach seiner Entlassung 
vom Militär sang er öfters das Lied: „Ich bin ein lustiger 
Grenadier usw."; (d9) s'Sctiei^rdai<^r = Scheuettor = SchirtociTy 
von Aulfingen, Amts Donaueschingen; d9 Kaisaare, der in 
meiner Jugendzeit, einen starken Ziegenbock reitend, sich für 
einen so strammen Reiter wie der Kaiser hielt. 

2. S'Kornbrötle vulgo d«> Hamburger, der, im Walde Korn- 
brot essend, voll Stolz einst sagte, solch gutes Kornbrötle, statt 
Koarnbrot, habe er das ganze Jahr. (Vgl. Bück: Wissbrötdhi, 
welcher Name aber wol mehr zu § 93, 6 gehört, da er Ess- 
gelüste andeutete.) Dcf Ja-Ja^ weil er beim Verhör anno 1849, 
als er wegen Beteiligung am Heckerrummel angeklagt war, sich 
geistesgestört stellte und auf alle Fragen immer mit ja, ja ant- 
wortete; d^ Aufrecht' Auf recM, wobei seine hastige Sprechweise 
nachgemacht wird. So hörten die Gäste des vornehm tuenden 
Wirts ihn oft zu seinem buckeligen Sohn sagen, der später ebenso 
genannt wurde. 

§ 83. Auf dieselbe Weise entstanden auch sonderbare Satz- 
namen: d9 „'s wird sclian fescJU werd^'' ; so sagte der betreffende 
Maurer einst zu einem fremden Bauführer, als dieser seine 
lockere, mangelhafte Zementarbeit tadelte. Da die Mauer aber 
bald einstürzte, wurde er entlassen, worauf sein Meister, ein 
bekannter Spassvogel, d<f Stacheadolf, ihm diesen Spottnamen 
gab; dö» Stlr2(d)bach, aus stirz(i)n Bach, in Anlehnung an den 
ortsbekannten Geschlechtsnamen Schutzbach, der einst, nach- 
dem er kurze Zeit auswärts war, einen Betrunkenen vor dem 
nahen, angeschwollenen Bache warnen wollte, mit den hoch- 
deutschen Worten: „Stürz' nicht in den Bach", statt kei, aber 
kurz darauf mit diesem selbst hineinfiel; d9 Seckl9rali€in, der, 
nachdem ihm sein Weib nach Amerika entgangen war, resigniert 
sagte, jetzt sei rfi> Säckler = Kürschner eben allein, statt ^loa*^. 

§ 84. Jemandes schlechte Aussprache oder hochdeutsch 
sein sollende Ausdrucksweise wird ferner dazu benützt, um ihn 
nach seinem Handwerk oder Beruf spöttisch zu benennen: 

d^ Hieber oder Holzhieber = Holzhauer; denn er wollte 
nach der Rückkehr aus der Fremde gebildet reden und sagte 
für hauen hieben, wol nach Holzhieb, auch mundartlich, er hieb, 
der Hieb; d^ Schuster = Schu^schter; jetzt dafür allgemein 
mehr Schimnaclv^r^ der eiil besserer Schuhmacher sein wollte; 



[ Die volksi 



nli.-lien Pi-r 



uberbiiaiHtliHH Suiit 247 
'J Schlosser, Schlosser, 



seine Tochter heißt aber tl'Sfhti-^scIiderso/'t!.'; i 
der IVIann der I{a"si''n-> = Rosina. 

Eine ähnliche Bildung zeigt: di Boiler = Booler =' Pole, denn er 
nar einst in Polen; vgl. d> Hamburger u. h. Seioe Nach kommen heiUtm 
s'Bolirs (nicht na«aliertl. .Sonst sagt mau gewühnlich ein Bool. Boler 
kommt wol von Bolerjakob, spinem gewöhulichen Rufnamen, dann Bol»(nJJ., 
wie hei Bu»U meiiile von {Suhl. 

g 85. Mit einem eigens zur Kennzeichnung der Aussprache 
u;ebildeten Worte (Ononiato poesia oder Metapher) sind 
nur wenige Personen verspottet. 

ßj Hätt^hr von Häftfl = Ziege; man sagt auch oft i.t 
hiUtdi^t, d. h. er lacht wie eine Ziege, meckert; da Jh-Ih, ein 
starker Stotterer und Lump; Ha Kna^ck oder Knack, alte 
.Tiingfer, die mit einer sogenannten Hasenscharte (s. Hasrnschart, 
Eigenname, Mone S. 13} liehaftet ist und deshalb stets durch 
die Nase spricht. Im nnlien Tuttlingen heilit eine solche Frau 
iVHutsä(n)schaart. Warum di Kuack? Vielleicht nach An.alogie 
der häufigeren münnlichen Namen dieser Art, oder wegen des männ- 
lichen Betragens als junges Mädchen. Zum Unterschied hiervon; 
da Knickknack orter nasaliert, vulgo rfj Posthaüer; (Ut Bur3- 
knanrk, oder mit reinem a, eine langjährige Witwe, deren Vater 
= s'Iiirh und Mutter = s' ßm-^nia rede (s. § 95 Anm.). 

Dieses sind meist Hitc Seh ulspitzn amen, da aicli der Fehler schon 
Trflh at^rk geltend macht und den Mitschülern leicht auffällt. 

§ 86. Oft ist der Träger eines Schimpfnamens nicht ein- 
mal selbst schuld daran, dass er einen so unliebsamen Begleiter 
bekommen hat. sondern andere, meistens seine nächsten Ver- 
wandten. So wirrt liisweilen der Name, mit dem die Mutter 
\ ihr Kind zu nennen pflegte, diesem später zum Spottnamen und 
bleibt ihm bisweilen für immer; dann nämlich, ^venn die Mutter 
bezüglich der Aussprache eben eine jener drei Eigensclmften 
und Untugenden besitzt, die, wie soeben erwiesen wurde, einem 
einen Übernamen einbringen können. 

1. ])■> Kita**raail = Konrad, dessen Mutter eine Schwäbin; 
ffo ChtMi^h, dessen Mutter an der schweizerischen Grenze zu 
Hanse ist; d'Marlise ^ MnrUsi- = Maria Elisabetha, verheiratete 
Tochter der sogenannten Xajiplin von Stühlingen (s. SJ 79»). 
' 2. [h Wulf oder th Ea-ait = Eiidicatt, Sohn der sogenannten 

Bftrann = Maria Anna (s. § 77, i), und dessen zwei Brtider: 
lU Gscbtaff ^ Gustav; iLi Gei'i» oder rfa Sevi» = Sevenn; d3 
^=s Leo, Sohn der sogenannten An'sdin = Anrtreßlin in 




248 Bertsche 

§ 88, i; d<f Dscheniäl = Emil; die Mutter soll ihn als Kind 
Dschemil gerufen haben, was durch den Umstand erklärlich und 
wahrscheinlich erscheint, dass eine Schwägerin dieses Dschemel 
Dschidian = Juliana, und deren Sohn Dschalhert genannt wird, 
wenn auch nicht gerade allgemein, sondern nu^ von ihrer Nach- 
barschaft. Als Dschemil von Böhmen zurückkehrte, wo er mit 
Glöcklein handelte, sagte er zu seinen Landsleuten, in der 
Fremde habe man ihn als DscJicmiäl angeredet. 

g 87. Der von der Mutter gebrauchte Kosename wird 
ebenso zu einem Unnamen verwertet: do Beebe, mit welchem 
Worte ihn seine überzärtliche Mutter, aus Bargen, die lange 
im Auslande war, stets liebkoste. Wol = engl. Baby oder franz. 
Bebe. Man vgl. hierzu §§ 70, 106. 

Vereinzelt steht der folgende Fall, wo der Vater dem Kinde ftlr 
einen Namen sorgte: d» Anton statt Antone, dessen Vater aus Preußen 
einwanderte. Man ging wol von der Meinung aus, ein solch schöner, vor- 
nehmer Name passe nicht für einen armen Geißhirten: darum sprach 
man auch später ihn nasaliert aus. Er heißt übrigens auch noch d^ faule 
Siech, wie ihn sein Vater oft schalt, statt d9 ful Si^ch, 

§ 88. Der Schimpfname eines Manns wurde bisweilen mit 
Hilfe der schlechten oder eigen- bzw. fremdartigen Aussprache 
seiner Frau gebildet, und zwar aus seinem Vor- bzw. Zunamen 
oder einem Kose- bzw. Scheltwort. Der umgekehrte Fall kommt 
natürlich bei Frauen auch vor. 

1. De? Heiner statt Hainer = Heinrich, dessen Frau aus 
Ippingen, Amts Donaueschingen, stammt; d^ Aress(le) = AndreÜle 
= Andreas, dessen Frau auch die Mutter des Zleo ist; rfe liaUer 
= K. Beller, dessen Frau eine Schweizerin = d^BoIl^e: d^ 
Stiarnsiach oder Stiarnbuijer, ein Lump, der von seiner Frau,* 
einer Schwäbin, oft mit dem ersten Schimpfwort bedacht wurde. 
Si^ch ist ortsübliche Schelte; Stiarn statt Stä^rn = Stern. In 
der Schule wurde der BetreflFende von dem Lehrer E. vulgo 
Bager (s. § 80, 2) besonders oft JBuger geschimpft; d9 DätU 
— Vater, wue ihn, der auffallend früh heiratete, seine Kinder 
und auch seine Frau lange anredeten. 

Es ist wol nicht bloß Zufall, dass alle diese Männer mehr oder 
weniger Pantoffelhelden sind oder waren. 

2. D' Rasine = Rosina, deren Mann d^ Scidasser ist; 
d' Kellermaar — Kälermaartf) == Martha Keller ; d'Brigaat stÄtt 
Brigot = Brigitta, Frau des sogenannten Abti^^ (§ 99), daher 
auch d' Abn3'BrigM ; s'Mammele, womit die Kinder und auch 



vulkKllimlii-hcn Pi-rsuncnnanioti finer «WiljnJi.wbcn Sl«clt 24)1 

der viel liltere Mann die Behr zärtliche Mutter liebkosten. 
M. allgemein = Püppclien, Diminutiv von Mamm^ — Puppe, 
aui.'h Maditm '. Als Kosenaijieii flir die Eltern sind Mamma iin<l 
Papft nicht gebräuchlich. S'HiTZr^r. wie die sehr junge Frau 
von dem überzSrtlichen, alten Manne bezeichnet wurde. 

8 89. Ähnlich sind auch die folgenden Namen durch Über- 
tragung bzw. eine Art Vererbung entstanden: rfii thiM, ein alter 
Junggeselle, der von den Kindern seines Koatgebers und Freundes 
stets so, statt Vetter, wie sonst itblich, bezeichnet wurde; rf.' 
Bahnlaitr, dessen Stiefmutter iVliabi (§ 113| war, und der unter 
viel jüngeren Stiefgeschwistern gleichsam als Ikiüp, ungewöhnlirli 
und fremdartig für Vater, erschien. 

Diese aus Koaofornien entstaudenen .Spitzimmen (a, auch noch § 9'i, i) 
richtiin wol ihre Spitee mehr gegeD die rauhen und vielgeplagten Land- 
leute u im aUgemeiaen unbekaante Affenliebe und ^'(.Thiitecheliuig dei' 
Kinder als gegen die iingebräiichlichea Ausdrucke an shU. Trotüdcm aiud 
sie der Bequemliclibeit und Übersichtlichkeit wegen hier eingereiht. Dus- 
salbe gilt auch fOr die aus hochdeutschen Worten und Redonsart«u ge- 
funnten Sputtnanion. womit hauptsichlich der Stolz und die meist ver- 
iinglQekte Vornehmtuerei gegeilielt werden sollun. 

9 90. Krankhaftes Zucken in den Gliedern und ner- 
vöses Wackeln mit dem Kopfe — beim Sprechen oft nur — . 
Stummheit und Geistesgestörtheit haben leider ebenso Stoff 
za Schimpfnamen geliefert, Diese mögen, ihrem Wesen ent- 
sprechend, den Übergang bilden zu der neuen Gruppe. 

!>•) Bajass, eine alte Jungfer, die besonders Zucken in den 
Gliedern hatte. Bnjas^, von Bajaccio, italienisch, bedeutet eine 
Kastnachtsfigur, dann allgemein närrischer Kerl; s' Gloci-^sjiirl 
der auch noch sehr kurzsichtig war und beim Lesen den Kopt 
immer hin und her bewegte, Glockenspiel = Schellenbauu; (Ij 
S^Hitppei; der hauptsächlich den Mund verzerrte und stets nach 
etwas zu schnappen schien; rfa niirrscli Addf (närrsch = über- 
spannt, halbverrückt = sehr närrisch); dazu ds Stumm, ein 
■Stummer, der aucb halblaub ist. 

% 91. Eine große und weit verzweigte Gattung von 
Schimpfnamen bilden diejenigen, welche mehr oder weniger 
starke geistige (moralische, soziale) MSngel und Fehler, 
oder auch einzelne Handtungen und sittliche Taten eines Men- 
schen aller Art verspotten sollen. Natürlich greifen auch diese 



' iSfanimtli diigc!; 



: Kindei-niilchflanohe. 



250 Bertsche 

oft noch in andere Gebiete über, und so werden dann mehrere 
verschiedene Eigenarten und Untugenden mit einem einzigen 
»^Ausdruck gegeißelt. 

§ 92, Absonderliche Gewohnheiten, lächerliche Eigen- 
tümlichkeiten, menschliche Schwachheiten und seltsame An- 
sichten bieten eine beliebte und willkommene Handhabe zur 
Übernamengebung, wobei bisweilen der Vor- oder Zuname oder 
der Berufsname, kurz der gewöhnliche Rufname des Betreffenden 
zu Hilfe genommen, oder aber meistens ein eigens gebildetes 
Wort benützt wird: 

1. Trägheit (bei der Arbeit): d^ SatÜerlanpd, oder d'La^^p^. 
eine langsame und faule, alte Jungfer, deren Vater Sattler 
war; La^p9, allgemein Schelte; d^ Mistjoseppj der als Bauern- 
knecht so j^ftU wi Mischt" war; (fo Bletnpp — Blenipp^ ein 
lahmer und ungeschickter Drescher, der den Takt nicht ein- 
halten konnte, wol Schallnachahmung; s. ebbis verplempt?rU 
= Wasser usw. verschütten, Zeit vertrödeln. 

2. Überspanntheit, Übereifer, übertriebene Zärtlichkeit: 
d9 Ger9schneck oder d9 Ger^tvadrl, K. Schneckenburger, der in 
der sogenannten Ger^ wohnte. Schneck deutet ironisch sein 
flinkes Wesen und seinen Übereifer als Waldhüter an, als 
welcher er nicht beliebt war, wie fast alle seine Kollegen; 
Wadd kennzeichnet sein kriecherisches Schmeicheln vor seinen 
Vorgesetzten, von iiädls, umm9 = „tvädlB U (fe Herr9^; d'Nagl- 
lieXj ausnahmsweise flinker Bursche, guter Schwimmer, der mit 
^7 Jahren nach Amerika auswanderte. Der Name, wol aus der 
Schulzeit stammend, hatte deswegen etwas Schimpfliches an 
sich, weil dessen Träger, von seiner ledigen Mutter verzogen, 
auch zu allen schlimmen Streichen seine Gewandtheit missbrauchte. 
Worterklärung siehe bei diesem Kinderschimpfnamen, § 119. 
d^ Gigg9digägg9de, ehemaliger überfleißiger und doch armseliger 
Weber, der mit einem nervösen Zucken in den Armen behaftet 
ist: Nachahmung des Webstuhlgeräusches; cfe wild Hä^depfd, 
wol Schulname, wilde, zähe, „haarboschige", rackerige Frau, 
d. h. ein Wildkiiuder = Wildkatze, und so rund und dick und 
klein wie eine Frankfurter Kartoffel; di Wild, von ähnlichem 
Karakter wie ihr Mann: da Wüd BiO, der noch bedeutend 
schlimmer war wie sie, s. § 97, 5, im Ahd. „Wädfafic manci- 
pium^\ Socin; ^Wildeman (von Wildenegg bei Weingarten), 
H, Tndomitus'' , Huck; d<) Ringsumnarr ^ eine hochmütige, über- 



Die Yolkstümlichen Personennamen einer oberbadi sehen Stadt 251 

spannte und hoffärtige, „närrsche" Person, die lange ledig blieb; 

— Ringsum wo! vom vielen Drehen des Kopfs; Narr = all- 
gemeines Schimpfwort für männliche und weibliche Choleriker 

— d9 Schmidebur, ein allzuzSrtlicher Gatte, Schmiele = Kuss.; 
s'HäaMe oder s'Buss^gaggele, eine Frau, die, besonders in ihrer 
Jugend, gern Hühner liebkoste. Von ihren Großeltern, die im 
sogenannten Bußen wohnten, wurde sie lange verhätschelt und 
verzogen. In der Kindersprache ist Gaggele = Ei(er), Häa'^le 
= Hühnchen; d^ Karl Albert =^ do Sohn vom Vater, s. § 99, der 
wirklich so getauft und nicht wenig stolz darauf ist, dass sein 
Vater, der Revolutionsheld — (fe Äia^^ma^^r in § 100, ihm einen so 
noblen, einzigartigen Namen gegeben hat. Wer denselben aber 
anwendet, will damit die Eitelkeit, die Protzerei mit dem sel- 
tenen Doppelnamen verspotten. — Hierher gehört wol auch: 
1696 Jakob Stambler gen. Vätterlin. 

3. Eitelkeit, Hochmut, Prahlerei: dd sch^^ Lang — 
J. Lang, der sich für den schönsten Mann der Stadt hielt ; efo gdde 
Taglöhner oder d^ Golde, ein Mann, der unverschuldet Amt und 
Vermögen verlor, und dann, als armer Taglöhner heimgekehrt, 
immer noch nicht von seinem vornehmen Wesen abließ, son- 
dern fortwährend noch goldene Ringe trug u. dgl. Vgl. Silber^ 
pawr, Mone S. 83; Gvidimant Giddinjörg, Giddinvuez bei 
Bück; tfo Sti^rsim7}i^ , Simon L., der stets sehr stolz war auf 
seine wirklich schönen und großen Stiere; d«> Hot Gross, 
= G. Groß, ein „Wichtigtuer" ; dd rieh Tr^fter, ein Groß- 
sprecher, der immer sehr reich sein wollte; de Gucld, eine 
stolze, freche und bösartige Person, alte Jungfer, die schon als 
Mädchen „wie ein Gockd'' einhergeschritten sein soll: auch 
= (fo GocMjohann. Vielleicht von einem Fastnachtsscherz; vgl. 
§§ 75, 114. Warum nicht ffo Gid<i oder do Gickl, welches die 
gewöhnlichen Namen für Hahn sind? Gockl klinge auch schon 
vornehmer und kühner, sagte man mir!; di> Frimaaglasei' oder 
(fo Müliondglaser^ ebenso ein Prahlhans, der immer nur Prima- 
arbeit zu verrichten glaubt; d') Nettwetter, der als gewesener 
erfahrener Schiffsjunge sich früher gern als kundiger Wetter- 
prophet aufspielen wollte, aber stets nur nettes Wetter vorher- 
sagte'; de> Kodex, auch do Näpdeo^, vermeintlicher Gesetzes- 
kenner und Kurpfuscher, der tatsächlich den Code Napdeon be- 

' Jetzt oft nur lU Wetter genanut. 



252 Bertsche 

sessen hatte, und sich auch als Winkeladvokat aufspielte. Vgl. 
Anhang No. 13; d^ JBaro*^, welcher sich für den reichsten 
Mann am Platze hielt und darnach sich betrug ; rfc> Speyerhafner, 
der nur kurze Zeit in der Fremde war und bloß in einer Stadt, 
Speyer, aber doch stets sich damit „wichtig machte" ; do Stab- 
haalter, der vor 45 Jahren einige Zeit Vertreter des Stabhalters 
in Bachzimmern war, und sich dessen nachher allzusehr rühmte; 
d') TafhdecJcef', der als Taglöhner damit renommierte, früher als 
Kellner feine Tafeln gedeckt zu haben; d3 Servm\ „Er war Sol- 
dat bei den Grenadieren in Karlsruhe und hat nach seiner Rück- 
kehr vom Militär den Leuten in Möhringen erzählt — in seinem 
Stolze, er habe im Offizierskasino serviert. Da den Leuten die 
Sache unglaubwürdig erschien, weil er ein ungeschickter Mensch, 
eine steife, lange Figur war, hat man ihm eben den Namen 
Servtts aufgetrieben." Es ist wol auch Anlehnung an seinen 
Vornamen Severii^ und an den, vielleicht von ihm aufgebrachten 
Gruß Serviis! anzunehmen; d^ Nathan: „Er war Waldhüter, sehr 
groß und gefürchtet. Da haben ihm einmal Hattinger Männer 
mit verdeckten Gesichtern — es waren Holzfrevler — Angst 
eingejagt. Er soll dabei gesagt haben, er fürchte kein Satan 
und kein Nathan; zugleich soll er aber davongesprungen sein. 
Von dort an wurde er mit dem gelinderen Namen Nathun^ 
nicht Satan, bedacht." D^ oder d' Madammddatur, ein Schuh- 
macher, der sich damit brüstete, bei der Mme. de la Tour in 
Paris beschäftigt gewesen zu sein — zugleich Verspottung 
seines stolzen, dämlichen Gangs; s AusschiissmiUjlied^ der be- 
sonders stolz darauf war, einmal in den Bürgerausschuss ge- 
wählt worden zu sein, wo er aber „rein gar nichts" leistet«. 

Hier ist die außerordentliche Menge von Namen beachtenswert. 

§ 93. 4. Schwatzsucht, Rabulisterei: d'Bolj2:erschnäd^r^i 
geb. Bolzer, die bis zu ihrem 40. Jahre ledig blieb. Schnäd^rd 
von schnattern, allgemein = Schwätzerin ; do Mutil^wanger^ ein 
großer, berühmter Spassvogel und Witzbold, sonst Wagner. 
Dieser Name ist mit der Zeit sogar zum allgemeinen Schimpf- 
wort geworden, nachdem sein erster Inhaber längst tot. MiM^ 
= welsch reden, im Spasse lügen; da Mamm3futt, ein Märchen- 
und Geschichtenerzähler, Schwindler; allgemeine Schelte für 
Lügner, von Maivdu€k> 

5. Lächerlich häufige Wiederholung von Lieblingsredens- 
arten und Liedern: ^ "^j der bei allen Vorfällen und 



[Die volkstfiiiiliclicn PtrsouKiinaiiiL-ii i 



)l)erbrt(li>n-h*'ri Stadt 253 



Ereignissen sagte: „Es ist dafür und ist auch dawider", d. h. 
es ist ein Unglück und doch keins; il<i Ojrgerh ( — Goö), ein 
„kiiminerhäftiger" Mann, der sich über eigene und fremde Un- 
fälle übertriebener weise kränkte und beklagte, daher oft diesen 
allgemeinen Ausruf taf, s. Jasomirgott; bei Bück: Gotterbartn; 
Mone S. 83 Grmilirh; tV Kumnmahn^ , Tochter des Vorigen, 
die ein ku ihrem Webklagen und Seufzen gut passendes, jammer- 
volles Organ hat. ^Uino = Großmutter ist im nahen Tutt- 
lingen, Württemberg, allgemein üblich. Das Scheltwort ist nun 
auch ortsüblich geworden; (U HaUand, eine ledige Karten- 
schlägerin, die oft den am Platze seltenen Ausruf gebrauchte: 
,0 du lieber Heiland" ; tU Tndiomuu ein entlassener Feldwebel, 
guter Sänger, der allzuoft mit zwei Genossen dasselbe Lied 
leierte, „Tralionim-Traliomm-Tralio-lio-liomm"; lU Hii-Hn, ein 
leidenschaftlicher F h stn ach ts narr, der aber nichts konnte, als 
fortwShrend nur diesen einen Ausruf tun. 

6. Allzugroße oder etwas eigenartige Esslust: d-/ IßiyJ- 
gUidi; ein Uhrenniacher — Glode allgemein = Nimmersatt; im 
ahd. Frasal, Socin S. 222 — ; rfj Wahbawjel , f um 1850, 
der iin Breisgau das Schuhmacherhandwerk gelernt haben soll, 
und dann zu Hause wol gelegentlich von ^Wallabangeln" statt 
Reiswellen sprach. Übrigens nennt man ja heute tatsächlich 
die Einwohner von Kenzingen spiittisch noch so. W. ist in- 
dessen neben GliJik' heute zu einem allgemeinen Epitheton für 
einen Vielfrall, wie er einer war, geworden; (fo Knöpfhbun, ein 
geistesschwacher Junggeselle, der überall um ein Essen, be- 
sonders sein Leibgericht, Knöpfte = Spätzle, bettelte. Vgl. 
ahd. Adalbret ChasibUsze, Vorator lardi, Socin S. 458; KhnödA, 

Wurst Mone S. 83; Eintfleische 137-1 Bück; rfj PfmdläaUc- 
bi^fer, der, weil er als Küfer meistens nichts zu arbeiten hatte, 
oft als Tagliihner in den Wald ging und sich dann immerfort 
nur von „Pfundbroten" nShrte, die er jeweils bei seiner 
Schwiegermutter holte, nach welcher er auch gewöhnlich ge- 
nannt wurde (^ (l> Cdsas^kiafir, s. g 47). 

7. Unreinlichkeit: rfj HaharliÜle , ein Schulnanie, der 
sich stets den Mund leckte — läRit = d'häüe, Zunge, heraus- 
strecken, von lallen — und zu Hause fast nichts wie Suppe und 
Habermus zu essen bekam; d'Sclioderbirin oder (/j Schoder, die 
als junges Mädchen immer eine schone, saubere Haarfrisur trug, 

aber später zum ,Schoder" = abenteuerlich :!erzauste 




254 Bertsche 

Haartracht, Strobelkopf, wurde, als sie nämlich doch noch einen 
Bauern nehmen musste. Im Mhd. Strubel, Socin; Straubhar, 
Bück; Zopf, Mone S. 83; dr^ Triller, der als leidenschaftlicher 
Pfeifen rauchet fortwährend seinen langen Bart und den Mund 
beschmutzte (Trl9Ur, auch = Kinderserviette), weshalb er sogar 
seine Kundschaft als Hafner teilweise verlor. Schmutzmul, Mone. 

8. Sonstige Marotten: (fo TräwaUe, der seines Vaters 
Hund Traball (?) besonders gern hatte. Dieses Wort, jedenfalls 
Schulspitzname, ist jetzt allgemein geworden zur Bezeichnung 
eines plumpen „ungattigen" Menschen, wie der erste Träger 
desselben einer war. D9 Hos9spanner, der alle Vergehen mit 
Prügeln = Hosdspanner, bestraft wissen wollte; rfo Uossiäde, 
ein fauler Mann, der seine Hände unaufhörlich in die großen 
Taschen — sing. Lado — der alten Bauernhosen steckte. Vgl. 
im Mhd. Bniochschel, Socin ; d^ Meidlejäger, der ewig auf die 
Brautschau ging; d^ Sozialdemokrat, der erste Sozialdemokrat 
im Ort; s Magdtveh, eine alte Jungfer, die stets über Magen- 
weh usw. klagte, aber wenig Glauben fand. Vgl. Anhang No. 12; 
s SchUgeltrischle, Walburga Schlegel, vulgo ScUegelburgde , eine 
kleine, langjährige Witwe und schlaue Schmeichlerin, (d^Trisch 
= eine Art Aal); rfo» Dokometiter, der allen Leuten Klagschriften, . 
Dokumente, aufsetzte, da er als geriebener Prozesskrämer sich 
darin eine gewisse Übung erworben hatte. 

§ 94. In eigenartiger und treffender Weise werden Pan- 
toffelhelden geneckt. Sie werden nämlich nach ihren Her- 
rinnen benamst, und zwar auf verschiedene Art: dd Amm^reile' 
seppdtone, Mann des sogenannten Toarb€ck9(n)amm9reile; d^ 
BärUjoliann^ dessen Frau allgemein s* (Emminger) Bärhde hieß; 
sBahttt9inän(d)le, kleiner Mann der sogenannten Babett; <fc 
Hel€n^män(d)le, Mann der Helen^ einer bekannten Obsthändlerin 
und Bötin; dd Bussogagge, Mann des Bussogaggele § 92, 2; d^ 
Feevdesüttler, s'Fevele = Genoveva; d^ OlivdtUus oder sogar 
bisweilen dd Ohlpfifcr, dessen Frau dJOlivd oder mit ihrem 
Schimpfnamen d'Ö/dpfifd heißt, s. § 99. Beachte hier auch 
die interessante Wechselbeziehung zwischen dem Spitznamen der 
Frau und dem des Manns. Dazu wol auch dd Itosdbene i^ 
g 103'. 

* Beim SclmU^mayer, der s. Zt. von auswärts kam, ist diese Bc 
zeichnuug allmählich zum allgemeinen Rufnamen geworden. Im benach- 



Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 255 

1« Auf ähnliche Weise sind solche Helden schon in § 88, i gekenn- 
zeichnet. 

2« Als Frauen von Pantoffelhelden können d^ Ummer und d9 Jo^bo^^l 
in g 75b betrachtet werden, bei deren Benennung indessen noch andere 
Umstände mitwirkten. 

8. Vgl. bei Pf äff in ,Zeitschr. des Allgem. d. Sprachv.«* 1900, S. 112: 
der Jakobiner, dessen Frau Jakobine heißt. 

§ 96. Hartnäckige Hagestolze und alte Jungfern 
werden folgendermaßen gehänselt, falls sie keine andern Karak- 
teristika zeigen. Es wird nämlich der Kindername mit spöttischer 
Betonung absichtlich noch immer angewandt: do aalt Bu^; ch 
Schmittifbud, in einer Schmiede = Schmitto, geboren, sehr spät 
verheiratet; rf?> Seppe/biio oder dt> Zcttdhuif = Joseph B., dessen 
Vater auch Joseph hieß. Seppe! ist schon an sich verächtlich, 
s. noch § 7, 2. Er war eine Zeitlang Weber. Zettel, genau 
geschieden von Zedl mit offenem e = Papierzettel, bedeutet das 
aufgespannte Rohgarn: d»> Feterlebu^, Sohn des sogenannten 
FeterIc — s' Fotdemeidle, Tochter des Paul; sJhlermeidle, Tochter 
des Bot^ler; s'Kord9tiieidU', 80jährige Tochter der ledigen Kor- 
dula D. vulgo d'Kardo; s' Hassomeidle, auch = d<f HessAtucld, 
Hess vulgo d' Hesseiwindle; sKellermeidle^ 65jährig. 

1« Hierher gehört auch sYalt) Bur^meidle, eine Xantippe, mit dem 
Rufnamen Burinuireile, die für sich allein hauern und wirtschaften musste. 
weil ihr Mann nach ganz kurzer Ehe sich vor ihr nach Amerika flüchtete. 
Vgl. Anhang No. 19. 

2« Vgl. 1784: „Casper Heiß (der Hagastolz)' ; dazu , Andres M. vulgo 
der Buob*, Birlinger 11 S. 485: der Esslingerbue, der Fridlihue, Beckebuo 
im Kalender ,Der Wanderer am Bodensee ** vom Jahre 1867. 

{ 96. Es ist leicht begreiflich, dass man jemand, der 
übergroße Verehrung für einen Kriegshelden oder sonst 
berühmten Mann öffentlich zur Schau trägt und ihm vielleicht 
«thnHch sehen will, zum Spott und Hohn den Namen des Ge- 
feierten anhängt. Hansjakob ^ erzählt von einem solchen Falle 
in seinen „Wilden Kirschen**, wo ein Mann in llaslach stets 
Jiinkeldey geheißen wurde, und zwar im Ernst, nicht spöttisch, 
Xveil er nämlich unter einem General gleichen Namens ge- 

Vjnrten Tuttlingen werden solche Namen (z. B. Trommcr- Müller, Storz- 
-^uesa^f die aus dem (JeHchlcchtsnumen der Frau und des Manns bestehen 
— — also umgekehrt wie in der »Schweiz — sogar amtlich gebraucht. 

* An dieser Stelle sei überhaupt auf Hansjakob hingewiesen, der in 

meinen Werken viele solcher Ruf- und Übernamen bietet und sie teil- 

^nreise auch erklärt. 



256 Bertsche 

dient hatte. Dd Btsmark, der dem Reichskanzler ähnlich s^hen 
wollte und sich damit oft brüstete; tfe RothecJc, der 1812 Soldat 
in Russland war unter einem General namens Rotheck, dem 
gleichzusehen er stets behauptete; denn er habe u. a. ebenso 
einen roten Bart wie dieser; d9 Fafre, ehemals großer Ver- 
ehrer des Jules Favre. D9 Elachc, welcher Name nicht hin- 
reichend und sicher erklärt werden kann. Der Großvater — ein 
Hüne an Gestalt — des Manns, der jetzt noch so genannt 
wird, soll den russischen Feldzug mitgemacht haben und nach- 
her oft vieles begeistert erzählt haben von seinem Feldherm 
Elache, vielleicht Jelachich de Buzim, f 1859; d«> Slarai in § 76; 
(U Kossuth und d^ Sonnetnann § 100. 

{ 97« Zu den stärksten und ehrenrührigsten Schimpfnamen 
gehören diejenigen, welche einen mehr oder minder groben sitt- 
lichen Defekt (Karakter fehler) zur Grundlage haben: 

1. Diebstahl: (TMaus, ein gefährlicher, schlauer Dieb, der 
auch einige Male aus dem Gefängnis entkam, also Ein- und Aus- 
brecher. Maus statt Mus, da er vor 20 Jahren aus Tuttlingen 
einwanderte; cU Hoiiptma^, ein geriebener Dieb von großer, 
strammer Gestalt. Man dachte an einen Binaldini = Räuber- 
hauptmann. Nicht identisch mit dem sogenannten Hauptmann 
in § 100; d^ Behglaser, ein gefürchteter Wilderer, sonst Glaser. 

2. Habgier: siteff oder Schmitt^reff oder -ross, ihres 
]i[anns Bruder war Schmied, d^ Schmitt3bu9\ sie wollte über- 
all, in Wald und Feld, alles. Erlaubtes und Verbotenes, zusammen- 
raffen. Reff = Sense mit Rechen, um das Getreide zu mähen; 
f/'> ewig Jud, der aus Habgier Tag und Nacht arbeitete, und als 
reicher Mann dann noch großen Wucher trieb. 

3. Ti-unksucht: dJ Schnaps forde; do Ha'^hn9f}iedei' oder 
'Drucker, Wirtssohn, der als lediger Bursche den Bierhahnen 
allzu oft und gerne öffnete. 

4. Streitsucht und Roheit: d'Zedlmarei, eine händel- 
und prozesssüchtige, lang ledig gebliebene Frau, die oft mi* 
einer Klageschrift = Zettel, aufs Rathaus ging. Vgl. Anhang 
No. 25; d' Giftpflanz ^ eine gefürchtete, hadersüchtige ledige 
Person; d9 Krawaümurer, früher ein streitbarer Mann, nach 
dem sogar die von ihm einst bewohnte Straße getauft wurde, 
nämlich Krawallstraße; cJ^ ifoJ^ti^, ein grober, finsterer Mann. 
HoUhaus ^'^ i^ty womit man die Kinder schreckt; O^ 
22iii( mer Betrüger und Grobian. Das I^i^^ 



Die volkstüraliclien Personennamen einer oberbadischen Stadt 257 

vom Rinaldini ist ja stadtbekannt; (Ij Glache, ein langer, un- 
flätiger und vierschrötiger Mensch, allgemeines Scheltwort. In der 
Schule hieß er da Longin-)s oder Latschaare, allgemein = Kaifer. 
5. Ausschweifung: rfy WUd liw), ehemaliger Wirt „zum 
Wilden Mann", der ein ausschweifendes, wildes Leben führte, ein 
bubenhafter Lump. Seine Frau = do wild- Herdäpfel; dYdi) Main 
Li9d€rlikait = dB Traüommy ein leichtsinniger, liederlicher Mensch, 
jedoch nicht klein von Statur; d^ Luft, eine windige alte Jung- 
fer, die zudem noch in einem hochgelegenen luftigen Häuschen 
wohnte. Vgl. ahd. Sturm, Försteman; ferner s. Anhang No. 12. 
§ 98« So haben auch gröbere einzelne Vergehen un- 
nachsichtlich zu schweren Schimpfnamen geführt: r/«y Funi:, der 
sein Haus in Brand steckte, von Funh^ = Funken; hier wol 
Anlehnung an Geschlechtsnamen ; d^ FiriooMIer, der wegen Brand- 
stiftung 100 Tage eingesperrt war. Firio = Alarmruf bei einer 
Feuersbrunst; d^ HrnlcCf der sicli einst selbst hängen wollte; 
mundartlich henlc<f. Henke ist ein im benachbarten Tuttlingen 
häufig vorkommender Geschlechtsname. S. Anhang No. 23; d<> 
Wu^scJäki^pry ein wüster und grober Mensch, Geizhals, allge- 
mein = \Vu9scht. — Vgl. das Wneschtrcnm'n an Fastnacht in 
Villingen, Birlinger II S. 32 — , der als Besitzer eines eigenen 
Kastens = Heu- und Fruchtlagerhaus, in den teuren 40 er Jahren 
des 19. Jahrhunderts seine Landsleute stark ausbeutete und be- 
trog, d. h. zuviel forderte für seine Frucht, sonst war er Küfer; 
tl) Meister Langfinger — § 43, 2: Meister Hanserg! — der 
als Postgehilfe in Stockach sich Unterschlagungen zu Schulden 
kommen ließ. Der berüchtigte Müller B. § 3 ließ dann an einer 
f^astnacht eine Zeichnung herumtragen: ein Beamter, als „Meister 
Langfinger'' bezeichnet, greift mit überlangen Fingern in die 
f^ostkasse zu St(ockach) ; d^ Schoofgroof, A.Graf, der 1875 ein 
^Schaf stahl. 

J 99. Zu einer Menge von gelinderen Spottnamen geben die 
Verschiedenartigsten sonderbaren Begebenheiten und lächer- 
liehen Handlungen oder gelegentlichen Äußerungen, 
oft ganz harmloser Natur, Stoff und Veranlassung. 

Db Lwizifdler = A. Felber, ein Wahrsager, der ins Lunzis 
Sierkeller im nahen Wurmlingen einen Geist erlöst haben will 
^nd soll; efo BrootosniMcr, der seinen Hochzeitsschmaus = Broot^is 
s= Braten, nicht bezahlen konnte, und zur Abtragung der Schuld 
cleshalb von dem betreffenden Wirte als Mäher = Müder ange- 

Alemannia N. F. 6, 4. j7 



258 Bertsclie 

stellt wurde. D^ KaseJcIejtper, zweiter Bruder des KasejaJcob in 
§ 47, der verarmte und dann nur noch einen alten Klepper 
besass. Dieses Wort hört man sonst am Orte nicht. Der Spitz- 
name wurde wol von einem Eingewanderten, Beamten, aufge- 
bracht. Ih) Spio*^Ifij ein Zwerg mit Höcker, der 1870 als Spion 
sich in Frankreich herumtrieb; s'Schliffde, früh ledig gestorben 
= Josepha ß. Ein bei deren Eltern einquartierter russischer 
Soldat soll gesagt haben, sSeffde dürfe bei ihm srhliffm, statt 
schlafen. D^ Hafnerknitz, ein fauler, verschmitzter Taglöhner, 
Sohn eines Hafners, den 1858 der Straßenmeister Eberhard aus 
dem badischen Unterland einen „knitzen Kerl" schalt. Knltz, 
eigentlich gnitzt = abgenützt, ist, wie ich von einem Fachmann 
hörte, ein Schäferausdruck — und die Schäferei, Schafzucht 
wurde früher ja hauptsächlich im badischen Unterland betrieben — 
für Schafe, die „nicht mehr zulegen" und deshalb dem Metzger 
übergeben werden, weil sie die „Sucht" haben, alle Pfützen 
auszusaufen und dann krank werden. Vgl. noch Anhang No. 20; 
(fo Hafnerguguck, der um die Mitte des 1 9. Jahrhunderts aus der 
Fremde die sogenannten Kuckucks einführte = Kinderokarinos. 
aus rohem Ton mit nur einem Tonloch. Bald hallte das ganze 
Städtchen von diesen Kuckucksrufen wieder, die aber allmählich 
einem zur Last fielen. Der Name hat sich nun allmählich zu 
einer allgemeinen Schelte für Hafner ausgewachsen. Do Oa^falt 
= Einfalt, allgemein für Dummkopf, ein grober Mensch namens 
Dumm, der lieber mit seinem Taufnamen genannt sein wollte. 
Als er einst einem Manne, der ihn bei seinem Zunamen rief, 
mit Absicht kein Gehör schenkte, forderte ihn jener mit dem 
gleichbedeutenden Oa^falt heraus — Alnfaldt, Mone S. 83. 
D<f Kammärde, der einst aus der Fremde seinem Freunde schrieb: 
„Lieber Kammarde" statt Kamerad, oft = Johrgänger = Alters- 
genosse; d'Öhlpfifj vulgo d'0liv<*, deren eingewanderter, unge- 
schickter Mann ebenso schlecht schreibt wie spricht. Als Bräu- 
tigam konnte er einst nicht einmal den Namen seiner Braut recht 
schreiben. Ein bekannter Witzbold, do Latsch , benützte zuerst 
diese, von ihm wol noch veränderte und zurechtgestutzte falsche 
Schreibweise zu einem Spitznamen für die Braut (s. § 94). X^ 
Abuu, ein Viehhirt, der in der Schule nicht einmal das ABC 
recht lernte und deshalb eines Tages ABU sagte; d9 Zundd 
oder d9 ZundeUiainer, den der Lehrer einmal für „so dumm wie 
Zundel*' «= Zunder erklärte; d9 Hos^gMe, der in der Schule 



Die volkstümlichen PerMoneunainen einer oberbudiscrhen Stadt 259 

«inst seine Hosen verunreinigte, früher ein alljremeiner Aus- 
druck; (/t? Schwizer, der sogar in der Schweiz um Brandgeld 
bettelte, deswegen dort aber eingesperrt wurde; dt S(xh1rh'cl\ 
früher Bäcker, dessen Frau sich von ihm einst wegen gewisser 
Mängel scheiden lassen wollte und sich später wirklich auch von 
ihm trennte ; ih Fünffuess, ein Schlosser, der einmal fünf Fülie an 
«ine Pfanne machte; do SuUnulU der als Kaufmann sich um 
1870 damit brüstete, das beste Mehl zu haben, nämlich, wie der 
<iamals aufgekommene Ausdruck lautete, „00 Mehl", gleich dem 
früheren Semmelmehl oder „Vorlauf". Im Laufe der Zeit bekam 
der Titel einen hässlichen, beleidigenden Beigeschmack = Nichts- 
nutz und wurde so zum ortsüblichen allgemeinen Scheltwort; df 
Sohn vom Vatier, auch = (h Karl AUtert (s. g ^9, 2), der sich 
ll^ern wichtig macht und dessen •{• Vater so viele Stücke auf 
ihn hatte. Vom Vater wie vom Sohn sagte man ja ^l)äif(r) hat 
'f Gsch . . . (Sach) ;;/// .s/w«/ Kind". Der Name ist auf ihn über- 
tragen worden von einem früheren Inhaber, der aber jetzt einen 
andern Titel bekommen hat. Dieser wurde einst von seinem 
Vater, welcher die Maurerarbeiten des Kirchenfonds zu besorgen 
hatte, zum neu angekommenen Pfarrer geschickt, um sich auch 
vorzustellen. Dabei vergass er aber in seiner Beschränktheit 
seinen Namen zu nennen und gab auf Befragen die Antwort, 
«r sei der Sohn vom Vater. J),f Kord^oufe/, eine alte Jungfer 
Kordula D. vulgo (TKord^J, die ihren großen aus Holz geschnitzten 
Engel jährlich mehrere Male feierlich am Bache wusch, daneben 
Anspielung auf ihre Scheinheiligkeit ; d' limio^nnarn oder d'Frri- 
Ju^tsniarei, die anfangs des 10. Jahrhunderts wegen Ermordung 
ihres Manns .,geköpft" werden sollte vom Scharfrichter von 
Möbringen. Sie wurde aber in letzter Stunde vom Fürsten zu 
Fürstenberg begnadigt. Noch jetzt kann man Einzelheiten dieser 
Begebenheit aus vieler Munde hören. 

§ 100. Hervorzuheben sind verschiedene denkwürdige Be- 
gebenheiten und Ereignisse von ^ano ^/.s"*, die nämlich auch 
in manchen Schimpfnamen ihre Spuren hinterlassen haben; denn 
damals gingen, wie manchenorts, auch in Möhringen die politi- 
schen Wellen ziemlich hoch, wohnte doch hier der später in 
der Schweiz verstorbene J'irilkommissiu"' Dr. Tissot. IhAchtt- 
n0rzg9r, der provisorische Revolutionsbürgermeister der Stadt: 
dtf Kas^tnatter, der als Revolutionär in den Kasematten von 
Paris eingesperrt wurde; d* lMn(mat1is) = Mathias E., der 



260 Bert sehe 

damals mit einem Böller = Beehr auf das Haus des alten 
Bürgermeisters, Abg. Fischler, schoss; (1j Hauptmann , der das 
in der Umgegend gesammelte revolutionäre Heer befehligte und 
deshalb nach Amerika flüchten musste. Nicht zu verwechseln 
mit dem sogenannten Houptma^^ i"^ 8 97, i. Do Gmeinderlc^ 
kleines Männchen, der eine Revolutionsgemeinde haben und 
bilden wollte; rfo Kosiit, der sehr für Kossuth schwärmte; (l,f 
Sonnemamiy Wirt zur Sonne, der seinen Gästen oft und gern 
aus der Zeitung vorlas, und zwar mit Vorliebe über die Revo- 
lution, dabei auch von dem Frankfurter Abgeordneten Sonne- 
mann. Der damalige Arzt Gageur hat ihm diesen Namen ver- 
schafft. — Sonst tragen die Besitzer oder Pächter der zwölf 
Wirtschaften gewönlich keine Übernamen, w^as einigermaßen 
auffallen könnte. Der Grund ist der, dass bei ihnen der Wechsel 
zu groß ist. — D^ Sehelschnidor^ ein großsprecherischer Schneider, 
der sich anno dazumal mit zwei Säbeln, einem kleinen und 
einem Reitersäbel, bewaffnete, um sich besser verteidigen zu 
können; d^ Ja- Ja in § 82, 2. 

§ 101. Von einzelnen Fastnachtsspielen und -scherzen, 
die früher am Orte sehr beliebt waren — s. Einl. § 4 — 
rühren die folgenden Spitznamen direkt her. Dazu d<f Meisirr 
Langfinger in § 98; do Vi(c)tori<^vogel, ein lustiger Schneider, 
SL\xc]\Vi(tori9schnider — seine Mutter war r/' Viftoor — Victoria — 
Freund und Besitzer von Vögeln, der einst, um seinen früheren 
Schimpfnamen d<) Gäol Sehnider, als Sohn des Gü^U^ loszu- 
bekommen, einen Gäulits = Hänfling vgl. Stieglitz = Distel- 
fink in einem Käfig herumtrug und ihn den Viktoriavogel nannte. 
Vgl. d.y Ga^^sbur sj 431, i, rfo SchneHleiffer, der bei einem sipge- 
nannten Sacklaufen an der FasmH, wobei man, bis an den Hals 
eingenäht in einen Sack, um die Wette laufen musste, den 
ersten Preis errang; sSpinnJilrn, der prozesssüchtige, verleum- 
derische Müler B.t früher = sSpUMrn — s. Spinnenhirny 
Bück unter SpfmnenmaHin — dessen Name von einer vor etwa 
30 Jahren öffentlich aufgeführten „Schnitzelbank" = Hobel- 
bank: „Ist des niH d Spinn am Hirn"' usw. herrührt; difWahoory 
Schiddomachory Weber, ein großer Spassvogel und Verschwender, 
,,halb verruckt '*, der einst in einer Winternacht um Fastnacht, 
mit zwei Zylinderhüten auf dem Kopfe, im hochangeschwollenen 
Bache herumgelaufen sein und dabei gerufen haben soll: „Wa- 
bor, Schuldenmachor*" usw.; dcf Xaror = Xaver Sator, ein 



Die volkstümlichen Peisonennameu einer obcrbadischen Stadt 261 

humoristisch veranlagter, kleiner Kaminfeger, auch = s'Satorle 
§ 69 a, von dem jetzt noch viel erzählt wird, obwol etwa 1780 
geboren. Diese Veränderung seines Vornamens wurde wol auch 
in einem Fastnachtsvers oder sonstigen Spottgedicht vorgenom- 
men, um Tauf- und Zuname reimen zu lassen. 

§ 102, Zu einer neckischen Benennung gibt oft Anlass die 
nachlässige und schlechte oder missbräuchliche Ausübung 
des Berufs, die bloße Handhabung eines wenig einträglichen 
oder verachteten Geschäfts, oder die Ausführung einer 
Lieblingsbeschäftigung. Vgl. Ausdrücke wie die Regierung, 
der Herr Rat u. a.: 

1. 7fe Nii^hafner oder Frimahafner, der fast nie „hafnerte'', 
und dann auch nicht gerade Primaw^are lieferte. Vgl. Pritna- 
glaset' in § 92, 3, d^ SelUivanger, der selten und wenig wagnerte. 
Schon im Mhd. dictus selten werc bei Socin; do Elaumeenfig' 
(schu^naclierj, der oft „Blauen" machte und überhaupt nicht 
viel „leistete" ; rfa Klal^wcnggdeweber, fauler Arbeiter, fleißiger 
Schwätzer, der früher, als er noch wob, öfters gesagt haben 
soll — nach einem langen Gespräche — jetzt müsse er aber 
noch „i^ Tdebnvenggde^ weben = ein klein wenig; da Bdilivebr, 
der jetzt noch als armseliger Weber hausiert, wie ein Bettler; 
do rieh Weber oder auch do yliclde Weher = glückliche, der in- 
folge einer Erbschaft sein Handwerk nicht mehr ausüben zu 
müssen glaubte; d^ Bise-(Bise) = Lockruf für eine Katze 
==: JBnsiy Diminutiv Bisele, ein Metzger, der allerlei Unerlaubtes 
g-eschlachtet haben soll; do Jidlc, ein klein gewachsener Kauf- 
tnann, der den überschlauen, verschmitzten Handelsjuden, die 
-auf den früheren großen Viehmärkten von Möhringen stets zu 
Sehen waren, etwas stark nacheiferte; do Broafschu^, der meist 
Schlechte, zu große, breite Schuhe verfertigte; do Niuüohecl\ 
fiäcker nur im Nebenamte, der unförmige Wecken, wie Nudeln, 
tjoachte; do Bischof, ein umgesattelter Theologe, von dem sein 
A/'ater prophezeit haben soll, er bringe es noch zum Bischof bei 
Beinen Kenntnissen. Auch unter den mhd. Übernamen bei 
Socin kommt ein Bischof vor! Bo Vogt oder do Strcklr-^Wird^f- 
'^ogt, der die Grenzen seiner Macht eines Waldhüters, als welcher 
^r einen besonderen Stock, zum Beil hergerichtet, trug — daher 
Steckte — , wol manchmal überschritt und das von ihm be- 
"Vrohnte Stadtviertel, do Wirdo, ordnete und musterte. Vielleicht 
Renommierte er auch gerne mit seiner Herkunft, da sein Vater 



262 Bertsche 

aus dem Hause des ehemaligen Vogts von Konzenberg im nahen 
Esslingen stammte, s'alie Vogts Hus. 

2. D9 Bafz^marte, der einst als Amtsbote Briefe, die damalig 
einen Batzen kosteten, zu Fuß nach dem drei Wegstunden ent- 
fernten Engen tragen musste (vgl. Phenninchschuester 1327, 
Bück); (fo A^'oiichkopf, der, wie schon sein Vater, berühmter 
und vielbegehrter Pfeifen kopfan rauch er war; s^Schnapsmareile» 
eine langjährige Witwe, die einst eine verrufene Schnapskneipe, 
vulgo d'Lafeet^, betrieb. 1)9 Tschäpper, der in seiner Jugend 
oft bei der Schafschur behilflich sein, und besonders die Woll- 
bündel = Tschäpper, tragen musste; s'Blä^mle oder s'JBIoani^*- 
tiuireile, alte, ledige „Blumenmacherin"; d^ Kesslerjimd — vgl. 
§35 Anm. — , dessen Vater ein Kesselflicker, und er selbst 
unermüdlicher, allbekannter Trödler, Lumpensammler und Korb 
macher war. 

3. D^ gross Giger oder do Breeselegiger , ein guter, abe r 

kein großer Geiger, von hoher Gestalt, der aber als Landwi i ^-t 

nur wenig, nur y Breesele = Diminutiv von Broos9m9 = Br r v 
Samen (vgl. Brösamlengeiger , Birlinger II S. 429) Ze it 
hatte für seine Kunst; d9 Bummerhdler^ der früher bei da^a^r 
fahrenden MusikkapeUe war, die gelegentlich, bei Jahrmärkte n» 
Tänzen usw., da und dort spielte, und dabei die große Tromn^^Hel 
schlug. Allmählich kam diese Zunft in Verruf, daher das v( 
ächtliche des Titels. Wol auch Anspielung auf die magere, 
drungene Gestalt. Ortsüblich ist „kurzer Bumtner*'. 

§ 103. Eine interessante Gruppe von Spottnamen bild. -^n 
jene, welche nur auf die eigenartige Verwandtschaft u ^~^d 
Herkunft des Namensträgers hinweisen. Unnamen können nä^ ^ni- 
lich aus Worten und Namen bestehen, die, wie fast jeder hai — ni- 
lose Rufname, lediglich jemands Abstammung andeuten, an 

welche aber der Betroffene aus gewissen Gründen nicht erinn -^rt 
werden möchte. Nicht immer haben jedoch solche Benennunj 
von vornherein einen bösen, beleidigenden Sinn, — haben 
sich doch meistens aus den Rufnamen entwickelt — , sond« 
nur dann, wenn die Vorfahren, ohne allgemeine Spitznamen 
habt zu haben, — wenigstens hat sich keiner vererbt — 
schlechtem Rufe standen, oder Schuld der Verarmung ihrer N« 
kommen waren, oder auch dann, wenn die letzteren, gewö- 
lieh aber erst die Enkel, als Bessergestellte oder Sichbes! 
dünkende — offen sich ihrer Ahnen zu schämen anfam 




Die volkätttinlichen Persoiienniimt?!! einer uberbadischen IStadt 263 

U Sclnndcrsoffe.^ alte Jungfer, deren Vater Wasenmeister = Schin- 
det' war; s'StncheammJrcilr, uralte Jungfer, deren Vater Eusta- 
chius vulgo (li Stäche hieß; rf<> Vant oder s' Davits Hermann^ 
in der Schule auch =- d9 Dufinl: nach der Finkenart dieses Na- 
mens, die für sehr dumm gilt und unangenehm riechen soll, 
der nur «Hennann Beck" genannt sein will, da sein Vater, rf.? 
Davit., sehr arm war (s. § 39); (TRos^henvmarjafpt, alte Jungfer, 
deren Großeltern mütterlicherseits s' liosabf^iies hießen; Rosa 
und Benedikt Rohrer; vielleicht zuerst d^ lior^bene von Bord^r- 
ttetxe, also ein Pantoifelheldenname, wie Nagli>fer(le neben XaghJr- 
ferde. Die Frau soll ein großes Vermögen „verputzt" haben. 
(V Sch't'i^nanyu*., deren Großvater Scherenschleifer war; d^y Schin- 
der, dessen GrolSvater mütterlicherseits Wasenmeister war. 

§ 104, Ähnlich verhJilt es sich mit der boshaften Benenn- 
ung eines unehlich Geborenen nach seiner ledigen Mutter 
oder gar nach dem bekannten oder mutmaßlichen Vater: d<) Jit- 
dittcr, dessen Mutter Judith hieß; d') Stach<)hH^, Sohn des Stache- 
franzele, lediger Schwester des ebengenannten Stacheamnureile. 
Vgl. Anhang No. 18. de Tnttlc(jo)hanrws oder einfach d^Trutlr^ 
welcher, da sein Vater viele Kinder hatte, von einer verwandten 
alten Jungfer namens Gertrud M. = sTndle auferzogen wurde, 
so dass es wenigstens schien, als ob diese seine Mutter wKre. 
Seine zwei Töchter heißen teilweise jetzt noch, obgleich ver- 
heiratet: d'Truflvatma und -magdr*Ien\ Früher hieß er auch 
d^ Suchifrcsser, wol Schulname. Sndd = Schnuller, d. h. ein 
kleines Säckchen mit weichem, verzuckertem Brot gefüllt, zum 
Smig*) = SucI'Ik — Jh Muserphilippy dessen Vater Maulwurfs- 
(= Schermaus)fänger, d. h. = Miiuser in Geisingen war. Hier- 
bei soll auch noch dessen verächtliches Handwerk verspottet 
werden, di) Fddchysch nieder, der von einem .,Polacken" ab- 
stammen soll; d'y Schlesinger, der, wie man sagt, von einem zu 
Anfang des vorigen Jahrhunderts in der Stadt einquartierten 
Soldaten aus Schlesien stammt. Vgl. Möhringer, Immendinger 
u. s. f. Es heißt übrigens auch, er habe Bosinger geheißen. 
De (jangj Jäclc — übrigens noch ein Kind, dessen Vater ein 
gewisser Jäck. Diese ganz junge Bildung lag wol deswegen 
nahe, da der Name auffiel, weil auch ein bekannter Vogel so 
heißt, nämlich der Häher. 

§ 105. Ebenso wird die Mutter eines unehlichen 
Kinds manchmal benannt nach dem Vater des Kinds. Dieser 



264 hertsclie 

Name bleibt ihr auch dann noch, wenn sie später einen andern 
heiratet. 

lyHuugdro, alte Jungfer, nach einem gewissen Hauger in 
Donaueschingeu, bei dem sie in Dienst war; (TJächin von Jäck, 
einem fremden Bauführer. 

Hierher gehört auch der folgende eigentümliche Fall: 
iVMan,?, „ein großes, verdorbenes, freches Mädchen Franziska X., 
vulgo (VFranzl, aus roher Weberfamilie, das einen Gesellen 
seines Vaters heiraten wollte. Es sei, so hört man allgemein, 
ein außergewöhnlich großer, hagerer und gebeugter Mensch, 
Manz mit Namen, gewesen. Dieses würdige Pärchen soll ver- 
traut miteinander verkehrt haben; allein der Webergeselle ver- 
schwand kurz vor der Hochzeit auf Nimmerwiedersehen, und 
von dort ab nannte der Volksmund das Mädchen spöttisch Frau 
Manz. Als sie aber später einen andern Burschen genommen 
hatte, sagte man ihr nur noch d'Munz, oder im Reim auf ihren 
Mädchennamen Franzi einfach (VManzl"", 

§ 106. Auf die Abstammung von einer überzärtlichen 
Mutter weisen nachstehende Ausdrücke hin, die wol meist 
Schulspitznamen vorstellen. Vgl. § 86 Anm. und §g 81, 89. 
dp(s)Addflc; .v'üTa^/je/teW^, dessen Vater Kaspar hiess ; s'Maj'f- 
biMe, GOjährig, dessen Vater wie er Max hieß; s'Hnplnehh\ 
82jähriger Junggeselle "J", Hafner w4e sein Vater und sein Bru- 
der — nicht zu verwechseln mit dem viel später lebenden 
Hafn^rbi^lde in § 70 — ; sFadMoUe = K. Faden, der zudem 
noch ziemlich klein und Junggeselle war. 

Auffallend ist, dass es sich hier nur um Männer handelt. 

§ 107. Schimpfnamen vererben sich fast ebenso hartnäckig 
wie die allgemeinen Rufnamen, kommt es doch nicht selten vor, 
dass sie fast die ganze Hinterlassenschaft ausmachen. Für sie 
gelten auch annähernd dieselben Gesetze der Vererbung wie 
für diese. Vgl. daher §§ 44 — 51. Fast durchweg werden 
sämtliche Kinder von vornherein durch Komposita benannt, be- 
stehend aus dem Übernamen des Vaters, oder der Mutter, und 
zwar, abgesehen von unehlichen Kindern, dann, wenn sie auch 
so einen „Schletterling" besass und dazu die Hauptrolle im 
Hause spielte, und dem eigenen Taufnamen als zweitem Bestand- 
teil; denn die ganze Familie und gewöhnlich auch das Haus 
wird spottweise nach dem Schimpfnamen des Hausherrn bzw. 
der Hausfrau bezeichnet; z. B. s'NiidUb€ck9(hus), s'TrawaUes- 



Dio volkstüinlichon PersoueniiHiiit'ii einer oberbadi^clieii 8tudt 2()5 

oder s^lUiht(hus), sUmmers (Familie). In cuinulo heißen die 
Kinder also z,B,\ s' Ffudehcclc^ Bu^Uk sBüJh^ Meidlc, s'Trufles Kind, 
PL; ein einzelnes dalier: a' H'dters Johami , s' Bühf Battisty s'Wh- 
JiOpp(n) Anne, oder wenn nur ein einziges Kind überhaupt vor- 
handen ist, meist: s'WiskapfohU'f bzws -meidle* Dasselbe pfilt 
auch, wenn bloß ein Kind seines Geschlechts da ist. Dieser 
Kindemame kann nun an dem Betreffenden haften bleiben bis 
ins Alter, und zwar dann, wenn kein Schulspitzname und auch 
später kein anderer, persönlicher Spottname ihn vertreibt. Ohne 
Beachtung der bei den Friesen geltenden Primogenitur behalt 
für immer den Eiternunnamen von mehreren Kindern stets das- 
jenige, welches ihn am ehesten verdient, weil es dem betreffen- 
den Elternteil am meisten nachschlägt, und zwar besonders in 
den durch den Schimpfnamen hervorgehobenen Eigenschaften. 
Über Frauenruf- und Schimpfnamen vgl. übrigens §§ 54 ff.. 
65 ff. Verloren gehen kann er indessen dem Kinde später doch 
auch noch, nämlich dann, wenn es sich etwa längere Zeit in 
1er Fremde — Militärdienst, Wanderschaft usw. — aufiiält, 
ider auch durch seinen Karakter oder besseres Wirtschaften in 
inem eigenen Heim bald sich besonderes Ansehen zu erringen 
ennag. So kann der elterliche Spitzname ganz verschwinden 
id aussterben, oder aber nötigenfalls auf eines der andern Ge- 
hwister übergehen. Der Form nach macht ein solcher Name, 
chdem er sich einmal bei einem Kinde festgesetzt hat, mit 
n Leben seines Trägers einen bestimmten Wandel durch. 
^ genetivischen Ausdrücke s'Hihns Biio und s'Ilibers Mcidlr 
dichten sich bald, wie die zusammengesetzten Rufnamen 
nttheres s. § 14 — zu wirklichen Kompositen: d^t HihrhU't 
8* Uibenneidl^ oder später d^ Hd)erpaid'o^, Aus dem Hidter- 
l kann sich dann leicht, besonders wenn er der einzige Sohn 
I d9 jung Hiber entwickeln, welches solange üblich ist, als 
■ 't Hiber noch lebt, oder auch noch geraume Zeit nach dessen 
B GMtung hat, bis wir einfach wieder einen Hiltcr haben. 
mj letztere Erscheinung kommt bei Rufnamen jedoch seltener 
^ Meistens aber ist der ererbte Unname irgendwie moditi- 
K. d. h. auf den neuen Träger zugestutzt. Mit dem HHjcr- 
^^ verhält es sich aber ganz anders. In ihrem Namen 
1^ 3 man nicht wie bei ihrem i^ruder das zweite Element 
band weglassen; denn dann bekäme man ja die Form 
Qovierten Femininums: d'Wh'h'r^ wie die Mutter als Frau 




266 ßerteche 

des Hiber hieß, oder wie die Frau des jungen Hibers mit der 
Zeit heißen wird — jetzt noch = di jumj Hib^re — . Die 
Schwester des Hiberhw) wird man demnach bis zu ihrer Verhei- 
ratung und wahrscheinlich noch nachher eben cCHiberpauli^ 
nennen. 

§ 108. Es seien nun die bekanntesten Beispiele bloß 
ererbter Spottnamen, zur Erläuterung des eben Gesagten, 
aufgeführt und zwar nur gangbare Namen älterer Personen, denen 
noch viele andere beigefügt werden könnten, besonders von 
jungen Leuten im Alter von etwa 15 bis 25 Jahren, größten- 
teils Fabrikarbeitern, bei welchen diese Art von Bezeichnung di< 
gewöhnliche oder fast ausschließliche ist, da sie meist nocl 
keine eigenen, persönlichen Beinamen oder nur Schulschimpi 
namen besitzen. Die Formen mit -bif^ und -mekUe erhalten siel 
meistens nur solange, als die Betreffenden ledig bleiben. 

Reine Erbnamen: <b ]3aigott, do Base, do Pfude, d9 HätMn 
d^ Hibcr, d^ Bone, d9 Soniiemann, d^ Wislopf, ohne tatsächli( 
weißes Haar geerbt zu haben, rf^ Rinaldini, tfo Hos^läde, ( 
Funk; do Kochdaht und d" KochogaU, in der Jugend = sKocl 
Krumme, dann d<) Koch^Jcnimm, welch letztere zwei Brüder sii 
und von ihrem mit zwei Namen bedachten Vater je einen erbt( 
Hierzu gehört auch de) Modetf, unehlich, nach der Mutter, ui 
d^Modett<)min(t, eheliche Tochter des (alt^) Modelt; s'Bur^meid 
Vgl. § 95 Anm. 

Modifizierte Erbnamen: s' (di)) Starai^na^ze, Sohn c^-^ies 
Starai; d<) Hanneaugust, erst 35 Jahre alt, und sein Bruder (h 

Hannewülwlm, BO jährig, deren Vater rf«> Hanne noch lebt; d» 

Bäsehui), dJ jung Base und d9 Bäseleo, bei dem noch sämtli( i^he 

vier Benennungsarten im Gebrauche schwanken; d'Kodexdhäi 
ledige Tochter des Kodex, s. Anhang No. 17, i; d' Gockelamnu 
— A. M. Finus geb. Seh., unehliche Tochter des GocJcd = 
hanna Seh., die schon in den 30 er Jahren des vorigen Ji 
hunderts starb. S' Gockels sind ein altes, weitverzweigtes 
schlecht, denn schon Ende des 18. Jahrhunderts — das näl 
Datum des betreffenden Salbuchs ist nicht mehr zu ermitteli 
kommt das bekannte, noch unter diesem Namen vorham 
Gogglsdälle = Tälchen vor. Aus dem Alter erklärt sich di 
wol auch das auffallende offene o in Gockl (vgl. § 92, 3 
>§ 111); d'JIihrrpanlifi, ledige Tochter des Hibr; s'Zundlpt 
Diminutiv von Paula; d^Boolenianne oder s'Bolerfneidle, 





I 



Die volkstttiulicken Personennamen einer oberbadiächeu Stadt 267 

sehr lange ledig war (abgeschwächte Form von Bo^^ler); il^ 
Schu^sclUerfran^:, bei dem sich ebenso das eigentlich beleidigende 
Kriterium des Vaternamens = ASrhustr verlor, sonst sagt man 
aber gewöhnlich Schuhmacher; d) gross Sclnrizer = langer Sohn 
des Schiriger; d'f Udeheisle, Sohn des Holebaus in § 97, 4; rA> 
Bäh oder d) Bäh)fjattist, ehlicher Sohn der l?//to § 113; (1(1) 
fjross GtffO, Tochter des Grossffign', auch sehr groß; di Grloi, 
früher sGlisinwidle von s'iriloU Mridle, Vgl. Anhang No. 17, 3, 
und d; gäal Sehu^machrr oder df gäal Bfo), Bruder der Vorigen 
und Sohn des Gä(d<f; d^f gäal Schnidcr, Bruder des Vorigen, jetzt 
meist d'^ ViUoriovogd oder -schnider s. § 101; d' Muttlekwfh , un- 
geschickte Tochter des sogenannten MuttUwangers in g 93, 4, 
die erst spät nach auswärts heiratete. Da sonst kein Übername 
vorkommt, welchem jemandes Beschränktheit und Dummheit im 
allgemeinen Sinne zu Grunde liegt, wie bei Schulspitznamen der 
Kinder, z. B. Grr<ßga^Sy Brotesd usw. (vgl. g H^j, so dürfte 
dieser hauptsächlich als Gegenstück zu dem ihres überpfiffigen 
Vaters geschaffen worden sein, da der erste Teil des Namens 
eigentlich ja nur die Abstammung bezeichnet. Das Ganze, ur- 
sprünglich wol noch als Oxymoron gefühlt, bildet dann auch noch 
ein offensichtliches Gegenstück zu einer sogenannten 3Iutthgo(fsSf 
eine Geiß ohne Hörner; vgl. auch Anhang No. 18. 

§ 109. Nicht selten geht uin Schimjjfname sogar auf Enkel 
über, was wieder aus den Namen mancher junger Leute, die 
hier jedoch nicht berücksichtigt sind, zu ersehen ist. Wenn bei 
den Söhnen der ererbte Schimpfname durch andere verdrängt 
oder aus irgend einem Grunde — Ansehen, Auswanderung 
u. s. f. — nicht angewendet wurde, so tritt er mitunter bei 
den Kindeskindern wieder auf. I)J Funk, df Ktx^hdiabr, d^ 
Jläserbu^, Enkel des Maser. Sein angesehener Vater hieß aber 
nur ffo Koler oder d'^ FlscklrrnnHUcJc, denn er war Köhler; 
iTSvhivizersophe, 70jährige Tochter des obigen grosse Schwi^cr, 

1« Es sei hier daran erinnert, dass UunaintMi auch dann noch als 
solche gelten nnd wie ein«* Beleidigung aufgefasst werden, wenn deren 
Bedeutung fast allgemein, selbst für den He.scli impften, nicht mehr be- 
kannt ist. 

2. Eh kann sich treffen, dass der Elternname sich nur durch ein 
Mädchen erhält und fort])flanzt : dann nämlich, wenn, wie im letzten Falle, 
«lie Brüder desselben alle besondere, eigene Schimpfnamen erhalten haben: 
d^ Baron, (U Xudhberk und d^ liiueldine sind die ((jrossej Schwizerhu^fh^y 
also die Brüder der Schiviiersophe. 





268 Bertsclie 

g 110. Ebenso kommt es vor, dass Geschwister Schimpf- 
namen voneinander erben, d. h. bekommen. 

D'Kord^^niarisepp<^, f 1860, 80 jährig, ledig, deren ältere 
Schwester = rf«? Konhengel; s' Biichelheck^niagdMen^ Schwester des 
Buckelbeck ; (V) gross Booler, größerer Bruder des Boder, eigent- 
lich = Boiler; d<) Goclcelbattist, dessen Schwester d3 Gockel war, 
deren Name sich seit 100 Jahren noch in verschiedenen Ruf- 
namen, die den ursprünglichen Schimpf verloren, erhalten hat, 
z. B. d^ Gockelandres. Der Stammbaum des alten Geschlechts 
kann aber auf mündlichem Wege nicht aufgestellt werden. 

§ 111. Vereinzelt steht der folgende Fall — vgl. jedocl 
§ 50 — d^ jung Jtlotlieck, benannt nach seiner Mutter Bruder.«, 
bei dem er aufwuchs, zumal da er auch rote Haare hatte un 
ein Lump wurde wie dieser. Nach dem Tode seines Onkels wa 
er einfach selbst d<f liotheck, 

g 112. Sagen uns die im vorstehenden betrachteten Spot 
namen, von wem ihr Inhaber abstammt, so verrät die folgen 
Gruppe, wo er zu Hause ist. 

Manche Spitznamen enthalten nämlich einen indiskrete 
verächtlichen Hinweis auf die armselige schlechte Wo h nun 
das alte verfallene Haus, aus dem der Gemeinte stammt oder zr 
dem er zurzeit wohnt. — Damit ist jedoch gewöhnlich noi^^h 
eine andere beleidigende Anspielung verbunden. 

1. D^ Geerj früher Da Gerahur, aus der sogenannten Ge^ 
einem uralten Hause, früher eine Art Armenhaus. Da s 
einigen Geschlechtern das Haus in Privatbesitz übergegangn 
ist, empfindet man die vielfach vorkommende Benennung n»fc-cli 
der Ger<) nicht mehr als Schimpf. S. Anhang No. 24; d^ Tut^- 'ti- 
hann9sle, dessen verarmte Eltern einige Zeit im Adlertortu^ Tm 
ihre Wohnung hatten, eigentlich = Mangertor vom nahen An ^^ er 
vulgo d<^ Manger von im Anger; die Tore samt Türmen wurc^en 
etwa 1815 abgebrochen; d9 Turnapostel = StacJicbu^y des- sen 
ledige Mutter eine Zeitlang im Judentorturm wohnte, auch <=^ine 
Art Armenhaus. Er selbst war ein lustiger, überspannter ILj ^erl 
und Spassmacher, der überall Reden halten, predigen wo ^llte. 
Jh Spitlhuo, dessen Mutter als Witwe um 1860 den ehemal^Sgen 
Ortsspital — der neue heilk da Spitd — gegen Wohnungsir- «cht 
verwaltete; da Kapdzhnr (s. § 104 = d9 Trut4Üe)^ wetelMV «Hl 
einer alten Jungfer erzogen wurde, deren Häuscbe 
Itlslr, früher ein Kapuzinerkloster, er später i 




m 




] 



Iliilidii'ii reiBoiioniiainen einer oberbadischeD Stadt 269 

[[ingfer, HOjälirig, deren ledige Mutter eine 
^ sogenannte Bierhütte — Brauhäuschen, die früher 
f Wirtshaus ^'etrennt gebaut wurden — bewohnt hatte; 
unelilich , 55 jährig, verheiratet, geboren im so- 
wdb, ein baufälliges Haus mit einer gewölbten 
1 altes Röinerbad sein soll; s' Gtcäbmeidle, ehiiche 
Schwester des Vurigen, jetzt verheiratet. 
. D'Slihletnrnjiiy^t, die, weil stets ledig geblieben, in» Hause 
Ares Bruders das Wol i nun gs recht besass und zwar im sogenann- 
ten Siilile = Stübchen. Im Kaufbuch von 1825 S. 76 wird 
auch „das sogenannte hintere StUble am Hausgibel gegen den 
Adler" bei einem Kaufe erwähnt. Der Sohn räumte seinen El- 
tern dabei das Leibgeding darin ein, wie es früher allgemein 
geschah. — J/Gvellmainif. verheiratet; il' HislevUtoor, die dns 
kleinste Häuschen — selbst gekauft — am Platz inne hatte; 
d3 Jiitekwetier, der sich ein Haus auf die kleine Anhöhe = Bück, 
— vgl. den Flurnamen uf'm Schiljäbticlc — beim alten Juddtor 
bauen liell, bei dessen Abbruch auch die Straße tiefer gelegt 
wurde, weshalb das Gebäude dann ziemlich hoch zu liegen kam. 

1. Bei il«n unter 1 ticiiannten kommt auch das im vorher- 
gebendvn Ka|iit«l über <lie Abstnmniung AuegefOhrte in Betruclit und 
Geltung. 

2. Die bi-idcn Formen d» üer und d» Stible zeigen, dass und wie 
auch die HJtcn liistoristlien Ueschlechtsnanien, die in nackten Namen vuo 
WohnstUtten besteben, wie z. K. Hrunnen. Itiich.i. (lasa, seinerzeit wahr- 
scheinlicb niia znaammengeuetzten Namen entstanden sind. Vgl. Suciu 
XVIII, B, auch die uietaphor. Bedeutung vun: Kammer, Liedertafel u. s. f. 

% 113. Die letzte Gruppe unifasst diejenigen scherz- und 
ernsthaften Beinamen, welche entstanden sind durch oft witzige, 
hnmorvolle sprachliche Umformung eines Vor- oder Zunamens oder 
auch eines sonstigen Rufnamens, deren Orund indessen vielfach nicht 
recht ersichtlich ist — Kurzformen, Namensverdrehungen. — 
D» Bone, später da B(msha(r)t = Bonifazius K. vulgo rfj ]ioni>- 
faze, ein unbeliebter, grolSsprecheriseher Maun, der aber bald 
Verarmte, also ein Khnliciies Schicksal erduldete wie sein ent- 
fernter Namensvetter Bonaparte. So entstand Ende der 50 er 
Jahre das Fastnachtslied -. 

.da Bonabaa(r)t ist nimm» stulz. 
<)3 handlet jetz(t) mit Schweflholz, 
Louft d'Gaassn uf und ab; 
,liouf3 mar ou .Schweflh.ilz ab". 



270 Bortsche 

D9 HannJ oder (1j Hattinger Hanne = Johann Sp., vor 60 Jahren 
aus dem nahen Hattingen, wo diese Form auch nicht gang und 
gäbe, wenigstens zurzeit nicht ist, eingewandert; früher liörte 
man oft: ^di) nissUj oder d,) hsch . . .^ Hattinger H.*", da er für 
boshaft und hinterlistig galt. Vielleicht wollte er nicht ver- 
wechselt sein mit dem nachstehenden Namensgenossen: d<^ Hann, 
sonst GintBrhunne = Johann Günter, und d'Xann vulgo Ginter- 
nannc, zwei ledige, reiche, aber geistesschwache Geschwister, 
70 jährig; d' Wanger ann(o), verheiratete Tochter des sogenannten 
Wanger Johannes ; d'Bäh> = Barbara L., die sich mit einem 
Pantoffelhelden verheiratete, nachdem sie lange ledig gewesen; 
eine böse, gefurchtete Schwätzerin ; d'BuW^(n^fJ oder d'Jidi''^(w) 
statt Julian = Juliana, wol nach Fauli''^, KarJp^ usw., eine et- 
was exzentrische „unri^sc}it9rUclte'' , zweimal verheiratete Frau, 
die aber stets mit ihrem Mädchennamen bezeichnet wurde; rf^ 
Bobbl vulgo d'Behbe oder sBehbek = Josepha B., schon 35 Jahre 
Witwe, bekannte Näherin und Stadtbase. Boppel = Wollknäuel, 
dazu der Diminutiv = r) Bebbele. Bebbe ist generis communis. 
— IXHoa^^ = J. Hühnle vulgo d<^ Häufle — Hühnchen, daher 
Hoa^ = Henne, da der Betreffende ein großer Mann war. Seine 
kleine Frau hieß sHäa^^le oder d^HänHin. Diese haben nichts 
zu tun mit jener viel jüngeren Frau genannt sHäale in § 92, 3. 
d<> lieerowanger = A. Röhrenbach, Wagner, ein grober, sehr 
unbeliebter Wichtigtuer, der die Verstümmelung seines Namens 
als Beleidigung hinnahm. Dazu d*> Ger<^schnech = Schnecken- 
burger in § 92, 2, und s'Fixle, Schützenwurtin, geborene Fuchs 
aus Esslingen, klein, schlaue Heuchlerin und Klatschbase, in 
§ 69a. — Dd Gadir, der ein magerer, hässlicher und dummer 
Schüler war und von seinen Mitschülern d*^ Geer, weil ans dem 
armseligen Hause d'Ger<f stammend, geschimpft wurde. Sein 
späterer Meister — Maurer W., s. § 112 = d<) Turnapostd — 
ein Erzspässlemacher, der ^jähnisch** sprechen zu können vor- 
gab, veränderte Ger in Gadir. De Fise, jetzt mehr (U Sozial" 
demoTcrai, dessen Bruder aber benannt wird mit seines -j- Vaters 
unverändertem Rufnamen : FisM^^r = Füselier. Die Abkürzung 
mag wol zusammenhängen mit seiner, jetzt noch bemerkbaren, 
hastigen, undeutlichen Aussprache während der Schulzeit. 

!• überhaupt sind wahrscheinlich auch die andern, nicht befriedigend 
erklärten Namensänderungen, wie frühere ähnliche Fälle zurückzuführen 
auf die schlechte („Kuder welsch") oder fremdartige Aussprache entweder 



Die volkstttmliclion PtTsoiicniiamcn riner oherbadisobfn Stadt 271 

lies Betreffenden selb::«t oder seiner Eltern u. a.. was sieb aber nicbt nielir 
ffststellen ließ. 

im Vgl. hierzu: 17u7 ,<ter>rg sebniied. atniHten faber genannt''. 

§ 114. Wer bekommt keinen Schimpfnamen? Da die 

Mehrzahl der Erwachsenen, etwa 70 ^,o, ge^yenwärtig — und 
früher dürfte der Prozentsatz eher noch höber gewesen sein — 
unnachsichtlich bedacht ist mit einem zweifelhaften Epitheton 
Omans, sei es mit einem ererbten oder selbst erworbenen, so 
mag die Frage nicht unberechtigt und unmüliig erscheinen, wer 
denn nun eigentlich unberührt gelassen wird vom Dämon der 
Satire. Es konnte an vielen Beispielen beobachtet und fest- 
gestellt werden, dass gewöhnlich dann jemand frei ausgeht bei 
der Spottnamenverteilung, wenn er 1. eingewandert ist und sich 
bald eingewöhnt hat. es sei denn, dass er durch seine Mundart 
auffallen musste, oder 2. in seiner Jugend längere Zeit in der 
Fremde weilte, oder auch dann, wenn er H. wegen seines tadel- 
losen Lebenswandels und seines friedlichen Karakters — nur 
ganz ausnahmsweise schützt bloßer Reichtum vor einem Spitz- 
namen — sich Ansehen und Beliebtheit zu verschaffen vermochte 
und sich auch fernhält von lächerlichen Gewohnheiten, oder 
endlich 4. einen recht karakteristischen, auffallenden Rufnamen, 
wie z. B. (Vj\Inrj(f\ <l> üffcnhurger, df Dragovrr, dt Xmuler' 
na^ze, besitzt. — Wenn der Betreffende dann noch das Glück 
hat, von seinen Eltern keine solch anrüchige Hinterlassenschaft 
übernehmen zu müssen, oder doch den überkommenen Schimpf 
ein günstiges Geschick an ihm ausgelöscht bzw. auf irgend eine 
der in dem Kapitel über die Unnamenvererbung erwähnten mög- 
lichen Arten getilgt hat, dann erst darf er sich glücklich 
preisen, dem Schicksal der meisten seiner Mitbürger entronnen 
zu sein. 

Kinderspitznanieii. 

§ 115. Möhringen hat bei seinen 1200 Einwohnern 
durchschnittlich 240 Schüler. Von diesen konnten im Win- 
ter 1903/04 nur 85 ausfindig gemacht werden, die mit einem, 
mehrmals sogar auch mit zwei Übernamen gekennzeichnet 
sind. Sie verteilen sich ungefähr hälftig auf Mädchen und 
Buben. Die Trennung ist aber hier begreiflicherweise nicht 
vorgenommen. -(7<y" ist dabei meistens der Artikel eines 
Knabennamens, ^^9** zu einem Mädchennamen. Ausnahmsweise 
hat aber auch das grammatische Geschlecht über das natürliche 



272 Hertsche 

den Sieg davongetragen. Das ist besonders bei der sehr be- 
trächtlichen Anzahl von Verkleinerungsformen der Fall. Im 
ganzen und großen sind diese Schülerschimpfnamen ziemlich 
durchsichtig und wurden daher nicht so ausführlich erklärt. 
Dabei ist auch zu beachten, dass hier viele allgemeine Schelt- 
worte zur Anwendung kommen. Es ist dann interessant zu be- 
obachten, wie da annähernd dieselben Gesetze herrschen, dass 
die gleichen Grundsätze maßgebend waren wie bei der Schatfung 
der Unnamen für die großen Leute, wenn auch ihre Wirkungen 
und Ergebnisse hier nicht so mannigfaltig sind. Es gilt also 
die nämliche Einteilung wie bisher. Der Kürze und Einfach- 
heit halber wird sie jetzt nur nicht so ins einzelne hinein aus- 
geführt. 

§ 116. Körperliche Eigentümlichkeiten und Gebrechen 

aller Art geben Anlass zu vielen Neckereien: d<) Ma^^ebu^, der 
den andern Schülern so groß wie ein Mann erscheint; daher 
wol zuerst s'Ma^'h., dann rfj Ma^^e; sirustele = Gustav, sehr 
klein; s'Xiuleley ein Mädchen, „klein und dick wie eine Nudel"*. 
Vgl. im § 71 (t> GUchdkJc. sSchhnmcle — vgl. im Mhd. 
Sehimmiii(n)^ öfters bei Socin — , der schnell wuchs und des- 
halb jetzt mehr do Si'hlmnwl heißt; d<^ liötcl oder d ff rot Herme I 
(Rötel ist auch Bezeichnung einer roten Kuh, Katze; ferner 
= roter Kieselstein; Hermd ist sonst nicht ortsüblich für Her- 
mann); s^XopfwiUrj das schon einen langen Zopf trägt, dazu 
ein saures Gesicht macht und deshalb sehr alt aussieht; df* 
Schoder, ein Mädchen mit wirren, rauhen und gelbschmutzigen 
Haaren = Schodcr, das auch unsauber ist. Schoderhosch^ ist 
ein allgemeines Scheltwort. Vgl. Schodcrbiirin in § 93, 7. (/.y 
Xwewrlei^ der ein graues und ein blaues Auge hat (!); d<* 
Zu'izcrlr, der mit den Augen oft zuckt, „zwitzert" ; d9 SchiUnger, 
der stark schielt. Vgl. d^f scIi'dUg Edvwatt. Vielleicht Anleh- 
nung an den Geschlechtsnamen Schilling, der in der Umgegend 
vorkommt, dazu an Bildungen wie Möhringer, Tuttlinger; d't 
Latsch^ der stark vorspringende Lippen besitzt, und dazu ein 
loses Maul. Vgl. d^t Latsch in § 78. 17 Dollühr/c, schwerhöriges, 
kleines Mädchen. Tollohrig, ein Tollohr — allgemein für hart- 
hörig; s*Lan<iöhrh'\ d'f Zinl'<^, hat eine hervorragend lange Nase. 
Schon im Mhd.: B. dictus ZinJce, bei Socin; rt> Sto9rchdhaxds \ 
d') llotzlmsch')^ ein unsauberer Bursche, der besonders Nase und 
Haare stets vernachlässigt. Vgl. dJ Schodcr > R. ist Appellativ- 



Die volkätttralichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 273 

name = soviel wie liotztias^. d9 Dickkopf) Appellativ ; s' Heckerle, 
ein Mädchen mit einem kleinen Buckel = Buckele, Höckerle; 
s'Dam^händle, ein zartes Mädchen mit stets schmutzigen Hän- 
den, zu dem der Lehrer einmal sagte: ^Du hast Hände wie 
eine Dame, nur sind sie nicht sauber**. Vgl. § 72 d^ Damen- 
fuss; (fo GäMe, der mit krummen Füßen behaftet ist. Vgl. 
oben (FGaM § 72. S' Hopperle, das stark hinkt, „hoppert"; 
(l9 Hoppixer, desgleichen; Endung auffallend; de Langfiosder 
oder d^ Gallopp — Lopjf, der lange Füße besitzt und guter 
Springer ist; sFidcle, ein kleines Mädchen mit besonders star- 
kem Hinterteil. Vgl. d9 FuHodick u. s. f. in § 73. dr? Mizd- 
rieh, ein Knabe von 13 Jahren, der, für sein Alter viel zu 
klein und schwächlich, ein sehr spitziges und mageres Gesicht 
zeigt, sonst auch allgemein gebraucht; do Gä^louch oder Grä^- 
noitch. ein Bube mit gelblich-grünem, magerem Aussehen, ge- 
bräuchlicher Appellativname ; d^f BramMffm^er, der einen Brand- 
fleck im Gesicht hat. Vgl. d'^ Hantburger usw. 

§ 117. Zur Spottnamenbildung gaben auch reichlich Ver- 
anlassung eigentliche Sprachfehler oder bloß kindlich-un- 
geschickte Ausdrucks weise, oft nur gelegentliche falsche Aus- 
sprache, oder unrichtiges Lesen eines Namens, oder eines be- 
liebigen Worts. Dabei ist zu beachten, dass manche Kinder 
ihre so entstandenen Spitznamen schon in die Schule mit- 
brachten. 

Do Hafnergifßax, unehlich, böser Schüler, der bei seiner 
Großmutter, d* Hafnernanne = Witwe eines Hafners, (v)erzogen 
wird, und „im Galopp spricht", vielmehr stottert — „gaxt" 
= gackert; d^Wize. ein Bube namens Fritz, oft = Fritze', d^ 
( Flitze)' rtze, oder he-Äcke, der sich heute selbst noch /^e nennt, 
sein Bruder hieß Jakob; d'f AttJ^ ein sehr schlechter Sprecher, der 
allzu lange ^Attd" zu seinem Vater sagte; dt) Fmpele, der seinen 
Gölte = Paten namens Albert so genannt haben soll, von den 
Schülern wol angeglichen an HEiupele = Diminutiv von Ampel 
= kleines Ohllicht*, s'Dottele. das zu seiner Patin = Gott*^ 
Dottd sagte; d<f Watte, der den Namen seines älteren Bruders 
Eduard = Eddivatt oder auch Watt so aussprach; d'Jiuiepin^y 
ein Mädchen, welches ihre Nachbarin Josephina derart anredete; 
d^ Hureeso, der einmal beim Aussprechen des mundartlichen Worts 
für Hausgang, Hiisrero, eine Metaihi^sc vornahm; d^GaUino, deren 
Schwester Karolina von ihr so betitelt wurde; s Lfdzfntsle, das 

Alemannia N. F. 6. 4. |^ 



274 Bertsclie 

die Ratte, vulgo Matzmus, Lazwus nannte; s'lJmzeley das ebenso 
das R nicht sprechen konnte, als es schon den Schülerranzen 
tragen musste; d' DecJdebluck , desgleichen, als es von der so- 
genannten i)ecÄ;/^6rwcZ: = gedeckte Holzbrücke sprach; cU Dtiipp, 
desgleichen, von Strupper; d9 Lossstaal, desgleichen, von Ross- 
stall; d<) Hähepfl^ ein Mädchen, das jetzt noch eine schlechte 
Aussprache zeigt — Hä<^rdepfl = Kartoffel; rfr? Ho^^lig oder 
s^Biable, das seine Mutter verzärtelte und als großen Burschen 
noch ihr BiMc nannte, und welcher an einer Fastnacht beim 
Singen des uralten, allbekannten Verses „Hörig, hörig, hörig 
ist die Katz" — s. Birlinger II S. 32 — durch seine Aus- 
sprache auffiel; s BlämämmeU'=^^\e\^c\\^ ein Mädchen, das noch mit 
zwölf Jahren in der Metzgerei statt Hammelfleisch nach Kinder- 
art ^Blämütnmeh^Fleisch^ verlangte; d^ Bässebass, ein Knabe, 
der das ch nicht sprechen konnte im Worte Bächebach, orts- 
üblicher Name des Krähenbachs; rf<> Baal = Stall, vulgo Stdal ; 
d^ Eigaar, der sich einmal damit brüstete, sein Vater habe ein 
ganzes Kistchen FAyarren\ d^ Gähnnss, der eines Tags so das 
Wort Genuss las ; die Schüler dachten dabei wol an gäh = jäh 
und Nuss! 

§ 118. Manche Spitznamen der Schüler entstehen dadurch, 
dass die Schimpfnamen ihrer Eltern auf sie übertragen 
werden, mit oder ohne bestimmenden Zusatz und irgendwelche 
sonstige Veränderung, oder dass die verderbte und schlechte 
oder kindische Aussprache derselben auf den Namen der Kinder 
angewendet wird: 

1. S'Gai^sle = Gänschen von Ga^^s, PI. Gai^s, wie schon 
ihre Mutter in der Schule hieß ; s. mhd. Ge^isle, Socin ; s'Meisle 
(dialekt. aber = Mus, Diminutiv Mislc), ein Mädchen, dessen 
Vater = d'Maus genannt wird — s. § 97, i; vgl. Mmeli 
bei Socin im Mhd. — , dessen Bruder aber den Vaternamen 
nicht erbte, da er die betreffenden Eigenschaften, die seinem 
Vater den Spottnamen eintrugen, nicht in solchem Maße zeigt; 
s'Hdibelscle, ein sehr kleiner, wilder Knabe, dessen Vater = d^ 
Hdiheisle^ Sohn vom HdUjaus^ m § 108; s Scinvizorlv , ein 
Mädchen, dessen Großvater dr* Schitizei' (s. § 99) war, dessen 
Vater aber d^ Bincddini hieß. 

2. Dd Sappl oder s'Sapple = .Joseph, vulgo Seppl, dessen 
Mutter, eine Schweizerin, vulgo d^Ball^re, verheiratete Beller, 
s. § 79, seinen Namen sehr lange nicht richtig, d. h. ortsüblich 



Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 275 

aussprechen konnte; s^Novih, dessen Mutter alle ihre Kinder, 
von denen jedoch erst dieses eine in die Schule geht, mit auf- 
fallenden Kosenamen versieht. Novd und Schosel sind übrigens 
■allbekannte Kurzformen für Josephina, auch = Schosi^fi^^j vom 
Französischen; dt> (s^JSeppeky ebenso von seiner Mutter. Kindliches 
Diminutiv von Seppl(e). S'Dorle, sonst nicht gäbe und gang, 
von seinem Großvater so betitelt = Dorothea, vulgo Durodre, 
•ein seltener, etwas verächtlich gewordener Taufname; d9 (jriUjgä 
= Eigen in der Aussprache seines Großvaters; Eugenie = d'Eige^^. 
Es mag auffallen, dass gerade der Großvater nicht selten seinen 
Enkeln Übernamen verschafft hat, da doch sonst die Großmutter 
bei Kindern eine größere Rolle spielt und deshalb auch nur sie 
•einen besonderen, stets üblichen Kosenamen erhalten hat, nämlich 
<r Grossde oder d'Grossl; s' FiY/örfe = Victoria, vulgo Vittor, von 
■der Großmutter; d^ Boo — Buif, von seinen eingewanderten 
Eltern; d^ Garall = Karl — in der vermeintlichen Aussprache 
seiner Mutter, die aus München-Gladbach stammt; S'lii<fhile, 
Diminutiv von Buüe oder d^ Beehe, welchen seine ledige Mutter 
aus Affenliebe, und, wie mein Vater in solchen Fällen stets 
meint, auch aus dummem Stolz und Hochmut mit dem fremd 
und vornehm klingenden Bebe liebkoste. Vgl. übrigens in 
§ 86 Anm. d^ Bebe, mit dem dieser nichts zu tun hat. S'Bä- 
schele, Diminutiv von Busclie = Sebastian, welcher alte Name 
am Orte allmählich fremd geworden, im Diminutiv jedenfalls 
noch nie vorkam. Seine Mutter ist aus dem nahen Emmingen 
ab Egg gebürtig. Di> Franz, dessen Vater die umgelautete Form 
aus seiner Heimat, Württemberg, mitbrachte. 

§ 119. Kinderspitznamen verdanken endlich ihre Entstehung 
allerlei einzelnen Begebenheiten, geistigen und moralischen 
Eigenschaften und Eigenheiten: d^ Hänsele, der einst am 
Tage der Kinderfastnacht, d. h. am Donnerstag vor dem Rosen- 
montag = d9 schniotzig Dunschtig, früher auch di klei*^ Fasn^t 
— vgl. Birlinger II S. 30, 40, 49 — einen Hansel oder ein 
Hansde = Narr mit einem ganz bestimmten Kostüm und Gang, 
«dem sogenannten Hansdeschritt , machte, was sonst nur Er- 
wachsene tun ; d^ Bäor, der bei einem Kinderfastnachtsspiel den 
BSren darstellte. Ahnlich ist oft wol auch die p]ntstehung von 
Oeschlechtsnamen wie Papst, Bischof, Kaiser, Graf zu denken. 
^Sdinifde, zu dem der Lehrer einmal sagte, es ^ schnüffle "* 
übejrall herum, d. h. es schreibe von andern stets ab. Ih^ 

IS* 



276 Bertsche 

Schnifel = Schnüifel, Diminutiv. Schnifele bedeutet auch einen 
verzogenen Mund, gelinder als Latsch; dtf Sunnobrei^r, ein Mäd- 
chen, dessen Vater, Bierbrauer zur „Sonne**, sich einen Sohn 
als Erstgeburt wünschte, jedoch vergebens. Dieser gelungene 
Spitzname rührt jedoch kaum von Kindern her. DS('t'$tink<fiy\ 
zu welcher der Lehrer, da sie stets übelriechende, schmutzige 
Kleider trug, einmal sagte, man solle sie in den See = Boden- 
see tauchen, dann würde sie nicht mehr so st . . .; dtt Moder- 
stinher, unsauberer Malersohn, s'GilUfirU^, ein dickes Bauern- 
mädchen, das auch fortwährend mit Kleidern in die Schule 
kommt, die nach Jauche = Gill'^ riechen; (rBrigottosun, ein 
sehr unreinliches und dabei faules Mädchen, dessen ebenso 
unsaubere Mutter = (TBrigM = Brigitta — mhd. Suli, Socin — ; 
(1^ Aufrecht, zu dem sein stolzer Vater oft sagte, er solle schön 
laufen, aufrecht gehen. Nicht identisch mit dem in § 82 ge- 
nannten Aufrecht und dessen Sohn, die beide schon tot sind, 
tfo SchnalMruckiT, der als der „größte Esel" in seiner Klasse 
in der vordersten Bank sitzt und deshalb bei Schulschluss die 
Türschnalle zuerst drücken katin; iVGeeh^ya'^s, ein ganz un- 
geschicktes Mädchen aus der sogenannten Geehrt] iU Brootesl, 
dessen Vorname Brotasius vulgo Brotasl oder Brotase mit Be- 
ziehung auf seine Dummheit verändert wurde; s' (cU) Glasirlv, 
der auf Anordnung seines großsprecherischen Vaters = vulgo 
Prifnaglaser § 92, 3 schon seit 3 Jahren — jetzt lOjährig — 
ewig einen grünen „Glaserschurz" tragen muss; d^ Fresskoiif, 
der seinen Kameraden immer Brot, Apfel u, dgl. abbettelt. 
Allgemeines Scheltwort für einen Nimmersatt, auch = Fress- 
sack; s'Zp^sh', ein zartes Mädchen mit einer schwächlichen, 
leisen Stimme, Zv^slv = Zeisig, reimt auch auf lAf^sle, z. B. 
li^sle sprechen; sWlndspieL leichtsinniger Knabe, unruhig wiet 
ein Windspiel = Windhund; d' Nagelhex, ein sehr geschicktes - 
flinkes Mädchen, das seinen Mitschülern oft Spielsachen, z. 
die altbekannten sogenannten Nagelhexen macht = alter Hose 
knöpf, durch dessen mittleres Loch ein Streichholz = Nagel gc^^^* 
steckt wird, was dann als primitiver Kreisel dient; rf'SpiYWÄ^'-^*^ 
ein ebenso flinkes, „abgewichstes", d. h. schlaues Mädctm^n 
= Hex, dessen Vater d^ Spüdmax ist; cfo Oacher, ein behen€5i^'' 
Bursche, der klettern kann wie ein Oacher oder Oacherle = Ei<^*^- 
hörnchen im benAchbarten Walde. Vgl, mhd. Eicham^ Soofii* 
Endlich sind noc i^heiide, interessante BildunfET^^ 



Die volkstümlichen FersoueDnamen einer oberbadischen Stadt 277 

aufzuführen: d^ Kordax = Kordula, vulgo s'Kordüe, welche, wie 
der erwähnte Brotase(I), Kind eines wUrttembergischen Bahn- 
warts ist; $' Freue Bodc, dessen Vater als Farrenwärter oder 
= (fo Hag9fiJfMt^r9r auch die Gemeindegeißböcke pflegt und hegt. 
Namen wie Frau Bock — hier ist Bock wirklich Geschlechts- 
name — und Fräule Graf, Lehrerin, waren hier wol maßgebend. — 
§ 120. Es ist bemerkt worden, dass zur Bildung mancher 
Schülerübernamen einfach ein ortsbekannter Appellativname be- 
nützt und auf einen besonderen Fall angewandt wurde. Diese 
kindlichen Wortbildungen verraten doch schon eine ordentliche 
Mannigfaltigkeit und Abwechslung, eine nicht unbedeutende 
Kraft und Weite der jugendlichen Phantasie und eine Fülle 
kindlichen Humors, wenn auch — zum Teil — das Schimpf- 
wörterlexikon der Alten vorbildlich gewesen sein mag. Manch 
einen wird sein Schulname, nachdem dessen Stachel sich 
vielleicht mit der Zeit etwas abgestumpft hat, ungebeten durch 
das ganze Leben begleiten, wenn nicht ein etwas gröberer und 
weniger harmloser Geselle ihn später verdrängt. 

Anhang. Fastuacbtsverse. 

I. Verse, die den auch jetzt nicht mehr bekannten Namen der 
Verspotteten nicht direkt verraten (meist alt): 

1. Es ischt an Ma» im Voararlbäarg, 

(= Vorarlberg Hehlname für Vorstadt) 
hat d'Widg9 z'fria verkouftJ- 
o halbs Johr isch's nu aogschtanda, 
no hat m* im wider touft! 

2. Es sitzt an Bur im liaarte und seh 

ar putzat sTidIa mit Brennesla — sbisst! 
Ai! hett da Bur des Kritle kennt, 

no hett ar s'Fidla nlt verbrennt. 

3. Wenn on uf de Wibat (= Brautschau) will, 

und hat an Sigel im Hemb (= verunreinigtes Hemd, Schand- 
fleck = , Dreck am Stecka*); 
no man (= mag) ar riba wia(n)ar will, 
jo-jö, ma siaht'a halt a wengg. (Polka, 185U.) 

4. Wenn on ebbas (= etwas) wÄara will, 
no wixt (= spendet) ar Biar und Speck, 
und wenn ar grad an Simpal ischt, 

no wurd ar's voraweg. (1850.) 



278 Bertsche 

5. Wenn on im Andere d'Wohrhat seit, 
no kunnt er in Arrescht, 
und wenn es grad en Burger ischt, 
fascht no de ällerbescht. (Aus den 60 er Jahren.) 

f>. Es ischt e Meidele hier (sonst: hie), 
es hat nint vil Manier, 
e Mile we e Sile 
und Ouge we en Stier. (1857.) 

7. Im Adler hät*s horrente Schixe (= Menscher, Dirnen), 
si dond de Kerle (= Liebhaber) d'Stifel wixe. (1865.) 

8. I de mittlere Gass, do ischt en Ma", 

däe bind't sin Wib a d'Kuehkripp a«. (1883.) 

II. Verse, die den Geneckten mit Namen nennen oder ihn doch 
sonst hinreichend kennzeichnen. Dazu noch § 75 und § 113. 

9. d'Fetertheres und d'Paulezibill 

sind beide ni^t vil. (Polka.) Später sang man: 
D'Petertheres ischt nimme so bes, 
dTaulezibill frisst nimme so vil. 

10. S'Schurysattlers krumm» Stoarch (= hinkender Bote, Sohn des- 

sogenannten Schuresattlers), 
hat z' Tuttlinge vor's Rothus gs . . cht ; 
no ischt er kumme bis zur Poscht (= Gasthaus zur Post 

am Marktplatz), 
no hät's e scho 3 Batze koscht. (1840.) 

11. Konschtanz ligt am Bode-Bodesee, 

griesa mer s^Kases JenQ-Jen^fe. (Sonst = d'Kasejenefe = Ge- 
noveva, die lange irgendwo am Bodensee diente. Tanz- 
vers, 1845.) 

12. S^Magdweh, s'Mageweh 

und d9 Luft sind dehoam (= daheim, d. h. diese beiden 
alten Jungfern tanzen jetzt nicht mehr wie früher! 
In den 50 er Jahren beliebter Tanzvers). 

13. D9 Napoleon und sein Sohn (= de Gebhaard) 
gingen am frühen Morgen schon 

in den Birkenwald hinaus (= Gewann in[n] Birchen) 
zu graben Hexenwurzen 'raus, 
um zu vertreiben einem Mann, 
der fast nicht mehr gehen kann, 
eine Krankheit an dem Leib 

durch des Naglerferdis Weib. (De Napoleo» = da Nagler- 
ferde. 1«48.) 



Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 279 

14. D^ Dummin mit em stinkiga Za^ (besass im Alter nur noch 
einen übergroßen Zahn) 
leert da Schlitter d'Sch . . . kibel a« (d. h. den vor ihrem 
Hause schlittenfahrenden Kindern). 

Vk Jakob Maier f Donnerwetter, fest auftreten! halt! 

Und so geht der bayrische Marsch, Marsch, Marsch! (Tanz- 
vers.) * 

16. D9 Murernepple hat nint gwisst, 

dass d^ Bel^karle d*Milz ni^t frisst (welche dieser, als sein 
Greselle. einmal statt Gröschts oder Gliber = Herz, 
Lunge, Leber, Nieren zusammen, bei einer Megsata 
vorgesetzt bekam. 1850). 

17. 1. Wenn i nu di Rot het (= d'Naglorferdekätter oder 

= d'Kodexakätter) 
wenn i ou ko Brot het! 

1 wet (^= wollte) mi scho« verumma tumma, 
bis i Brot tat übarkumma. 

2. Wenn i nu di Schwaa(r)z het (= d'Greratheres), 
wenn i scho ko Schmalz het! 

i wet mi scho verumma tumma 
bis i Schmalz tat übarkumma. 

3. Wenn i nu di Gä9l hat (s'Gäala Meidle) 
wenn i scho ko Mäal het! 

i wet mi scho verumma tumma (== tummeln, nicht mehr 

bekannt), 
bis i'Mäal tftt überkumma! (1860.) 

18. Dd StacJi€bu9 und d' Muttlfktidh 

gond (= gehen) mitanand (i)m Hege zua (= Hegau). 
D'Marei dia rennt hinna dri 

und seit, da Stachebua ischt mi^. (d\Stachemarei ist des 
Stachebua Frau. 1861.) 

10. S'Bur9meidle hat Strou verkouft 

und macht da Kerle (= Verehrer) Brotas (= Braten) drous 
(sonst druus). (1H64.) 

20. Da Kniiz und da Aar, 

des sind ou zwei rar (rar = absonderlich gut, fein, oder 
ironisch = Nichtsnutz; Aar ein Bahningenieur, dessen 
Diener, oder wie man damals sagte „Indicateur*^, jener 
war. 1865.) 



' Darauf wurde 1><60 schon getanzt. Die betreffende Persönlichkeit 
ist aber nicht mehr bekannt. 



280 Bertsche — Volkstümliche Personennamen einer oberbad. Stadt 

21. D9 Budäscher und cb Manger sind nit so dumm. 

si fangat d'Ratzmis (= Maulwürfe) mit Morphium. (1H70.) 

22. D'Speckna89 hat an Brief iif s'Sch . . . hus gleit, 
no ischt a brave Jungfar kumma 

und hat a wider mit ara gnumma. (18^7.) 

23. S' wohnt an Henke i da Stadt, 
ar ischt an richa Ma"; 

ar git da Dechter (= Tochter) zehatousad Mark, 
drum kunt se ou guat a". 

24. Geer, Ger! Juck, juck, juck 

über a rächt lang Lattastuck. (Wol älter.) 

25. D^Zedlmarei hat a Gscharei fdafür jetzt Gscherfescht = Wich- 

tigtuerei = a Gsch . . . = a Sach. Hier ist jedoch das 
noble Himmelbett dieser sauberen Magd gemeint!); 

si langat in Sack 

un(d) nimmt an Tuback. (Schon alt.) 

26. Hagafleisch und alte Beiner (sonst Bäaner oder Boa«) 
ka° ma han bim Megserheiner. 



S. 201, 5. Z. V. u. lies: Sohn des Haftwunibald. 

S. 220, 5. Zeile v. o. Zu Basdmenterle vgl. frz. passementier. 



Zur GescMclite und Statistik der Universität 
Freibnrg i. Br. im XVII. Jahrhundert. 

Von HermanB Mayer. 

In Weiterführung eines schon 1897 in Conrads Jahr- 
büchern für Nationalökonomie und Statistik 3. Folge Bd. XIII 
erschienenen Aufsatzes hat Dr. Franz Eulenburg als No. II 
des 24. Bands der Abhandlungen der philosophisch-historischen 
Klasse der königlich sächsischen Akademie der Wissenschaften 
gegen Ende des Jahrs 1904 sein großes Werk: »Die Fre- 
quenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung 
bis zur Gegenwart" veröffentlicht. Dasselbe fußt auf einer 
ganz staunenswerten Fülle von Material ^ und behandelt in der 
scharfsinnigsten Weisef deren Ergebnisse der Wirklichkeit jeden- 
falls bedeutend näher kommen als alle bisherigen Berechnungen 
— soweit überhaupt von solchen die Rede sein kann — die 
schwierige Frage, wie aus den uns fast durchgehends allein 
erhaltenen Inskriptionsziffem, d. h. also der Zahl der jeweils 
in einem Semester Immatrikulierten die der wirklich zu gleicher 
Zeit insgesamt am betreffenden Ort Studierenden, also die 
eigentliche Frequenz einer Hochschule, berechnet werden 
kann. Sieben Tabellen und acht Figuren im Text veranschau- 
lichen das Ganze. 

Das Eulenburgische Buch hat vor allem den gi'oßen 
Wert, einmal endgültig und schlagend jene Annahmen von 



' Galt es doch, wie wir aus dem Vorwort 8. VIL entnehmen. f,i^ein 
bis 1830 ein Material von anderthalb Millionen Inskriptionen, die sich 
auf einen Zeitraum von mehr als vier Jahrhunderten erstreckten, zu sich- 
ten, zu ordnen, zu gruppieren und mit Leben zu versehen" ! 



282 Mayer 

• 

geradezu fabelhaft großen Zahlen^ Studierender an deut- 
schen Universitäten früherer Jahrhunderte als durchaus will- 
kürlich und vollständig unrichtig nachgewiesen und hoffentlich 
für immer aus dem Weg geräumt zu haben, nachdem schon 
Paulsen (Gründung, Organisation und Lebensordnungen der 
deutschen Universitäten im Mittelalter, in von Sybels Histori- 
scher Zeitschrift Bd. 45, 1881, S. 251—440) und andere auf 
diese Überschätzung hingewiesen haben. 

Für die früheren Jahrhunderte, bis ins 18. und in den An- 
fang des 19., sind uns nur in ganz seltenen Ausnahme- 
fällen unmittelbare Zahlenangaben über die in einem 
bestimmten Jahr an einer Hochschule Studierenden überliefert. 
Erst das Ende des 18. Jahrhunderts bringt eine Reihe von 
Frequenzziflfem, gedruckte Studentenverzeichnisse gibt es erst 
seit 1830. 

Aus der ganzen früheren, vor dem 18. Jahrhundert liegen- 
den Zeit weiß Eulenburg, abgesehen von Dillingen, wo 80 Ca- 
talogi studiosorum aus den Jahren 1607 — 1774* vorhanden 
sind, nur ganz wenige, meist zufallige Funde (S. 10), darunter 
nur drei wirklich brauchbare Aufnahmen (S. 31) anzuführen. 

Ich bin in der Lage, diese Funde um einige, mehr 
oder minder brauchbare Angaben zu vermehren, und zwar 
für die Universität Freiburg. 



* Noch 1903 liat z. B. Pfarrer Oergel auf der General versaminlang 
des Gesamtvereins der deutschen Geschichte- und Altertumsvereine in 
Erfurt in einem Vortrag üher das Bursenwesen der mittelalterlichen Uni- 
versitäten (Protokolle S. 174 ff.) für Erfurt um 1520 nicht weniger als 
1800 Studenten angenommen, während nach Eulen hu rg S. 55 es nicht 
viel über 500 (541) waren. — Über 1000 Studenten haben vor dem 
19. Jahrhundert nur einzelne wenige Hochschulen erreicht; 
die Höchstzahl wol Halle in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit 
ca. 1500 (Eulenburg S. 273 und 146, vgl. Tab. VI). Man muss dabei 
inmier bedenken, wie klein die damaligen Bevölkerungsziffern deutscher 
Länder im Gegensatz zu heute waren. Darüber Eulenburg S. 269 und 
270. — Auch für die italienischen Universitäten hat sogar noch G. Kauf- 
mann (Geschichte d. deutschen Universitäien) ganz märchenhafte An- 
gaben (Eulenburg S. 128 AnnL 8). 

' Vgl. Th. Speoli* ^ der UiUTeraitAt Dillingen. Freiboi^ 

1902, s. xvn w 



Zur Geschichte und Sutistik der UniTersiUt Freibur^ i. Br. 2S3 

Wie überhdiapt die Gegend am Oberrheiu. so war auch 
unsere schöne Breisgaostadt in den ersten Zeiten des Dreibig- 
jahrigen Kriegs unbehelligt geblieben. Erst mit Beginn des 
Jahrs 1632 — infolge der Schlacht bei Breitenfeld und der 
dadurch auch den Landern am schönen Rheinstrom sich nahen- 
den Gefahr eines schwedischen Einfalls und schwedischer Be- 
sitzergreifung — nahte das Unheil. Schon am 16. Januar 
dieses Jahrs wird im Senat beraten, .ob den studiosis anzu- 
zaigen. wehr sich in sicheren ortt begeben wolle, der möge 
es thun. oder ob noch vmb etwas eingehalten werden solle*. 
Und auf eine Anfrage bei der Stadt hin wurde am 3. Februar 
beschlossen .weil die gefahren des schwedischen Über- 
falls je länger je gröber \Tid näher. . . . dab man die iugendt 
vnd sonderlich die vomembsten in stille auisiren soUe. daß 
sie die gefahr vor äugen sehen, deswegen sich selbsten nach 
vermögen \Tid belieben versichern sollen . . .* Aus denselben 
Gründen fragt sodann am 8. März der Conunissarius Ossa beim 
Rektor an. .weil die schwedische einfalls gefahren zu be- 
sorgen, also begehre er zu wissen, ob nit die studiosi 
kundten gemustert werden. Item ob sich dieselbigen nit 
vff soffort gebrauchen lassen wolten. Doch wolle er es herm 
rectom hingestellt haben. Decretum: Herm Ossa soll ange- 
zaigt werden, daß vormabls ihr durchlauclit [der Erzherzog] 
selbst im land gewesen vnd an die universitet und studiosi 
begehren lassen, daß die musterung vorgenonunen werde, 
worauff denn die studiosi sich selbsten anerbotten. So haben 
aber anietzo ihr durchlaucht geschriben. daß die lectiones 
continuirt werden sollen, also ohne ihr vorwissen vnd be- 
fragen khein musterung beschehen khünde, weil man 
immediate von derselben dependiren khünde". 

Für diesmal also lehnte man, da die Gefahr doch noch 
nicht nahe schien, eine Musteiiing ab. Tatsächlich gingen 
auch das Frühjahr und fast der ganze Sommer ohne unmittel- 
bare Kriegsgefahr vorüber. Im Spät jähr aber wurde es anders. 
Diaher verlangte der Gemeinderat der Stadt (senatus ci- 
▼imn) am 3. September einen Catalogus civium academi- 
oronu Eß wurde beschlossen, ein solcher solle ,in nexter 



284 Mayer 

convocation abgelesen \Tid der stadt übergeben werden**. Das 
erstere geschah dann auch eine Woche später, am 10. Sep- 
tember; das verlangte Verzeichnis wurde abgelesen, nament- 
lich da man bei einigen Pei'sonen noch im Zweifel war, ob 
sie zu „inserieren'* seien oder nicht, offenbar weil man teils 
nicht wusste, ob sie noch hier weilten oder schon fortgezogen, 
teils auch wol, ob sie als Cives academici — wie wir sehen 
werden, hier in weiterem Sinn zu nehmen — anzusehen seien. 
Von einer Übergabe des Verzeichnisses an die Stadt ist dies- 
mal nicht die Rede. Vierzehn Tage später aber, am 24. Sep- 
tember, wird im Gegenteil beschlossen, „bis vff den nothfall 
den catalogus nit zu übergeben". 

Viele waren übrigens am 10. des Monats sicher noch 
nicht fortgezogen, denn am 14. September wird darüber be- 
raten, „ob man die studiosos erlassen [statt entlassen] 
solle*, und beschlossen, „soll solliches ihnen privatim ange- 
zeigt werden, möge sich ieder saluieren so gueth er 
kinde". Nun erst begann die Flucht einen größeren Um- 
fang anzunehmen, sowol der Professoren als der Studenten, 
selbst der Rektor „saluierte sich" am 15. dieses Monats mit 
Weib und Kind nach Obenibaden (= Baden in der Schweiz): 
und an demselben Tag wurde festgestellt, dass schon viele 
Studenten weggezogen und noch Willens seien fortzuziehen, 
„allso außer den huesigen Kindern [also Freiburgern] 
wenig verbleiben werden". 

Blättern wir etwas im Protokollbuch des Senats weiter, 
so finden wir nach dem Eintrag des 2. Oktober 37« le^r^ 
Seiten, und nach diesen folgt (S. 599) ohne irgendwelche Über- 
schrift ganz unvermittelt ein Verzeichnis von Studieren- 
den. H. Schreiber (Geschichte der Stadt Freiburg IV. Bi 
S. 8 Anm.) bemerkt offenbar in Bezug auf dieses Verzeichnis: 
„2. Oktober Musterungszettel mit 193 Namen der Studieren- 
den.** Das ist aber sicherlich falsch. Am 2. Oktober waren, 
wie wir soeben gesehen, fast alle bis auf die Freiburger aus- 
gewandert und gewiss nicht mehr 193 Studierende zur Ver- 
fügung. Mit einer Mustenmg haben aber überdies die Ver- 
handlungen und Beschlüsse des Senats vom 2. Oktober gai' 



Zur Geschichte und Statiatik der Universität Freiburg i. Br. 286 

nichts zu tun. Richtig ist viehnehr offenbar, dass dieses 
Verzeichnis sich auf den oben erwähnten Beschluss 
vom 3. (und bzw. 10.) September bezieht. Bestätigt wird 
diese Annahme überdies noch durch eine Bemerkung, die 
von anderer (späterer) Hand an den Rand des ersten Blatts 
jenes Katalogs geschrieben ist imd welche lautet: „Scheint 
zu pag. 585 concl[usumJ 1 zu gehören.* Dort (S. 585) steht 
eben der genannte Beschluss vom 10. September des Jahrs. 

Dieses für uns sehr willkommene Verzeichnis nun 
enthält im ganzen 190^ (nicht 193) Namen*. Unter 
diesen sind 26 als Magistri, einer am Rand als Miles be- 
zeichnet. Im ganzen finden sich darunter 77 Freiburger, 
also zwei Fünftel. 

Leider sind von diesen 190 Namen nur 106 mit 
solchen im Matrikelbuch sicher zu identifizieren. 
flinige sind unleserlich oder wenigstens in der Form nicht 
ganz sicher festzustellen, andere sind Namen, die in der Ma- 
trikel sich sicher nicht voi*finden. Letzteres hat wieder seinen 
Grund teils darin, dass leider die Matrikelbücher — für jene 
unruhigen Zeiten ja einigermaßen zu erklären — nicht ganz 
zuverlässig geführt wurden, teils darin, dass — wofür auch 
sonst direkte Beweise vorliegen — trotz aller Vorschriften 
und Mahnungen mancher sich nicht inskribieren ließ; teils 

^ Die Zahl erscheint uns, an den heutigen Ziffern gemessen, klein. 
Wir brauchen aber, um uns an bescheidenere Ansprüche zu gewöhnen, nicht 
viel über ein halbes Jahrhundert zurückzugehen. In den Jahren 1H42 
bis 1849 ist — ohne dass (abgesehen von der Revolution 1848/49) krie- 
gerische Verhältnisse obwalteten und ungünstig einwirkten — nur zwei- 
mal diese Zahl erreicht oder etwas überschritten worden. Ich schreibe 
zam Vergleich (aus meiner „Geschichte der Universität Freiburg in der 
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts III. l^eil 8. 99) die Zahlen hierher: 
1841/42: 195 1844: 1«8 1846/47: 175 

1842: 179 1H44/45: 18« 1847: 178 

1842/48: 182 1845: 1(52 1847/48: 200 

1843: 167 1845/46: 171 1848: 156 

1843/44: 175 1846: 146 1848/49: 195 

' Nach Eulenburgs Berechnung (Tab. IV S. 112) kämen in Frei- 
burg für die Jahre 1631 — 1635 nur durchschnittlich llx Studierende auf 

<a t *t Tant* 



286 Mayer 

endlich sind dabei eben viele, die nur sogenannte Cives aca- 
demici^ nicht eigentliche in die Matrikel eingetragene 
Studenten waren, worüber noch weiter unten zu handeln 
ist. — Von jenen 106 scheiden aber für unsere Untersuchung 
noch zwei weitere aus, die erst nach 1632 in die Ma- 
trikel eingetragen sind: der Jesuit Joannes Theobald Bieler 
Altkirchensis, der erst volle sieben Jahre später, am 26. No- 
vember 1639, und Martin DuflFne.r Neustadtensis, der am 5. Fe- 
bruar 1635 sich immatrikulieren ließ. 

Es bleiben uns also noch 104 Namen von Stu- 
dierenden, die anfangs September 1632 in Freiburg 
waren und von denen wir genau nachweisen können, 
wann sie immatrikuliert wurden, wie lange sie also 
damals schon in Freiburg, mithin an ein und derselben 
Universität weilten. Wir werden also dann eine mittlere, 
durchschnittliche Aufenthaltszeit, den sogenannten Aufent- 
haltskoeffizienten oder -faktor finden, der in der Eulen- 
burgschen Berechnung der Frequenzzilfei*n eine so gi'oüe Kolle 
spielt. 

Es waren, um zunächst einen Überblick zu gewinnen, hier 

34 Studierende 1 — 3 Jahre 

31 . 4— 6 „ 

26 „ 7—10 „ 

12 „ 11-16 , 

1 Studierender 31 „ (immatr. 5.Märzl601)! 

* Wenn oben (in den Senatsprotokollen) öfters von einem Cata- 
logus civium academicorum die Rede war, so ist also dort dieser 
Ausdruck im weiteren Sinne gebraucht, indem die inskribierten eigent- 
lichen Studenten auch miteinbezogen sind. Oder aber der Senat ist in 
der Aufstellung seines Katalogs über die Forderung hinausgegangen nixl 
hat — der eigenen Kontrolle halber — auch die eigentlichen Studenten 
aufgenommen. — Die Ratsprotokolle der Stadt Frei bürg sprechen 
nur von Cives academici im engeren Sinn (= UniversitÄtsverwandte). Am 
2. September 1632 wird daselbst referiert, dass der Rektor sich erklärt 
habe, ,den cathalogum der universitet verwandten fürderlichs 2U 
tiberschic khen". — Solche Verzeichnisse der Cives academici wurden 
später, in den fünfziger und sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts, &1I' 
jährlich an die Stadt abgeliefert. Leider hat sich aber bis jetzt kein 
weiteres vorgefunden. 



Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 287 

Cber zwei Drittel der Studierenden hielten sich demnach 
schon mehr als 3 Jahre an der Universität auf! 

Genauer verhält sich die Sache so: es weilten hier 

15 Studierende — IJahr, und zwar insgesamt 51 Monate 



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1— 2 Jahre, 


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378 


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104 Studierende also zusammen 6722 Monate. 

Auf je einen der 104 Immatrikulierten kommen 
also durchschnittlich (6722 : 104 =) 64,63 Monate 
= 5 Jahre 4^h Monate oder, da w4r bei jenem, der nach 
31 Jahren noch (oder wieder?) da war, ganz außerordent- 
liche Verhältnisse annehmen, ihn also aus der Berechimng 
ausscheiden dürfen (6344:103 =) 61 7« Monate = 5 Jahre 
17« Monate. Jedenfalls also betrug die durchschnitt- 
liche Dauer des Aufenthalts eines Studenten an der 
Universität Freiburg damals, im Jahre 1632, in der ersten 
Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwas über 5 Jahrel 

Das ist ein so außerordentlich großer Aufenthaltsfaktor, 
dass er jeden bis jetzt angenommenen weit hinter sich lässt. 
Berechnet doch Eulenburg a. a. 0. S. 31 ff. auf Grund ähn- 
licher direkter Angaben, freilicli für das 15. und 16. Jahr- 
hundert, für Heidelberg im Jahr 1401 nur 19,6, im Jahr 158^v 
21, für Wittenberg 1592 23 Monate, also durchschnittlich nur 
17* Jahre; für Di Hingen freilich (a. a. 0. S. 36) im Zeitraum 
1665 — 1700 sclion 2,46, für das ganze 17. Jahrhundert — so- 



288 Player 

weit Zahlen vorliegen — 2,34 Jahre, ähnlich Paulsen (a.a.O.) 
auf direktem Weg 2^/s Jahre. Mit Berücksichtigung aller in 
Betracht kommenden Erwägungen entscheidet sich Eulenburg 
für einen „generellen Aufenthaltskoeffizienten ** von 1,8 Jahren 
für das 15. bis 17. Jahrhundert. 

Wie erklären sich nun demgegenüber unsere auffallend 
hohen Zahlen? Zur Beantwortung dieser Frage muss etwas 
weiter ausgeholt werden. 

Als Zeitdauer des Studiums waren ursprünglich in den 
Statuten der Artistenfakultät vorgeschrieben: für den Scho- 
laren (bis zur Baccalaureatsprüfung) IV* Jahre, für den 
Baccalaureus (bis zur Erlangung des Magistergrads) weitere 
17« Jähret Die nach Einführung der Jesuiten, welche be- 
kanntlich 1620 die Artistenfakultät übertragen bekamen, auf- 
gestellten Statuten schreiben nur allgemein drei Jahre 
philosophischen Studiums bis zur Erlangung des 
Magister grads vor. Über die Zeit des Studiums bis 
zum Baccalaureat enthalten sie, soviel ich sehe, nichts, wahr- 
scheinlich fiel die Erlangung desselben in die Mitte des ganzen 
Studiums, also nach IV« Jahren*'^. 

^ Statuta antiqua (ohne Angabe des .Tahrs) cap. XI: Praelectiones 
eomm, qui ad gradum haccalareatus aspirant. Praelectiones vero pro- 
priae complentium aut candidatorum primae laureae sunt, quarum audi- 
tionem vno anno et quadrantem defininuis et circumscribimus . . . 
Von den Baccalaurei aber heißt es cap. IX: Partitio praelectionum philoso- 
phicorura: Baccalaurei ergo, sive in nostra academia creati sive in alii<». 
nostrae tanieu facultatis niatriculae legitime inserti, qai philosopliiae rar* 
riculum^ quod vno et dimidiato anno defininuis, conficere cupinut. bas 
praelectiones ut sequentur assiduo diligenter et studiose per annum 
et dimidium audieudas pracscribimus. — Ahnlich bestimmen die 
Statuten des Jahrs l(i08 in dem Kapitel, das überschrieben ist: Ad 
quas lectiones siut astricti qui gradus in facultate artium affectant. et 
quamdiu easdem audire debeant. Nach Aufzählung der einzelnen vor* 
geschriebenen Vorlesungen heißt es dort: hanc literariam operam con- 
tinaabit Scolaris per annum integrum et quartam unius. bacca- 
laureus vero per annum et dimidiatum, nisi ob urgentem et ra* 
tionabilem causam facultas habeat alicuius rationem iuxta statuta desnper 
condita. 

' Di« Stetnto aova sea condita post introductionem p. p. societiiti» 

magisterimn, vigesimum primum annum complevcrit 



Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 289 

Wenn nun damals alle in der vorgeschriebenen Zeit die 
akademischen Grade sich erworben hätten, müssten von jenen 
104 Inskribierten 69, also ^/s schon magistri gewesen sein. 
Nmi hatten aber nur 26, also nur 7* sämtlicher diesen Grad 
erlangt. Wie viele unter den 104 Studierenden Baccalaurei 
waren, ist leider nicht angegeben, es war aber sicher etwa 
die anderthalbfache Zahl. Den damaligen Universitätsverhält- 
nissen entsprechend ist nun jene Zahl 26 (bei einer Gesamt- 
zahl von 104) durchaus nicht klein, denn es erreichten über- 
haupt nur sehr wenige die akademischen Grade, vorab die 
höheren des Magisteriunis. Was insbesondere die Universität 
Freiburg betrifft, so führt ein Vergleich der Inskriptionen mit 
den Promotionen (erhalten in den Promotionsbüchern der Ar- 
tistenfakultät) zu dem Ergebnis, dass in dem Quinquennium 
1630 — 1635, also in der Zeit, um die es sich hier handelt, 
nur 237o aller Inskribierten den ersten Grad (das 
Baccalaureat) und 15,67o im zweiten (das Magisterium) 
erlangten. Es hing dies zusammen mit den allgemeinen aka- 
demischen Verhältnissen jener Zeiten. Der eigentliche Zweck 
des Universitätsbesuchs war nicht wie heute die durch VoU- 
endung eines vorgeschriebenen Vorbereitungskurses erzielte 
Erreichung bestimmter Kenntnisse, die zur Erlangung irgend 
eines staatlichen o<ler kirchlichen Amts erforderlich sind, son- 
dern man blieb eine Zeitlang an einer Universität, um sich 
der zahlreichen Privilegien derselben zu erfreuen und in die 
Geheimnisse einer oder mehrerer Disziplinen einigemiaßen ein- 
führen zu lassen und eine höhere allgemeine Bildung (etwa 
wie bei uns in den Oberklassen des Gymnasiums oder in den 
englischen und amerikanischen Colleges) zu erreichen, und 
zwar immer zuei-st in der Artistenfakultät. Diese allgemeine 
Bildung war freilich z. B. für die höhere Geistlichkeit eine 
Empfehlung ^ vorgeschrieben aber zur Erlangung eines Amts 

necesse est, atque idem tribus annis philosopbiam inore iani consueto 
andiuerit. In priore tarnen conditione poterit faculta» dispensare. 

' Oft mochte schon das bloße Iinmatrikulationszeugnis als Empfeh- 
lung dienen. Näheres über diese Verhältnisse bt»i Panlsen, Die deut- 
schen Universitäten und das UniversitHtsstudium, Berlin 1902, S. 28 ff.. 
Alemannia N. F. 6, 4. 19 



290 Mayer 

ursprünglich jedenfalls nicht. Dementsprechend sind also 
auch die akademischen Grade nicht etwa mit unsern Staats- 
prüfungen, die Anspruch auf Anstellung geben, zu ver- 
gleichen. 

Die größte Zahl derer also, die sich immatrikulieren ließen 
an einer Universität, gingen nach kürzerer oder längerer Zeit 
wieder ab, ohne einen bestinunten Abschluss ihrer Studien er- 
leicht zu haben. Andere kamen überhaupt erst, nachdem sie 
schon in Amt und Würde waren, daher jeweils z. B. viele 
Presbyteri, Canonici u. a. eingeschrieben sind. 

Durch diese Verhältnisse erklärt sich also die verhältnis- 
mäßig geringe Zahl der Magistri. Jene Zahl 26 ist aber doch 
noch um ein unbestimmtes zu vergrößern. Gerade so wie 
in unserem catalogus die Gradbezeichnung der Baccalaurei weg- 
gelassen ist, so fehlt leider auch zum größten Teil die Angabe 
der Zugehörigkeit zu den höheren Fakultäten, die meistens 
den ganzen philosophischen Kurs schon hinter sich hatten, 
also auch Magistri artium waren. Nur eine Angabe weist 
auch in dem Catalogus darauf hin. Nach dem 16. Namen 
steht als Überschrift für die folgenden Namen: Juris tae. 
Wie viele aber der nun Folgenden Juristen sind, ist leider 
nicht ganz klar. Wahrscheinlich sind es 27, denn unter dem 
27. Namen von da ab (dem 43. der ganzen Reihe) ist ein 
Strich gemacht, der offenbar einen Abschnitt bezeichnen soll. 
Wie viele Theologen aber vorhanden waren und wie viele 
Mediziner, ist leider nicht ersichtlich. Letztere sind ja da- 
mals fast tiberall noch am wenigsten zahlreich gewesen. Die 
Theologen aber dtirfen wir als mindestens ebenso zahl- 
reich berechnen wie die Juristen ^ Nehmen wir einmal nur 



und in Sybels Histor. Zeitschrift a. a. 0. S. 391 if. Kaufmann, 
Geschichte d. deutschen Universitäten Bd. II S. 349 fF. Eulenburg 
a. a. 0. S. 190 und 213. 

^ In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, genauer seit 1661. 
liegen auch für Freiburg Angaben über die Fakultätszugehörigkeit vor. 
und da ersehen wir (vgl. Eulenburg S. 201), dass von 1661— 1700 die 
Theologen 22, die Juristen 21 Prozent der Gesamtzahl ausmachen. In 
Dillingen, das in seinen Verhältnissen ■ — entsprechend dem streng katho* 



Zur Geschichte und Statistik der Universitftt Freibarg i. Br. 291 

-das Mindestmaß, nämlich auch 27 an, und lassen wir die 
«twaigen wenigen Mediziner sogar ganz außer acht, so ergibt 
«ich doch, dass (26 -f 27 -|- 27 =) r. 80 jener 104 Immatri- 
kulierten entweder den Magist^rgrad und damit den Abschluss 
ihrer philosophischen Studien erreicht oder sogar in die höheren 
Fakultäten übergetreten waren. 

Wir sehen also, dass Freiburg zu denjenigen Universi- 
täten gehörte, an denen keine fluktuierenden Verhält- 
nisse herrschten, sondern mehr Sesshaf tigkeit zu fin- 
den ist und fleißig gelernt und gestrebt wurde, 
ganz im Gegensatz zu den namentlich größeren Hochschulen 
jener Zeit, an denen das Wandern in weit gi*ößerem Maßstab 
damals Sitte war, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt 
ist und worauf Eulen bürg a. a. 0. S. 119 — 129 in einem 
besonderen Kapitel „Die peregrinatio academica'' hingewiesen 
hat. Wir finden diese Verhältnisse, wie wir sie für Freiburg 
«oeben festgestellt haben, damals an fast allen katholischen 
Anstalten, namentlich an den unter dem Einfluss der Jesuiten 
stehenden, sowie auch in Tübingen. Der Grund dafür liegt 
«inmal „in dem schulmäßigen Betrieb der An- 
stalten und der Beaufsichtigung der Studien, 
wodurch der Fleiß der Studenten dauernd über- 
wacht wurde'* (Eulenburg S. 220). 

Dazu kommt aber noch ein anderes. Gerade in Freiburg 
war schon damals mehr als an vielen andern Orten durch 
zahlreiche, zum Teil recht bedeutende Stipendienstiftungen \ 
sowie Kontubernien und Bursen mit ihrem billigen 
Leben für den Unterhalt und das Fortkommen auch der 
Ärmeren Studierenden reichlich gesorgt, so dass sie nicht 
so leicht genötigt waren, anderswohin zu wandern oder ihre 



lischen Karakter und dem jesuitischen Zuschnitt — Freiburg sehr ähn- 
lich ist, beträgt die Zahl der Theologen im gleichen Zeitraum etwa V«* 
-die der Juristen nur ^ji der Gesaratzahl. 

* Von den jetzt 62 [1875: 51] Stipendienstiftungen der Universität 
bestanden damals schon 84, und zwar gerade die bedeutendsten. Vgl. die 
Urkunden über die der Universität Freiburg zugehörigen Stiftungen. 
Freiburg 1875. 

19* 



292 Mayer 

Studien aufzugeben. Anderseits waren gerade die Stipen- 
diaten ganz besonders angehalten, fleißig zu studieren und 
die Vorlesungen zu besuchen, um sieh so ihrer Stipendien 
würdig zu zeigen. Wie die Dozenten über Vorlesungsabhal- 
tung, so mussten in Freiburg alljährlich auch die im Gemiss 
von Stipendien Befindlichen Rechenschaft über Vorlesungs- 
besuch ablegen, d. h. genau angeben, wie viele Vor- 
lesungen und aus welchen Gründen sie solche 
versäumt („geschwänzt") hatten. Daher in den Senats- 
protokollen unserer Hochschule die regelmäßig wiederkehren- 
den Rubriken „Defectus legentium" und „Defectus stipendia- 
toiaim" (letzteres auch für Jena bezeugt. Eulenburg a. a. 0. 
S. 85 — 86). So nahe es gelegen wäre, gerade bei dieser 
Gelegenheit — der Kontrolle halber — Frequenzziffeni anzu- 
geben, finden sich leider keine solchen vor. 

Fenier ist folgendes zu beobachten. Während im lo. und 
16. Jahrhundert die Zahl der aus der Universitätsstadt 
selbst Stammenden, der Freiburger, durchschnittlich nur 4^^ 
aller Inmiatrikulierten betrug', machte sie im 17. Jahrhundert 
schon 137o aus^, genauer in den Jahren 1625— 1()30: 13%, 
1680—16:^5: 23^0. 1635— 164Q: 28%, 1640 — 1645 soiiar 
55%, um dann rasch wieder zu fallen. Ist es doch auch nur 
zu erklärlich, dass gerade in den stürmischen Zeiten des 
Dreißigjährigen Kriegs die Einheimischen noch mehr als sonst 
den Stamm bilden: so haben wir denn auch oben schon ge- 
sehen, dass von den UH) nach dem Catalogus im Jahr iiy-^ 
Anwesenden nicht weniger als 77, also 40*/ä% Freiburi^er 
sind ^. 



* Vgl. inoint' ^Mitteilungen aus den Matrikelbüchern der Universität 
Freiburg •* in der Zeitschrift der (Tesellscbaft für Beförderung der ^y^' 
schichts-, Altertnms- und Volkskunde in Freiburg 1897, Bd. Xlil S. •^'• 
« Vgl. ebd. 1901, Bd. XVII 8. 43. 

« Auch 1638 heißt es im Senatsprotokoll vom 20. Mai: soll der 

Stadt communiciert vnd notificiert werden, was der universitet vnd ^I^to 

Studenten von herrn obristen zuegemuehtet werde, damit sye. a'^'^ 

^ie maiste- iugendt darbey habe, dessen . . . wisseiis^rhatt 

weiter: Weil wir aber die irewehr ersxriffen. ist vrsflf"- 



Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 293 

Ferner bestand in Freiburg seit dem Ende des 16. Jahr- 
hunderts ein aus dem 1572 gegründeten sogenannten Päda- 
gogium hervorgegangenes Gymnasium, das, mit der Universi- 
tät in naher Beziehung stehend (daher Gymnasium academi- 
€uni), seit 1620 von den Jesuiten ausgebaut und geleitet war 
und dessen Zöglinge, wenigstens die der oberen Klassen, auch 
in die Matrikel der Universität eingetragen wurden ^ Dieser 
Umstand hat sichei- auch zur VergröÜenmg des Aufenthalts- 
koeffizienten beigetragen. Und dass die Zahl der (immatriku- 
lierten) Gymnasiasten nicht klein war, zeigt eine Bemerkung 
in dem Senatsprotokoll des freilich einige Dezennien zurück- 
liegenden Jahrs 1599. Doii heißt es (5. Februar), von den 
Angehörigen der philosophischen Fakultät seien es nicht 
weniger als 83, die nicht in den Bursen wohnten, davon 64 
classici, das sind eben Gymnasiasten. 

Endlich sind unter den 104 seinerzeit Immatrikulierten 
wol auch manche C i v e s a c a d e m i c i im strengen Siim, 
<1. h. Uni versi tat SV er wandte, die ihre Studien abge- 
schlossen haben, aber der Privilegien halber oder aus andern 
Gründen noch weiter bei der Universität verbleiben; wenn 
dieselben gewöhnlich auch nicht inskribiert wurden*, so kamen 
doch auch Ausnahmefälle vor, wofür ich Beispiele anführen 
könnte. Wie viele es deren waren, lässt sich leider nicht 
feststellen. Groß ist die Anzahl jedenfalls nicht gewesen^. 



ilass der mehrere thail burgers kinder gewesen, welchen es zue- 
gestanden. patriam zu defendieren. was aber die ausländische betrifft, 
(derer doch gar wenigl . . . 

^ Vgl. meine Mitteilungen a. a. O. Bd. XVII 8. 27 flf. Schreiber, 
4reschichte der Universität Freiburg Hd. II 8. 181 ff. 

« Vgl. die Statuten von 1581 Kap. 32 fun«! ähnlich die von 1624 
Kap. 81): De laicis. qui in album studiosorum non [d. h. nicht not- 
wendiglj sunt inscripti. Ut graviora committendi scelera auferretur oc- 
casio, necessarium iudicavit senatus observatu : ut cum persona aliqua 
laica, quae oh famulitium apud academicos privilegiis gaudet 
iisdem. flagitium aliquod committat, dignum infamia publica ant sup- 
jdicio extremo, . . . protinus omni gratia academicorum privilegiorum 
oxcidat poss(>que liunc a civil i magistratu in eam impune animadverti. 

^ Was die Zahl der Cives academici überhaupt betrifft so scheint 



294 Mayer 

Mag es mir nun gelungen sein, den auffallend hohen Auf- 
entHaltskoeffizienten für Freiburg genügend zu erklären oder 
nicht, bestehen bleibt die Tatsache: Freiburg gehört mit 
Tübingen sowie mit den mehr oder minder von Jesuiten ge- 
leiteten Universitäten Dillingen, Paderborn, Bamberg, Inns- 
bruck, Graz und der Benediktineruniversität Salzburg, also- 
namentlich geistlichen (und mit Ausnahme von Tübingen ka- 
tholischen) Anstalten (vgl. Eulenburg S. 204), zu den Uni- 
versitäten mit geschlossenem, schulmäßigem Gepräge 
und dem Karakter der Sesshaftigkeit seiner An- 
gehörigen. 

Erst im letzten Jahre des Dreißigjährigen Kriegs er- 
fahren wir nochmals etwas über Frequenzverhältnisse K 

Am 29. Januar 1648 trägt der Prorektor im Senat vor. 
„was gestalt herr obrist leitenampt (Oberstleutnant) von hen^n 
rector [Wilhelm Freiherr Rinck von Baldenstein, für den ein 
Professor als Pro- oder Vizerektor die Geschäfte führte] mag- 
nifico den numerum vndt nomina studiosorum begert, 
welches er rector gleich ohne vorwissen senatus academici 
indebito gleich zugesagt, weilen aber dabei allerhandt be- 
denckhen vorgefallen, auch die schwerlich zuo concediren, habe 



eine bestimmte Grenze nach oben angenommen worden zu sein, über die nicht 
hinausgegangen werden durfte. Dafür nur zwei Beispiele. Am 16. De- 
zember 1650 begehrt ein gewisser Joseph Wirtner, „weil er vor diesem 
civis academicus gewesen, quinquennium aber fürüber, ihne nochmahl für 
ein civem academicum auifzunemmen**. Es wird aber geantwoi-tet : Weilen 
nunmehr numerus acad. zimblicher maßen complet, zugleich nie- 
mahl bräuchig geweßt, dass univ. ein priester pro cive acad. so vill 
bewußt ahngenommen, also wirdt h. J. W. senatui academico nit ver- 
denckhen, dass mit auffnemung ihme nit kan willfahrt werden. 
Umgekehrt wird am 21. Januar 1651 einem Jo. Balt. Buechlin auf ein 
gleiches Ansuchen geantwortet und beschlossen, „weilen numerus ci- 
vium academicorum noch nit complet, selbiger ahnzuenemmen . . •' 
^ Abgesehen von dem ganz unbestimmten Ausdruck im Senatsproto- 
koll vom 25. Juni lf)85 „ob die caniculares vacantiae (Hundstagsferien) 
imtecipando. weil die wenig vorhandenen studiosi ohne das willens 
fortzuziehen, ihren anfang vff negstkhünfftige wochen gewünnen solle*. 



Zur Geschichte und Statistik der üniversitÄt Freiburg i. Br. 295 

er es bis heuth diflferirt, wolle also der herren Senatoren vnd 
vbriger professorum uota vememen**. Man beschloss, ^herm 
obristen leutenampt durch herrn magn. rectorem ahnzuozeigen, 
dass mit Übergebung des numeri studiosorum ihme 
willfahrt, aber aus ehi-hafiften (?) vnd erheblichen rationibus 
die nomina nit khönnden geuolgt werden, dess- 
entwegen dan sie [sc. wegen] Übergebung der nominum senatus 
academicus wolle gepetten haben zuo verschonen". Der Rek- 
tor (der als Ehrenrektor dem Senat nicht regelmäßig bei- 
wohnte), wurde sodann ^ad senatum vociert vndt ihme obiges 
decretum abgelesen, darauf h. rector geandtwortet, weilen man 
nit wiß, was khünftigen frühling wegen belagerung möchte 
vorgenommen werden, also begehr h. obristleitenampt 
allein den numerum civium et studiosorum su- 
periorum facultatum zuo wissen, welche ihme rectori 
gleich angezaigt, nemblich daß 2 cives academici, 8 theo- 
logi, 18 iuristen, 20 philosophi**. 

Was zunächst die Cives academici, hier im engeren Sinne 
als Universitätsverwandte im Gegensatz zu den eigentlichen 
Studiosi zu fassen, betrifft, so galt die Zahl 2 doch für auf- 
fallend klein. Wenigstens wird kurz darauf, am 18. Februar 
dieses Jahrs, u. a. die Frage aufgeworfen, „ob es beliebe, 
dass cives academici, deren pro nunc nur zwen, mit 
wachten sollen belegt werden". 

Eigentliche Studenten also waren es in diesem 
Winter (1647/48) 46, eine sehr bescheidene Zahl, welche 
die traurigen Zustände der Universität gerade in den letzten 
Jahren des großen Kriegs widerspiegelt und eine Folge des 
oft fast gänzlichen Aufliörens der Inskriptionen in jenen 
Jahren ist^ Mediziner gab es gar keine, was immerhin 
etwas auffällt, wenn auch ihre Zahl in jenen Zeiten, wie 
schon oben bemerkt, nie groß gewesen ist. Auffallend klein 
ist auch die Zahl der Theologen, die sonst im allgemeinen 



* Vj^l. meine Auseinandersetzungen im erwähnten Aufsatz in der 
Zeitschrift der Freiburger Gesellschaft für Geschichtskunde Bd. XVII S. 35 
bis 37. 



296 Mayer 

eher zahlreicher als die Juristen waren (vgl. oben S. 290 Anm.). 
Ein Problem bleiben die 20 „philosophi**. An einen Schreib- 
fehler zu denken, derart, dass es für medicini stände, weil 
nur die Superiores facultates gezählt werden sollen, ist des- 
wegen kaum angebracht, weil die Zahl für die Angehörigen 
des medizinischen Studiums viel zu groß (verhältnismäßig) 
wäre. Es bleibt nur ein Ausweg, dass wir nämlich Superiores 
facultates für höhere Studien allgemein im Gegensatz zu 
den Gymnasialstudien fassen, Philosophi also die eigentlichen 
Universitätsstudenten des oberen philosophischen Kurses sind 
im Gegensatz zu den Classici des Gymnasiums, die — wie 
schon erwähnt — damals auch inskribiert wurden ^ 



Eine dritte direkte Angabe über die Frequenz der 
Albertina findet sich für das Jahr 1674. VV^iederum drohte 
Kriegsgefahr, diesmal von Frankreich her. Daher begehrte 
die vorderösterreichische Regienmg durch ein Schreiben, das 
am 19. März im Senat verlesen wurde, zu wissen, „wessen 
die universitet auff bestehende feindtlichen einfall vnd attaqiie 
bedacht, ob selbe durch ihre bediente vnd Studenten 
(deren liste sie regierung begeii) auch sich in devension vnd 
postur stellen wolle, oder wessen^ man resolviert. Conclusum: 
Dass vorderist die studiosi zusammen zue ruffen vnd 
ihr intention zu vernemmen, auch deren nemen auff- 
notiert werden, zu disem ende die studiosi per mandatum 
auff morgen vormitag zu convocieren vnd per deputatos 
(Rektor, Decan fac. art. und Notar) zu vernemmen**. Tags 
darauf, am 15. März, bericlitet der Rektor, dass „die stu- 
diosi sich heut secundum mandatum eingefunden vnd 
deren namen auffnotiert, so sich ad 128 befun- 



* Dies die Ansicht Eulenburgs, der mir brieflich mitteilt, dass er 
einen derartigen Fall auch für Graz gehabt habe , wo die Mitglieder der 
Jesuitenschule „studiosi inferiorum facultatum* hießen. — Vgl. auch 
die Unterscheidung der Philosophen und Artisten in den Tabellen fflr 
WOnbnrg bei Ealenburg S. 312. 



Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 297 

den . . ." Es wird sodann beschlossen, die Studenten noch- 
mals zu zitieren, anzuhören und aufzunotieren, und dann »ein 
ohngefarliche [d. h. ungefähre] numerum reginiini bei 
100 oder mehr zu übergeben". 

Die angegebene Zahl von 128 anwesenden Studenten 
im Winter 1674/75 stimmt ziemlich mit der überein, die 
Eulenburg (Tabelle IV S. 102) für das Jahrfünft 1671 bis 
1675 als Durchschnitt berechnet hat, nämlich 110. Ein neuer 
Niedergang in der Zahl der Inskriptionen seit Beginn der 
siebenziger Jahre erklärt sie. 

Dieser Niedergang wai' aber nur der Anfang von noch 
Schlimmerem , bis schließlich Freiburg 1677 von Marschall 
Crequi eingenommen wurde und unter französische 
Herrschaft kam. Die Folge war dann bekanntlich ein 
akademisches Schisma, indem eine französische Uni- 
versität in Freiburg entstand, während die deutsche nach 
mehrjährigem todesähnlichen Schlaf in Konstanz, wohin 
man geflüchtet war, sich neu organisiertet Das Matrikel- 
buch allein sagt uns genug. Die Zahl der Inskribierten be- 
trug 1675/76: 17, 1676: 7, 1676/77: 6, 1677: 31, 1677/78: 2; 
dann hören die Inskriptionen ganz auf, um erst wieder am 
10. November 1686, also nach fast 9 Jahren, in Konstanz zu 
beginnen. (Auch Senatsprotokolle fehlen für diese Zeit.) 

Unter diesen Umständen muss es uns fast noch wundern, 
dass am 7. September 16 7 6 der Rektor im Senat berichten 
und der Regierung mitteilen konnte, es hätten sich 24 be- 
waffnete und 45 nicht bewaffnete Studenten, im 
ganzen also 69 vorgefunden! Ziemlich zuversichtlich 
beschloss dann auch der Senat, „auflf den ohnuerhoflfendlichen 
fahl ein haubtleiinen vorfüle (I), solle ein mandatum ahnge- 
schlagen werden, auflf daß die herren studiosi auflf der aca- 
demia sich einfänden sollen**. Am 11. September hatten sich 
dann sogar 35 Studiosi armati und 46 Non ar- 

» Vgl. Schreiber, Geschichte der Universität Bd. II S. 439 und 
meine Ausführungen in Zeitschrift der Gesellschaft für Geschichtskunde. 
Freiburg, Bd. XVI S. 231ff., sowie K. Gröber, Geschichte des Jesuiten- 
kollegs und -Gymnasiums in Eonstanz. Konstanz 1904 S. 104 — 126. 



298 Mayer — Zur Geschichte der Universität Freiburg i. Br. 

mati, also 81 eingefunden, von denen 6 als Ofäciales 
bezeichnet werden, nämlich 1 Leutnant, 1 Fähnrich, 1 Feld- 
weibel, 2 Korporale und 1 Führer. 

Leider sind — außer für diese 6 Officiales — in den beiden 
letztgenannten Zählungen von 1674 und 1676 die Namen 
der Studierenden nicht angegeben, so dass an eine Identi- 
fizierung mit den Inskriptionen und weitere daran zu knüp- 
fende Betrachtungen über Studiendauer und ähnliches nicht 
gedacht werden kann. 



Abergläubisches aus Heidelberg. 

Von Ludwig Sfitt^rlin. 

Abergläubische Vorstellungen sollte man den Bewohnern 
einer größeren Stadt wie Heidelberg und besonders einer üni- 
versitätstadt nicht zutrauen. Dennoch findet sich auch hier 
noch manches lebendig. Kürzlich habe ich Umfrage gehalten 
in einem Kreis von 20 etwa 14 — 15 jährigen Mädchen, die alle 
den besseren Schichten der Gesellschaft angehören und min- 
destens auch schon längere Zeit hier wohnen, wenn sie nicht 
gar hier oder in der nächsten Umgebung geboren sind; dabei 
habe ich nicht nur einzelne Züge wiedergefunden, die ich seit 
meiner Jugend als Anschauungen der kleinen Leute kannte, 
sondern auch verschiedenes Neue entdeckt, was nur dem weib- 
lichen Geschlecht eigen zu sein scheint. Wirklich geglaubt wird 
das zwar nicht mehr; dazu sind meine Mädchen zu aufgeklärt. 
Sie kennen die Bräuche, reden von ihnen, deuten auch die eine 
oder die andere Erscheinung, legen ihnen jedoch einen Wert 
nur im Scherz zu; wenigstens tun sie so. Ihre Vorstellungen 
finden sich aber auch in den umliegenden Dörfern. Wenigstens 
war einem Studenten aus dem südlich von der Stadt gelegenen 
Sandhausen ein großer Teil des von mir in der Stadt Gefundenen 
ohne weiteres bekannt. 

Selbstverständlich triflFt man vieles von dem hier Gefundenen 
auch in andern Gegenden Deutschlands an*. Darauf kommt es 
hier nicht an; denn ohne den gesamten StoflF hat ein Vergleich 
wenig Wert, und eine solche Sammlung liegt ja noch nicht vor. 

In der Form schließe ich mich möglichst eng an meine 
Quellen an; nicht nur die Ausdrücke, sondern auch der Satzbau 
sind so merkwürdige Beweise volksmäßiger Denkart und Sprech- 



* Vgl. im allgemeinen: Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der 
Gegenwart 3. Bearb. von E. H. Meyer. Berlin 1900. 



300 Sütterlin 

weise, dass man sie nicht antasten darf. An der „syntaktischen 
Ruhelage" wird jedenfalls ein Syntaktiker wie Behaghel (Idg. 
Forsch. 14, 438 ff.) seine helle Freude haben. 

Meine Ergebnisse sind beinahe ausschliefilich Vorzeichen 
der Zukunft; sie geben ein Mittel an die Hand, das Kommende 
vorauszusehen oder es geradezu herbeizuführen. Meistens handelt 
es sich um etwas sehr Wichtiges, das man entweder sehnlichst 
herbeiwünscht oder sehr ängstlich fürchtet: Glück oder Unglück, 
Heirat oder Tod. Gleichgültigeres kommt nur vereinzelt in 
Betracht. 

a) Glück hat überhaupt, wer am Sonntag geboren ist, aber 
auch der, der einem Heu wagen begegnet; und Scherben weisen 
allgemein hin auf Glück. Darum hat auch die Braut Glück, 
der der Brautschleier zerreißt, und die, bei deren Hochzeit etwas 
zerbricht. Auf Glück und Unglück lässt auch ein entgegen- 
kommender Schornsteinfeger schließen: in voller Ausrüstung be- 
deutet er Glück, sieht man ihn ohne Leiter, dagegen Unglück. 

b) Das Unglück spielt überhaupt eine wichtige Rolle in 
diesem Vorstellungskreis. Nicht nur der 13. ist ein Unglücks- 
tag; Unglück hat auch, wer in die Neujahrsnacht (Silvesternacht) 
hineintanzt, oder wer nachts kein Brot im Hause hat; wer mit 
dem linken Fuß morgens aus dem Bett aufsteht, hat an dem 
Tage Unglück, wer einen Spiegel zerbricht, dagegen sieben 
Jahre lang. 

Was man sonst auf den Jäger Bezügliches glaubt, gilt auch 
von Heidelberg: dass er kein Glück auf der Jagd habe, wenn 
man ihm beim Auszug „Gut Heil" zurufe, oder wenn ihm Sonn- 
tags eine alte Frau begegne. 

Nach einer meiner Quellen darf man auch das erste Viertel 
des Monds nicht rückwärts über die linke Schulter durch das 
Fenster ansehen; sonst Erfährt man Unglück. Aber es ist 
zweifelhaft, ob das wirklich für Heidelberg gilt, ob nicht viel- 
mehr fremder, sogar ausländischer Einfluss (aus Neapel) vorliegt. 

Andere Zeichen weisen auf besondere Arten des Unglücks. 
Wenn der Himmel abends ganz blutrot ist, bedeutet es Krieg; 
wenn man Salz ausschüttet, bekommt man Streit; und wenn 
man jemand eine Stecknadel gibt, muss man lachen und darf 
sich nicht bedanken, sonst sticht man die Freundschaft entzwei. 

c) Aber weitaus die meisten Zeichen weisen hin auf den 
Tod. Wenn ein Toter lange noch eine warme Hand hat, so 



Abergläubisches aus Heidelberg 30 1 

stirbt noch jemand von der Familie; wenn ein Rabe auf dem 
Dach sitzt, stirbt jemand in dem Haus (auch in S.). Wenn 13 
bei Tisch sitzen, so stirbt zuerst, das dem Spiegel gegenüber- 
sitzt, und wenn auf dem Geburtstagskuchen ein Licht vergessen 
ist, so stirbt das Betreifende; das gleiche gilt, wenn die Photo- 
graphie jemandes herunterfällt (auch in S.). Ebenso stirbt 
jemand (auch nach dem Glauben von S.), wenn ein Holzwürmchen 
im Holz nagt, oder ein Kfiuzchen schreit, oder wenn das Holz 
des Möbels kracht; in Sandhausen sagt man in letzterem Fall 
„es meldet sich was". Auch auf Zähne kann man gehen. Wenn 
man träumt, es sei einem ein Zahn ausgefallen, muss man sterben 
nach Heidelberger Glauben ; ebenso lässt der Mannheimer Dichter 
L. Lewy in einer seiner Erzählungen (Fauler Zauber S. 34: „Die 
schwarze Zunge'*) eine Magd sagen: Mein Mutter hott aach emol 
vuneme Zahn gedraamt, wo 'r ausgange war, unn acht Dag 
schbäder iss meiil Großvatter gschtorwe." Und eine Frage hat 
man sogar frei an das Schicksal in der Neujahrsnacht: denn 
wenn man in der Neujahrsnacht seine Stiefel hinter sich wirlt 
und die Spitzen zeigen nach der Tür, so kommt man in diesem 
Jahr noch heraus aus dem Haus. 

d) Der gerade Gegensatz von Tod ist — anscheinend wenig- 
stens für weibliche Gemüter — die Heirat. Auf diese bezieht 
sich eine ganze Menge von Anzeichen. Wenn einem ein Taschen- 
tuch heraushängt, ist man heiratslustig (auch in S.). Wenn 
einem Mädchen ein Schurzband aufgeht, denkt der Verehrer an 
einen (auch in S.). Wenn man dagegen eine Haarnadel ver- 
liert, verliert man einen Verehrer. Wie viele man dann noch 
hat, kann man leicht erfahren : „Wenn man einen Apfel durch- 
bricht, so viele Kerne drin sind, so viele Verehrer hat man." 
Wenn man sich nachts im Traum im Sarg liegen sieht, ver- 
heiratet man sich bald. Wenn sich vier Leute die Hand übers 
Kreuz geben, gibt es nur nach Heidelberger Auffassung eine 
Verlobung; in Sandhausen ist das ein Zeichen des Unglücks. 
Wenn endlich ein echt goldener Ring in der Mitte durchspringt, 
so verlobt man sich in den nächsten fünf Jahren; wenn man 
beim Nähen an einem Kleid sieben Nadeln abbricht, so verlobt 
man sich in diesem Kleid. Aber es heißt auch: Wenn man 
sich beim Nähen eines neuen Kleids in den rechten Daumen 
sticht, so wird man in diesem Kleid Braut — oder bekommt 
einen Kuss. 



302 Sütterlin 

Andere Zeichen sind wieder ungünstig. Wenn man beim 
„Aus wergein" von Kuchenteig Löcher reinmacht, so muss man 
mit dem Heiraten so viele Jahre warten, als Löcher drin sind. 
Wenn man ferner zuerst Milch in die Kaifeeschüssel tut und 
dann Zucker, oder wenn man einen Brotlaib auf die verkehrte 
Seite legt, oder wenn man sich an eine Tischecke setzt, muss 
man sieben Jahre warten mit der Heirat; dieses letzte gilt auch 
für Sandhausen. Ganz leer geht aus und bekommt überhaupt 
keinen Mann, wem die Gänse nachlaufen, wer einen Apfel nicht 
ganz schälen kann (so dass die Schale ein einziges langes Band 
bildet), oder wer das letzte Stück Kuchen von der Platte weg- 
nimmt. Aber auch die Natur des Zukünftigen wird vorher- 
bestimmt. Wenn man ganz weiches zartes Haar hat, bekommt 
man einen reichen Mann; freilich in Sandhausen wird man ge- 
rade umgekehrt reich, wenn man rauhes Haar hat. W^enn man 
arbeitet (putzt, wäscht) und sich dabei nass macht, bekommt 
man einen Lump, wenn man pfeift, einen Dummen (das letzte 
auch nach dem Glauben von Königsberg in Preußen). 

Endlich lässt sich auch die Person des Zukünftigen selbst 
näher bestimmen. Wenn man einen Apfel rundum schält (in 
einem Band) und die Schale über die linke Schulter wirft, dann 
gibt es einen Buchstaben, damit fängt der Name des Verehrers 
an. Ganz bestimmt, aber auch verwickelter, lautet folgendes: 
„Wenn man 99 Schimmel gesehen hat und einen Schornstein- 
feger und begegnet einem Mann, dem man die Hand gibt, den 
bekommt man zum Mann." 

Endlich wird auch der Schwiegermutter gedacht. Wenn 
man noch Kaffee in der Tasse hat und schüttet frischen dazu, 
so bekommt man eine böse Schwiegermutter. 

Für die Herren kann ich nur ein hierhergehöriges Vor- 
zeichen anführen : wenn sich ein Herr an seiner Krawattennadel 
sticht, bekommt er einen Kuss von seiner Geliebten. 

e) Verhältnismäßig vieles bezieht sich auf die Erfüllung 
eines Wunsches und gibt ein Mittel an die Hand, wie man in 
dieser Hinsicht die Zukunft erfragen oder unter günstigen Um- 
ständen gar das Schicksal zwingen kann. 

Wenn man einen Nusskeim (das Herzchen am Nusskern) in 
den Stiefel steckt und wünscht sich was und es ist abends noch 
drin, so geht es in Erfüllung; und wenn man irgend eine 
barmherzige Schwester sieht und an einen Kleiderknopf an seinem 



Abergläubisches aus Heidelberg 303 

(eigenen) Anzug fühlt, darf man sich etwas wünschen, und es 
geht in Erfüllung. Wenn man Stemschuppen fallen sieht, geht 
nach Heidelberger Auffassung auch ein gerade ausgesprochener 
Wunsch in Erfüllung; in Sandhausen ist das dagegen ein Zeichen, 
dass jemand stirbt. Auch wenn man jemand zum erstenmal im 
Monat wieder sieht und drei Knixe macht, soll ein dabei aus- 
gesprochener Wunsch erfüllt werden; ob das aber wirklich in 
Heidelberg Glaube ist, erscheint mir fraglich. 

Anderes ist verwickelter. Entweder schreibt man zehn 
Wünsche auf einzelne Zettelchen und legt sie in der Neujahrs- 
nacht unter das Kopfkissen; das, welches man morgens hervor- 
zieht, geht in Erfüllung. Oder man hält sich an folgendes: 
Wenn zwei Personen zu gleicher Zeit dasselbe sagen, dann geht 
es in Erfüllung; sie müssen sich aber dann den kleinen Finger 
geben, sich beide leise etwas wünschen, dann auf drei zählen 
und einen Dichter gleichzeitig sagen : ist das der gleiche Dichter, 
dann geht es in Erfüllung. 

f) Aber auch gleichgültigere Dinge werden so angezeigt. 
Wenn man morgens einem Kaminfeger begegnet, bekommt man 
einen Brief; wenn einen die Nase beißt, so erfährt man etwas 
Neues (nach Sandhäuser Glauben kommt ein Jude auf die Welt) ; 
wenn man beim Nähen drei Nadeln abbricht, dann kommt man 
zu einer Hochzeit. Besuch dagegen bekommt man, wenn sich 
entweder die Katze putzt und sich dabei übers Ohr fährt, oder 
wenn eine Feder oder eine Schere fällt und sich die Spitze in 
den Boden steckt; merkwürdigerweise deutet aber die gleiche 
Erscheinung beim Messer sicher auf Unglück. Wenn man femer 
den Kukuk schreien hört und schlägt auf den Geldbeutel, so 
wird man reich; ähnliches berichten meine Quellen von dem 
Fall, dass man eine Butterblume unter das Kinn hebt und es 
schimmert gelb; nach meiner Jugenderfahrung ist das nur ein 
Zeichen dafür, dass man gern Butter isst. Wenn ein Gerücht 
verbreitet ist, jemand sei gestorben, so lebt dieses noch einmal 
so lang, als es schon alt ist. Und ähnlich gibt der Schrei des 
Kukuks die Zahl der Jahre an, die man noch zu leben hat. 

Verwickelter sind folgende zwei Beispiele. Wenn einem 
die Ohren klingen, das rechte bedeutet dann Schlechtes, das 
linke Gutes ; dann lässt man sich von jemand zwei Zahlen sagen 
und zählt die am Alphabet ab; der Buchstabe gibt den Anfangs- 
buchstaben des Namens des Lästerers (oder Lobers) wieder. 



304 Sütterlin — Abergläubisches aus Heidelberg 

Und wenn man unwillkürlich einen Vers sagt und zählt die 
Silben und zählt im Alphabet nach, so gibt der Buchstabe den 
Namen einer Person an, die an einen denkt. 

g) Einiges weitere bezieht sich auf einzelne menschliche 
Schwächen, Unsitten oder kindliche Unarten und hat etwas Lehr- 
haftes an sich : manches darunter erinnert geradezu an das, was 
Weise in seinen drei Erznarren (Kap. 26) von derlei Anzeichen 
dargelegt hat. 

So heißt es: Wenn ein Mädchen einen Herrn zuerst grUlit, 
bekommt es einen Schnurrbart (so auch in Königsberg in Preußen); 
wenn man Brot schief schneidet, hat man gelogen. Wenn man 
ein Paar neue Schuhe anhat und sie „gerren" (graunzen), so 
sind sie noch nicht bezahlt. Wenn man Haare zum Fenster 
hinausfliegen lässt, bekommt man Kopfweh, weil sich die Vögel 
daraus Nester bauen (auch in Weimar zu Hause). 

Wenn man sich die Haare schneidet bei abnehmendem Mond, 
so wachsen sie nicht mehr; Haare muss man schneiden bei Voll- 
mond. W^enn man ein Kind zum Fenster „hinaushebt" (z. B. 
in den Garten oder Hof), anstatt es zur Türe hinauszutragen, 
wächst es nicht mehr, es sei denn, dass man es wieder zum 
Fenster hereinhebt. Man darf auch nicht zu Häupten eines 
Kinds stehen , sonst schielt es später. Und endlich darf ein 
Erwachsener ein kleines Kind nicht zwischen den (gespreizten) 
Beinen hindurchlaufen lassen und das Bein auch nicht über das 
Kind hinwegheben, sonst wächst es nicht mehr. — Wenn man 
die Hand gegen die Eltern erhebt, so wächst die Hand einem 
zum Grab heraus. Wenn man abends in den Spiegel sieht, so 
steht nach Heidelberger Überlieferung der Teufel dahinter, nach 
Sandhäuser Auffassung aber gucken Hexen heraus. Und wenn 
einem kleinen Kind ein Zahn wackelt und es lässt ihn sich nicht 
herausziehen, dann sagt man ihm, eine Krankenschwester komme 
nachts und ziehe ihn heraus. 

Ganz scherzhaft endlich ist es gemeint, wenn man von 
einem großen Loch im Brotlaib sagt, der Bäcker sei da mit 
seiner Frau ^ hindurchgeschlupft". Dagegen der Satz „14 Jahre 
7 Wochen, ist der Backfisch ausgekrochen^ ist zwar in Heidel- 
berg bekannt, aber wol kaum volkstümlich. 



Pflege der Volkskunde in Baden. 

Im 21. Band der Alemannia (1893) S. 301—304 ist der etste 
Fragebogen der älteren Badischen Vereinigung für Volkskunde 
abgedruckt. Diesem folgte eine ausführlichere Fassung, die im 
ganzen Land verschickt wurde und durch deren Beantwortung 
der Stoff zusammen kam, von welchem die von Dr. 0. Haffner 
verfasste Übersicht (Alem. 33, n. F. 6, 238 ff.) Kunde gibt. 
Die nun hier vorliegende Fassung ist eine Abkürzung des aus- 
führlicheren Fragebogens und soll im wesentlichen dazu dienen, 
die Zahlen und Abschnitte der Haffnerschen Übersicht, die im 
nächsten Band fortgesetzt wird, zu erklären. 

Fragebogen des Badischen Vereins fftr Vollisknnde. 

1. Ortsname. 5. Hausmarken oder Hofwappen. 

2. Flurnamen. 6. Volkstracht. 

3. Familien- und Taufnamen. 7. Nahrung. 

4. Hausbau und Dorfanlage. 8. Gewerbe. 

9. a) Volkslieder, besondere Sänger, b) Kinderreime, Kindersprttche, 
Kinderspiele, c) Volksschauspiele, d) Sprichwörter, Inschriften. 
e) Schwanke und Schnurren, f) Ortsneckereien, Nachreden auf Ge- 
werbe, Dorfsprüche, g) Rätsel. 

10. Märchen. 

11. Sagen, a) Gespenster, b) Alpdruck, c) Gespenstische Tiere, d) Zwerge, 
Nixen, Feld- und Hausgeister, e) Riesen und Teufel, f) Hexen, 
Zauberer, g) Wildes Heer, wilde Jäger, h) Fronfastenweib, weiße 
Frau, Venus, i) Sagen von Naturerscheinungen, k) Volksglauben 
von Pflanzen. 1) Von Steinen, m) Sagen von bestimmten Orten, 
Bildstöcken , verborgenen Schätzen, n) Heiligen- , Freimaurersagen, 
geschichtliche Sagen. 

12. Sitten und Gebräuche. 

a) Das Leben des Menschen betreffend, aa. Schwangerschaft, ab. Ge- 
burt (Storch, Gichter, Taufe), ac. Schul- und Hirtenleben, 
ad. Spinnstuben und Liebesleben, ae. Hochzeit (Beschau, Ein- 
ladung, Brautwagen, Verlauf der Hochzeit, Spiele, Tänze und 
Alemaniiia N. F. «. 4. 20 



306 Pflege der Volkskunde in Baden 

Neckereien dabei, Nachhochzeit). af. Krankheit und Tod (Mittel 
gegen Krankheit. Anzeichen des Todes, Leichenwache, Beerdigungs- 
gebräuche, Totenmahl, Trauertracht), ag. Haus- und Hofsegen 
(Reise-, Feuer-, Diebs- und Kriegssegen), ah. Rechtsgebräuche 
beim Dingen von Dienstboten, verschiedene Ordnungen, Volks- 
ansichten über Vergehen und Gebrechen. 

b) Tiere (Krankheiten, Schmuck, Weide, Segen, Schutzheilige), 
ba. Rosse, bb. Rinder, bc. Schweine. Gänse und Hühner, Bienen. 

c) Äcker, ca. Ackern, cb. Aussaat, cc. Schutz vor Feldschaden. 
• cd. Ernte, ce. Weinlese, Obsternte. 

d) Verzeichnis der Tage, an die sich Gebräuche knüpfen. 

13. Sprachliches, a) Zeiteinteilung, b) Naturerscheinungen, c) Farben- 
bezeichnungen, d) Familie, e) Begrüßung, Segenswünsche, Flüche, 
Schimpfworte, f) Körperteile des Menschen, Krankheiten, Stimme 
des Menschen, g) Nahrung, h) Ackerbau, Scherznamen für Hand- 
werker, i) Tiere, Lockrufe und Eigennamen der Tiere, Schreien 
der Tiere, Hirtenrufe, k) Pflanzen, Beerleseverslein. 1) Zahlworte, 
m) Eine kurze Erzählung oder Schilderung in der Mundart des 
Orts, n) Wie unterscheidet sich die Mundart von der der Nach- 
barorte. 

Mitteilungen aus dem Unterland bis Karlsruhe werden erbeten an 
Prof. Dr. B. Kahle ^ Heidelberg, solche aus dem Oberland an Prof. Dr. 
F. Pfaff, Freiburg i. B. 



Landsgemeindetag in Appenzell. 

Von Wilhelm Groos. 

Das Appenzeller Ländchen ist durch seinen Säntis weiter- 
hin bekannt. Er leuchtete im Neuschnee ab und zu hinter den 
Vorbergen herauf, als wir am Sonntag den 30. April von Kon- 
stanz über Rorschach und St. Gallen fuhren; in der offenen 
Vorhalle des Gasthauses beim Bahnhof Waldstadt hatten wir 
ihn greifbar nahe vor Augen in der herrlichen Morgensonne, 
die nach einer Regen- und Sturmnacht unerwartet folgte. Ohne 
Unterlass strömten die Appenzeller Landleute gruppenweise vor- 
bei, meist neben dem Regenschirme mit einem Säbel oder Degen 
bewaffnet, dem Ausweise des Staatsbürgerrechts. Durch eine 
jener malerischen, tiefeingerissenen Schluchten — Tobel, wie man 
sie hierlands nennt — pilgerte alles das Stündchen nach Hundwil, 
einem kleinen auf der Höhe gelegenen Ort, in welchem, mit 
Trogen abwechselnd, alle zwei Jahre die Landsgemeinde des 
Kantons Appenzell Ausser-Rhoden tagt. 

Der große, auf drei Seiten von Gebäuden umgebene Rasen- 
platz füllte sich immer mehr, bis schließlich Mann an Mann, 
Kopf an Kopf sich drängte; es pflegen sich etwa 12 000 Stimm- 
und Wahlberechtigte zu versammeln; ein Gasthausfenster gab 
bequemen Überblick über die an dem Hang ansteigende Menschen- 
masse. Einstweilen spielte auf einer Bühne, der „Stuhl** ge- 
nannt, die Musik; ein Umzug in Landsknechtstracht, zwei mit 
Hellebarden, dann sechs Pfeifer und Trommler, um 10 V*» 
lOY» und lOV* Uhr bereitete auf die feierliche Handlung 
vor. Sie schritten auch auf den Glockenschlag 11 Uhr dem 
durch Geläute eingeleiteten Aufzuge der Regierungsbehörden 
voraus: in schwarz- und weißgestreiften Wämsern und Pluder- 
hosen, das linke Bein schwarz, das rechte weiß — den Landes- 
farben; der Landammann in schwarzem Mantel und Schiffhut; 
der Landwaibel in weiß und schwarzem Mantel und Schiffhut 
mit zwei Gehilfen, große Metall buchstaben A. V. R. („Appen- 

20* 



308 Groos 

Zell User Rhoden") an der Brust; die Regierungsräte in einfachem 
schwarzem Gehrock und hohem Hut. 

Da sie zum „Stuhl" heraufsteigen, entblößt wie auf einen 
Schlag die ganze große Menge das Haupt — die Rauchwölkchen 
waren schon vorher verschwunden, als das Landsgemeindelied 
angestimmt worden, eine feierliche, ursprünglich wol kirchliche 
Weise, mit der bekannten Schweizer Schulung gesungen. Nun 
lautlose Stille. Der Landammann, in der Mitte zwischen den 
beiden zweihändigen Schwertern stehend, gedenkt in kurzer 
Eröffnungsrede der für Kanton und Eidgenossenschaft wichtigeren 
Geschehnisse des umlaufenden Amtsjahrs und der Vorlagen der 
Regierung und schließt mit Aufforderung zu einem stillen Gebet, 
welche mit einem Ruck die Hüte der Tausende vor die Gesichter 
führt; man fühlt den Geist Zwingiis, dessen Kirchenverbesserung 
einst zur Scheidung von dem katholisch gebliebenen Innerrhoden 
führt. Aus jener Zeit müssen auch die festgegossenen Formen 
stammen, in welchen sich diese Selbstregierung des Volks ab- 
spielt: „Liebe und getreue Mitlandleute und Bundesgenossen!" 
ist die Anrede des Landammanns an das Volk, damit die Bürger 
des Kantons und die in ihm wohnhaften andern Eidgenossen 
unterscheidend. — „Herr Landammann, Herren Regierungsräte!** 
schickt der Waibel dem voraus — nichts von „Geehrte Herren, 
Hohe Versammlung!", wie das bei uns immer weiter hinab üblich 
wird. — Die Bürger haben den gedruckten Bericht der Regie- 
rung schon seit Wochen in Händen, es bedarf daher keines 
Eingehens ins einzelne durch den Leiter der Verhandlung. 

Die pünktlich fertiggestellte Rechnung für 1904 wird ge- 
nehmigt ohne Bestellung eines besondern Ausschusses für diesen 
Zweck; ein Meer von Händen hebt sich dafür, keine dagegen 
bei der Gegenprobe. — Doch das suveräne Volk besteht nicht 
aus bloßen „Jasagern": die Hauptvorlage der diesjährigen Lands- 
gemeinde-Bestellung einer ständigen Regierungsvertretung mit dem 
Sitz in Herisau, einem der Hauptorte, weist es ab mit großem 
Mehr der Hände, kaum ein Viertel hebt sich dann dafür. — 
Nahezu einhellig wird weiter eine außerordentliche Landsgemeinde 
im Herbst für Beratung einer Verfassungsänderung abgelehnt, 
mit deren Ausarbeitung in der vorjährigen Tagung die Regie- 
rung betraut worden war; wie zuvor keine Empfehlung, so auch 
jetzt kein Wort des Bedauerns des Aninianns über das Misslingen 
eines Hanptteils der von den leitenden Persönlichkeiten als nötig 



F.il3 I:Hllllä>! 



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erkannten Auijasaiing aD die AnforderuDgen der lieut.igeii Zeit — 
der Bauer ist bedäditig, fürchtet sich vor dem Schreib er tum, 
zahlt nicht gern; mit 10000 Fr. Jährlich wurden bis jetzt die 
Küsten der Verwaltung bestritten; freilich ist es unbequem das 
Aufsuchen der Regierungsräte iu ihren verschiedenen Wohnorten, 
das abwechselnde Tagen der Behörde bei einem von ihnen — 
aber ein Amthaus in Herisau bauen, stitndige Hilfsbeamte dort 
anstellen? — Nein! Warum soll es nicht wie bisher weiter- 
gehen? — Dabei geniellen die Männer der Regierung offenbar 
allgemeines Vertrauen, wie aus deren einträchtiger AViederwahl 
zu schließen; ihr haben sich Verwaltungsbeamte und Richter 
alljährlich zu unterziehen, der Landammann mit der Beschränkung, 
diiss sich seine Amtsdauer nicht über drei Jahre ohne Unter- 
brechung erstrecken darf. — Der Landammann, bei seiner Wahl 
der älteste Regierungsrat, verliest die Kamen der bisherigen 
Inhaber der Ehrenämter und fordert zu etwaigen andern Vor- 
schlägen auf, die aber nicht gemacht werden, — Dann fragt der 
Waibel: ,Wem's gfallt, dass Herr Landammann Lutz von Lutzen- 
berg auch für dieses Jahr wieder bestätiget werde, der bezeuge 
es mit seiner Hand!"' Und zur Gegenprobe, obwol augenschein- 
lich so gut wie alle der Aufforderung gefolgt sind: „Wer den- 
selben entlassen will, der hebe seine Hand auf!" so weiter dann 
auch bezüglich der fünf anwesenden Regierungsräte; für den 
sechsten, der gestorben, bittet der Vorsitzende, wenn man so 
sagen darf, denn es wird die ganze Zeit gestanden , um Vor- 
schi itge-Zu rufe — Regierungsräte vermerken die Kamen, der 
Landammann verkündigt sie, fragt, ob etwa weitere genannt; der 
Waibel lässt dann wie vorher abstimmen, schließlich noch ein- 
mal über die drei, welche die meisten Stimmen erhalten hatten; 
der Gewählte, von den Umstehenden durch Em porstrecken ihrer 
Degen bezeichnet, wird durch die Landsknechte aus der Menge 
auf den „Stuhl" geleitet. Schneller vollzieht sich dann wieder die 
Wahl der Oberrichter und ihres Vorsitzenden. Die Gewählten 
leisten den Amtseid und ebenso, auf die Verfassung und Gesetze, 
die ganze Versammlung: „Das will ich halten ohne alle Gefährde, 
so wahr ich wünsche und bitte, dass mir Gott helfet" Alle wieder 
mit entblößtem Haupte; ein wunderbarer Anblick, wie drauf die 
Wolke der Hüte sich wieder auf das Meer von Köpfen deckt. — 
Die Regierung tritt, wieder in feierlichem Zuge, ab nach 
knapp einstündiger Dauer der Tagung, und die Menge geht ruhig 



310 Groos — Ein Landsgemeindetag in Appenzell 

auseinander, meist alsbald den oft stundenlangen Heimweg an- 
tretend; kein Wirtshauslärm, kein Rechten oder gar Streiten, 
nicht einmal eine sichtliche Erregung unter den noch bleibenden 
Gruppen. Nach einer so wichtigen politischen Entscheidung 
undenkbar bei Romanen; die Landsgemeinde hat sich auch nur 
in einigen kleineren deutschen Kantonen erhalten — außer in 
den beiden Appenzell — in Ob- und Nidwaiden (am gleichen Tag) 
und in Glarus (Anfang Mai). Sie ist eine urgermanische Ein- 
richtung, die leider, wo nicht bodenständig, sich nicht wol ein- 
bürgern lässt, obwol es für nicht zu große Gemeinwesen nicht 
gerade unmöglich wäre. Aber vielleicht könnte man doch etwas 
aus dem geschilderten Vorgange für andere Verhältnisse lernen, 
und jedenfalls dürfen wir mit einem gewissen Stolz aus ihm auf 
unserer Ahnen Art schließen — wie ein Abendrot aus ger- 
manischer Vorzeit leuchtet dieser Abglanz noch herauf, die 
Landsgemeinde in ihrem Verlaufe und manchen Einzelzügen. 

Diese Selbstzucht eines freien deutschen Bauernvölkleins — 
das offene Auftreten mit gehobener Hand bei Abstimmung und 
Wahlen, nicht gedeckt durch geheime Zettel und Absonderungs- 
raum — die schlichte und knappe Art der Verhandlungen in 
den einfachen und doch würdigen Formen der Vorfahren — 
die kerndeutschen Worte der Ansprachen und Angelobungen, 
die alten deutschen Amtsnamen und Trachten der Würdenträger, 
das Zeichen der Wehrhaftigkeit in der Hand der Bürger und 
nicht zuletzt das Tagen des ganzen Volks unter freiem Himmel 
um den erhöhten Standort der Häupter, den „Stuhl"! 

All das beschäftigte auf dem Heimweg lebhaft unsere Ge- 
danken, die zurück in die Geschichte und weit über den einstigen 
Boden germanischer Stämme von Süd nach Nord schweiften: 
mir kam die Erinnerung an die jedenfalls in ihrem Ursprung 
longobardische Verfassung des kleinen Freistaats San Marino 
mit ihrem „Arringo** (Ring), der Versammlung sämtlicher Fa- 
milienhäupter, ihren „Gastalden** u. a. m. 

Und einem andern fiel die Stelle des Gesangs der Frithjof- 
sage von der Königswahl der Normannen ein: 

,Sie sammeln sich zur rechten Stund 
Mit Waffcnschlag 

Zu offnem Ting; des Himmels Rund 
Das ist ihr Dach/ 



Anzeigen und Nachrichten, 



iindertij, Fit^iburg, Bnehilr. Gebr. 



■. J. KiUIil, Vram Ouil 

der Wende des U 

Fragniiire, IWi. XIII, 224 Ö. 
Von diesem mehr genanut«n als gekannten Geachichtsdireibcr ans 
^■Äem weitverbreiteten, auch heute noch zu Freibarg und im ganzen Ureis- 
gau in zahlreichen Ästen blnhenden Geachlecbte derWillmann erhaltea 
wir hier zum erstenmal ein näheres und getreues Lebens- nnd Kamkter- 
bild. Frau« Giülliraann. wie sein Name in welscher ächreibnrt lautete, 
gehört den beiden zllb ringischen Freiburg fast zu gleichen Teilen an: dem 
schweizerischen durch seine dort um I5S8 erfolgte Geburl, dem breis- 
gauisehen durch seinen Tod am 14. Oktober 1612 in der VoUkraft der 
.talire. ,nber aufgerieben von Sorgen und Arbeit im Dieusta des Bauses 
Habebiirg, Toll bitterer EnttSaschang", ein Opfer seines widrigen Schick- 
sals. Als armer Schulmeister zu Solothurn hatte er 1,^90 seine Laufbahn 
begonneu, war 1.59.) wogen politischen .Praktizierens' von dort verbannt 
worden nnd dann zehn Jahre lang Bekret&r bei Alpbone Cosate, dem Bot- 
ficbaflijr des Kflnigs von Spanien zu Lnzem. Im Dezember 1005 kam er 
nach Freibui^ im Breisgau und ward hier Professor der Geschieht« an 
der Univemitat, Übte jedoch sein Lehramt nur wenige Jnhre aus, da er 
im Auftrag dea Erzherzogs Maximilian zur Bearbeitnng der Österreichischen 
Genealogie und Geschichte meist nnswflrts, namentlich in Innsbruck weilte. 
Seine historische Erstlingsarbeit hatte der Schweiz gegolten, indem er den 
protestantischen Werken von Stnmpff und Simmler L'i98 seine fQnf Bücher 
„De rebus Uelvetiorum sive antjqnitatum' entgegensetzte, damit aber 
nicht den erhofften Anklang fand. Desto größeren Beifall und Gewinn 
erhielt er. wenn auch nicht in der Schweiz, mit seinen 1605 vollendeten 
.Habeburgiaca sive de antiqua «t vera origine domus Austriae*, 
worin er mit scharfer Kritik die baltlosen Fabeleien flbor rjtroischen, 
trojanischen oder andern klassischen Ursprung des Hauses Habsburg 
beseitigte und erstmals auf der Grundlage der Acta Murensia zeigte, 
dasB die Habsburger ans dem Stamme jener Edeln hersuleiten 
welche seit dem frühesten Mittelalter gräfliche. Herrschaft um Altenburg 



nburg i 



312 Anzeigen und Nachrichten 

bei Brugg an der Aare und die Landgrafschaft im Elsass besassen. Kaiser 
Rudolf II. verdoppelte den ihm ausgesetzten Jahresgehalt, ohne freilich 
damit die finanzielle Not des wenig haushälterischen und rechnerischen 
Gelehrten zu beheben, der neben Arbeiten kleineren Umfangs aus der 
deutschen Reichs- und Bischofsgeschichte rastlos an der Ausführung des 
1607 gefassten Plans einer Geschichte der habsburgischen Her- 
zoge Österreichs in zehn Büchern arbeitete, dessen Vollendung ihm 
aber nicht beschieden war. Seine abgeschlossenen Werke wurden wieder- 
holt gedruckt und zeichnen sich durch Selbständigkeit und Gründlichkeit 
der Forschung sowie durch ein elegantes, oft nur zu gedrängtes Latein 
aus. Man verglich seinen Stil demjenigen des Sallust, so dass 1623 der 
Verleger einer neuen Titelausgabe der ,Res Helvetiorum* als Druckort, 
unter Anspielung auf Sallusts Geburtsort, auf den Titel «Amitemi" setzen 
ließ. Für seine kritische Begabung ist ein Brief von ihm an Goldast vom 
27. März 1607 bezeichnend, worin er die Geschichte Teils für eine 
reine Fabel erklärt, weil diesen keine ältere Quelle erwähne, und die 
Umer über seinen Wohnort nicht einig seien, noch auch über seine 
Familie Aufschluss zu geben vermöchten. 

Diesem bedeutenden, vom Felde der wissenschaftlichen Arbeit allzu- 
frühe abgerufenen Forscher hat Johannes Kälin in dem vorliegenden 
Buche ein würdiges, Licht und Schatten gleichmäßig und gerecht wider- 
spiegelndes Denkmal gesetzt. Mit Liebe und Sorgfalt ist er allem nach- 
gegangen, was irgendwie zur Aufhellung seiner bis dahin noch vielfach 
dunkeln Lebensumstände beitragen konnte, mit Scharfblick und feinem 
Verständnis hat er das innere Wesen des Manns zu erfassen und dar- 
zustellen gesucht, den Geist und Wert seiner Werke untersucht und ent- 
wickelt und ihm so seinen rechten Platz in der deutschen Historiographie 
angewiesen und gesichert. Das Gesamtbild, das Kälin von ihm entworfen, 
wird schwerlich mehr in irgend einem wesentlichen Punkt eine Um- 
gestaltung erfahren; er scheint uns durchaus das Richtige zu treffen, 
wenn er sagt: ,Guillimann war keine genial veranlagte Natur; wol aber 
besass er hervorragende Talente, hellen Verstand, eine seltene Willens- 
kraft und ein weiches, empfängliches Gemüt; seine Seele schwang sich 
in idealem Flug empor über die Niederungen des gemeinen Lebens. Aus 
kleinen Verhältnissen war er durch verständnisvolle Gönner emporgehoben 
worden in höhere Kreise, in denen er sich aber bald so heimisch fühlte, 
als wäre er darin geboren. Aber eben diese Herkunft und der Mangel 
an Glücksgütern lasteten wie Blei an seinen Sohlen und drohten ihn mehr- 
mals wieder in den Strudel des Gewöhnlichen, Vergänglichen hinabzuziehen. 
Wenn er es doch bis zum Kaiserlichen Rat und Historiographen brachte, 
80 verdankt er das seiner unverwüstlichen Schaffenslust, seinem starken 
Wilkn, der unter tausend Schwierigkeiten unwandelbar sein Ziel ver- 
* Unrecht würde man ihn ,£mporkömmling* nennen. Sein 
^ «eiilichem Wolsein, sondern den höchsten idealen 



An/fison und Navhrichlen 313 

F'Ofltem der Menschheit. Si> starb er zwar reich ^n iieiM iinit Wisai-a, 
F aber arm, b«UelanD an (Jeld und Gut.* Die Wissenschaft wird es Klüin 
I xn Dank wissen, dass er uns Guillimann den Üelehrton vOlli); erschlossen, 
I GDillimann den Menschen menschlich niher gebracht hsL 

i. Br. P. Alhert- 

B>fen Balier, Cbcrblick Über die Geachichte dur Stadt llräu Il- 
lingen. Ein Beilrag »iir Ueachichte VorderÖstomichs. Dcinau- 
eschingen, 0. Mory, 1903. 134 S. 8". 1,-^0 M. 
Seit längeren Jahren hat der Verfasser seine Mußeicit eifrig dem 
I Stadiam der BrSnnlinger GoschichCe gewidmet und sich eine gaas vor- 
I :xllgliche Kenntnis des gedruckten und ungednickten Materials erworben. 
[ 8a ist er auflerordentlich gerastet an seine Aufgabe, den BrSuiiiiugern die 
I irichtigatcn Ereignisse ana ihrer Vergangenheit im Zusammenhang vot- 
t, intragen. herangetreten. Die Darstellung ist populAr nnd so gehalten. 
? ausfuhrliche Bearbeitung der Brfiuulinger Stadigeschichte, die 
r Miit Jahren in Vorbereitung ist, dnrch den Torliegenden Überblick, tu 
I' dMsen VerSßentlichnne sich der Verfasser auf DrHugen von verschiedenen 
■ Seiten entschlossen hat, nicht UberflÜBsig gemacht wird. Jener ausführ- 
lichen Bearbeitung werden auch die Betreise und Quellenangaben, auf die 
der Verfasser hier begreiflicherweise verzichtet hat, vorbehalten. Ent- 
behrt somit die Darstellung des kritischen Apparats, so ist sie duch 
durch und durch von wissenschaftlichem Geist getragen. 

Beannders lehrreich ist das Wnrkchen fUr die neuere Zeit. Der lang- 
jährige Streit mit FUrstenberg, dessen Beamte mit gruller Zähigkeit für 
die alten Gaugrarengerechtsame k&mpften. wird gut «iiaeinander geaetit; 
manche uns jetzt humoristisch anmutende Erscheinung brachte dieser 
Streit hervor, bis er 16S6 durch ein Schiedsgericht seine Erledigung fand. 
Zum Zweck der Landesverteidigung war Brftunlingen dein Villioger .I.and- 
fahnen* zugeteilt, zu dem es nach einer Kepartition von Id^'i 78 Mann 
EU stellen hatte, ülier den Anteil an (inind und Boden erfahrt man, dass 
1703 sÄmtiicho Borger zusammen (wie viele?) nur 556 Jauehsrl Acker 
und 141 Mannsmahd Wiesen Privatgrund besitz hatten. Kirchen und KlAster 
beeassen 649 Jauchert und 210 Mannsmahd, und die eine Familie Gumpp, 
die aber damals in mehrere Zweige ges|)a!tun war, 645 Jauchert und 
180 Mannsmahd; das Öbrige, was die Bürger bebauten, war Gemeinde- 
eigentnm. Almeude. Diese Alnienden waren aber mit der Zeit so gut wie 
Eigentum geworden, sie waren vererhüch und verküuftich, nur lastete auf 
ihnen eiue uralte Abgabe an die Stadt, der t^tockzina, der offenbar bis 
in die Zeit der Rodung hinaufreicht. Er wurde gleich den Zehnten erst 
im 19. Jahrhundert abgelöst. Die badische Zeit bracht« Überhaupt der 
Stadt die wichtigst«n Änderungen, besser gesagt Reformen. 1846 fand die 
Teilung der groflen Gemarkung unter die Stadt und ihre nach und nach 
entstandenen Dependenzorte statt; nach dieser Teilung iimfassl die Go- 



il^ .Uaeigen nnd Nachrichten 



üücä jiun<r :ö3y Hektar, darunter 1858 Hektar, d. i. rund 5160 

MtirzHL (^meindewald. 
Besonntere Anfinerksamkeit hat der Autor der städtischen Verfassung 
^wiftnu^ :in«t »ia Bt er im stände, auch für das Mittelalter unsere Kenntnis 
ra -r^n»£t«*ra mid bisher noch unbekanntes Material zu verwerten. Die 
mrrn Herz»« Leopold von Österreich erfolgte Verleihung des Dießen- 
aoRger B^ckts an die Stadt Brftunlingen (vgl. Fürstenb. Urk.-Buch VI 
!^>. V? und meine Abhandlung: Verfassung der Stadt Brfiunlingen in Baden, 
in ier Westdeotschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst 16 [1897], 
l-y^i tL kann er nach dem in zwei späteren Freiheitsbriefen von 1557 und 
in^^T angegebenen Datum auf das Jahr 1813 21. August bestimmen. Auch 
tue Bor in einer Abschrift von 1502 erhaltene Stadtordnung von 1398 
(1576 als «altes statbuch und recht* erwähnt) war bisher nicht bekannt. 
Die ältest« Ratsverfassung, wonach der Rat aus zwölf Bütgliedem bestand, 
blieb bis zum Jahre 1756 bestehen, da kam eine neue Ratsverfassung, die 
sich aber nicht bewährte und schon 1785 einer dritten Platz machte. — Die 
S. 42 erwähnte bemerkenswerte Gerichtsurkunde (Fürstenb. Ürk.-Buch IV 
No. 128) ist wol dahin zu erklären, dass ein Kompromiss zwischen dei 
Stadt und dem Landgrafen Wolfgang zu Fürstenberg vorliegt. Der Tat- 
ort des Verbrechens war die Stadt Bräunlingen. der Täter ein adeliger 
Einwohner der Stadt. Der Graf zu Fürstenberg, damals auch Pfandinhaber 
der Stadt Bräunlingen, der «als ain lantgraff des hailigen richs das und 
ander unrecht und übel nach kaiserlichem rechtem zu strafen hette*, zog 
den Totschlag vor sein Landgericht an der freien Landstraße. Das Ge- 
richt besetzten aber der Schultheiß und die Zwölf des Stadtgerichts zu 
Bräunlingen und fertigten das Urteil unter dem städtischen Siegel. Einige 
andere Fragen, die sich ergeben, können erst erörtert werden, wenn das 
Quellenmaterial ganz vorliegen wird. S. 111 findet sich in dem Namen 
des französischen Generals, der 1806 die Stadt für Baden übernahm, der 
Druckfehler Mouard statt Monard. 

Der Verfasser hat dem Werk auch eine Tafel mit sieben städtischen 
Siegeln beigegeben. Die Ausstattung des ganzen Büchleins macht dem 
Gemeinderat, der bereitwilligst die Kosten übernahm, wie dem Verleger 

alle Ehre. 

Donaueschingen. Georg Tumbült. 

Engen Balzer, Die Freiherren von Schellenberg in der Haar. 
Hüfingen, Revellio, 1904. (Sonderabdruck aus den Schriften des 
Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der an- 
grenzenden Landesteile in Donaueschingen. Heft XI.) 148 S. 8®. 
Eine treffliche Arbeit, durch die eine fühlbare Lücke in der Geschichte 
der Baar ausgefüllt wirtl! Obschon die Herren von Schellenberg lange 
Zeit nach den Landgrafen das mächtigste Adelsgeschlecht der Gegend 
waren, existierte doch nicht einmal ein zuverlässiger StÄmmbaum von 



Anzeigen und Nachrichten 315 

ihnen, bis nunmehr Balzer nach sorgfältigen Studien einen solchen auf- 
gestellt und gleichzeitig die wichtigsten Nachrichten über einen jeden 
Angehörigen des Geschlechts gesammelt hat. Eine ganz bedeutende Per- 
sönlichkeit ist Hans der Gelehrte (t 1609), von dessen wissenschaftlicher 
Korrespondenz mit dem Schaffhauser Chronisten Rüeger die Universitäts- 
bibliothek zu Basel noch 158 Briefe aufbewahrt. Im 17. Jahrhundert 
ging es mit dem Geschlecht rapid abwärts, bis der letzte seines Stamms, 
Johann Joseph Anton, 1812 in ärmlichen Verhältnissen in Httfingen sein 
Leben beschloss. Der Arbeit sind zwei Stammtafeln sowie ein Lichtdruck 
(Ölbild eines ungenannten Freiherrn von Schellenberg (wo! Sigmund 
Regnatus] im Rathaussaal zu Bräunungen) und zwei Siegel- bzw. Wappen- 
abbildungen beigegeben. 

Donaueschingen. Georg TumbOlt. 

Dr. Max Fischer» Oberarzt in lUenau, Unser Schwarzwald-Bauern- 
haus. Freiburg i. B., Speyer & Kaemer, 1904. 38 S. 8°. 

Dies warmherzig geschriebene Büchlein kann als Zeugnis für die 
wachsende Ausbreitung der richtigen Auffassung von Volkskunst, als 
Helfer auf dem Gebiet der Volkskunde und im praktischen Leben will- 
kommen geheißen werden. Der Verfasser geht von der wundervollen 
Zusammenstimmung von Menschenschlag, Wohnart und Landschaft im 
Schwarzwald aus, findet mit Recht, wie Justus Moser im niedersächsischen, 
im Schwarzwälder Bauernhaus den Ausdruck vollster Zweckmäßigkeit und 
hohen Kunstsinns. Er sieht in diesem Holzbau die Kunst, die wahre, 
bodenständige, durchentwickelte Baukunst, die sonst unserer Zeit fehlt, 
und beklagt mit demselben Recht ihren Rückgang. Er gehört löblicher- 
weise nicht zu den armen Wichten, die, die Hände in den Taschen, mit 
hochgezogenen Brauen die fadenscheinige Weisheit vom „unaufhaltsamen 
Zug der Zeit** vorbringen ; deshalb gibt er Mittel an zur Abhilfe, zur Ab- 
wehr der kidturfeindlichen, durch falsche Leitung erzeugten Entwicklung. 
Zunächst empfiehlt er ernsthaftes Studium der Bauemkunst. Er meint 
wir seien ja nicht so schlimm daran, da das Schwarzwaldhaus in Koss- 
manns Schrift (Zeitschrift für Bauwesen 1894) eine mustergültige Be- 
arbeitung gefunden habe. Auch ich habe diese Schrift freudig begrüßt 
(Alem. XXII 285—288); aber ich halte sie doch nur für einen Anfang, 
oder vielmehr für eine recht hübsche Fortsetzung von F. Eisenlohrs 
bedeutungsvollcrem Anfang aus dem Jahre 18.58, den Fischer merkwürdiger- 
weise nicht erwähnt, obwol er sich in Sinn und Wort mit ihm berührt. 
Von andern einschlägigen Veröffentlichungen scheint Fischer nichts zu 
wissen. Er schlägt vor, im Schwarzwald über die von ihm und vielen 
andern vor ihm dargelegten Anschauungen Vorträge zu halten. Nun, es 
ist ihm wol nicht bekannt, dass dies mehrfach geschehen ist; aber er 
wird Gelegenheit haben mitzumachen, wenn es in nächster Zukunft noch 
öfter geschieht, und zwar mit Hilfe des neuausgobauten, rasch empor- 



316 Anzeigen und Nachrichten 

blühenden Ihidischen Vereins für Volkskunde. Freilich muss dahin 
gewirkt werden, das Vorhandene zu erhalten und in Bild und Beschrei- 
bung zu sammeln. Aber das Erhalten ist schwer: unsere dem Alten, be- 
sonders wenn es so brennbar ist, gefährliche Zeit räumt schrecklich damit 
auf. Erst vor wenig Wochen stand ich mit tiefer Bewegung an dem 
dampfenden Grabe eines solchen prächtigen alten Schwarzwaldhauses, des 
Kotterlehofs ,Zur Tanne'' in Neuhäuser bei Kirchzarten, in dessen glühen- 
dem Schöße der ganze große Viehstand umgekommen war und aus dem 
die Einwohner nur mit Mühe das nackte Leben gerettet hatten. Nicht 
umsonst bleibt, wenn ein Gewitter am Himmel steht, kein Schwarzwald- 
bauer im Bette. Solche Holzhäuser mit Stroh- oder Schindeldach in der 
alten Weise neu zu bauen kann kein Mensch ernstlich empfehlen. Für 
das Strohdach ist noch kein vollwertiger Ersatz gefunden : seiner Gefähr- 
lichkeit halber wird es verschwinden müssen. Aber die äußerliche Er- 
scheinung sowol wie die zweckmäßige Einteilung des Hauses wird sich 
darum doch erhalten lassen. Zunächst aber werden die Bauleute an den 
alten Vorbildern neu lernen müssen. Dazu mögen Fischers Vorschläge 
im Abschnitt V seines Schriftchens nützlich sein. Was an diesem jedoch 
unangenehm auffällt, ist der Mangel an anschaulicher Vorführung und 
Beschreibung seines eigentlichen Gegenstands, eben des Schwarzwald- 
Bauernhauses. Ist das Büchlein für Sachkenner geschrieben, nun die be- 
dürfen der Anregung nicht; ist es für Femstehende, Anzuregende, dann 
fehlt gerade das Nötigste. Der Grundgedanke ist gut und richtig und für 
viele beherzigenswert, wenn auch die Ausführung nicht gerade geschickt. 
Ich will verraten, dass ein anderer längst mit der Zusammenstellung von 
etwas Ähnlichem, jedoch auf breiterer Grundlage, beschäftigt ist. Einst- 
weilen kann die vorliegende Schrift, die sich durch Gefühlswärme und 
Kunstsinn erfreulich auszeichnet, empfohlen werden. 

Freiburg i. B. Fridrich Pfaff. 

Huldreich Zwingli, Sämtliche Werke. Unter Mitwirkung des Zwingli- 
vereins in Zürich herausgegeben von E m i 1 E g 1 i und Georg Finsler. 
Berlin, Schwetschke & Sohn, 1904fr. (= Corpus Reform. 88.) 8^ 

Im Anschluss an die im Corpus Reformatorum vereinigten Werke 
Melanchthons und Calvins beginnt eine kritische Ausgabe der Werke Ulrich 
Zwingiis zu erscheinen, so dass jetzt zugleich mit Martin Luther auch 
der schweizerische Reformator und in ihm der bedeutendste SchriftsteUer 
alemannischer Zunge eine abschließende Ausgabe erhält. Es ist eine reiz- 
volle Aufgabe, an den bisher erschienenen fünf* Heften, die Zwingiis vier- 
zehn früheste Schriften enthalten, die Initia Zwinglii zu verfolgen und 
daran die großartige Sachlichkeit zu bewimdem, mit der der geistesstarke 

* Inzwia ootit acht Heften Yollstfiiidig geworden. 



Anzeigen uiwl Nnchriclitfn 



317 






Held tief nnd klar seiner ^nßen Aufgabe iane wiri] nod sich ihr groß 
und tapfer hingibt. 

Dos im Herbst« 1510 entstandene Fabelgediclit vom Ochsen zei^ 
ihn DDch gflnz als Kleriker iiu Banne der papstlichen Politik, die anschnu- 
lich lebhafte Relatio de geatis intcr Quilos et Helvetios gibt eine 
Probe davon, was Zwingli als Geschichtschreiber geworden wOre, das 
Gedicht vom Labyrinth lenkt die politische Betrachtung schon mehr auf 
allgemein ethisches Gebiet hinQber, persSnlichstes Leben and Gefühl gibt 
das Gebetslied in der Pest, das Ende 1519 anf dem Krankenlager ent- 
standen ist und zum ersten Haie Zwingli den Dichter xeigt, aber erst im 
April 1522 tritt Zwingli als Reformator hervor. Die wichtige Schrift Von 
Erkiesen und Freiheit der Speisen zeigt sogleich die volle Eigenart der 
schweizerischen Reformation: es ist nicht so sehr die zu modernem Leben 
erwachende Eiuzelpersanliclikeit, der Geistliche, der die mittelalterliche 
BeligiositSt in Kampf und Not abstreift und jubelnd zu neuen Idealen ge- 
langt, sondern sogleich entrollt sich das Bild der sich befreienden Gemeinde, 
das grolle Werk vollzieiit sich nicht in Gedankenarbeit und Seelenk am pfen, 
BOndem Tonugaweisc in Wort und Tat, es ist nicht so sehr innerlich 
religiJÜs als ethisch, sozial, politisch. Dabei verliert es nicht an Kraft 
und Tiefe, gewinnt aber an Farbe und FUlle. ÜedeutungsvoU folgen der 
Schrift Von Erkiesen und Freiheit der Speisen' noch im gleichen Monat 
die Acta Tignri, die Rechtfertigung der Neuerung vor der geistlichen Be- 
Iflrdo, die notwendig zugleich den Bruch mit jener bedeutet. Und wenn 
«ich nun Zwingli in der göttlichen Vemiahnung an die Eidgenossen zu 
Schwyz aufs neue politlsclien Aufgaben widmet, ist er ein anderer ge- 
worden, er verlangt jetzt volle L'nsihtogigkeit vom Ausland und inneren 
Frieden fUr die Schweiz. Dass er solche Ziele aufstellen und erreichen 
konnte, war zugleich ein erater groUer Erfolg seiner evangelischen Predigt. 
In raschem Schritt gebt Zwingli auf der Bahn der evangelischen Lehre 
voran, die Snpplicatio ad Hugonem episcopum und mit ihr etwa 
gleichen Inhalts die Freundliche Bitte und Ermahnung an die Eidgenossen 
verlangen freie Fredigt und Aufhebung des Zölibats und bringen damit 
den eigentlichen Anfang des Glaubensstreits. Im Apologeticus Arche- 
teies hofft Zwingli, die Gegner wlkrden von weiterem Kampfe abstehen, 
in der Fredigt von Klarheit und l.iewissUeit des Worta Gottes sichert er 
der Heiligen Schrift in umfassender, geistvoller Beweisführung ihre zen- 
trale Stellang in Gottesdienst und Lehre. 

So weit ist die neue Ausgabe bisher gelangt, so weit begleitet sie 
Egii mit kirchcngescfa ich tli eben Einloitungen, die schlicht und knapp, dabei 
mit umfassendster Sachkunde und an neuen Auffassungen reich die ein- 
zelnen Schriften in ihren Zusammenhang stellen, Zeit und Anlas.-« ihrer 
Entstehung bestimmen, ihren hauptnjichlichen Inhalt und ihre Bedeutung 
umachreibeu und sich, wo dazu Anlaas ist. zu Ausblicken von echt histo- 
rischer Weite erheWn. 




318 Anzeigen und Nachrichten 

Finslers Anteil umfasst die Fülle der bibliographischen und text- 
kritischen Aufgaben, er hat den Text hergestellt und mit reichen An- 
merkungen erläutert. Beide Herausgeber kommen von der theologischen 
und geschichtlichen Seite an das Werk, von dieser Seite her ist es seit 
Jahren umsichtig und gründlich vorbereitet worden, nicht zum mindesten 
durch Vorarbeiten der beiden Herausgeber selbst, und so mag es sich er- 
klären, dass die wenigen Zweifel und Bedenken, die sich dem Benutzer 
aufdrängen und die zu äußern Pflicht der Kritik ist, philologischer 
Natur sind. 

Wenn es Aufgabe des kritischen Herausgebers ist, den letzten Willen 
des Schriftstellers zu vollstrecken, so hätten bei der Schrift Von Erkiesen 
und Freiheit der Speisen und der Von Klarheit und Gewissheit des Wortes 
Gottes die Texte C, nicht A zu Grunde gelegt werden müssen, denn zahl- 
reiche Zusätze und Verbesserungen, bei der zweiten Schrift auch eine neue 
Einleitung, zeigen, dass Zwingli die Schriften neu durchgesehen hat. Bei 
der Predigt von der ewig reinen Magd Maria unterscheiden sich Text A 
und B lediglich dadurch, dass B auf dem Titelblatt einen Druckfehler 
hat, A nicht. Daraus schließt Finsler mit Recht, dass B einen früheren 
Abzug desselben Satzes darstellt, dann hätten aber die beiden Ausgaben 
die Siglen tauschen sollen. Bei dieser Gelegenheit und noch mehrfach 
begegnet der Ausdruck 2witterdruck, statt dessen besser und treffender 
Zwillingsdruck stünde. Begrifllich nicht anfechtbar ist der neuerdings 
unternommene Versuch, für Wörter mit schwankendem grammatischem 
Geschlecht den Namen Zwitterworte einzuführen, unentbehrlich oder gar 
schön ist der Zwitter auch da nicht. Doch das nebenbei. Eine Begrün- 
dung der zweifellos richtigen Beurteilung der Text Verhältnisse vermisst 
man beim Fabelgedicht vom Ochsen und beim Pestlied, im Fabelgedicht 
setzt B gegen den Vers neunmal leopard statt lechpard ein, das wäre 
wol besser in einer zusammenfassenden Vorbemerkung gesagt und damit 
der Lesartenapparat entlastet worden. Dreimal im Fabelgedicht, mit Vers 24 
hanget, 80 dich doch von, 178 gselschafft stellt Text B durch eine 
leichte Änderung gegen hangt, dich von und geselschafft in A den 
Vers her und erfüllt damit doch wol die Absicht des Dichters, so dass 
seine Lesarten Aufnahme in den Text verdient hätten. Auch damit, dass 
die Fehler 58, 168 inngsten statt iungsten, 131, 30 mereen statt 
mereren, 235, 9 dinstiction statt distinction im Text stehen bleiben, 
leidet dieser etwas unter dem konservativen Sinn des Herausgebers, der 
sich natürlich sonst hundertfach als zuverlässigster Führer bewährt. Die 
Fundorte der einzelnen Drucke wünschte man vollständig, nicht nur bei- 
spielsweise verzeichnet zu sehen, was sich gewiss nicht mühelos, aber 
durch eine allgemeine Umfrage doch mit Sicherheit erreichen ließe. 

Die spraclüichen Vorbemerkungen wollen keine Grammatik von 

l>« bieteBi Bondern wesentlich zur Entlastung der Lesarten- 

n« aber doch nach granmoatischen Gesichtspunkten 



Anaeij^en und Xaritriclm^a 319 

geordnet sind imd sräi mftasvn. hMxtit irol der Wandel Ton büv m iiev 
1. ST. Ton bnweii zn baven und tmiren zu traven 1. 1^ zu den 
Fällen Ton Diphthonsirnuig gestellu nicht als Wan«lel Tt«n fi zu e oder 
UV zu aw selmcht weiden sollen. 1. >^ ist man überrascht« den Wandel 
Ton nnwTssenheit zn Unwissenheit als Cbeipftng von a zu i anf- 
seCasst zn seilen, denn t ist mit i dnrchaas gleichwertig. Unhistonsch 
ist 1, ^> das e in belvben. gelaoben. eelrch. eenade als Ein- 
schiebsei zwischen b oder g nnd folgendem Konsonanten anfgefasst. Er- 
freulich ist dasesen. dass die Schreibung der alten Dmcke nirsends an- 
getastet, sondern bnchstabentren wiedergegeben ist, fttr die Vorschläge 
Francks\ der fnr Texte des 16. Jahrhonderts eine Aosgleichong wOnscht 
etwa im Sinne der Lachmannschen Orthographie des Mittelhochdentdchen. 
ist doch wol so lange die Zeit noch nicht gekommen, als die iinmie 
zwischen Bedeotongslosem and irgendwie Beachtenswertem nicht überall 
mit Sicherheit gezogen ist. Zudem ist die Schreibung bei dem größten 
Teil der Zwing] idrucke, bei denen Christoph Froschauer in Zürich, im 
ganzen leidlich maßvoll und gerade in ihren Besonderheiten von Zwingiis 
schriftstellerischer Eigenart kaum abzulösen. Zu weit geht alier wol die 
Ausgabe in der Bewahrung dos Alten, wenn sie auf dem Titelblatt dem 
Vornamen des Reformators die Form Huldreich lässt. im Grunde doch 
nur einer falschen Etymologie des 16. Jahrhunderts zuliebe. 

Bemerkenswert ist. dass die neue Zwingliausgabe überall außer in 
den Titelbeschreibungen lateinische Lettern anwendet, sie entfernt sich 
damit weiter von der Art der alten Drucke als bei Anwendung deutscher 
Schrift, gibt aber, da sie das ß der Vorlagen nachahmt, von besondem 
Schriftzeichen nur das Schluss-s auf und diese Einbuße ist zu gering, als 
dass ihretwegen jemand den Übergang zur Antiqua, der ja gewiss die 
Zukunft gehört, lieklagen dürfte. 

Wir scheiden von der neuen Ausgabe mit dem Wunsche, dass sie, 
von Stockungen und Überraschungen verschont, rasch und sicher fort- 
schreiten möge, 80 wie der Held, dessen Denkmal sie werden soll, einst 
seines Ziels gewiss und frischen Muts seine Bahn durchlaufen hat. 

Freiburg i. Br. Alfred Götze. 



' Beiträge zur Greschichte der deutschen Sprache 27, 3G8 ff. 



330 



Vnlkstraclit^nfest in Olierpreclitnl 



Beim Volkstrachtenfest in Oberprecbtal am 3. Juli 190S^ 

das leider als missgtückt. bezeichnet werde.n muss, hat Ober- 
amtmann Dr. Klotz in Wnldliircli in einer ermüdend langen, 
neue Gesicblspunkte nicht bietenden Festrede, die sowol im 
.Freibiirger Tagblatt" als auch in den Monatsblättem des Vereins 
fUr ländliche Wolfnhrtpflege in Baden ,Dorf und Hof abge- 
druckt und demnach einer weiteren Verbreitung würdig erachtet 
worden ist, unter den , mittelbaren Erfolgen" der Trachten- 
vereine, oder wenigstens in einem Zusammenhange, der nur 
diese Deutung zulässt, auch die Gründung des Badischen 
Vereins für Volkskunde erwähnt. Diese Verknüpfung der 
Tntsfldien muss zurückgewiesen werden. Wer die Geschichte der 
Volkskunde in Baden kennt, weiß auch, dass bereits 1893. also 
vor der Gründung der Trachten vereine zu Ende 1894, eine 
Badische Vereinigung für Volkskunde mit ihren Aufrufen, Vor- 
trügen und dem ersten an weite Kreise hinaus gegebenen Frage- 
bogen an die Öffentlichkeit getreten ist, dass diese bis zur Neu- 
gestaltung des „Badischen Vereins für Volkskunde" am 16. De- 
zember 1904 bestanden hat und dann in diesem aufgegangen 
ist. Die Trachtenvereine, die nach uns kamen, hatten auf unsere 
Bestrebungen nicht den mindesten forderlichen Einfluss; weit 
eher kann vom Gegenteil die Rede sein. Auffallen muss auch, 
dass ganz gegen allen Brauch in Jener Festrede neben allbe- 
kannten volkstümlichen Schriftstellern nur die Verfasser einiger 
neueren kleineren volks- und heimatkundlichen Schriftchen ge- 
nannt sind, während die Menge volks kund lieber Schriften, die 
gerade durch die Badische Vereinigung fUr Volkskunde her- 
vorgerufen sind, überhaupt ungenannt blieb und das ebenfalls 
dahingehörige Hauptwerk, Prof. Dr. E. H. Meyers , Ba- 
disches Volksleben im 19. Jahrhundert" nur in einer Anmerkung 
erwähnt wird. Fridrich Pfaff. 



Am 17. Novoiiilior I9ü:> IM ein btTTorragt'ndiT Mihirbi.iter 
.\lcniatiiiin, 

Gelieiiiirat Dr. Friedrich von Weech, 

Direktor des Gr. Bad, General- Landesarchivs in Karlsri 
nach schwerer Krankheit versciiiedcn. 

Sein Andenken bleibt auch in unserm Kreise in Khren und 
demuftchBt in dicitcr Zellscbrift eiugeliendcr gewOrdigt wi'i'Ji'Ji. 



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SOS-ffiiuL«fflfi| 

STANFORD UNIVERSITY 
UBRARY 

Sbmiord, California 

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